Urteil vom Finanzgericht Münster - 11 K 6266/02 E
Tenor
Die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 vom 06.12.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.10.2002 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger vorläufig vollstreckbar.
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Gründe:
2I.
3Streitig ist, ob dem Kläger geldwerte Vorteile für die Nutzung eines Firmenwagens für private Zwecke und für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zugeflossen sind.
4Die Kläger sind Eheleute und werden in den Streitjahren 1997 bis 1999 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Zu ihrem Haushalt gehören die beiden am ......1981 und ......1986 geborenen Töchter E: und O..
5Der Kläger war in den Streitjahren in dem Betrieb seiner Mutter (S. Y.-X., Schreinerei und Bestattungen) als Tischlermeister angestellt und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. In den Einkommensteuererklärungen 1997 bis 1999 erklärte er, die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (einfache Entfernung 3 km) mit dem PKW AA-HX 001 zurückgelegt zu haben, und zwar an je 242 Tagen in 1997 und 1998 und an 121 Tagen in 1999. Die Klägerin erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Verwaltungsangestellte. Fahrtkosten zu ihrer 8 km von der Wohnung entfernt liegenden Arbeitsstätte machte sie nicht geltend.
6Im Jahr 1999 wurde bei der Arbeitgeberin des Klägers eine Lohnsteueraußenprüfung für die Jahre 1997 bis 1999 durchgeführt. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein Firmenwagen zur Verfügung gestanden habe, dessen Privatnutzung auf Grund der Sachverhaltsermittlung und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht auszuschließen sei. Ein schriftliches Nutzungsverbot sei nicht ausgesprochen worden. Das Fahrzeug werde nach Dienstende und am Wochenende nicht am Firmensitz abgestellt. Es seien durch die Arbeitgeberin auch keine weiteren Maßnahmen (z.B. Führung eines Fahrtenbuches) zum Ausschluss der Privatnutzung veranlasst worden. Da der in der Pkw-Nutzung liegende Sachbezug bisher nicht erfasst worden sei, sei der Arbeitslohn des Klägers für die Jahre 1997 bis 1999 wie folgt zu erhöhen:
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| (alle Werte in DM) | 01-12/1997 | 01-12/1998 | 01-09/1999 | ||
| Privatfahrten | 6.263,00 | 6.408,00 | 4.806,00 | ||
| pro Monat 1 % v. Listenpreis 50.500 DM (bis 5/97) bzw. 53.400 DM (ab 6/97) | |||||
| Fahrten Wohnung/Arbeitsstätte | 375,78 | 384,48 | 288,36 | ||
| Entfernung: 2 km | |||||
| Sachbezug insgesamt | 6.638,78 | 6.792,48 | 5.094,36 |
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Der Beklagte übernahm die Prüfungsfeststellungen und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen 1997 bis 1999 mit Bescheiden vom 06.12.2001 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (1997/1998) bzw. nach § 164 Abs. 2 AO (1999). Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
9Im Klageverfahren machen die Kläger geltend, dass der Firmenwagen nicht zu Privatfahrten genutzt worden sei und auch keine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu besteuern seien.
10Der Dienstwagen sei nur an ca. einem Wochenende pro Monat sowie ca. 6 weitere Male im Jahr wochentags mit nach Hause genommen worden, und zwar immer nur dann, wenn er - der Kläger - Bereitschaftsdienst gehabt habe und absehbar gewesen sei, dass der private PKW AA-HX 001 - mit dem er die übrigen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durchgeführt habe - nicht zur Verfügung stehen würde. Der Bereitschaftsdienst bestehe darin, Anrufe der Polizei bzw. von Kunden entgegenzunehmen und dann möglichst schnell den Sterbeort aufzusuchen. Wenn ein Anruf gekommen sei, sei er - der Kläger zur Firma gefahren, dort in den Bestattungswagen umgestiegen und mit diesem zum Sterbeort gefahren. Diese Dienstleistung müsse das Bestattungsunternehmen sozusagen 365 Tage im Jahr leisten, wobei der größte Teil des Bereitschaftsdienstes von ihm dem Kläger ausgeübt worden sei und der andere Teil durch den Gesellen. Auch dieser habe den Firmenwagen bei den Bereitschaftsdiensten mit nach Hause genommen.
