Urteil vom Finanzgericht Münster - 15 K 1553/15 U
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2012 schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin gemäß § 176 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) entgegensteht und ob § 27 Abs. 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben genügt.
3Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die Erbringung von Bauleistungen (Verputzen von Wänden und Mauern) für die Herstellung von Gebäuden. Im Streitjahr 2012 führte die Klägerin - zwischen den Beteiligten unstrittig - Innenputzarbeiten an die H GmbH im Umfang von 10.667,32 € aus. Ihre Leistungen erbrachte die Klägerin an der der H GmbH gehörigen Immobilie unter der Adresse A-Str. in C. Ausweislich des zwischen der Klägerin und der H GmbH geschlossenen Vertrags vom 22.8.2012, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, war der Zweck des Vertrags „die Ausführung der Innenputzarbeiten […] am Objekt Neubau von 5 WE mit Tiefgarage A-Str. 30 in 00000 C“. Beide Vertragsparteien gingen außerdem von einer Steuerschuldnerschaft der H GmbH gemäß § 13b UStG aus. In den durch die Klägerin gegenüber der H GmbH ausgestellten Rechnungen heißt es: „Bei den vorgenannten Leistungen handelt es sich um eine sog. Bauleistung, für die der Übergang der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b UStG gilt. Die Umsatzsteuer ist somit vom Leistungsempfänger beim Finanzamt anzumelden und abzuführen.“
4Die H GmbH erwarb, wie sich aus der Veräußerungsanzeige des beurkundenden Notars an das Finanzamt C ergibt, die streitgegenständliche Immobilie im Februar 2012 und veräußerte, wie sich aus dem Auszug eines „Bauträger-Kaufvertrags“ und verschiedenen Veräußerungsanzeigen ergibt, die nunmehr geteilte Immobilie an verschiedene Erwerber mit der Verpflichtung, auf dem Grundstück ein Mehrfamilienhaus mit mehreren Wohneinheiten zu errichten, wobei jedem Erwerber eine Wohneinheit gehören sollte.
5Die Klägerin reichte am 24.5.2013 eine einen Erstattungsbetrag ausweisende Umsatzsteuererklärung für 2012 ein, in der sie die streitigen Umsätze gegenüber der H GmbH als Umsätze kennzeichnete, für die der Leistungsempfänger nach § 13b UStG die Umsatzsteuer schulde. Der Beklagte stimmte durch Mitteilung vom 21.6.2013 der Umsatzsteuererklärung zu.
6Im Januar 2014 beantragte die H GmbH beim Beklagten die Erstattung der Umsatzsteuer, die von ihr auf den Bezug der in diesem Verfahren streitigen Leistungen entrichtet wurde. Nach den Angaben des Beklagten bestanden zu keiner Zeit im Jahr 2012 Steuerrückstände der H GmbH.
7Im Oktober 2014 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die H GmbH die Erstattung der von ihr entrichteten Umsatzsteuer für die streitigen Bauleistungen gefordert hat. Aufgrund der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.8.2013 V R 37/10 (Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFHE - 243, 20, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 2014, 128) beabsichtige er, der Beklagte, die Klägerin nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG als Steuerschuldner für die streitgegenständlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung werde auf der Grundlage von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG erfolgen. Es bestehe aber die Möglichkeit, den zivilrechtlichen Anspruch auf Nachforderung der Umsatzsteuer nach Maßgabe von § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG an das Finanzamt an Zahlungs statt abzutreten.
8Mit Bescheid vom 1.12.2014 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung für 2012 und setzte die Umsatzsteuer um 1.703,19 € höher fest. In dem Bescheid heißt es unter Art der Festsetzung „Der Bescheid ist nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt bestehen.“ In den Erläuterungen des Bescheids wird der Änderungsumfang wie folgt berechnet: „Netto: 8.964,13 € Umsatzsteuer: 1.703,19 € Brutto: 10.667,32 €“. Gleichzeitig setzte der Beklagte Zinsen zur Umsatzsteuer i. H. von 68 € fest. Die Zinsfestsetzung hob der Beklagte mit Bescheid vom 6.1.2015 wieder auf.
9Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28.4.2015 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Klägerin Steuerschuldnerin gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG sei. Außerdem sei die Änderung der Festsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG auch verfahrensrechtlich noch möglich gewesen. Vertrauensschutz stehe der Änderung wegen § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG nicht entgegen.
10Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Sie bestreite den Umstand, dass die H GmbH die ursprünglich nach § 13b UStG geschuldete Umsatzsteuer angemeldet und abgeführt habe und ihr diese sodann erstattet worden sei. Im Übrigen stehe der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung § 176 Abs. 2 AO entgegen. § 27 Abs. 19 UStG genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
11Die Klägerin beantragt,
12den Umsatzsteuerbescheid vom 1.12.2014 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.4.2015 aufzuheben,
13hilfsweise, die Revision zuzulassen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen,
16hilfsweise, die Revision zuzulassen.
17Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und führt unter Verweis auf die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf (Beschluss vom 31.8.2015 1486/15 A (U), Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2015, 2131), des Sächsischen FG (Beschluss vom 22.9.2015 4 V 1014/15, juris) und des Hessischen FG (Beschluss vom 13.10.2015 1 V 1483/15, juris) aus, dass unter Berücksichtigung von § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG der Vertrauensschutz zugunsten der Rechtsrichtigkeit in gerade noch zulässiger Weise eingeschränkt worden sei. Dem Ausschluss des Vertrauensschutzes werde durch § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG Rechnung getragen, wonach der zivilrechtliche Umsatzsteuernachforderungsanspruch gegen den Leistungsempfänger an Zahlungs statt abgetreten werden könne, wobei er, der Beklagte, das Risiko der Geltendmachung der Forderung trage. Er mache außerdem darauf aufmerksam, dass die Klägerin ihm, dem Beklagten, am 29.4.2015 eine Abtretung ihres zivilrechtlichen Anspruchs auf Nachforderung der Umsatzsteuer gegenüber der H GmbH angeboten habe. Er habe die Annahme der Abtretung jedoch abgelehnt, da die Klägerin ihre Steuerschuld bereits durch Zahlung vom 5.1.2015 beglichen habe. Eine Verpflichtung zur Annahme der Abtretung liege dann nicht vor, wenn die Steuerschuld aufgrund von Zahlung bereits erloschen sei. Auf das diesbezüglich anhängige Klageverfahren unter dem Aktenzeichen 15 K 3669/15 U weise er, der Beklagte, hin. Außerdem rege er an, die H GmbH zu diesem Verfahren beizuladen, sofern die Klägerin weiterhin vertrete, dass die H GmbH kein Bauträger oder die ursprünglich zu Unrecht gegenüber der H GmbH gemäß § 13b UStG festgesetzte Umsatzsteuer durch diese nicht entrichtet worden sei.
18Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 15 K 3669/15 U sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
19Entscheidungsgründe
20I. Die Klage ist unbegründet.
21Der Umsatzsteuerbescheid für 2012 vom 1.12.2014 und die Einspruchsentscheidung vom 28.4.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat zu Recht die von der Klägerin an die H GmbH im Streitjahr 2012 erbrachten Bauleistungen bei der Klägerin der Umsatzsteuer unterworfen (1.) und ist zutreffend nicht von einer Änderung der Bemessungsgrundlage gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG im Streitzeitraum ausgegangen (2.). Der Beklagte war nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG auch zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2012 befugt (3.), wobei sich die Klägerin aufgrund von § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG nicht auf Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO berufen kann (4.). § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG sind verfassungsgemäß (5.) und unionsrechtskonform (6.).
221. Die Klägerin wurde zu Recht als Schuldnerin der auf die von ihr erbrachten streitgegenständlichen Bauleistungen entfallenden Umsatzsteuer i. H. von 1.703,19 € gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG herangezogen.
23a) Die von der Klägerin an die H GmbH im Streitjahr 2012 erbrachten Bauleistungen sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar und mangels Umsatzsteuerbefreiung (§ 4 UStG) umsatzsteuerpflichtig.
24b) Es kann dahinstehen, ob der Beklagte mit dem Ansatz des Betrags von 8.964,13 € die zutreffende Bemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG angesetzt hat. Der Betrag von 8.964,13 € ist zwar lediglich dann die zutreffende Bemessungsgrundlage, wenn dem von der Klägerin gegenüber der H GmbH abgerechneten Betrag i. H. von 10.667,32 € vertraglich eine Bruttovereinbarung zugrunde liegt, aus dem die Umsatzsteuer infolgedessen herauszurechnen ist. Da die Bemessungsgrundlage bei vertraglich vereinbarter Nettovereinbarung aber sogar 10.667,32 € betragen würde, ist die Klägerin durch den Ansatz der niedrigeren der beiden möglichen Bemessungsgrundlagen insofern nicht beschwert. Zutreffend wurde jedenfalls gemäß § 12 Abs. 1 UStG der Regelsteuersatz auf die Bemessungsgrundlage angewandt.
25c) Die Klägerin ist außerdem zu Recht als Steuerschuldnerin gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG herangezogen worden. Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist Steuerschuldner in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer, d.h. vorliegend die Klägerin. Eine abweichende Bestimmung der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 UStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung greift nicht. Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 22.8.2013 V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128), der sich der erkennende Senat anschließt, kommt es für die Entstehung der Steuerschuld in der Person des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG in der im Jahr 2005 geltenden Fassung (UStG 2005) darauf an, dass der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Bauleistung seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet. Auf den Anteil der vom Leistungsempfänger ausgeführten bauwerksbezogenen Werklieferungen oder sonstigen Leistungen i. S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 an den insgesamt von ihm erbrachten steuerbaren Umsätzen kommt es hingegen nicht an. Diese Rechtsprechung ist auf den im Wesentlichen gleichlautenden im Streitzeitraum anwendbaren § 13b Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 Satz 2 UStG zu übertragen. Die H GmbH erwarb, wie sich aus der Veräußerungsanzeige des beurkundenden Notars an das Finanzamt C ergibt, die Immobilie, hinsichtlich derer die Klägerin ihre Bauleistungen erbrachte, und veräußerte, wie sich aus dem Auszug eines „Bauträger-Kaufvertrags“ und verschiedenen Veräußerungsanzeigen ergibt, die aufgeteilte Immobilie an verschiedene Erwerber mit der Verpflichtung, auf dem Grundstück ein Mehrfamilienhaus mit mehreren Wohneinheiten zu errichten. Die H GmbH hat daher nicht - wie es für § 13b Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 Satz 2 UStG erforderlich ist - die an sie erbrachte Bauleistung ihrerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet, sondern lediglich Grundstücke umsatzsteuerfrei an die einzelnen Erwerber der Immobilie veräußert. Damit wurde die Bauleistung nicht für eine eigene Bauleistung verwendet, sondern hat Eingang in eine Grundstücklieferung gefunden.
26d) Die Umsatzsteuer ist - wie auch zwischen den Beteiligten unstrittig ist - durch Leistungserbringung im November und Dezember 2012 im Streitjahr 2012 entstanden (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) UStG).
272. Der Senat ist der Auffassung, dass sich die Bemessungsgrundlage der streitgegenständlichen Umsätze nicht geändert hat (a)) und das vereinbarte Entgelt auch nicht uneinbringlich geworden ist (b)). Eine der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegenläufige Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1, Satz 7, Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG in gleicher Höhe im Streitjahr 2012 ist daher nicht angezeigt.
28Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG ist der geschuldete Umsatzsteuerbetrag zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert hat. Die Berichtigung ist für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist (§ 17 Abs. 1 Satz 7 UStG). § 17 Abs. 1 Satz 1 und 7 UStG gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist.
29a) Zwischen der Klägerin und der H GmbH wurden weder im Streitjahr 2012 noch anschließend Vereinbarungen hinsichtlich des geschuldeten Entgelts getroffen. Es wurden auch keine Gestaltungsrechte (vgl. § 634 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -) seitens der H GmbH ausgeübt. Es hat auch - abgesehen von der ursprünglichen Bezahlung der Leistung - keinerlei Zahlungsvorgänge zwischen der Klägerin und der H GmbH gegeben. Das vertraglich geschuldete Entgelt hat sich damit nicht geändert.
