Urteil vom Finanzgericht Münster - 4 K 2068/13 G,F
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands aufgrund einer Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen gegeben sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz - EStG - i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 Handelsgesetzbuch - HGB -).
3Die Klägerin betreibt seit Beginn des Jahres 2003 in der Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft (oHG) eine Versicherungsvertretung für die C Versicherungs-AG in D-Stadt. Gesellschafter zu je 50% sind Herr E. und Herr F.. Die Gewinnermittlung erfolgt durch Bestandsvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 EStG).
4Als Versicherungsvertreter nach §§ 84 ff. HGB vermittelt die Klägerin Versicherungsprodukte und sonstige Finanzdienstleistungen für die C Versicherungs-AG sowie deren Kooperationspartner. Nach Maßgabe der Provisionsvereinbarungen hat dieKlägerin im Falle des Abschlusses von Versicherungsverträgen etc. Anspruch aufAbschlussprovisionen. Für die Bestandspflege von nach dem 1.7.2000 vermitteltenLebens- und Rentenversicherungen kann ein sog. Pflegegeld nicht mehr beansprucht werden. In den mit beiden Gesellschaftern der Klägerin abgeschlossenen Vertretungsverträgen vom 12.12.2002 heißt es unter Tz. 2.1.1 („Aufgaben“) wie folgt:
5„Der Vertreter ist ständig damit betraut, der vertragsschließenden Gesellschaft und den mit dieser im Rahmen der C-Gruppe in Deutschland verbundenen Gesellschaften sowie deren Kooperationspartnern (alle nachfolgend Gesellschaften genannt) Versicherungsgeschäft sowie sonstiges Finanzdienstleistungsgeschäft nach Maßgabe der vertraglichen Vereinbarungen bzw. der dem Vertreter ausgehändigten Richtlinien und Produktbeschreibungen der Gesellschaften zu vermitteln. Der Vertreter ist dabei verpflichtet, sich mit ganzer Kraft um den regelmäßigen Zugang neuer und die Erhaltung bestehender Verträge zu bemühen (Bemühungspflicht).
6Um die bestehenden Verträge zu erhalten, pflegt der Vertreter im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Kunden, berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch. Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist und bleibt, sowie sonstige Finanzdienstleistungen der Gesellschaft umfassend nutzt.
7Der Vertreter nimmt stets die Interessen der Gesellschaften mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wahr und weist die Gesellschaften auf drohende Gefahren hin (Interessenwahrnehmungspflicht).“
8Unter Bezugnahme auf die BFH-Entscheidung vom 28.7.2004 (XI R 63/03, BStBl II 2006, 866) passivierte die Klägerin erstmals zum 31.12.2006 eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands aus einer Nachbetreuungsverpflichtung von Lebensversicherungsverträgen, und zwar in Höhe von 16.540 €. Bei der Rückstellungshöhe ging sie davon aus, dass die Nachbetreuung für die 827 seinerzeit im Bestand befindlichen Lebensversicherungsverträge durch eine Mitarbeiterin (Stundenlohn 10 €) zwei Stunden je Vertrag und je Jahr erfordere. Der Beklagte erkannte im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften (Gewinnfeststellungsbescheid) für das Jahr 2006 vom 16.4.2008 die Rückstellung im Hinblick auf den seinerzeit insoweit geltenden Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 28.11.2006 (BStBl I 2006, 765) nicht an.
9Zum 31.12.2007 bilanzierte die Klägerin die Rückstellung in unveränderter Höhe, so dass weder bilanzieller Aufwand noch Ertrag entstand.
10Im Jahresabschluss auf den 31.12.2008 erhöhte die Klägerin die streitige Rückstellung auf 24.860 € (Betreuungsaufwand für 1.243 Lebensversicherungsverträge x 2 Stunden x 10 € Stundenlohn) Die hiermit einhergehende Gewinnminderung von 8.320 € erkannte der Beklagte im Gewinnfeststellungsbescheid für das Jahr 2008 vom 17.5.2010 ebenfalls nicht an. Eine dementsprechende Abweichung von der Erklärung nahm er zudem im Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 2008 vom 25.5.2010 vor.