11Um das Firmengelände im Einsatzfall möglichst schnell erreichen zu können, habe er während des Bereitschaftsdienstes einen PKW zur Verfügung haben müssen. Hierfür sei grundsätzlich der private PKW genutzt worden, welcher normalerweise immer zur Verfügung gestanden habe. Die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe diesen Wagen zu ihrer Arbeitsstätte mitgenommen, stimme nicht. Die Klägerin sei die 8 km entweder mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren oder sie sei von ihrer Schwester, die den gleichen Arbeitsort habe, mitgenommen worden. Auch seien während der Woche keine Einkaufsfahrten angefallen, da der Einkauf für die Familie in Form eines Großeinkaufs am Wochenende erledigt werde. Während des Einkaufs habe der Geselle den Bereitschaftsdienst übernommen. Nur in den wenigen Ausnahmefällen, in denen die Klägerin den privaten PKW tatsächlich selbst gebraucht habe, sei deshalb der Firmenwagen als Ersatzwagen mit nach Hause genommen worden. Bei dem privaten PKW handele es sich um einen im Jahr 1996 erstmals zugelassenen Volvo.
12Wenn der Beklagte aus dem Kfz-Kennzeichen "HX" darauf schließe, der private Wagen werde hauptsächlich von der Klägerin genutzt, sei das reine Spekulation. Hätte der Kläger seine eigenen Initialen verwenden wollen, so habe er die Initialen "...." verwenden müssen, was nicht unproblematisch sei.
13Auch die Behauptung des Prüfers, der Firmenwagen sei abends nicht am Firmengelände abgestellt gewesen, sei nicht richtig. Der Prüfer habe dies gar nicht geprüft, sondern von vornherein unterstellt, dass der Firmenwagen auch privat genutzt worden sei. Der Versuch des Klägers, die ins Blaue hinein getroffenen Behauptungen richtig zu stellen, habe nichts gebracht.
14Es sei zwar richtig, dass kein schriftliches Nutzungsverbot seitens des Arbeitgebers ausgesprochen worden sei, jedoch sei dies auch nicht erforderlich gewesen, da er - der Kläger - die Auffassung vertrete, dass ein Firmenwagen ausschließlich dienstlich zu nutzen sei.
15Die Kläger beantragen,
16die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 vom 06.12.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.10.2002 aufzuheben.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen,
19hilfsweise die Revision zuzulassen.
20Er ist der Ansicht, dass die 1%-Regel zu Recht angewandt worden sei. Ein geldwerter Vorteil sei auch in den Fällen zu versteuern, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen PKW eigentlich nur für Dienstfahrten überlasse, die vom Arbeitgeber billigend in Kauf genommenen Umstände es dem Arbeitnehmer aber tatsächlich ermöglichen, den PKW auch privat zu nutzen. Dies sei dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Privatnutzung nicht vertraglich ausschließe, nicht ernstlich auf die Beachtung des Verbotes dränge und die Einhaltung nicht überwacht habe. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt.
