Beschluss vom Finanzgericht Münster - 8 V 3055/04 G
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
1
Gründe:
2Im noch nicht abgeschlossenen Einspruchsverfahren betreffend die Veranlagungszeiträume 1997 bis 1999 ist streitig, ob Zuschätzungen zum Umsatz und Gewinn aufgrund einer Betriebsprüfung (BP) zurecht erfolgt sind und dementsprechend erstmals Gewerbesteuermessbeträge für die Jahre 1997 bis 1999 festgesetzt worden sind.
3Die Antragstellerin (Astin.) betrieb in den Streitjahren eine Eisdiele und erzielte hieraus Gewinn aus Gewerbebetrieb. Für die Streitjahre erfolgte bei der Einkommensteuer zunächst eine erklärungsgemäße Veranlagung. Einheitliche Gewerbesteuermessbeträge setzte das Finanzamt (FA) nicht fest, da die Freibeträge nicht überschritten waren.
4Bei einer in 2002 für die Streitjahre 1997 bis 1999 durchgeführten BP stellte das Finanzamt u. a. folgendes fest (BP-Bericht vom 5.07.2002):
5"Die Steuerpflichtige hat im Prüfungszeitraum eine "offene Ladenkasse" geführt. Nach den Feststellungen der BP wird die Kasse nur buchmäßig geführt. Darauf weisen das einheitliche Schriftbild und die ausgewiesenen auffällig hohen Kassenbestände hin. Die vorgelegten täglichen Kassenberichte sind nicht logisch aufgebaut, d. h. sie beginnen nicht mit dem ausgezählten Kassenbestand bei Geschäftsschluss. Ausgangsgröße ist der Kassenbestand zum Geschäftsschluss des Vortages. Unter Hinzurechnung der Betriebseinahmen und Abzug der Betriebsausgaben wird der aktuelle Kassenbestand rechnerisch ermittelt. Im Einzelfall wurden Betriebseinnahmen zur Vermeidung eines Kassenfehlbetrages korrigiert. Die Tageseinnahmen belaufen sich häufiger auf glatte 5,00 oder 10,00 DM-Beträge. Die für die Kassenberichte verwendeten Vordrucke sind nicht im Original von der Steuerpflichtigen, sondern vielmehr von dem bisherigen Geschäftsinhaber in Ablichtung unterschrieben worden.
6Zur Überprüfung der formellen und materiellen Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung wurde für die Kalenderjahre 1997 und 1999 ferner der Chi-Quadrat-Test eingesetzt. Dieser Test zeigt Auffälligkeiten sowohl im Bereich der ersten Ziffer als auch im Bereich der zweiten Ziffer vor dem Komma. Beide Chi-Quadrat-Werte liegen deutlich über dem Wert von 30 Punkten. Somit ist mit einer nahezu hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit von einer systematischen Abweichung bei der Aufzeichnung der Einnahmen auszugehen. Auffällig erscheint zudem, dass während des gesamten Kalenderjahres 1997 der Anteil der "außer Haus"-Verkäufe (USt. 7 %) an der Tageseinnahme ca. 70 % beträgt.
7Die Mängel in der Kassenführung berechtigen das FA die Umsätze zu schätzen (§ 158, 162 AO)."
8Daraufhin kalkulierte der Prüfer die Umsätze für das Steuerjahr 1997 nach der Methode des Zeitreihenvergleichs. Er führte dazu in Tz. 12 des BP-Berichts u. a. folgendes aus:
9"Das Kalenderjahr 1997 wurde nach der Methode des Zeitreihenvergleichs kalkuliert. Hierzu erfolgte eine Aufnahme des gesamten Wareneinkaufs 1997 nach Lieferanten mit Lieferdatum und Nettoeinkaufspreis und der täglichen Tageseinnahmen laut Buchführung mit Hilfe der EDV. Der erfasste Wareneingang wurde daraufhin nach Lieferdatum von Einkauf zu Einkauf verteilt und den Tageseinnahmen gegenübergestellt. Hieraus ergeben sich für das kalkulierte Jahr wöchentliche Rohgewinnaufschläge, welche im Rahmen der Auswertung in Zeitreihen von zehn zusammenhängenden Wochen gruppiert worden sind (vgl. Anlage 6). Ein sich hierbei ergebender durchschnittlicher Aufschlagsatz i. H. v. 342 % (netto) wird als der für den gesamten Prüfungszeitraum erzielbare Aufschlagsatz angenommen (vgl. Anlage 7)."
10Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des BP-Berichtes und dessen Anlagen Bezug genommen.
11Aus der Anlage 6 des BP-Berichtes ergibt sich, dass in den Wochen 1 bis 5 und 47 bis 52 im Betrieb der Astin. keine Erlöse erzielt worden sind. Dementsprechend sind in der Anlage 6 für diese Wochen auch keine durchschnittlichen Aufschlagsätze berechnet worden. Die wöchentlichen Aufschlagsätze bewegen sich in den Wochen 8 bis 40 zwischen 70 % (29. Woche) und 388 % (15. Woche). Nur in den Wochen 6 und 7 und 41 bis 46 sind die wöchentlichen Aufschlagsätze sehr viel höher, und zwar zwischen 470 % (42. Woche) und 911 % (43. Woche), wobei in diesen zuletzt genannten acht Wochen die Rohgewinnaufschlagsätze bis auf drei Ausnahmen (6., 7. und 42. Woche) alle über 600 % liegen.
12Die durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsätze (berechnet jeweils für die letzten zehn Wochen) liegen in den Wochen 10 bis 44 zwischen 183 % (29. Woche) und 365 % (44. Woche). Die Werte verteilen sich dabei wie folgt: (Anmerkung: die Werte sind hier auf- bzw. abgerundet wiedergegeben):
13
Anzahl | |
183 % bis 200 % | 3 |
200 % bis 250 % | 16 |
250 % bis 300 % | 13 |
300 % bis 350 % | 1 (13. Woche) |
350 % bis 365 % | 2 (43. und 44. Woche) |
14
Der durchschnittliche Rohgewinnaufschlagsatz (berechnet nach den letzten zehn Wochen) i. H. v. (brutto) 391,26 %, den der Prüfer seiner Kalkulation für das Jahr 1997 und sodann auch für die beiden übrigen Streitjahre zugrundegelegt hat (vgl. Anlage 7 - dort hat er einen Rohgewinnaufschlagsatz von (netto) 342,31 % zugrundegelegt - ), wird lt. Anlage 6 nur in der 45. Woche erreicht und außerdem einmal in der 46. Woche mit einem Wert i. H. v. 446,91 % überschritten.
15Die weiteren in der Anlage 6 aufgeführten Überschreitungen dieses Wertes in den Wochen 47 bis 52 sind nicht nachvollziehbar erläutert, weil in diesen Wochen lt. Anlage 6 keine Erlöse erzielt worden sind.
16Von dem gesamten um den Eigenverbrauch bereinigten Wareneinsatz lt. Buchführung in 1997 i. H. v. 49.694,62 DM entfallen auf die acht Wochen (6. und 7. sowie 41. bis 46 Woche) mit den sehr hohen wöchentlichen Rohgewinnaufschlagsätzen (vgl. oben) nur insgesamt 3.184,49 DM (= 6,5 v. H. des gesamten Wareneinsatzes). Der Rest des Wareneinsatzes i. H. v. 45.910,13 DM (= 49.094,62 abzüglich 3.184,49 DM) entfällt auf die übrigen 32 Wochen (8. bis 39. Woche) in denen die wöchentlichen Rohgewinnaufschlagsätze teilweise bedeutend niedriger sind (vgl. oben).
17Laut Anlage 6 überschreiten die durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsätze (berechnet für die letzten 10 Wochen) in 1997 5-mal den Wert (brutto) 300 % und zwar in der 13. und 43. bis 46. Woche.