30b) Das vereinbarte Entgelt ist auch nicht uneinbringlich geworden. Von einer Uneinbringlichkeit ist erst und nur dann auszugehen, wenn die Forderung rechtlich oder tatsächlich auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar ist (vgl. statt vieler BFH-Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12, BFHE 243, 451, BStBl. II 2015, 674). Die H GmbH hat der Klägerin den Betrag i. H. von 10.667,32 € in 2012 bezahlt. In Höhe dieses vereinnahmten Betrags von 10.667,32 € ist bereits aufgrund der Vereinnahmung durch die Klägerin eine Uneinbringlichkeit des Entgelts ausgeschlossen. Im Übrigen hat sich die H GmbH zum möglichen Anspruch der Klägerin auf Nachforderung der Umsatzsteuer weder geäußert noch den Anspruch explizit bestritten. Auch ist nicht erkennbar, dass in der Person der H GmbH Umstände eingetreten sind, die eine Uneinbringlichkeit dieses Teils des Entgelts begründen könnten. Darauf kommt es aber auch nicht an, da die Umsatzsteuer ohnehin nur um 1.703,19 € erhöht wurde. Der Beklagte hat also nur eine Bemessungsgrundlage i. H. des vereinnahmten Betrags abzüglich der Umsatzsteuer angenommen (vgl. bereits unter I. 1. b)).
31Der Senat hält auch keine entsprechende Anwendung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG bei unionsrechtskonformer Auslegung der Vorschrift für angezeigt (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 27.1.2016 V B 87/15, Der Betrieb - DB - 2016, 453). Von einer Uneinbringlichkeit eines Betrags trotz Vereinnahmung auszugehen, dürfte die Wortlautgrenze überschreiten. Eine unionsrechtkonforme Auslegung ist dann nicht möglich (vgl. zur Maßgeblichkeit der Wortlautgrenze BFH-Urteil vom 11.10.2012 V R 9/10, BFHE 238, 570, BStBl. II 2014, 279). Außerdem hält der erkennende Senat, wie noch unter I. 6. auszuführen sein wird, § 27 Abs. 19 UStG für unionsrechtskonform. Des Weiteren hegt der Senat Zweifel an der Auffassung des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 27.1.2016 V B 87/15, DB 2016, 453, Rn. 25), dass § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG korrespondierend zu Lasten des Bauträgers anzuwenden ist und es daher nicht zu erheblichen Steuerausfällen kommen könne. § 17 UStG zu Lasten des Bauträgers anzuwenden, obwohl er nicht Steuerschuldner ist, dürfte nämlich ebenfalls gegen den Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG verstoßen. Er ist weder der Unternehmer i. S. dieser Vorschrift noch handelt es sich um den von ihm „geschuldeten Steuerbetrag“. Letztlich ist auch die vom BFH angeführte Regelungslücke, die diese entsprechende Anwendung von § 17 UStG erforderlich machen soll, als solche nicht erkennbar. § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG sind - ausgehend von ihren Voraussetzungen - von § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG unabhängig und können daher auch dann Anwendung finden, wenn erstmalig eine Steuer festgesetzt wird. Nach alledem ist nicht von einer gegenläufigen Berichtigung der Bemessungsgrundlage im Streitzeitraum auszugehen.
323. Dem Beklagten stand gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG auch die verfahrensrechtliche Möglichkeit offen, die Umsatzsteuerfestsetzung für 2012 gegenüber der Klägerin zu ändern.
33§ 27 Abs. 19 UStG ist durch Art. 7 Nr. 9 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.7.2014 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - I 2014, 1266) mit Wirkung vom 31.7.2014 eingeführt worden. § 27 Abs. 19 UStG lautet:
34„Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b auf eine vor dem 15. Februar 2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. § 176 der Abgabenordnung steht der Änderung nach Satz 1 nicht entgegen. Das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt kann auf Antrag zulassen, dass der leistende Unternehmer dem Finanzamt den ihm gegen den Leistungsempfänger zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer abtritt, wenn die Annahme der Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte und der leistende Unternehmer bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitwirkt. Die Abtretung wirkt an Zahlungs statt, wenn
351. der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt,
362. die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt,
373. dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt wird, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
384. der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt.“
39a) Im Streitfall konnte - und musste, wie unter II. 3. b) noch auszuführen sein wird - der Beklagte die Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 2012 auf die Vorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG stützen. Dass er diese Rechtsgrundlage im Umsatzsteuerbescheid nicht angegeben, sondern an ihrer Stelle die (ebenfalls einschlägige) Korrekturvorschrift des § 164 Abs. 2 AO genannt hat, ist ein im weiteren Verfahrensverlauf, d. h. bereits in der Einspruchsentscheidung, beseitigter Begründungsmangel, der nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO und nach § 127 AO für sich genommen nicht zur Aufhebung des Änderungsbescheids führen kann (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 12.8.2013 X B 196/12, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - BFH/NV 2013, 1761 Rn. 8 m. w. N.).
40b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG sind erfüllt. Nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, wenn Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen sind, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.2.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt und soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. Ausweislich des zwischen der Klägerin und der H GmbH geschlossenen Vertrags sowie der über die Putzarbeiten ausgestellten Rechnungen sind sowohl die Klägerin, als leistender Unternehmer, als auch die H GmbH, als Leistungsempfänger, davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulde. Diese Annahme stellte sich - wie unter I. 1. c) ausgeführt - als unzutreffend heraus. Außerdem hat die H GmbH im Januar 2014 beim Beklagten die Erstattung der auf die in diesem Verfahren streitigen Leistungen entfallende Umsatzsteuer beantragt. Da nach den Angaben des Beklagten zu keiner Zeit im Jahr 2012 Steuerrückstände der H GmbH bestanden haben, ist der erkennende Senat der Überzeugung, dass das gesetzliche Merkmal „Steuer […], die er […] entrichtet hatte“ ebenfalls erfüllt ist. Der pauschale und unsubstantiierte Vortrag der Klägerin, dass nicht nachgewiesen sei, dass die konkrete Umsatzsteuer auf die streitgegenständlichen Leistungen von der H GmbH ursprünglich angemeldet und abgeführt worden sei, erschüttert die Überzeugung des erkennenden Senats hinsichtlich des Vorliegens dieses Tatbestandsmerkmal nicht. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die H GmbH nach damaliger Vorstellung steuerunehrlich teilweise Umsatzsteuern nicht angemeldet oder abgeführt haben könnte.
414. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann sich die Klägerin nicht auf durch § 176 Abs. 2 AO vermittelten Vertrauensschutz (a)) aufgrund von § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG (b)) berufen.
42a) Zwar erfüllt die Klägerin den Vertrauensschutztatbestand des § 176 Abs. 2 AO. § 176 Abs. 2 AO bestimmt, dass bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Die betreffende Beurteilung des obersten Gerichtshofs muss dabei zeitlich nach dem Erlass des ursprünglichen, aber vor dem Erlass des Änderungsbescheids erfolgt sein (vgl. von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 176 AO, Rn. 34 m. w. N.).
43Die Finanzverwaltung legte § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG in der im Streitzeitraum 2011 geltenden Fassung zunächst dahingehend aus, dass es für den Wechsel der Steuerschuldnerschaft darauf ankomme, dass der Leistungsempfänger „nachhaltig“ bauwerksbezogene Werklieferungen und sonstige Leistungen erbringe und dabei die Summe dieser Leistungen mehr als 10 % seiner steuerbaren Umsätze betrage, wobei die Finanzverwaltung später präzisiert hat, dass dabei auf den „Weltumsatz“ des Leistungsempfängers abzustellen sei (vgl. Abschn. 182a Abs. 10 Satz 2 UStR 2005, nachfolgend BMF-Schreiben vom 16.10.2009 (BStBl. I 2009, 1298) und sich daran anschließend Abschn. 13b.3 Abs. 2 Satz 1 UStAE in der Fassung des BMF-Schreibens vom 12.12.2011, BStBl. I 2011, 1289). Der BFH hat hingegen mit Urteil vom 22.8.2013 V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128), wie bereits unter I. 1. c) ausgeführt, diese Auffassung als mit dem Gesetz nicht in Einklang stehend bezeichnet. Die Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 AO liegen vor diesem Hintergrund im Streitfall vor. Die Umsatzsteuerfestsetzung für 2012 datiert vom 21.6.2013 (Zustimmung des Antragsgegners zur Umsatzsteuererklärung 2012) und hat sich an der in diesem Zeitpunkt maßgeblichen Erlasslage der Finanzverwaltung orientiert. Im Anschluss, d.h. am 22.8.2013, hat der BFH die Auslegung der Finanzverwaltung als nicht mit geltendem Recht in Einklang stehend bezeichnet, wobei dahinstehen kann, ob es auf das Entscheidungsdatum oder das Veröffentlichungsdatum (27.11.2013) ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 6.12.2007 V R 3/06, BFHE 221, 67, BStBl. II 2009, 203 m.w.N.), da beide Zeitpunkte zeitlich nach dem Ursprungsbescheid liegen. Erst im Anschluss an diese Rechtsprechung ist der Änderungsbescheid, der auf den 1.12.2014 datiert, ergangen, so dass § 176 Abs. 2 AO für die Umsatzsteuerfestsetzung 2012 eingreift.
44b) Der durch § 176 Abs. 2 AO begründete Vertrauensschutz wird aber durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG ausgeschlossen. Nach § 27 Abs. 19 Satz 2 steht § 176 AO einer Änderung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG nicht entgegen. Der Beklagte war, wie bereits unter I. 2. a) ausgeführt, zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2012 gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG befugt. Weitere Voraussetzungen für den Ausschluss des Vertrauensschutzes stellt § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG nicht auf.
455. Nach Auffassung des Senats ist die Einführung der Korrekturvorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG und der Ausschluss des durch § 176 Abs. 2 AO vermittelten Vertrauensschutzes durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG verfassungsgemäß. § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG verstoßen nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) abgeleiteten Vertrauensschutz betreffend die Rückwirkung von Gesetzen. Sowohl die rückwirkende Einführung einer Änderungsnorm - vorliegend § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG - vor festsetzungsverjährter Zeit (a)) als auch der rückwirkend eingeführte Ausschluss von § 176 Abs. 2 AO durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG (b)) verletzen nicht das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen (c)).
46Zunächst ist festzustellen, dass sich der Vertrauensschutz betreffend die Rückwirkung von Gesetzen nicht nur auf materielles Recht bezieht, sondern auch verfahrensrechtliche Vorschriften betrifft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (BVerfG-Beschluss vom 22.3.1983 2 BvR 475/78, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 63, 343, BGBl. I 1983, 1097, Rn. 59) wird auch das Vertrauen auf erlangte verfahrensrechtliche Rechtspositionen geschützt. Die Rückwirkende Einführung einer Korrekturvorschrift und die rückwirkende Einführung eines Ausschlusses von Vertrauensschutz bei der Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden (§ 176 Abs. 2 AO) stellen also Eingriffe in schützenswerte Rechtspositionen dar.
47Das BVerfG unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind, und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17.12.2013 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1 m. w. N.).
48Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“, vgl. BVerfG-Beschluss vom 10.10.2012 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 43, m. w. N.).
49Die unechte Rückwirkung ist mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt
50(BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.9.2015 2 BvR 2683/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2016, 69 Rn. 57).
51Gesetze mit echter Rückwirkung sind hingegen grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar. Von diesem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen jedoch Ausnahmen. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten. Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste, oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden. Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern, wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte, oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird - sog. Bagatellvorbehalt (vgl. mit umfassenden Nachweisen zu den einzelnen Fallgruppen BVerfG-Beschluss vom 12.11.2015 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 2016, 93, Rn. 56).