11Die Einsprüche wies der Beklagte mit Bescheiden vom 27.5.2013 (Gewinnfeststellung 2006) bzw. 28.5.2013 (Gewinnfeststellung 2008 sowie Gewerbesteuermessbetrag 2008) zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an:
12Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB lägen nicht vor. Zwar seien derartige Rückstellungen jedenfalls dann zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovisionen nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhalte. Allerdings habe die Klägerin zum einen nicht nachgewiesen, dass tatsächlich eine rechtliche Verpflichtung zur Nachbetreuung bestehe. Zum anderen genüge die von ihr vorgenommene Berechnung der Rückstellungshöhe nicht den Anforderungen, die im BFH-Urteil vom 19.7.2011 (X R 26/10, BStBl II 2012, 856) zu Grunde gelegt worden seien. Für die Höhe der Rückstellung sei der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr maßgeblich. Der voraussichtliche Zeitaufwand sei im Einzelnen darzulegen. Die Aufzeichnungen müssten so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich sei; die Aufzeichnungen seien „vertragsbezogen“ zu führen. Die von der Klägerin im Einspruchsverfahren hierzu eingereichten Unterlagen erfüllten diese Anforderungen nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Einspruchsentscheidungen Bezug genommen.
13Im Klageverfahren bringt die Klägerin - zusammengefasst - vor:
14Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für Nachbetreuungsverpflichtungen seien im Streitfall in der geltend gemachten Höhe gegeben.
15Sie, die Klägerin, habe gegenüber der C Versicherungs-AG eine wesentliche Nachbetreuungspflicht für die im Bestand befindlichen Lebensversicherungs- und Rentenversicherungsverträge übernommen. Diese Pflicht ergebe sich aus Tz. 2.1 des Vertretungsvertrags (sog. Bemühungspflicht). Die Bemühungspflicht sei - wie die C Beratungs- AG mit Schreiben vom 14.1.2014 auch bescheinigt habe -einer Betreuungspflicht gleichzusetzen.
16Für die Rückstellungsbildung sei eine ausdrückliche Vereinbarung zur Nachbetreuung der entsprechenden Versicherungen nicht erforderlich. Es sei gerade die Aufgabe des Agenturbetreibers, den Kunden bei Fragestellungen oder Vertragsänderungen oder sonstigen Abänderungen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Gerade im Unterschied zu einem Versicherungsmakler sei der selbständige Agenturbetreiber durch die C Versicherungs-AG verpflichtet, die übernommenen Bestandsversicherungen und auch neue Versicherungen nach bestem Gewissen zu führen und zu verwalten.
17Hinsichtlich der einzelnen erforderlichen Betreuungstätigkeiten sowie der Parameter für die Höhe der gebildeten Rückstellung wird auf den Klagebegründungsschriftsatz vom 24.7.2013 nebst Anlagen sowie auf den weiteren Begründungsschriftsatz vom 27.9.2013 Bezug genommen.
18Die Klägerin beantragt,
19die Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 2006 und 2008 vom 16.4.2008 bzw. 17.5.2010, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.5.2013 bzw. 28.5.2013, sowie den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2008 vom 25.5.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.5.2013 dahingehend abzuändern, dass eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen in der erklärten Höhe gewinnmindernd erfasst wird;
20hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
21Der Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen;
23hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
24Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass sich aus den Versicherungsverträgen mit der C Versicherungs-AG keine explizite Nachbetreuungspflicht für die Klägerin ergebe. Tz. 2.1 des Vertrags beschreibe lediglich die allgemeine Bemühungspflicht des Versicherungsvertreters. Hieraus ergebe sich nicht, ob und in welchem Umfang eine Pflicht zu Betreuung der Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen im Einzelnen bestehe und welche konkreten Aufgaben diese Pflicht umfasse; es fehle eine ausdrückliche Vereinbarung. Die Formulierungen des Vertretungsvertrags deutetendarauf hin, dass die laufende Kontaktaufnahme dem Abschluss weiterer Verträge, der allgemeinen Kundenpflege und dem Interesse des laufenden Geschäftsbetriebs der Klägerin dienen solle. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Versicherungsvertreterin nur die Verträge einer einzelnen Gesellschaft (C) vermittle und- anders als ein Versicherungsmakler - nicht Interessenvertreterin der Kunden sei.
25Die Klägerin habe auch nicht dargelegt sowie nachgewiesen, ob sich im Bestand der zu betreuenden Versicherungen noch „Altverträge“, die vor dem 1.7.2000 abgeschlossen wurden, befänden, für die nach den Vertragsbedingungen weiterhin ein Anspruch auf Pflegegeld bestünde.
26Der Beklagte hält schließlich die Darlegungen und Ausführungen zur Rückstellungshöhe für nicht hinreichend substantiiert.
27Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Unterlagen sowie die den Streitfall betreffenden Verwaltungsvorgänge.
28Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 2.6.2016 auf die BFH-Entscheidung vom 9.6.2015 (X R 27/13, BFH/NV 2015, 1676) hingewiesen, aus der sich - in einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation - ergebe, dass eine Rückstellung dann nichtgebildet werden könne, wenn in den Versicherungsbedingungen keine inhaltlich eindeutigen Vereinbarungen für Nachbetreuungsverpflichtungen enthalten seien. Erforderlich seien konkrete Verpflichtungen für bestimmte Nachbetreuungsleistungen. Die in den Versicherungsbedingungen enthaltene Bemühungspflicht sei ggf. zu vage gehalten, um hieraus eine auf bestimmte Nachbetreuungsleistungen abzielende Pflicht des Versicherungsvertreters ableiten zu können.
29Auf den richterlichen Hinweis hat die Klägerin einen mit der C Beratungs-AG am 23./29.6.2016 vereinbarten Nachtrag zur Betreuungsverpflichtung vorgelegt, aus dem die im Vertretungsvertrag vom 12.12.2002 niedergelegten Betreuungspflichten der Klägerin wie folgt klargestellt werden sollen:
30„1. Um die bestehenden Verträge zu erhalten, pflegen Sie laufend Kontakt mit den Kunden, beraten sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch (Kundenbetreuung). Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend bei den Produktgebern versichert ist und bleibt (Erhaltung des Bestandes), sowie Bank- und sonstige Finanzdienstleistungen der Produktgeber umfassend nutzt. Hierzu halten Sie regelmäßig Kontakt zu den von Ihnen betreuten Kunden, wobei sie die von der C Beratungs- AG (im Folgenden: CBV) hierfür bereitgestellten Hilfsmittel nutzen. Soweit datenschutzrechtlich zulässig, sammeln und hinterlegen Sie systematisch Kundendaten in den entsprechenden elektronischen Systemen der C und aktualisieren diese kontinuierlich.
312. Sie übernehmen im Rahmen Ihrer Betreuungsverpflichtung für die CBV und den Produktgeber insbesondere folgende Tätigkeiten:
32- Entgegennahme, Bearbeitung und/oder Weiterleitung von Anliegen und Mitteilungen der Kunden,
33- Erteilung von Auskünften zum Vertrag und Anforderung und Bearbeitung aller Vertragsänderungswünsche der Kunden,
34- Beratung der Kunden während der Laufzeit der von Ihnen betreuten Verträge, insbesondere wenn ein Anlass für eine Nachfrage beim Kunden oder Beratung des Kunden erkennbar ist,
35- Unterstützung des Kunden bei Vertragsablauf, Entgegennahme von Zahlungsverfügungen und Versicherungsscheinen sowie
36- Stornoabwehr.“
37Ferner übersandte die Klägerin eine E-Mail eines (leitenden) Angestellten der Rechtsabteilung der C AG vom 17.6.2016, in der es heißt, dass „vertragsrechtliche Konsequenzen im Falle von Pflichtverletzungen z.B. die Kündigung des Vertretungsvertrags“ sei.
38Der Senat hat in dieser Sache am 9.9.2016 mündlich verhandelt.
39Entscheidungsgründe
40Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 2006 und 2008, der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid für das Jahr 2008 sowie die hierauf ergangenen Einspruchsentscheidungen sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte hat die in den Streitjahren bilanzierte Rückstellung für Erfüllungsrückstände zu Recht nicht anerkannt. Der Senat konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin gegenüber der C Versicherungs-AG gesetzlich oder vertraglich - d.h. rechtlich - verpflichtet war, die im Bestand befindlichen Lebens- und Rentenversicherungsverträge nachzubetreuen.
411. Nach § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft bilanziell grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Anderes gilt allerdings, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist (BFH-Beschluss vom 23.6.1997 GrS 2/93, BStBl II 1997, 735). Aus diesem Grund ist eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält. Ein Erfüllungsrückstand setzt indesvoraus, dass der Versicherungsvertreter zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist. Künftige Aufwendungen für Leistungen, die ohne Rechtspflicht erbracht werden, sondern als bloße Obliegenheit zu qualifizieren sind, sind nicht rückstellungsfähig (BFH-Urteile vom 27.2.2014 III R 14/11, BStBl II 2014, 675; vom 9.6.2015 X R 27/13, BFH/NV 2015, 1676).
422. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze konnte jedenfalls für die Streitjahre keine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands passiviert werden.
43a. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Kunden(-nach-)betreuung bestand für die Klägerin nicht. Eine solche Pflicht ergibt sich für einen Versicherungsvertreter weder aus den handelsrechtlichen (§ 86 i.V.m. § 92 HGB) noch aus den gewerberechtlichen (§ 34d Gewerbeordnung) Vorschriften (vgl. BFH-Urteile vom 27.2.2014 III R 14/11, BStBl II 2014, 675; vom 16.9.2014 X R 38/13, BFH/NV 2015, 195).