18Der Prüfer hat den durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsatz (berechnet für die letzten zehn Wochen), der lt. Anlage 6 für die 44. Woche (brutto) 391,26 % betrug, mit dem entsprechenden Netto-Rohgewinnaufschlagsatz i. H. v. 342,31 % (vgl. die Berechnung in der Anlage 7) als für den gesamten Prüfungszeitraum erzielbaren Aufschlagsatz bei der Berechnung der Hinzuschätzungsbeträge beim Umsatz und Gewinn zugrundegelegt. Er hat dazu als Anlage 8 folgende Zusammenstellung gefertigt:
19Zusammenstellung der Rohgewinnaufschlagsätze
20(ohne Umsätze Straßenfest)
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1997 | 1998 | 1999 | |
vor BP | |||
WUS netto | 156.300,00 | 158.400,00 | 215.800,00 |
WES netto | 50.200,00 | 42.600,00 | 66.300,00 |
abzgl. erweiterter EV | 5.400,00 | 5.400,00 | 5.400,00 |
verbleibender WES | 44.800,00 | 37.200,00 | 60.900,00 |
wirtsch. Rohgewinn | 111.500,00 | 121.200,00 | 154.900,00 |
Rohgewinnaufschlag | 248,88 | 325,81 | 254,35 |
äußerer BV | 257-335-428 | 257-335-429 | 233-317-488 |
nach BP | |||
WUS netto | 198.016,00 | 164.424,00 | 269.178,00 |
WES netto | 44.800,00 | 37.200,00 | 60.900,00 |
wirtsch. Rohgewinn | 153.216,00 | 127.224,00 | 208.278,00 |
Rohgewinnaufschlag | 342,00 | 342,00 | 342,00 |
äußerer BV | 257-335-428 | 257-335-429 | 233-317-488 |
Abweichung | 41.716,00 | 6.024,00 | 53.378,00 |
22
Der BP-Bericht ist der Astin. am 10.07.2002 zur Stellungnahme zugesandt worden. Nachdem die Astin. keine Stellungnahme abgegeben hatte, erließ das FA am 10.09.2002 entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide.
23Da die Astin. die dagegen eingelegten Einsprüche nicht begründete, wies das FA die Einsprüche gegen die Einkommensteuer-Änderungsbescheide 1997 bis 1999 als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 26.11.2002).
24Über die hiergegen eingelegte Klage, die unter dem Az.:8 K 6455/02 E anhängig ist, hat der Senat noch nicht entschieden. Zur Begründung der Klage, mit der die Astin. sich gegen die Zuschätzungen wendet, hat sie vorgetragen, das FA habe durch einen Zeitreihenvergleich ab der 36. Woche bis zur 45. Woche einen Rohgewinnaufschlagssatz ermittelt und diesen so ermittelten Aufschlagsatz auf den gesamten Wareneinkauf angewendet. Dieses sei ihres Erachtens nicht richtig, da sie ab der 36. Kalenderwoche nicht mehr das gleiche Sortiment zum Verkauf anbiete. In einem Eiscafé würden zum Ende der Eissaison verstärkt Kaffee, Cappuccino u. a. Warmgetränke zum Kauf angeboten und verkauft. Beim Verkauf dieser Getränke würde bekanntlich ein höherer Aufschlagsatz entstehen. Dieser höherer Satz sei fälschlicherweise durch das FA hier angewendet worden. Sie habe keine Mehrumsätze erzielt. Sie habe ihre Umsätze stets richtig im Kassenbuch erfasst. Deshalb seien die vom FA vorgenommenen Zuschätzungen unzutreffend und würden jeglicher Grundlage entbehren.
25Außerdem erließ das FA auf der Grundlage des BP-Berichtes vom 5.07.2002 am 18.11.2002 Bescheide über die Gewerbesteuermessbeträge 1997 bis 1999 über 142,00 DM (= 72,60 EUR) für 1997, über 93,00 DM (47,55 EUR) für 1998, und über 897,00 DM (= 458,63 EUR) für 1999.
26Hiergegen legte die Astin. Einspruch ein und bat mit Schreiben vom 18.03.2003 um AdV der Bescheide über die Gewerbesteuermessbeträge 1997 bis 1999.
27Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 31.03.2003 unter Hinweis auf sein Schreiben vom 12.12.2002 ab. Darin hatte das FA wegen des hinsichtlich der Einkommensteuer-Änderungsbescheide gestellten AdV-Antrages, um Zusendung weiterer Nachweise und Angaben hinsichtlich des Vorbringens der Astin. zum Zeitreihenvergleich gebeten. Das FA bat darin die Astin, ihre erstmals vorgetragenen Angaben zu den in den Kalenderwochen 36. bis 45 tatsächlich getätigten Umsätze zu belegen.
28Daraufhin stellt nunmehr die Astin. den hier vorliegenden Antrag auf AdV wegen der Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 bei Gericht. Sie wiederholt zur Begründung ihr Vorbringen in dem Klageverfahren 8 K 6455/02 E und meint ergänzend: In einem Eiscafé würden zum Ende der Eissaison verstärkt Kaffee, Cappuccino u. a. Warmgetränke zum Kauf angeboten und verkauft. Beim Verkauf dieser Getränke würde bekanntlich ein höherer Aufschlagsatz entstehen. Dieser höhere Satz sei fälschlicherweise durch das FA hier angewendet worden. Es sei anzunehmen, dass dem FA diese Tatsache bekannt sei. Das FA verfüge aufgrund von mehreren bereits durchgeführten Betriebsprüfungen über andere Eiscafés über diese vorgenannten Erkenntnisse. Obwohl die Tatsachen bekannt seien, würden sie vom FA ignoriert. Ihres Erachtens werde durch die Anwendung des Zeitreihenvergleiches (unter Einbeziehung der Zahlen der "Wintermonate") ein falscher Sachvortrag durch das FA geführt.
29Die Astin. beantragt,
30die Bescheide über Gewerbesteuermessbeträge 1997 bis 1999 vom 18.11.2002 von der Vollziehung auszusetzen.
31Das FA beantragt,
32den Antrag abzulehnen.
33Es meint, die Astin. habe mit gleichlautender Begründung die AdV der Einkommen-steuer-Änderungsbescheide beantragt. Daraufhin sei sie mit Schriftsatz vom 12.12.2002 gebeten worden, ihr Vorbringen hinsichtlich des Zeitreihenvergleiches durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu belegen. Eine Antwort hierzu fehle. Deshalb sei der ADV-Antrag abzulehnen.
34Der Antrag ist unbegründet.
35Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschriften liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten. Diese müssen eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Wegen der summarischen Beurteilung im AdV-Verfahren können neben dem Akteninhalt und dem substantiierten Vorbringen der Beteiligten nur präsente Beweismittel berücksichtigt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 5. März 1979 GrS 5/75 BStBl. II 1979, 570).
36Es bestehen im vorliegenden Fall im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Bescheide betreffend die Gewerbesteuermessbeträge 1997 bis 1999 vom 18.11.2002.
37Das FA war dem Grunde nach gem. § 162 Abgabenordnung (AO), zu einer Schätzung der Umsätze und Gewinne berechtigt, die die Astin. mit ihrer Eisdiele in den Streitjahren erzielt hat. Die vom FA geschätzten Beträge sind im Ergebnis jedenfalls nicht zu hoch.
38Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen (§ 162 Abs. 1 S. 1 der Abgabenordnung - AO -). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige die Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrundegelegt werden (§ 162 Abs. 2 S. 1 i. V. m. S. 2 AO). Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen nur dann der Besteuerung zugrundezulegen, wenn sie den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. Das ist hier nicht der Fall. Die Buchführung der Astin. entspricht diesen Vorschriften nicht.