52a) § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist in Übereinstimmung mit dem Urteil des Niedersächsischen FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 29.10.2015 5 K 80/15, juris) und vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH zu § 32a KStG (BFH-Beschluss vom 29.8.2012 VIII B 45/12, BFHE 238, 187, BStBl. II 2012, 839) als unecht rückwirkende Vorschrift zu qualifizieren. Zu § 32a KStG hat der BFH ausgeführt, dass die rückwirkende Einführung einer neuen Korrekturvorschrift am Rechtfertigungsmaßstab einer unechten Rückwirkung zu überprüfen ist, wenn die Festsetzungsverjährung der zu korrigierenden Steuerfestsetzung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift noch nicht abgelaufen war. Da eine Korrektur bestandskräftiger Steuerfestsetzungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) AO grundsätzlich noch möglich ist, hat die neue Korrekturvorschrift in einem solchen Fall nur Auswirkungen auf einen noch nicht abgeschlossenen Tatbestand. Nur falls die Festsetzungsverjährung der zu korrigierenden Steuerfestsetzung bereits vor Inkrafttreten der neuen Änderungsvorschrift eingetreten war, liegt eine echte Rückwirkung vor (BFH-Urteil vom 16.12.2014 VIII R 30/12, BFHE 248, 325, BStBl. II 2015, 858). Die Neueinführung der Korrekturnorm des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG führt vor diesem Hintergrund zu einer unechten Rückwirkung, da die Festsetzungsverjährung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift noch nicht abgelaufen war. Für die Frage, ob ein bereits abgeschlossener Sachverhalt vorliegt, kommt es nach dieser BFH-Rechtsprechung nicht darauf an, ob andere Änderungsvorschriften im konkreten Einzelfall tatsächlich tatbestandlich gegeben sind, was mit § 164 Abs. 2 AO sogar der Fall wäre, sondern abstrakt nur darauf, ob eine Änderung nach anderen Vorschriften zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Änderungsnorm gesetzlich zugelassen war. Dies ist vorliegend der Fall.
53b) Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG um eine echt rückwirkende Vorschrift. Eine Rechtsnorm entfaltet - wie bereits unter I. 4. a) - ausgeführt „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll.
54Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine echte Rückwirkung im Steuerrecht nur vorliegt, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert, ist auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar (vgl. zu einer derartigen Ausnahme BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12.11.2015 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, Rn. 53, juris). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diesen Rechtssatz allgemein formuliert; er ist jedoch auf solche Fälle zugeschnitten, in denen die Steuer mit Ablauf eines Veranlagungszeitraums entsteht. Um eine derartige Problematik geht es im Streitfall aber nicht, sondern um den rückwirkenden Ausschluss einer verfahrensrechtlichen, zugunsten des Steuerpflichtigen wirkenden Vorschrift.
55Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Tatbestand von § 176 Abs. 2 AO im Streitfall bereits vor Inkrafttreten des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG am 31.7.2014 vollständig abgeschlossen gewesen.
56§ 176 Abs. 2 AO lautet:
57„Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.“
58Nach Auffassung des erkennenden Senats erfordert der Tatbestand des § 176 Abs. 2 AO also (1.) einen Steuerbescheid, der (2.) zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift entspricht, die (3.) sodann nachfolgend als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wird. Sodann wird die Rechtsfolge ausgelöst, dass die derogierende Rechtsprechung, die dem Inhalt der allgemeinen Verwaltungsvorschrift widerspricht, bei der Aufhebung oder Änderung des Bescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf.
59Der Senat sieht den Tatbestand des § 176 Abs. 2 AO nicht erst dann als vollständig erfüllt an, wenn ein ursprünglich ergangener Bescheid bereits einmal aufgehoben oder geändert worden ist. Für diese Ansicht könnte zwar sprechen, dass nach älterer Rechtsprechung des BFH erst die Änderung des Ausgangsbescheids den Endzeitpunkt markiert, in den die die Erlasslage korrigierende Rechtsprechung fallen muss. Erst die Änderung des Bescheids könnte nach dieser Lesart des § 176 Abs. 2 AO daher gleichsam den Schlusspunkt des Tatbestands markieren (vgl. insoweit BFH-Urteil vom 31.3.1987 IX R 111/86, BFHE 150, 7, BStBl. II 1987, 668). Außerdem wird das Merkmal „bei Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids“ in der Kommentarliteratur dem Tatbestand zugeordnet (von Groll in: Hübschmann/Hepp/Spitaler/, AO/FGO, § 176, Rn. 103).
60Aus der Perspektive des Steuerpflichtigen sind aber bereits mit der der Erlasslage widersprechenden Rechtsprechung alle Bedingungen erfüllt, um keine höhere Steuerfestsetzung akzeptieren zu müssen. Entweder kommt es nicht mehr zu einer belastenden Änderung der Steuerfestsetzung oder bei der ändernden Steuerfestsetzung darf nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden, dass die Rechtsprechung der vorherigen Erlasslage widerspricht. Der Steuerpflichtige kann sich daher grundsätzlich bereits mit Veröffentlichung der korrigierenden Rechtsprechung seiner Rechtsposition sicher sein. Daher erachtet der erkennende Senat § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG als eine echt rückwirkende Vorschrift, da die Vorschrift nach Veröffentlichung des maßgeblichen BFH-Urteils vom 22.8.2013 V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl. II 2014, 128) in Kraft getreten ist.
61c) Der erkennende Senat sieht die unechte Rückwirkung des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG und die echte Rückwirkung des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG aber als gerechtfertigt an, da die Voraussetzungen einer Fallgruppe einer ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung, nämlich des sog. Bagatellvorbehalts, erfüllt sind. Danach ist die echte Rückwirkung zulässig, wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung (aa)) kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (bb)). Die Rechtfertigung der echten Rückwirkung des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG erfasst a maiore ad minus auch die den identischen gesetzgeberischen Zweck verfolgende unecht rückwirkende Vorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG.
62aa) Die Rückwirkung der Gesetzesänderung ist sachlich begründet, da der Gesetzgeber mit der Einführung von § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG einen legitimen Zweck verfolgt hat. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Einführung von § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG die verfahrensrechtlichen Mittel zu schaffen, um eine richtlinienkonforme Umsatzbesteuerung, nämlich den Bauleistenden in den hier streitigen Bauträger-Fällen nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, durchführen zu können. Dies ist nach Auffassung des erkennenden Senats ein legitimer Zweck.
