Urteil vom Finanzgericht Münster - 3 K 2285/05 E
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e :
2Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Einkommensteuerbescheid 2003 um die Nebenbestimmung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 S. 1 AO zu ergänzen ist.
3Die Kläger werden als Eheleute vom beklagten Finanzamt zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der WA Dental GmbH (WAD GmbH). Der Sitz der WAD GmbH befindet sich in xxxxx O.
4Die Kläger reichten für das Kalenderjahr 2003 bei dem Beklagten eine Einkommensteuererklärung ein, in der sie u.a. Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführer der WAD GmbH i.H.v. 64.252,90 € erklärten. Die Kläger wurden vom Beklagten mit Einkommensteuerbescheid vom 27.12.2004 erklärungsgemäß veranlagt.
5Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 05.01.2005 Einspruch ein und beantragten, den Steuerbescheid mit der Nebenbestimmung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 AO bzw. des Vorbehaltes der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO zu erlassen. Zur Begründung trugen die Kläger vor, durch die Änderung des Körperschaftsteuergesetzes ab dem 01.01.2001 ergebe sich das Problem, dass die Steuerbescheide der Gesellschaft oft auf Grund einer beabsichtigten Betriebsprüfung vorläufig erlassen würden und somit in vollem Umfang abänderbar seien, während die Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter, in denen die betroffene Zahlung z.B. voll als Gehalt oder Miete versteuert worden seien, im Zeitpunkt der Betriebsprüfung bereits bestandskräftig seien. Dieses führe zu widerstreitenden Steuerfestsetzungen, wenn die Beträge bei der Gesellschaft als Gewinnausschüttungen mit dem Körperschaftsteuersatz zzgl. Gewerbesteuer erfasst würden, während beim Gesellschafter die Vergütung zum vollen Einkommensteuersatz und nicht im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens versteuert würde.
6Auf Anfrage vom 19.01.2005, ob der Körperschaftsteuerbescheid 2003 der WAD GmbH mit der Nebenbestimmung des Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO und/oder der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 AO erlassen worden sei, teilte das für die Veranlagung der WAD GmbH zuständige Finanzamt I dem Beklagten mit, dass eine Erklärung für das Jahr 2003 noch nicht vorliege.
7Die Kläger schränkten ihren Einspruch mit Schreiben vom 14.02.2005 dahingehend ein, dass der Steuerbescheid nur mit der Nebenbestimmung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich des Halbeinkünfteverfahrens für vorläufig erklärt werden solle.
8Das Finanzamt I erließ den Körperschaftsteuerbescheid für die WAD GmbH am 27.09.2005. Dieser Bescheid wurde weder mit einer Nebenbestimmung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 AO noch des Vorbehaltes der Nachprüfung gem. § 164 AO versehen.
9Mit Bescheid vom 18.05.2006 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er unter Hinweis auf die Verfügung der OFD Magdeburg vom 10.09.2004, DStR 2004, S. 1922, aus, eine Steuerfestsetzung könne nur im Hinblick auf ungewisse Tatsachen, nicht aber hinsichtlich der steuerrechtlichen Beurteilung von Tatsachen für vorläufig erklärt werden. Habe das Finanzamt Zweifel, welcher Einkunftsart die vom Anteilseigner erklärten Besteuerungsgrundlagen zuzuordnen seien, könne es den Einkommensteuerbescheid deswegen nicht gem. § 165 Abs. 1 S. 1 AO vorläufig ergehen lassen.
10Mit der am 03.06.2006 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
11Zur Begründung verweisen sie auf das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 09.12.2004 (3 K 61/03, EFG 2005, 497) sowie auf einen Artikel aus der Gestaltenden Steuerberatung 7/2005, aus dem hervorgehe, dass nur die beantragte Vorläufigkeit die Möglichkeit offen lasse, einen Steuerbescheid bei verdeckter Gewinnausschüttung beim Gesellschafter noch zu ändern. Die Berichtigung des Körperschaftsteuerbescheides sei auch ohne die Vorschrift des § 164 AO möglich, sodass das generelle Problem einer möglichen Doppelerfassung mit der Kennzeichnung des Körperschaftsteuerbescheides als endgültig nicht behoben sei.