39Nach den §§ 145 ff. AO und §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuches sind sämtliche Geschäftsvorfälle laufend, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet aufzuzeichnen. Bei Bargeschäften muss das Kassenbuch diesen Anforderungen genügen. Für Kassenaufzeichnungen gilt grundsätzlich die Einzelaufzeichnungspflicht. Zwar entfällt diese wegen Unzumutbarkeit, wenn Waren von geringem Wert an eine unbestimmte Anzahl nicht bekannter Personen verkauft werden (BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60, Bundessteuerblatt - BStBl. - III 1966, 372; vom 13.07.1971 VIII 1/65, BStBl. II 1971, 729; vom 20.06.1985 IV R 41/82, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1985, 12). In einem solchen Fall genügt es, dass die Kasseneinnahmen nur täglich in einer Summe in das Kassenbuch oder einen Kassenbericht eingetragen werden (BFH-Urteile vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BStBl. II 1986, 226 und vom 12.09.1990 I R 122/85 BFH/NV 1991, 573). Jedoch muss das Zustandekommen der Summe durch Aufbewahrung der einzelnen Ursprungsaufzeichnungen wie Kassenstreifen, Kassenzettel oder Kassenbons nachgewiesen werden. Auch ist die tägliche Kassenbestandsaufnahme notwendige Voraussetzung für die Verbuchung der Einnahmen. Kassenbuchungen sind grundsätzlich am Tage des Geschäfts, ausnahmsweise am folgenden Geschäftstag vorzunehmen. Das Erfordernis größter Zeitnähe erfordert regelmäßig, dass der Steuerpflichtige selbst das Kassenbuch führt oder einen Kassenbericht erstellt (BFH-Urteil vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass es jederzeit möglich ist, den Kassen-Soll-Bestand mit dem Kassen-Ist-Bestand zu vergleichen - sogenannte Kassensturzfähigkeit - (BFH X R 54/87).
40Diesen Anforderungen entspricht die Kassenführung der Astin. nicht.
41Unstreitig hat die Astin. die Kasse nur buchmäßig geführt. Das FA hat insoweit - von der Astin. unwidersprochen - ausgeführt, dass hierauf das einheitliche Schriftbild und die ausgewiesenen hohen Kassenbestände hinweisen würden. Das einheitliche Schriftbild bei der Kassenführung spricht dafür, dass die Kassenberichte nachträglich erstellt worden sind. Hohe rechnerische Kassenbestände sollen in aller Regel die Entstehung von rechnerischen Fehlbeträgen verhindern. Außerdem hat die Astin. nicht bei Geschäftsschluss den Kassenbestand ausgezählt, um dann durch Abzug der Einnahmen und Zurechnung der Entnahmen die tatsächlichen Tageseinnahmen zu ermitteln. Ausgangsgröße ist für die Astin. der Kassenbestand zum Geschäftsschluss des Vortages gewesen. Unter Hinzurechnung der Betriebseinnahmen und Abzug der Betriebsausgaben hat sie jeweils den aktuellen Kassenbestand rechnerisch ermittelt. Im Einzelfall wurden unstreitig Betriebseinnahmen zur Vermeidung von Kassenfehlbeträgen korrigiert. Ebenfalls bestreitet die Astin. nicht, dass sich die Tageseinnahmen häufiger auf glatte 5 oder 10 DM-Beträge belaufen. Auch dies spricht dagegen, dass die Astin. den tatsächlichen Kassenbestand bei Geschäftsschluss durch Auszählung ermittelt hat. Hinzu kommt, dass die für die Kassenberichte verwendete Vordrucke nicht im Original, sondern nur in Ablichtung unterschrieben worden sind.
42Es kann dahinstehen, ob die Ausführungen des FA zutreffend sind, dass die Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests ebenfalls zeigen, dass die Kassenführung nicht ordnungsgemäß ist (vgl. zum Chi-Quadrat-Test-Verfahren Michael Blenker, Chi-Test oder "Jeder Mensch hat seine Lieblingszahl", die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 2003, 261 und Christian Sossner, Einsatz statistischer Methoden zur Risikoanalyse, Recherche und Lokalisierung von Steuerausfällen, StBp 2000, 41 und 68).
43Diese Mängel der Kassenaufzeichnungen der Astin. rechtfertigen es, ihre Buchführung insgesamt zu verwerfen und ihre Betriebsergebnisse zu schätzen. Denn da sie bei der Art ihres Unternehmens (Eisdiele) ganz überwiegend Bargeschäfte tätigt, bilden die Kassenaufzeichnungen einen wesentlichen Teil ihrer Buchführung.
44Die Zuschätzung des FA sind im Ergebnis nicht überhöht.