21Insbesondere sei das Vorhandensein des privaten Wagens AA-HX 001 kein Beweis dafür, dass der Kläger den Firmenwagen nie privat genutzt habe. Zudem sei der Privatwagen auf die Klägerin zugelassen und das Kfz-Kennzeichen trage ihre Initialen. Dies sei ein Indiz dafür, dass es sich hierbei um einen PKW handele, der überwiegend von ihr gefahren werde. Es sei nicht auszuschließen, dass sie den Wagen für Fahrten zu ihrer 8 km von der Wohnung entfernt liegenden Arbeitsstätte genutzt habe. Außerdem würden zu dem Haushalt der Kläger noch zwei Töchter im Teenageralter gehören, so dass es höchstwahrscheinlich häufiger erforderlich gewesen sei, die Töchter irgendwo hinzubringen oder abzuholen. Erst Ende März 1999 sei auf die Klägerin ein weiterer PKW angemeldet worden. Das Kennzeichen AA-EX 002 spreche allerdings dafür, dass dieses Auto überwiegend von der volljährig gewordenen Tochter E: X. gefahren worden sei. Auf den Kläger selbst sei in den Streitjahren kein Auto zugelassen gewesen.
22Darauf, in welchem Umfang der Kläger den Firmenwagen tatsächlich privat genutzt habe, komme es nicht an. Bereits die Möglichkeit der Privatnutzung stelle einen Sachbezug dar. Die 1 % - Regelung bzw. die Besteuerung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte komme gemäß R 31 Abs. 9 Nr. 2 EStR nur dann nicht zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige den privaten Nutzungsanteil sowie die tatsächlichen Aufwendungen durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen habe.
23Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, die Finanzamtsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
24II.
25Die Klage ist zulässig und begründet.
26Der Senat konnte nicht feststellen, dass der Kläger in den Streitjahren geldwerte Vorteile aus der Nutzung eines betrieblichen PKW erlangt hat. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide sind daher rechtswidrig.
27Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG gehört zu den Einnahmen im Rahmen der Überschuss-Einkunftsarten auch der geldwerte Vorteil, der dem Steuerpflichtigen aufgrund der Überlassung eines betrieblichen Fahrzeugs zu privaten Zwecken entsteht. Der geldwerte Vorteil beträgt grundsätzlich für jeden Kalendermonat 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung. Kann das Fahrzeug auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden, erhöht sich der Wert gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für jeden Kalendermonat um 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
28Die objektive Darlegungs- und Beweislast für steuererhöhende Tatsachen - und damit auch für den Umstand, dass der Steuerpflichtige Privatfahrten durchgeführt hat - trägt grundsätzlich das Finanzamt. Feststellungen dahingehend, dass der Kläger den Dienstwagen tatsächlich privat genutzt hat, wurden von dem Lohnsteueraußenprüfer nicht getroffen. Eine Entscheidung nach der Feststellungslast kommt jedoch nur dann in Frage, wenn das zu beweisende Tatbestandsmerkmal im Streitfall nicht erweislich ist (Fall des sogenannten non liquet). Zuvor ist im Rahmen der Beweiswürdigung zu prüfen, ob nicht aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung nach den Regeln des Anscheinsbeweises davon ausgegangen werden kann, dass der Dienstwagen auch privat genutzt wurde (vgl. BFH, Beschluss vom 14.05.1999 - VI B 258/98, BFH/NV 1999, 1330).
29Im Streitfall reichen die Indizien nicht aus, um einen derartigen Anscheinsbeweis zu begründen. Insbesondere liegt keiner der typischen Fälle vor, in denen sich ein Gesellschafter-Geschäftsführer einen besonders hochwertigen Wagen als Firmenwagen nimmt. Der Kläger war nur Arbeitnehmer und die Firmenwagen waren Kombis, die mit einem Listenpreis von ...... DM (bis 5/97) bzw. ...... DM (ab 6/97) nicht der Oberklasse zuzuordnen sind. Für eine Privatnutzung des Firmenwagens spricht allenfalls, dass der Kläger bei seiner Mutter beschäftigt war und aufgrund des Familienverhältnisses keine ernsthaften Konsequenzen befürchten musste, wenn er den Firmenwagen auch privat genutzt hätte. Dies allein ist als Indiz jedoch nicht ausreichend. Soweit der Beklagte eine Privatnutzung zudem daraus ableiten will, dass den Klägern privat nur ein (bzw. ab April 1999 zwei) PKW zur Verfügung gestanden hätten, überzeugt dies den Senat nicht, da es sehr viele vierköpfige Familien gibt, die mit nur einem Auto zurecht kommen. Auch ist die vom Beklagten vorgenommene Interpretation der Nummernschilder reine Spekulation. Dass der private PKW das Buchstabenkürzel "HX" trägt, ist insbesondere kein Indiz - geschweige denn ein Beweis - dafür, dass dieser Wagen dem Kläger für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht zur Verfügung stand und er für diese Fahrten deshalb den Firmenwagen genommen hat.