12Die Kläger beantragen sinngemäß,
13den Einkommensteuer-Bescheid 2003 für vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 S. 1 AO zu erklären.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Zur Begründung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung vom 18.05.2006. Ergänzend trägt er vor, das FG Baden-Württemberg habe in seinem Urteil vom 09.12.2004 (a. a. O.) über einen anderen Sachverhalt als den hier anhängigen zu entscheiden gehabt, da der Körperschaftsteuerbescheid für die heranzuziehende Gesellschaft bereits mit der Nebenbestimmung des Vorbehaltes der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO im Hinblick auf eine anstehende und ggf. bereits angeordnete Außenprüfung erlassen worden sei. In dem hier anhängigen Rechtsstreit sei der Körperschaftsteuerbescheid der WAD GmbH für das Kalenderjahr 2003 weder mit einer Nebenbestimmung der Vorläufigkeit noch eines Vorbehaltes der Nachprüfung erlassen worden.
17Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
18Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig.
19Der Senat legt das Begehren der Kläger unter entsprechender Anwendung des § 133 BGB dahingehend aus, dass sie die Klage mit dem Ziel erhoben haben, eine Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2003 dahingehend zu erlangen, dass die Festsetzung der Einkommensteuer 2003 gem. § 165 Abs. 1 S. 1 AO hinsichtlich der durch die Geschäftsführertätigkeit durch den Ehemann erzielten Einkünfte für vorläufig erklärt wird. Zwar haben die Kläger in der Klageschrift zunächst beantragt, den Einkommensteuer-Bescheid 2003 mit dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO zu erlassen. Die Kläger haben jedoch bereits im Einspruchsverfahren ihren Einspruch dahingehend eingeschränkt, dass der Einkommensteuerbescheid 2003 nur mit der Nebenbestimmung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 AO für vorläufig erklärt werde. Durch den Verweis auf die Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 09.12.2004 ( a. a. O.) in der Klagebegründung wird deutlich, dass die Kläger dieses Begehren mit der Klage weiter verfolgen, denn in dieser Entscheidung ging es ausschließlich um den Anspruch eines Gesellschafter-Geschäftsführers auf Vorläufigkeitserklärung seines Einkommensteuerbescheides gem. § 165 Abs. 1 S. 1 AO. Der Klägervertreter hat in einem Telefonat mit der Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass er schon aus haftungsrechtlichen Gründen gehalten sei, Bescheide in Fallkonstellationen wie der vorliegenden offen zu halten. Auf den Vermerk über das Telefonat (Bl. 52 R der GA) wird Bezug genommen.
20Richtige Klageart für die Durchsetzung des Begehrens auf Ergänzung eines Steuerbescheides um den Vorläufigkeitsvermerk ist die Verpflichtungsklage gem. § 40 Abs. 1 FGO (vgl. BFH v. 18.01.2001, VIII R 27/96, BFH/NV 2002, 747 (748); FG Baden-Württemberg v. 09.12.2004, 3 K 61/03, EFG 2005, 497 (498); Klein, AO, § 165 Rn. 55a). Dass die Kl. ihre Klage nicht als solche bezeichnet haben, ist unschädlich.
21Die zulässige Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass der Einkommensteuerbescheid 2003 um einen Vorläufigkeitsvermerk i.S.v. § 165 Abs. 1 S. 1 AO hinsichtlich der Einkünfte des Ehemannes aus unselbständiger Arbeit als Geschäftsführer der WAD GmbH ergänzt wird.