63bb) Der Senat ist außerdem der Überzeugung, dass durch die rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird. Der Senat ist dabei der Auffassung, dass die Voraussetzungen des Bagatellvorbehalts erfüllt sind, wenn eine finanzielle Belastung ausgeschlossen werden kann. Bei entsprechender verfassungskonformer Auslegung des § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Abmilderung des Eingriffs in atypischen Einzelfällen (Erlass, §§ 163, 227 AO) kommt es nicht zu einer finanziellen Belastung der Klägerin.
64(1) Der Ausschluss einer finanziellen Belastung der Klägerin ist auf Ebene der Erhebung der Steuer vollständig sichergestellt. Die Klägerin hat nach § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG einen Anspruch (Ermessensreduzierung auf null), den Anspruch des Steuergläubigers auf Zahlung der Steuer durch Abtretung des ggf. vorhandenen Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger zu erfüllen. Im Interesse der Normerhaltung, das im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung verlangt, kann die als Ermessensvorschrift angelegte Vorschrift des § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG derart interpretiert werden, dass zur Vermeidung einer finanziellen Belastung des Steuerpflichtigen, das Ermessen stets auf null reduziert ist, das Abtretungsangebot des Steuerpflichtigen anzunehmen.
65Die Abtretung wirkt an Zahlungs statt, d.h. dass der Steuergläubiger das Risiko der Werthaltigkeit der abgetretenen Forderung trägt, da das Steuerschuldverhältnis bereits mit Abtretung der Forderung erlischt und es nicht auf die Realisierung der Forderung durch das Finanzamt ankommt.
66(2) Wendet das Finanzamt dagegen ein, der Anspruch sei bereits erfüllt (z.B. nach Vollstreckung, durch Zahlung des Steuerpflichtigen, durch Lastschrifteinzug, durch Umbuchung oder Verrechnung mit Vorauszahlungen etc.), so ergibt sich aus § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG außerdem eine Ersetzungsbefugnis des Steuerpflichtigen (vgl. insoweit auch das Urteil des erkennenden Senats vom 15.3.2016 15 3669/15 U). Die Umsatzsteuerschuld ist - wie jede andere Steuerschuld auch - grundsätzlich eine gegenüber dem Steuergläubiger bestehende Geldschuld, die grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 224 AO erfüllt werden kann. Das Gesetz kennt Ausnahmen: So besteht z.B. die Möglichkeit nach § 224a AO geschuldete Erbschaftsteuer durch die Übertragung von Kunstgegenständen und Kunstsammlungen etc. zu erfüllen. Eine weitere Ausnahme dürfte auch § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG zu entnehmen sein. Dem Steuerpflichtigen wird darin auf Antrag die Befugnis eingeräumt, den an sich in einer Geldschuld bestehenden Steueranspruch des Staates durch Abtretung der Forderung gegen den Bauträger zu erfüllen. Ist nun der Steueranspruch bereits erfüllt und würde dem Steuerpflichtigen nur noch ein ggf. finanziell wertloser Anspruch gegen den Bauträger zustehen, so ist die finanzielle Belastung des Bauleistenden dadurch zu verhindern, dass ihm die Befugnis eingeräumt ist, die Steuerschuld durch Abtretung des zivilrechtlichen Anspruchs auf Nachforderung der Umsatzsteuer gegen den Bauträger anstelle der Zahlung zu erfüllen. § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG führt insoweit zwar nicht zu einer Wahlschuld i. S. des § 262 des BGB, da bei einer Wahlschuld erst durch die Ausübung des Wahlrechts der verbindliche Schuldinhalt bestimmt wird. Vielmehr begründet § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG eine Ersetzungsbefugnis. Die Schuld hat im Falle der Ersetzungsbefugnis einen von Anfang an bestimmten Inhalt (hier: Steuerschuld als Geldschuld). Der Schuldner ist aber berechtigt anstelle der an sich geschuldeten Leistung eine andere als Leistung an Erfüllung statt anzubieten. Ob ein gesetzlicher Anspruch eine Wahl oder eine Ersetzungsbefugnis enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. z. B. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 5.12.1996 5 U 49/96, juris). In den Bauträger-Fällen gebietet eine normerhaltende verfassungskonforme Auslegung des § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG eine Ersetzungsbefugnis anzunehmen. Die Ersetzungsbefugnis kann auch nach Erlöschen des Steueranspruchs (§ 47 AO) ausgeübt werden und führt zum Wiederaufleben desselben.
67Hat der Steuerpflichtige nach § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG das Recht, d.h. die Ersetzungsbefugnis, den Anspruch durch Abtretung des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger zu erfüllen und tritt er den Anspruch an das Finanzamt ab, so entfällt für die bereits geleistete Zahlung der Rechtsgrund. Die Zahlung kann dann nach § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden. Eine finanzielle Belastung des Steuerpflichtigen entsteht nicht.
68(3) Außerdem tritt eine Zinsbelastung des Steuerpflichtigen nicht ein, da - so jedenfalls die Auffassung der Finanzverwaltung - das Erstattungsverlangen des Bauträgers als rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 233a Abs. 2a AO anzusehen ist. Diese Auffassung hat sich im Streitfall auch in der Aufhebung der Zinsfestsetzung zur Umsatzsteuer 2012 mit Bescheid vom 6.1.2015 niedergeschlagen.
69(4) Sollte der an das Finanzamt zur Abtretung angebotene Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer gegen den Bauträger nicht bestehen - was nicht in diesem Verfahren, sondern allein in einem Verfahren vor dem zuständigen Zivilgericht zwischen dem Finanzamt als Abtretungsempfänger und dem Bauträger festgestellt werden kann -, sodass eine Erfüllungswirkung durch Abtretung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht kommt, kann im Interesse der Normerhaltung die finanzielle Belastung der Klägerin durch den Erlass der Steuer gemäß § 227 AO vermieden werden. Es liegt nach Auffassung des Senats ein Fall sachlicher Unbilligkeit vor, wenn der Gesetzeszweck von § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG („Vermeidung einer finanziellen Belastung des Bauleistenden“) ausnahmsweise mangels Bestehens des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs gegen den Bauträger verfehlt wird.