45Das FA hat hier bei der Schätzung die Methode des inneren Betriebsvergleiches gewählt. Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Diese muss sich für eine Schätzungsmethode entscheiden, welche die größte Gewähr dafür bietet, mit zumutbaren Aufwand das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen (BFH vom 18.12.1984 VIII R 195/82, a. a. O.). Bei dieser Entscheidung kommt der Art der zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen, den vorliegenden und verwertbaren Unterlagen und der Mitwirkungsbereitschaft des Steuerpflichtigen wesentliche Bedeutung zu. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode (BFH-Beschluss vom 3.09.1998 XI B 209, 95 BFH/NV 1999, 290). Das Finanzgericht ist an die vom FA gewählte Schätzungsmethode nicht gebunden und besitzt nach § 96 Abs. 1 S. 1 FGO eine eigene, selbständige Schätzungsbefugnis (Tipke/Kruse, AO-Kommentar, Stand Oktober 2002, § 162 Rdn. 52 mwN.).
46Der innere Betriebsvergleich gewinnt seine Vergleichsdaten aus den innerbetrieblichen Verhältnissen. Eine besondere Variante des innerlichen Betriebsvergleiches ist der Zeitreihenvergleich. Durch inneren Betriebsvergleich wird die sogenannte Nachkalkulation erstellt, bei der Umsatz und Gewinn nach den Kalkulationsdaten des jeweiligen Betriebes nachvollzogen werden. Dabei geht die Finanzbehörde stets von vorhandenen betriebsinternen Zahlen aus und entwickelt diese weiter zum Gesamtergebnis eines Besteuerungsabschnitts. Auf diesem Wege lässt sich etwa der wahrscheinliche betriebliche Umsatz durch Anwendung betrieblicher Aufschlagsätze auf Waren- und Materialeinsatz bestimmen (Tipke/Kruse a. a. O., § 162 Rdn. 58,59 m. w. N.). Der innere Betriebsvergleich in Form eines Zeitreihenvergleiches ist eine Kalkulationsmethode, die in den vergangenen Jahren immer häufiger zum Einsatz gekommen ist. Sie wird häufig neben anderen Kalkulationsmethoden zusätzlich eingesetzt (vgl. Finanzgericht Münster, Urteil vom 20.10.1999 10 K 3902/98 E, G, U, JURIS-Nr. STRE 2003 70 522; Finanzgericht Münster 15.12.1999 10 K 7869/99 E, G, U, JURIS-Nr. STRE 2003 70 521 und dazu nachgehend BFH-Beschluss vom 2.11.2000 10 B 39/00 BFH/NV 2001, 610 ; Finanzgericht Münster, Urteil vom 17.02.1999 10 K 3407/98 E, G, U, F, JURIS-Nr. STRE 2003 70 523; Finanzgericht Münster, Beschluss vom 5.12.2002 8 V 5774/02 E, G, U JURIS-Nr. STRE 2003 70 524; Finanzgericht Münster, Beschluss vom 10.11.2003 6 V 4562/03 E, U JURIS-Nr. STRE 2003 72 122, EFG 2004 236; Finanzgericht Münster, Beschluss vom 11.02.2000 9 V 5542/99 K, U, F DstRE 2000, 549; Erich Huber, Weiterentwickelte und neue Methoden der Überprüfung, Verprobung und Schätzung, StBp. 2002, 199, 233, 258 und 293).
47Bei Zugrundelegung dieser Verprobungsmethode ermittelte der Prüfer für jede Kalenderwoche des Jahres aus den gebuchten Betriebseinnahmen und den gebuchten Wareneinkäufen die tatsächlich erzielten sämtlichen Rohgewinnaufschläge. Die Wareneinkäufe verteilte er jeweils auf den Zeitraum bis zum nächsten Einkaufstermin der Astin., um eine realistische wochenweise Zuordnung der Wareneingänge zu erreichen. Die Zahlen für den Vergleich stammen ausschließlich aus der Buchführung der Astin. Da sich innerhalb der wöchentlichen Rohgewinnaufschläge größere Schwankungen ergaben, errechnete der Prüfer wöchentliche (durchschnittliche) Rohgewinnaufschlagsätze unter Zugrundelegung eines Zeitblocks von zehn Wochen. Dies dient dazu, Warenbestandsschwankungen Rechnung zu tragen.