22Seit der Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens zum 01.01.2001 ist es möglich, dass bei einer Kapitalgesellschaft das zu versteuernde Einkommen wegen der im Rahmen einer Außenprüfung festgestellten vGA erhöht wird, die vom begünstigten Gesellschafter bezogenen verdeckten Ausschüttungen, die als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Miet- oder Darlehenseinkünfte etc. erklärt und dementsprechend versteuert wurden, wegen der Bestandskraft des maßgebenden Steuerbescheides jedoch nicht umqualifiziert werden können. Dadurch kann es zu Überbelastungen des Gesellschafters kommen, weil auf diese verdeckten Gewinnausschüttungen nicht mehr das Halbeinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 EStG angewendet werden kann. Ursache für diese mögliche Überbelastung ist der Umstand, dass weder das Einkommen- noch das Körperschaftsteuergesetz eine korrespondierende Besteuerung vorschreiben und Einkommen- und Körperschaftsteuer unabhängig voneinander festgesetzt werden. Da die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerbescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in allen diesen Fällen mit Sicherheit vorliegen wird, wird Beratern von zahlreichen Stimmen im Schrifttum geraten aus Vorsicht zu beantragen, die Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter gem. § 165 Abs. 1 AO mit der Nebenbestimmung der Vorläufigkeit zu erlassen, um eine Korrektur der Steuerfestsetzung beim Gesellschafter bei späterer Feststellung einer verdeckten Gewinnausschüttung zu ermöglichen (vgl. Rödel, INF 2006, 97 (98); Brandis, EFG 2005, 502 (504); Janssen, Gestaltende Steuerberatung 2005, 268 (273)).
23Ob ein Anspruch auf Vorläufigkeitserklärung gem. § 165 Abs. 1 S. 1 AO besteht, ist jedoch umstritten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegen die Voraussetzungen für eine vorläufige Festsetzung in diesen Fällen grundsätzlich nicht vor. Die Ungewissheit über die steuerliche Behandlung bei der Kapitalgesellschaft habe keine Bedeutung für die Besteuerung des Anteilseigners (vgl. BMF v. 29.09.2005, IV A 4 – S 0350 – 12/05, BStBl. I 2005, 903; OFD Magdeburg, Vfg. v. 10.09.2004, S 0350 – 8 – St 251, DStR 2004, 1922 (1923)). Dagegen hat das FG Baden-Württemberg in dem Urteil vom 09.12.2004 (a. a. O.) entschieden, dass der Gesellschafter einer GmbH grundsätzlich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine vorläufige Einkommensteuerfestsetzung hat, wenn er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Geschäftsführer der Gesellschaft erklärt hat.
24Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zwar hat der Steuerpflichtige grds. einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf vorläufige Festsetzung eines Steuerbescheides, da § 165 Abs. 1 S. 1 AO der Finanzbehörde ein Ermessen einräumt.
25Einen solchen Anspruch hat der Steuerpflichtige jedoch nur dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 165 AO vorliegen. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall.
26Nach § 165 Abs. 1 S. 1 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen ihrer Entstehung eingetreten sind. Ein Steueranspruch entsteht, wenn der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Voraussetzung für das Entstehen der Steuerschuld sind damit die Tatsachen, die den gesetzlichen Tatbestand oder einzelne Merkmale dieses Tatbestandes erfüllen. Die steuerrechtliche Würdigung einer Tatsache ist selbst keine Tatsache und damit keine Voraussetzung, von der die Steuerfestsetzung abhängig gemacht werden könnte (ständige Rspr., vgl. BFH vom 25.04.1985, IV R 64/83, BStBl. II 1985, 648 (649)).