44b. Der erkennende Senat konnte sich auch nicht von einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung überzeugen.
45Im Rahmen der Vertragsfreiheit können zwar vertragliche Zusatzpflichten eines Versicherungsvertreters vereinbart werden, wie z.B. Pflichten zur allgemeinen Markt-, Bestands- und Kundenpflege; zudem können einem Versicherungsvertreter verbindliche Vorgaben für Kundenbesuche in bestimmten Zeitabständen gemacht werden. Erforderlich sind hierfür allerdings entsprechend inhaltlich eindeutige Vereinbarungen (vgl. BFH-Urteil vom 9.12.2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860).
46aa. Die Vertreterverträge vom 12.12.2002 beinhalten eine solche eindeutige Vereinbarung zur Nachbetreuung von Bestandsverträgen nicht.
47(1.) Soweit es in Tz. 2.1.1 Abs. 2 der Vertreterverträge heißt, der Vertreter pflege im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Kunden, um die bestehenden Verträge zu erhalten, kann hieraus keine verbindliche vertragliche Pflicht zur Nachbetreuung abgeleitet werden. Aus dem Vertragspassus wird insbesondere nicht deutlich, um welche Art von Nachbetreuungsverpflichtungen es sich handeln soll. Die Unverbindlichkeit ergibt sich zudem daraus, dass die „Erhaltenspflicht“ lediglich „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ zu erfolgen habe. Die Vertragsklausel deutet im Gesamtkontext eher darauf hin, dass die laufende Kontaktaufnahme mit den Kunden dem Abschluss weiterer Verträge dient („…berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch“; „Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist…“). Derartige Bestandserweiterungstendenzen lösen keinen Erfüllungsrückstand für bereits bestehende Verträge aus (vgl. zur exakt identischen Vertragsklausel BFH-Urteile vom 9.6.2015 X R 27/13, BFH/NV 2015, 1676 sowie vom 19.7.2011 X R 26/10, BStBl II 2012, 856).
48(2.) Von der steuerrechtlichen Folge nichts anderes ergibt sich aus der in Tz. 2.1.1 Abs. 1 Satz 2 niedergelegten Bemühungspflicht. Dort wird festgelegt, der Vertreter sei verpflichtet, sich mit ganzer Kraft um den regelmäßigen Zugang neuer und die Erhaltung bestehender Verträge zu bemühen. Selbst wenn dort die Pflicht zur „Erhaltung bestehender Verträge“ benannt ist, fehlt es doch an dem von der BFH-Rechtsprechung aufgestellten Konkretisierungserfordernis. Bei Auslegung dieser Klausel nach Maßgabe eines verobjektivierten Empfängerhorizonts (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch- BGB -) lässt sich nicht bestimmen, welche genauen Pflichten zu den Nachbetreuungspflichten gehören sollen. Aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit der Klauselwäre die Einhaltung der von der Klägerin angeführten Nachbetreuungspflichten zivilrechtlich auch nicht durchsetzbar gewesen; etwaige Verstöße hiergegen hätten konsequenterweise keine vertraglichen Konsequenzen für die Klägerin bzw. deren Gesellschafter (Schadensersatz; Kündigung etc.) nach sich ziehen dürfen.
49(3.) Für die vorliegend zu entscheidende Rechtsfrage ist unerheblich, dass - wie von den Gesellschaftern der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nochmals verdeutlicht - tatsächlich Nachbetreuungen bei den Bestandsverträgen durchgeführt wurden (und werden), diese sogar typisch in der Branche eines Versicherungsvertreters anfallen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Allerdings lässt allein die Branchentypik nicht den Schluss zu, dass hiermit auch zivilrechtlich durchsetzbare Vertragspflichten übernommen wurden und sich die Klägerin deshalb im Rahmen eines schwebenden Vertragsverhältnisses in einem Erfüllungsrückstand befunden haben soll. Deutlich näher liegt es, dass die Klägerin ihre Nachbetreuungsaufgaben - geradewegen der unbestimmten Formulierung - als Erwerbsobliegenheiten verstanden hat, für deren Aufwendungen bilanzsteuerrechtlich keine Rückstellung gebildet werden darf. Auch der in den Vertreterverträgen genutzte Terminus „Bemühungspflicht“ (Tz. 2.1.1 Abs. 1 Satz 2) deutet letztlich auf eine bloße Erwerbsobliegenheit.