48Der erkennende Senat meint, dass man mit Hilfe dieser Methode zu zutreffenden Schätzungsergebnissen beim Umsatz und Gewinn eines Betriebes kommen kann. Da diese Schätzung auf den Zahlen der Buchführung der Steuerpflichtigen beruht, ist sie grundsätzlich einer Schätzung nach Richtsätzen überlegen. Probleme ergeben sich aber dann, wenn der Prüfer bei der Berechnung eines Rohgewinnaufschlagsatzes für ein ganzes Streitjahr - oder wie hier - für den gesamten dreijährigen Prüfungszeitraum den durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsatz einer Woche (berechnet auf der Grundlage der letzten zehn Wochen) zugrundelegt (hier der 45. Woche), von der nicht angenommen werden kann, dass der so berechnete Rohgewinnaufschlagsatz für das gesamte Streitjahr oder sogar für den dreijährigen Prüfungszeitraum repräsentativ ist.
49Der Prüfer hat sich hier zwar nicht an dem höchsten durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsatz (berechnet auf der Grundlage der letzten zehn Wochen) orientiert. Diesen hat er für die 46. Woche mit 446,91 % berechnet. Aber auch die von ihm vorgenommene Zugrundelegung des zweithöchsten festgestellten durchschnittlichen Rohgewinnaufschlagsatzes (berechnet auf der Grundlage der letzten zehn Wochen) i. H. v. (brutto) 391,26 % aus der 45. Woche kann nur dann richtig sein, wenn davon ausgegangen werden kann, dass dieser Wert auch für die anderen Zeiträume zutreffend ist. Da auch beim normalen Geschäftsverlauf und zutreffender Verbuchung erhebliche Schwankungen auftreten können, führt es zu erheblichen Verzerrungen, wenn ohne statistische Absicherung einzelne Zeiträume ausgewählt und der so ermittelte Aufschlagsatz für das ganze Jahr zugrundegelegt wird. Dies gilt um so mehr, wenn es sich dabei um die Zeiträume mit den höchsten Aufschlagsätzen handelt. Anderes kann nur dann gelten, wenn der Wareneinkauf und die Umsätze in ihrer Zusammensetzung in den einzelnen Zeiträumen so gleichbleibend sind, dass Verzerrungen nicht auftreten (vgl. Finanzgericht Münster, Beschluss vom 11.02.2000 9 V 5542/99 K, U, F a. a. O.).
50Daran bestehen hier aber gerade erhebliche Zweifel. Der Zeitraum von der 36. bis 45. Woche, den der Prüfer dem von ihm für die 45. Woche (berechnet auf der Grundlage der letzten zehn Wochen) berechneten Rohgewinnaufschlagsatz i. H. v. (brutto) 391,26 % zugrundegelegt hat, ist für die von der Klin. betriebene Eisdiele nicht repräsentativ. Dieser Zeitraum von Anfang September bis zur ersten November-Woche fällt bereits in die kühlere Jahreszeit. Der Betrieb der Astin. lebt jedoch insbesondere von den größeren Umsätzen, die mit dem Eisverkauf in der wärmeren Jahreszeit gemacht werden. Dies ergibt sich hier insbesondere aus dem besonders hohen Wareneinsatz in der ersten Juli-Woche (27. Woche) i. H. v. 3.090,15 DM und in der zweiten August-Woche (32. Woche) i. H. v. 2.709,32 DM. Der gesamte Wareneinsatz in der 36. bis 45. Woche mit den hohen Rohgewinnaufschlagsätzen (vgl. oben) beträgt demgegenüber insgesamt lediglich 6.529,35 DM. Insoweit weist die Astin. - vom FA unwidersprochen - darauf hin, dass sie ab der 36. Kalenderwoche nicht mehr das gleiche Sortiment zum Verkauf anbiete. In einem Eiscafé würden zum Ende der Eissaison verstärkt Kaffee, Cappuccino und andere Warmgetränke zum Kauf angeboten und verkauft. Beim Verkauf dieser Getränke würde bekanntlich ein höherer Aufschlagsatz entstehen.