27Eine Ungewissheit i.S.v. § 165 Abs. 1 S. 1 AO liegt vor, wenn trotz angemessener Bemühungen der Finanzbehörde, den Sachverhalt aufzuklären, eine Unsicherheit in tatsächlicher Hinsicht verbleibt, die entweder zur Zeit überhaupt nicht oder nur unter verhältnismäßig großen Schwierigkeiten beseitigt werden kann (vgl. BFH v. 26.09.1990, II R 99/88, BStBl. II 1990, 1043 (1044)). Die Vorschrift des § 165 Abs. 1 S. 1 AO schafft die Möglichkeit, eine nach gegenwärtiger Sach- und Rechtslage und Überzeugung der Finanzbehörde gerechtfertigte Steuerfestsetzung vorzunehmen, obwohl erkennbar ist, dass neue Erkenntnisse in tatsächlicher Hinsicht diese Überzeugung möglicherweise umstoßen könnten (vgl. Klein, AO, § 165 Rn. 5).
28Eine derartige Unsicherheit, die erst später geklärt werden konnte, lag im Streitfall aus Sicht des beklagten Finanzamtes nicht vor. Zwar war dem FA lediglich die Höhe der Einkünfte und deren steuerliche Qualifizierung durch den Kläger als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bekannt und bei Kenntnis weiterer Tatsachen konnte sich ggf. ergeben, dass die erklärten Einnahmen ganz oder teilweise durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst waren. Der Senat vermag der Ansicht des FG Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 09.12.2004 (a. a. O.) jedoch nicht zu folgen, nach der bereits die Unkenntnis des Finanzamtes hinsichtlich solcher weiterer Tatsachen ausreichend sein soll, um eine Unsicherheit i.S.v. § 165 Abs. 1 S. 1 AO zu begründen.
29Denn eine solche setzt nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift voraus, dass eine Sachverhaltsunsicherheit vorliegt, die nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 88 AO eigentlich von der Finanzbehörde aufzuklären wäre, jedoch vorübergehend in zumutbarer Weise nicht aufgeklärt werden kann. Vorliegend bestand jedoch für den Beklagten bereits keine Ungewissheit, die ihn dazu verpflichtete, den Sachverhalt dahingehend zu ermitteln, ob die erklärten Einkünfte ganz oder teilweise gesellschaftlich veranlasst waren. Denn für den Regelfall darf die Finanzbehörde davon ausgehen, dass die Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung vollständig und richtig sind (vgl. BFH v. 17.04.1969, V R 21/66, BStBl. II 1969, 474). Sie darf danach den Angaben eines Steuerpflichtigen Glauben schenken, wenn nicht greifbare Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, dass seine Angaben falsch oder unvollständig sind (vgl. BFH v. 11.07.1978, VIII R 120/75, BStBl. II 1979, 57). Ihre Aufklärungspflicht verletzt die Finanzbehörde nur, wenn sie Tatsachen und Beweismittel außer Acht lässt und offenkundigen Zweifelsfragen nicht nachgeht, die sich ihr bei der Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen mussten (vgl. BFH v. 13.11.1985, II R 208/82, BStBl. II 86, 241 (242); v. 23.06.1993, I R 14/93, BStBl. II 1993, 806 (808)).
30Die Kläger haben vorliegend Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des Ehemannes erklärt. In tatsächlicher Hinsicht haben sie erklärt, bei den Einkünften handele es sich um die Vergütung für die Geschäftsführertätigkeit des Ehemannes. Eine Ungewissheit i.S.v. § 165 Abs. 1 S. 1 AO kann im Streitfall daher nur dann angenommen werden, wenn sich dem Beklagten Zweifel hinsichtlich der Qualifizierung der Zahlungen als Geschäftsführergehalt aufdrängen mussten. Die Kläger haben jedoch zu keinem Zeitpunkt Umstände vorgetragen, die darauf hindeuteten, dass die Einkünfte, die der Kläger von der WAD GmbH erhalten hat, ganz oder teilweise durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst waren und daher verdeckte Gewinnausschüttungen darstellten. Insbesondere erscheint das erklärte Gehalt i.H.v. 64.252,90 € nicht offensichtlich unangemessen. Für das beklagte Finanzamt bestand daher kein Grund dafür, an der Richtigkeit der Angaben der Kläger, dass es sich bei den Einkünften um die Vergütung für die Geschäftsführertätigkeit handelte, zu zweifeln.
