Urteil vom Finanzgericht Münster - 10 K 1086/04 F
Tenor
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 22.1.2003 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.1.2004 wird der verbleibende Verlust des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften zum 31.12.2000 auf 3.869,46 € festgestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 8 v.H. und der Beklagte zu 92 v.H.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger vorläufig vollstreckbar.
1
G r ü n d e:
2Zwischen den Beteiligten ist im Streit, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2000 (Streitjahr) noch ein verbleibender Verlustvortrag aus -ursprünglich nicht erklärten- Wertpapiergeschäften gesondert festgestellt werden kann.
3Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger erklärten in ihrer Einkommensteuererklärung 2000 neben Einkünften aus Gewerbebetrieb, aus selbstständiger Arbeit, aus nichtselbstständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung in der Anlage SO unter "Private Veräußerungsgeschäfte" Einkünfte des Klägers von 654 DM aus vom Finanzamt E************** (Steuer-Nummer: xxx/xxxx/xxxx) festgestellten Anteilen an Einkünften aus einer Grundstücksgemeinschaft. Den darüber hinaus vom Kläger aus An- und Verkäufen von Aktien der E***************** (Kennnummer yyyy) und Optionsscheinen der T***************** (Kennnummer zzzz) unstreitig erzielten privaten Veräußerungsverlust nach § 23 Absatz 1 Nrn. 2 und 3 EStG in Höhe von insgesamt 8.222 DM gaben die Kläger nicht an.
4Der Beklagte setzte mit Einkommensteuerbescheid vom 02.05.2002 unter Ansatz sonstiger Einkünfte mit 0 DM die Einkommensteuer für 2000 auf 101.134,56 € (197.802 DM) fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
5Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 05.01.2003 beantragten die Kläger erstmals, für das Jahr 2000 gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 10 d EStG einen vortragsfähigen Verlust in Höhe von 8.222 DM (4.204,- €) festzustellen.
6Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.01.2003 die Erteilung eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug zum 31.12.2000 mit der Begründung ab, nach Bestandskraft der Einkommensteuer-Veranlagung komme der Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nur noch in Betracht, wenn die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides vorlägen. Dies sei hier nicht der Fall.
7Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage tragen die Kläger im Wesentlichen vor, auf die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2000 komme es nicht an, da es sich bei dem beantragten Verlustfeststellungsbescheid um einen separaten Bescheid handele. So lange -wie hier- noch keine Feststellungsverjährung eingetreten sei, sei der erstmalige Erlass eines derartigen Bescheides nicht nur möglich, sondern zwingend geboten. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Berücksichtigung der entstandenen privaten Veräußerungsverluste zu keiner Änderung der Einkommensteuer führen würde und diese Verluste bei der Veranlagung zur Einkommensteuer weder erklärt noch irgendwie berücksichtigt worden seien.
8Die Kläger beantragen,
91. unter Aufhebung des Bescheids in 22.01.2003 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2004 auf den 31.12.2000 einen Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 Absatz 3 i.V.m. § 10 d EStG in Höhe von 7568 DM festzustellen.
102. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorfahren für notwendig
11zu erklären.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen,
14hilfsweise, für den Fall des Unterliegen, die Revision zuzulassen.
15Er ist unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 9.12.1998 XI 62/97, BStBl II 2000, 3 weiterhin der Auffassung, auch der erstmalige Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug setze voraus, dass der zugrundeliegende - bisher keinen Verlust ausweisende – Einkommensteuersteuerbescheid formell oder materiell noch nicht bestandskräftig sei und daher verfahrensrechtlich noch geändert werden könne. Das BFH-Urteil vom 12.6.02 XI R 26/01, BStBl II 2002, 681 sei nicht einschlägig, da - anders als in dem diesem Urteil zugrundeliegenden Fall - hier bereits ein bestandskräftiger Steuerbescheid vorgelegen habe.
16Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Steuerakten Bezug genommen.
17Die Klage ist begründet.
18Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, auf den 31.12.2000 einen verbleibenden Verlust des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 3.869,46 € (umgerechnet 7.568 DM) festzustellen.
19Nach § 23 Absatz 3 Satz 8 EStG dürfen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nur bis zur Höhe des Gewinns, den ein Steuerpflichtiger im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10 d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10 d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat oder erzielt (§ 23 Absatz 3 Satz 9 EStG).
20Nach § 10 d Abs. 3 Satz 1 EStG ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug gesondert festzustellen. Nach § 10 d Abs. 3 Satz 4 EStG ist ein solcher Feststellungsbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit sich ― erstens ― die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge (der nicht ausgeglichene Verlust eines Veranlagungszeitraums, der Verlustrücktrag auf die zwei Vorjahre, der Verlustvortrag auf die nachfolgenden Veranlagungszeiträume, der am Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellte verbleibende Verlustabzug) ändern und ―zweitens― deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Satz 4 ist entsprechend anzuwenden, wenn der Erlass, die Aufhebung oder die Änderung des Steuerbescheids mangels steuerlicher Auswirkung unterbleibt (§ 10 d Abs. 3 Satz 5 EStG).