51Der Senat geht deshalb in diesem summarischen Verfahren davon aus, dass diese Behauptung der Astin. zutreffend ist. Wenn das FA hiervon nicht ausgehen wollte, hätte es diesem Vorbringen widersprechen müssen. Es reicht insoweit nicht aus, auf die Aufforderung gegenüber der Astin. hinzuweisen, dass diese ihre Angaben zu den in den Kalenderwochen 36 bis 45 tatsächlich getätigten Umsätzen belegen müsse. Das Vorbringen der Astin. wird auch durch die vom Prüfer ermittelten wöchentlichen Rohgewinnaufschlagsätzen in der 40. bis 45. Woche belegt. Diese sind mit 602,50 %, 618,40 %, 470,90 %, 911,37 %, 610,26 % und 622,65 % erheblich höher als die vom Prüfer ermittelten wöchentlichen Rohgewinnaufschlagsätze für die übrige Zeit, die im wesentlichen zwischen 100 und 200 % (9-mal), zwischen 200 und 250 % (6-mal), zwischen 250 und 300 % (7-mal), zwischen 300 und 350 % (4-mal) und zwischen 350 bis 400 % (5-mal) liegen.
52Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erscheint die Auswahl des Rohgewinnaufschlagsatzes auf der Grundlage des von der Betriebsprüfung als maßgeblich angesehenen Zeitraumes als willkürlich.
53Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass die vom FA vorgenommenen Zuschätzungen im Ergebnis jedenfalls nicht zu hoch sind.
54Der Senat nimmt insoweit die dem Gericht gem. § 69 Abs. 1 S. 1 FGO i. V. m. §§ 158, 162 Abs. 1 und 2 AO eigene, selbständige Schätzungsbefugnis wahr (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 1.12.1998 III B 78/97, BFH-NV 1999, 741).
55Er legt dabei die Schätzungsmethode des äußeren Betriebsvergleichs nach den Richtsätzen in den Richtsatz-Sammlungen des Bundesministeriums der Finanzen für die Jahre 1997 bis 1999 zugrunde (BStBl. I 1998, 937; I 1999, 526 und I 2000, 289), vgl. BFH-Urteil vom 12.09.1990 I R 122/85, BFH/NV 1991, 573).
56Danach liegen die (netto) Rohgewinnaufschlagsätze für Eisdielen in folgenden Bereichen:
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1997: | 257 | 335 | 426 |
1998: | 257 | 335 | 426 |
1999: | 233 | 317 | 488 |
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Den vom FA zugrundegelegten Rohgewinnaufschlagsatz i. H. v. (netto) 342 % in allen drei Prüfungsjahren hält der Senat jedenfalls nicht für überhöht.
59Der Senat hat grundsätzlich keine Bedenken, sich im Falle einer Schätzung nach Richtsätzen bei den anzuwendenden Rohgewinnaufschlagsätzen an dem oberen Rahmen des Schätzungsermessens zu orientieren. Ein Steuerpflichtiger der - wie die Astin. - im wesentlichen Barumsätze tätigt, verhindert durch eine fehlerhafte Kassenführung die richtige Erfassung und die Überprüfbarkeit seiner Umsätze und Gewinne. Er hat wegen der Verletzung dieser Pflichten keinen Anspruch darauf, dass lediglich Mittelsätze zugrundegelegt werden (vgl. auch Finanzgericht Münster, Urteil vom 31.10.2000 5 K 6660/98 E, EFG 2001, 401). Eine Schätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt (BFH-Urteil vom 1.10.1992 IV R 34/90, BStBl. II 1993, 259). Diesen Rahmen verlässt die Schätzung nicht, weil bei ihr für alle Streitjahre, ausgehend von dem unstreitigen Wareneinsatz, ein Rohgewinnaufschlagsatz zugrunde liegt, der nur geringfügig den mittleren Satz laut Richtsatz-Sammlung überschreitet.
60Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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