70Ein Billigkeitserlass darf zwar nicht ergehen, wenn mit dem Erlass der Steuer aus Billigkeit flächendeckend Verfassungsverstöße vermieden werden müssten. Der Erlass darf keine allgemeine Reparaturvorschrift sein. Eine Billigkeitsmaßnahme ist aber angezeigt, wenn die Auswirkungen einer gesetzlichen Maßnahme in einem atypischen Einzelfall verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei dem Fall, dass überhaupt kein zivilrechtlicher Umsatzsteuernachforderungsanspruch besteht, um einen atypischen Ausnahmefall. Regelmäßig wird sich ein Anspruch auf Nachforderung der Umsatzsteuer unmittelbar aus dem Vertrag zwischen Unternehmer und Bauträger ergeben. Sollte der Vertrag keinen unmittelbaren Anspruch begründen, verfügt das Zivilrecht mit der Rechtsfigur der ergänzenden Vertragsauslegung und dem gesetzlichen Anspruch der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB über Instrumente, um einen Umsatzsteuernachforderungsanspruch zu begründen (so ausdrücklich jüngst in einem Bauträger-Fall LG Köln, Urteil vom 30.10.2015 7 O 103/15, juris). Sämtliche Einwendungen gegen den Anspruch, wie z.B. Verjährung oder die Ausschlusswirkung der Abschlusszahlung nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, entwerten diesen zwar wirtschaftlich, aber vernichten ihn nicht; er bleibt abtretbar. Nach Auffassung des erkennenden Senats dürfte daher der Fall, dass überhaupt kein zivilrechtlicher Umsatzsteuernachforderungsanspruch vorliegt, ein atypischer Ausnahmefall sein. Der Gesetzgeber, der bei Schaffung von § 27 Abs. 19 UStG erkennbar vom Bestehen eines Anspruchs wegen Störung der Geschäftsgrundlage ausgegangen ist, hätte diesen Fall, wenn dieser ihm bewusst gewesen wäre, auch entsprechend der Billigkeitsmaßnahme geregelt, da ansonsten die Verfassungswidrigkeit der gesamten Norm droht.
71(5) Soweit der Abtretung ein Abtretungsverbot entgegenstehen sollte (§ 399 2. Fall BGB), geht der Senat grundsätzlich von einer unbeachtlichen Vereinbarung aus (vgl. § 354a des Handelsgesetzbuch - HGB -), da Unternehmer im Baubereich überwiegend Kaufleute sein dürften. Sollte dies ausnahmsweise anders sein, ist die Vollstreckung durch den Beklagten zur Vermeidung einer finanziellen Belastung des Bauleistenden auf die Pfändung (§ 851 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -) der mit dem Abtretungsverbot behafteten Forderung zu beschränken (vgl. hierzu auch Lippross, Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht - NWB - 2015, 677, 691); das Abtretungsverbot ist bei Pfändung unbeachtlich. Jede andere Vollstreckungsmaßnahme dürfte im Interesse der Normerhaltung im Wege der verfassungskonformen Auslegung als unbillig i. S. des § 258 AO anzusehen sein.
72(6) Die Klägerin ist daher nach Auffassung des Senats vor allen finanziellen Belastungen aus der Festsetzung der Umsatzsteuer auf Erhebungsebene geschützt. Die rückwirkende Einführung von § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG ist zwar für die Klägerin nicht frei von Unannehmlichkeiten, da sie die Abtretung anbieten und bei der Realisierung des Anspruchs mitwirken muss. Dadurch, dass sie aber vor jeder finanziellen Belastung hinsichtlich der festgesetzten Steuer geschützt ist, dürfte ausnahmsweise eine zulässige echte Rückwirkung der Vorschrift erlaubt sein, da ihr „nur ein ganz unerheblicher Schaden“ zugefügt wird.
736. § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG sind außerdem unionsrechtskonform. Sie verstoßen als verfahrensrechtliche Vorschriften weder gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit und den Grundsatz der Effektivität (a)) noch verstößt die rückwirkende Einführung der Vorschriften gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (b)).
74a) § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG sind Vorschriften des innerstaatlichen Verfahrensrechts. Innerstaatliches Verfahrensrecht ist nur in sehr engen Grenzen durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überprüfbar. Der EuGH betont in ständiger Rechtsprechung, dass sich das Verfahren zur Geltendmachung subjektiver Gemeinschaftsrechte grundsätzlich nach den nationalen Verfahrensvorschriften richtet (Grundsatz der Verfahrensautonomie). Dabei dürfen diese Bedingungen allerdings nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht begründeten Ansprüche und Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen (Grundsatz der Effektivität - vgl. EuGH-Urteile vom 29.6.1988 C-240/87, Denkavit Italiana, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1989, 573; vom 1.12.1997 C-188/95, Fantask, HFR 1998, 234; vom 28.11.2000 C-88/99, Roquette Frères, HFR 2001, 304). Der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Verfahrensvorschriften wird eingehalten, da die Anwendbarkeit von § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG unabhängig von der Art des betroffenen materiellen Rechts (nationales Recht oder Gemeinschaftsrecht) zu beurteilen ist. Es wird auch nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz verstoßen. Bei § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG handelt es sich nicht um innerstaatliches Verfahrensrecht, das die Inanspruchnahme von gemeinschaftsrechtlich gewährten Rechtspositionen erschwert oder unmöglich macht. Im Gegenteil stellen § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG erst die verfahrensrechtlichen Mittel dar, um einer richtlinienkonformen Umsatzbesteuerung Geltung zu verschaffen.
75b) Die rückwirkende Einführung von § 27 Abs. 19 Sätze 1 und 2 UStG verstößt auch nicht gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sind Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Sie müssen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht nur von den Gemeinschaftsorganen, sondern auch von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien einräumen beachtet werden (EuGH-Urteil vom 26.4.2005 C-376/02, Goed Wonen, HFR 2005, 793).
76Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen. Dies kann aber ausnahmsweise dann anders sein, wenn ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11.7.1991 C-368/89, Crispoltoni, Entscheidungssammlung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Teil I: Rechtsprechung des Gerichtshofs - Slg. - 1991, I-3695, Rn. 17, EuGH-Urteil vom 26.4.2005 C-376/02, Goed Wonen, HFR 2005, 793, Rn. 33 m. w. N.).
77Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es - unter besonderen Umständen - Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die Bestimmungen des rückwirkend aufgehobenen Gesetzes beim Steuerpflichtigen einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründen konnten und die rückwirkende Änderung des Gesetzes dieses Vertrauen enttäuscht hat. Derartige besondere Umstände hat der EuGH in der Rechtssache Belgocodex als gegeben angesehen (EuGH-Urteil vom 3.12.1998 C-381/97, Slg 1998, I-8153). In jenem Fall waren die Durchführungsbestimmungen zu dem streitigen rückwirkenden Gesetz nie erlassen worden, so dass sich der Gerichtshof selbst außerstande gesehen hat, zu entscheiden, ob die Bestimmungen des in jenem Fall streitentscheidenden Gesetzes beim Steuerpflichtigen einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründen konnten (so ausdrücklich EuGH-Urteil vom 8.6.2000 C-396/98, Schlossstraße, BStBl. II 2003, 446). Nach Auffassung des erkennenden Senats ist jener Sachverhalt - jedenfalls in Bezug auf die Besonderheit der Umstände - mit diesem Rechtsstreit vergleichbar, da es nicht schlicht um die Beurteilung der mit Rückwirkung eingeführten Vorschrift geht, sondern es - wie unter I. 5. ausgeführt - vor allem um die Beurteilung der kompensatorischen Maßnahmen des Gesetzgebers unter Berücksichtigung des innerstaatlichen Verfassungsrechts geht, Vertrauensschutz trotz Rückwirkung zu gewährleisten.
78Der erkennende Senat sieht vor diesem Hintergrund keine Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes als gegeben an. Im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit hat der EuGH in jüngeren Entscheidungen stets betont, dass dieses Gebot besonders zu beachten ist, wenn es sich um Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben können (EuGH-Urteil vom 9.7.2015 C-183/14, Salomie und Oltean, HFR 2015, 905). Im Umkehrschluss ist dem zwar nicht zu entnehmen, dass der Grundsatz nicht zu beachten ist, wenn keine finanzielle Belastung droht. Nach Auffassung des Senats ist dieser Umstand aber in der Abwägung zwischen dem mit der Rückwirkung bezweckten Ziel und dem Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage zu berücksichtigen. Dadurch, dass der Klägerin - wie unter I. 5. c) ausgeführt - keine finanzielle Belastung droht, überwiegt das gesetzgeberische Ziel, eine richtlinienkonforme Umsatzbesteuerung herbeizuführen, das enttäuschte Vertrauen der Klägerin in die bisherige Rechtslage.
79Nach Auffassung des Senats ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts in diesem Rechtsstreit auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH derart offenkundig, dass für einen - eine Vorlage an den EuGH rechtfertigenden - vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt („acte-clair“ - EuGH-Urteil vom 6.12.2005 C-461/03, Gaston Schul Douane-Expediteur, HFR 2006, 416 m. w. N.).
80II. Der Senat hat im Übrigen davon abgesehen, die H GmbH zu diesem Verfahren beizuladen. Es sind weder die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung gegeben (1.) noch hält es der Senat für sachgerecht, die H GmbH einfach beizuladen (2.).
811. Nach § 60 Abs. 3 FGO sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere also in Fällen, in denen das, was einen der Prozessbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, notwendigerweise umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muss (BFH-Beschluss vom 20.4.2010 II B 131/08, BFH/NV 2010, 1854 m. w. N.). Mit der Beurteilung der hier strittigen Fragen, ob die H GmbH Bauträgerin ist, mit der Folge, dass die Klägerin nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG als Steuerschuldnerin anzusehen ist (vgl. hierzu unter I. 1. c)), und ob die H GmbH die ihr gegenüber zu Unrecht gemäß § 13b UStG festgesetzte Steuer entrichtet hatte, mit der Folge, dass eine der Voraussetzungen der Änderungsnorm des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG erfüllt ist (vgl. hierzu unter I. 3. b)), wird nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der H GmbH eingegriffen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind nach dem Umsatzsteuergesetz die Steuerschuldverhältnisse des Leistenden und des Leistungsempfängers nicht materiell im Sinne einer gegenseitigen Abhängigkeit miteinander verknüpft (vgl. BFH-Urteil vom 10.12.1998 V R 58/97 BFH/NV 1999, 987 m. w. N.).
822. Die H GmbH war auch nicht einfach beizuladen. Nach § 60 Abs. 1 FGO kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden. Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die einfache Beiladung Gesichtspunkte der Prozessökonomie und der Rechtssicherheit zu berücksichtigen, um widersprechende Entscheidungen über denselben Gegenstand zu vermeiden. Von Bedeutung ist weiterhin das Interesse des Beizuladenden, seine Rechtsstellung nachteilig berührende Entscheidungen zu verhindern. Schließlich sind die Interessen der Klägerin, insbesondere unter Berücksichtigung des Steuergeheimnisses, hinreichend zu würdigen (vgl. Brandt in: Beermann/Gosch, AO / FGO, 121. Lieferung, § 60 FGO, Rn. 57). Da die H GmbH ein den Belangen der Klägerin entgegengesetztes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat und die Klägerin der Beiladung ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 15.3.2016, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ausdrücklich widersprochen hat, wird davon abgesehen, die H GmbH beizuladen (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 17.8.1978 VII B 30/78, BFHE 126, 7; BStBl. II 1979, 25). Wenn selbst der Beklagte unter Hinweis auf das Steuergeheimnis zum Schutz der H GmbH keinen vollständigen Auszug der Erhebungsakte der H GmbH dem Gericht vorlegt, so dient es umgekehrt der Wahrung des Steuergeheimnisses der Klägerin, dass die H GmbH nicht aufgrund einer Beiladung Einsicht in sämtliche Umsatzsteuerakten der Klägerin nehmen kann (§ 78 Abs. 1 FGO).
83III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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