30Wird ein Firmenwagen über Nacht bzw. über die Wochenenden mit nach Hause genommen, dann besteht nach der Lebenserfahrung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass der PKW - der sich nunmehr außerhalb des Kontrollbereichs des Arbeitgebers befindet - auch privat genutzt wird. Aber auch diese Wahrscheinlichkeit kann sich der Beklagte nicht erfolgreich zu nutze machen, da er dem Einwand des Klägers, der Firmenwagen sei bis auf ganz wenige dienstlich begründete Male nicht mit nach Hause genommen worden, nichts Wesentliches entgegengesetzt hat. Der Beklagte verweist vielmehr ausschließlich darauf, dass im Prüfungsbericht stehe, dass "das Fahrzeug nach Dienstende und an Wochenenden nicht am Firmensitz abgestellt" werde. Die Prüfungsfeststellung als solche ist für die Beweiswürdigung jedoch ohne Belang, solange nicht erkennbar ist, auf welche Tatsachengrundlage sich die Feststellung stützt. Trotz ausdrücklicher Nachfrage hat der Beklagte nicht dazu Stellung genommen, wie der Prüfer zu seiner Erkenntnis kam. Dass irgendwelche Ermittlungen wie z.B. die Befragung von Arbeitskollegen etc vorgenommen wurde, ist nicht ersichtlich. Insbesondere für die bereits abgelaufenen Streitjahre 1997 und 1998 bleibt damit völlig offen, woher der Prüfer wusste bzw. gewusst haben will, dass das Firmenfahrzeug entgegen der Behauptung des Klägers nicht am Firmensitz abgestellt war.
31Zudem bleibt unklar, warum der Lohnsteueraußenprüfer den Firmenwagen - der nach dem Vortrag des Klägers auch von anderen Angestellten genutzt worden sein soll - dem Kläger zugeordnet hat. Es hat den Anschein, als sei der Umstand, dass kein Fahrtenbuch vorgelegt werden konnte, vom Lohnsteueraußenprüfer als Anlass genommen worden, den Firmenwagen irgendjemand auch für Privatfahrten zuzuordnen, und als sei der Kläger insoweit als geeigneter Kandidat angesehen worden. Daraus, dass kein Fahrtenbuch vorgelegt werden kann, folgt jedoch nicht, dass zumindest einer der Arbeitnehmer in den streitbefangenen Zeiträumen wegen einer privaten Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs geldwerte Vorteile in der sich aus § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG ergebenden Höhe erhalten hat. Bei dieser Vorschrift handelt es sich lediglich um eine Bewertungsregel. Ihre Anwendung setzt die vorherige Feststellung voraus, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 25. November 2004 - 11 K 459/03, EFG 2005, 428 m.w.N.). Diese Feststellung konnte der Senat jedoch gerade nicht treffen.
32Da auch nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger den Wagen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt hat, scheidet die Erfassung eines geldwerten Vorteils i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG ebenfalls aus. Dass der Firmenwagen vom Kläger nach dessen eigenem Vortrag einige Male anlässlich des Bereitschaftsdienstes mit nach Hause genommen worden ist, erachtet der Senat als unschädlich, da die Mitnahme des Firmenwagens im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers erfolgte.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
34Die Revision wurde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen nach der Lebenserfahrung von der privaten Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs ausgegangen werden kann von den Finanzgerichten nicht einheitlich beurteilt wird.
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