50bb. Soweit sich die Klägerin für ihre Auffassung ergänzend auf die Bescheinigung der C Beratungs-AG vom 14.1.2014, wonach die Bemühungspflichteiner Betreuungspflicht gleichzusetzen sei, beruft, bringt auch dies nicht den Nachweis einer eindeutig und konkret vertraglich vereinbarten Nachbetreuungspflicht. Die Bescheinigung erschöpft sich in einer bloßen Rechtsbehauptung.
51cc. Erstmals die mit „Nachtrag zur Betreuungsverpflichtung“ überschriebene Vereinbarung vom 23./29.6.2016 konkretisiert eine vertragliche Nachbetreuungsverpflichtung der Klägerin für die bereits im Bestand befindlichen Versicherungsverträge. Diese Konkretisierung wirkt allerdings nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vertreterverträge aus dem Jahr 2002 und somit bilanzsteuerrechtlich nicht auf die Streitjahre zurück. Zwar bezeichnen die Klägerin und die C Beratungs- AG den vertraglichen Nachtrag als „Klarstellung“ zu den bereits in den ursprünglichen Vertreterverträgen „vereinbarten“ Betreuungspflichten. Allerdings bestehen für den Senat keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine entsprechende Rückwirkung; vielmehr stellt sich die Vereinbarung aus Juni 2016 als eine erst ab jenem Zeitpunkt wirkende Ergänzung der rechtlichen Verpflichtungen dar. Anlass für den Nachtrag war die mit Schreiben des Berichterstatters vom 2.6.2016 geäußerte Ansicht, dass die in den Verträgen vom 12.12.2002 benannte Bemühungspflicht nicht den Konkretisierungserfordernissen der BFH-Rechtsprechung genügen dürfte. Die sodann im Wege der „Klarstellung“ einzeln aufgezählten Leistungen belegen zwar den - inhaltlich unstreitigen - Nachbetreuungsaufwand der Klägerin. Sie belegen indes nicht, dass jene Aufwendungen bereits von Anfang an rechtlich durchsetzbare Verpflichtungen und eben nicht nur Erwerbsobliegenheiten der Klägerin waren. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass beim seinerzeitigen Abschluss der Vertreterverträge - über die schriftlichen Klauseln hinaus - exakt die im Nachtrag niedergelegten Betreuungspflichten mündlich vereinbart wurden. Wäre dies der Fall gewesen, hätte nichts näher gelegen, als jene Pflichten auch explizit von Anbeginn in die Verträge mit aufzunehmen.
52dd. Schließlich begründet auch die E-Mail-Aussage eines leitenden Angestellten der Rechtsabteilung der C vom 17.6.2016, „im Falle von Pflichtverletzungen“ sei „vertragsrechtliche Konsequenz“ z.B. die Kündigung des Vertretungsvertrags, für die Streitjahre keine rechtliche Nachbetreuungspflicht. Dass vertragliche Pflichtverletzungen die C Versicherungs-AG zur (ggf. fristlosen) Kündigung der Vertreterverträge berechtigen, ergibt sich aus Tz. 9.1.11 jener Verträge. Eine Kündigung, die auf einen Verstoß gegen Nachbetreuungspflichten gestützt würde, hätte allerdings nur dann rechtlichen Bestand, wenn es sich bei dieser Pflicht auch um eine rechtliche Pflicht und nicht nur um eine bloße Obliegenheit handelt. Ersteres kann der erkennende Senat für die Streitjahre eben nicht feststellen.
533. Da bereits die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung dem Grunde nach nicht vorlagen, bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob die von der Klägerin begehrte Rückstellungshöhe dem voraussichtlich entstehenden Aufwand entspricht. Aus demselben Grund muss der Senat nicht über die vom Beklagten zumindest in Zweifel gezogene Frage befinden, ob sich im von der Klägerin übernommenen Bestand an Lebens- und Rentenversicherungsverträgen auch solche (Alt-)Verträge befinden, für die noch eine Bestandspflegeprovision beansprucht werden kann, so dass bereits begrifflich kein Erfüllungsrückstand vorliegen kann.
544. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
555. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Beim u.a. für die Ertragsbesteuerung für Personengesellschaften zuständigen IV. Senat des BFH ist derzeit das Revisionsverfahren IV R 34/14 anhängig, in dem ebenfalls streitig ist, welche Anforderungen an die Begründung einer vertraglichen Nachbetreuungsverpflichtung von Versicherungsvertretern zu stellen sind (zuvor FG Münster, Urteil vom 13.6.2013 13 K 4827/08 F, EFG 2013, 1479).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.