31Auch der Umstand, dass die Berichtigung des Körperschaftsteuerbescheides auch ohne die Nebenbestimmung des Vorbehaltes der Nachprüfung gem. § 164 AO noch zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, vermag vorliegend nicht die Annahme einer Unsicherheit des Beklagten i.S.v. § 165 Abs. 1 S. 1 AO zu begründen. Denn diese Möglichkeit begründet allein noch keine tatsächliche Ungewissheit über die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer.
32Zwar besteht die Möglichkeit, dass aufgrund einer späteren Außenprüfung die Zahlungen an den Kläger durch das für die Veranlagung der WAD GmbH zuständige Finanzamt ganz oder teilweise als vGA qualifiziert werden und der Körperschaftsteuerbescheid dementsprechend geändert wird. Dem Kläger war es jedoch unbenommen, alle tatsächlichen Umstände, die die Zahlungen der Gesellschaft an ihn betreffen, dem beklagten Finanzamt mitzuteilen. Es besteht kein Anspruch auf vorläufige Festsetzung gem. § 165 Abs. 1 AO, wenn der Steuerpflichtige – wie hier der Kläger als Geschäftsführer der WAD GmbH – den für seine Einkommensteuerveranlagung relevanten Sachverhalt vollständig aufklären kann. Denn dann hat er kein schutzwürdiges Interesse daran, dass sein Einkommensteuerbescheid bis zu einer Sachverhaltsaufklärung durch eine Außenprüfung der Gesellschaft vorläufig erlassen wird. § 165 AO dient nicht dazu, die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Rahmen seiner Einkommenbesteuerung zu begrenzen.
33Zwar besteht die Möglichkeit, dass das Finanzamt, welches für die Veranlagung der Gesellschaft zuständig ist, diesen Sachverhalt anders würdigen wird. Diese Möglichkeit stellt jedoch keine Sachverhaltsunsicherheit dar, sondern allenfalls eine Unsicherheit dahingehend, wie das Finanzamt, welches für die Veranlagung der Gesellschaft zuständig ist, die Zuflüsse an den Gesellschafter steuerlich beurteilen wird. Die Einkommensteuer des Gesellschafters und die Körperschaftsteuer der Gesellschaft sind jedoch unabhängig voneinander festzusetzende Steuern und es besteht keine Verpflichtung des für die Veranlagung des Gesellschafters zuständigen Finanzamtes, der rechtlichen Beurteilung des für die Veranlagung der Gesellschaft zuständigen Finanzamtes zu folgen. Daher ist auch in einer möglichen abweichenden steuerlichen Qualifizierung der Einkünfte durch das Finanzamt I keine tatsächliche Ungewissheit über die Voraussetzungen für die Entstehung der Einkommensteuer der Kl. zu sehen.
34Da eine Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 AO gerade nicht hinsichtlich der steuerrechtlichen Beurteilung von Tatsachen für vorläufig erklärt werden kann (ständige Rspr., vgl. z.B. BFH v. 09.08.1991, III R 41/88, BStBl. II 1991, 219), kann die Vorschrift auch nicht dazu dienen, eine einheitliche rechtliche Beurteilung von Zahlungen der Gesellschaft an einen Gesellschafter zu gewährleisten.
35Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass aus seiner Sicht ein Anspruch auf Aufnahme des Vorberhalts der Nachprüfung gem. § 164 AO ebenfalls nicht besteht. Ziel der Ermessenseinräumung in § 164 AO ist die generelle Sicherung einer vollständigen, richtigen Besteuerung. Die Vorschrift trägt damit allein den Belangen der Verwaltung Rechnung und lässt für die Berücksichtung der Interessen des Steuerpflichtigen keinen Raum. Auf das Urteil des FG München vom 24.06.1994, 7 K 1584/93 (zitiert nach Juris Nr.: DVRE000126209) wird hingewiesen.
36Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 135 Abs. 1 FGO.
37Die Revision wird im Interesse der Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
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