21Im Streitfall kann der Senat offen lassen, ob der begehrte Bescheid auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs bereits deshalb zu erlassen ist, weil sich –wie die Kläger meinen- das Verfahren bei erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheids ausschließlich nach den Regeln der §§ 179 ff Abgabenordnung (AO) richtet und die Feststellung unbeschadet der besonderen Feststellungsfrist grundsätzlich zulässig ist, solange die Festsetzungsfrist für das Verlustverrechnungsjahr (§ 181 Absatz 5 AO) noch nicht abgelaufen ist (so z.B. auch Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.06.2004, EFG 2004, 1689; Schmidt-Heinicke, EStG § 10 d, 56; Glenk in Blümlich, EStG § 23, Rn 235; wohl auch Wendt, FR 1999, 542).
22Denn die Kläger haben im Streitfall selbst dann einen Anspruch auf Erlass des begehrten Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug, wenn - entsprechend der Auffassung des Beklagten und der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 09.05.2001 XI R 25/99, BStBl II 2002, 817 und in BStBl II 2000; ebenso Urteil des Finanzgerichts München vom 20.04.2004 12 K 4579/02, EFG 2004, 1370) - auch der erstmalige Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug voraussetzt, dass der zugrunde liegende, bisher keinen Verlust ausweisende Steuerbescheid noch entsprechend geändert werden kann bzw. die Änderung dieses Steuerbescheides allein mangels steuerlicher Auswirkung unterbleibt.
23Zwar erscheint im Streitfall eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 2000 nicht mehr möglich, da einerseits die Voraussetzungen für eine Änderung, insbesondere auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich sind und andererseits eine nachträgliche Berücksichtigung der streitigen Verluste wegen des Verlustabzugsverbots des § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG zu keiner Änderung der Einkommensteuerfestsetzung führen könnte. Jedoch haben Steuerpflichtige in solchen Fällen die Möglichkeit, innerhalb der Anfechtungsfrist für diesen Bescheid den Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug mit der Begründung zu beantragen, dass ihnen -- anders als ursprünglich erklärt -- ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften entstanden ist.
24Nach dem BFH-Urteil in BStBl II 2002,817 kann ein solcher Antrag in entsprechender Anwendung des § 356 Absatz 2 AO innerhalb eines Jahres gestellt werden, wenn einerseits ein Einspruch gegen einen auf 0 DM lautenden Einkommensteuerbescheid mangels Beschwer unzulässig ist und andererseits dieser Einkommen-steuerbescheid keine Belehrung enthält, dass innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Einkommensteuerbescheid die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zu beantragen ist.
25Der Senat verkennt nicht, dass sich eine derartige Belehrungspflicht aus dem Wortlaut des § 356 Absatz 1 AO nicht unmittelbar herleiten lässt und dass der BFH seinen Rechtssatz lediglich als obiter dictum (im vom BFH entschiedenen Fall war der Antrag erst rund zwei Jahre nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides gestellt worden) aufgestellt hat.
26Er hält eine entsprechende Belehrungsfrist aber jedenfalls bei Anwendung der in den BFH-Urteilen in BStBl II 2000, 3 und in BStBl II 2002, 817 vertretenen Rechtsauffassung für geboten. Denn wenn die fehlende Einlegung eines Einspruchs nicht nur die Bestandskraft des erlassenen Einkommensteuerbescheides zur Folge hat, sondern darüber hinaus auch dazu führt, dass –sofern (wie hier) keine anderen Änderungsvorschriften eingreifen- ein erstmaliger Verlustfeststellungsbescheid nicht mehr erlassen werden kann, so gebietet es zumindest der Grundsatz des fairen Verfahrens, auch hierauf in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen und dem Steuerpflichtigen dadurch die Möglichkeit zu geben, seine Rechte und Ansprüche effektiv geltend zu machen.
27Bei Anwendung dieser Grundsätze haben die Kläger ihren Antrag vom 09.01.2003 auf Feststellung des vortragsfähigen Verlustes rechtzeitig gestellt.
28Der Antrag ist innerhalb der Jahresfrist nach Ergehen des Einkommensteuerbescheides 2000 vom 02.05.2002 beim Beklagten eingegangen.
29Die Rechtsbehelfsfrist beträgt auch im Streitfall ein Jahr, da einerseits ein Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2000 mit dem Ziel der Berücksichtigung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften mangels Auswirkung auf die Höhe der Einkommensteuer unzulässig war und andererseits das Finanzamt die Kläger nicht darauf hingewiesen hat, dass nur innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Einkommensteuerbescheid die Feststellung nach § 10 d Abs. 3 EStG beantragt werden kann.
30Der danach festzustellende vortragsfähige Verlust beträgt 3.869,46 € (umgerechnet 7.568 DM), da von den im Klageverfahren ursprünglich geltend gemachten Verlusten zunächst 654 DM mit den vom Finanzamt E************** festgestellten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zu verrechnen sind. Dies ist unstreitig.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Absatz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Hierbei ist berücksichtigt, dass die Kläger ihr ursprüngliches Klagebegehren teilweise eingeschränkt haben.
32Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.