Urteil vom Finanzgericht Münster - 15 K 2427/17 U
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist für das Jahr 2015, ob sämtliche von der Klägerin erbrachten Umsätze gem. § 4 Nr. 16 UStG umsatzsteuerbefreit sind.
3Die Klägerin betreibt in C das Unternehmen „X“.
4Mit Bescheid vom 03.04.2014 erkannte die Bezirksregierung Düsseldorf die Tätigkeit der Klägerin „X / Abteilung Betreuung“ gem. § 2 Abs. 2 Nr. 7 HBPfVO als niedrigschwelliges Hilfe- und Betreuungsangebot nach § 45 Buchst. b Abs. 1 S. 6 Nr. 4 SGB XI (a.F.) unbefristet an.
5Die Klägerin schloss zudem Verträge über Haushaltshilfeleistungen gem. §§ 38, 24 Buchst. h und 132 SGB V mit dem Verband der Ersatzkassen, der AOK … sowie der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen in NRW. Danach werden Leistungen für Haushaltshilfe vergütet, wenn wegen Krankenhausbehandlung, einer Leistung nach § 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder 41 SGB V, Schwangerschaft oder Entbindung die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist.
6Der Beklagte führte bei der Klägerin für den Zeitraum Juli 2015 bis August 2016 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung (SP) durch, wegen deren Einzelheiten auf den Bericht vom 24.01.2017 Bezug genommen wird.
7Während der Prüfung reichte die Klägerin am 14.09.2016 die Umsatzsteuererklärung für 2015 ein. Darin erklärte sie Lieferungen und sonstige Leistungen zu 19 % i.H.v. xxx Euro (netto), sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 Buchst. a UStG zu 19 % i.H.v. xxx € (netto), abziehbare Vorsteuerbetrage i.H.v. xxx € sowie steuerfreie Umsätze i.H.v. xxx €. Durch Zustimmung vom 11.10.2016 wurde die Steuer antragsmäßig unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf xxx € festgesetzt.
8Im Rahmen der Prüfung stellte die Prüferin fest, dass sämtliche Haushaltshilfeleistungen – ungeachtet dessen, wem diese Leistungen gegenüber erbracht worden waren – ab Mitte 2015 insgesamt als steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 16 UStG angemeldet worden waren.
9In dem Bericht über die SP führte die Prüferin u.a. Folgendes aus:
10„2.3.1 Niedrigschwellige Betreuungsangebote
11Steuerfrei sind gem. § 4 Nr. 16g UStG die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen, soweit sie Leistungen erbringen, die landesrechtlich als niedrigschwellige Betreuungsangebote nach § 45b des Elften Buches Sozialgesetzbuch anerkannt sind. Grundlage für die Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote ist in Nordrhein-Westfalen die ,,Verordnung über niedrigschwellige Hilfe- und Betreuungsangebote für Pflegebedürftige" die sogenannte HBPfVO.
12Das Dezernat 34, Fachbereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitische Förderprogramme, der Bezirksregierung Düsseldorf ist landesweit zuständig für die Anerkennung niedrigschwelliger Betreuungsangebote. Mit Bescheid vom 03.04.2013 ist das Angebot „X / Abteilung Betreuung" gem. § 2 Abs. 2 Nr. 7 HBPfVO als niedrigschwelliges Hilfe- und Betreuungsangebot nach § 45b Abs. 1 S. 6 Nr. 4 SGB Xl unbefristet anerkannt.
13Die Umsätze sind korrekt als steuerfrei behandelt worden.
142.3.2 Haushaltshilfe
15Haushaltshilfeleistungen an hilfsbedürftige Personen und für Privathaushalte wurden insgesamt als steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 16 UStG behandelt. § 4 Nr. 16 UStG begünstigt bestimmte Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen. Hilfsbedürftig sind Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind und deshalb der Betreuung oder Pflege bedürfen.
16Objektive Voraussetzung der Steuerbefreiung ist eine körperliche, geistige oder seelische Hilfsbedürftigkeit. Der Empfänger der von Einrichtungen gem. § 4 Nr. 16 S. 1 Buchstabe a UStG erbrachten Betreuungs- oder Pflegeleistungen muss eine hilfsbedürftige Person sein, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands der Betreuung oder Pflege bedarf. Der Betreuung oder Pflege bedürfen Personen, die krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind (…). Grundvoraussetzung ist somit erst einmal, dass eine Hilfsbedürftigkeit vorliegt.
17Die Krankenkassen gewähren den Versicherten unter bestimmten Voraussetzung eine Haushaltshilfe (§ 38 SGB V). Dazu kann sich die Krankenkasse geeigneter Einrichtungen bedienen und mit diesen entsprechende Verträge schließen (§ 132 Abs. 1 SGB V).
18Die Stpfl. hat einen Vertrag über Haushaltshilfe gemäß § 132 SGB V mit der AOK … abgeschlossen. Danach werden Leistungen für Haushaltshilfe vergütet, wenn wegen Krankenhausbehandlung oder einer Leistung nach § 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder 41 SGB V die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist oder wenn wegen Schwangerschaft oder Entbindung die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist. …
19Haushaltshilfeleistungen an Privatpersonen, bei denen § 38 SGB V nicht greift, fallen nicht unter die Befreiungsvorschrift. Die zuerst als steuerpflichtig behandelten Umsätze und später als umsatzsteuerfreite Umsätze behandelten Beträge sind weiterhin der Steuer zu unterwerfen. Die Umsätze für den Prüfungszeitraum wurden von der Steuerpflichtigen im Rahmen der Prüfung neu nach steuerpflichtigen und steuerfreien Leistungen ermittelt und mitgeteilt.“
20Die Prüferin wies ausgehend von den neu von der Klägerin mitgeteilten Werten für 2015 folgende Differenzen aus:
21steuerfrei |
steuerpflichtig 19 % |
USt 19 % |
|
Bisher (laut Anmeldung) |
xxx |
xxx |
xxx |
Neu (mitgeteilte Werte vom 23.01.2017) |
xxx |
xxx |
xxx |
Differenz |
xxx |
xxx |
xxx |
In Tz 2.4. führte sie zudem aus, dass Vorsteuerbeträge während der Prüfung noch korrigiert worden seien und in der mitgeteilten Höhe wie folgt berücksichtigt werden würden:
232015 |
bisher |
neu |
Differenz |
xxx |
xxx |
xxx |
Entsprechend den Feststellungen erging am 3.02.2017 ein Umsatzsteueränderungsbescheid für 2015, indem die Umsatzsteuer auf xxx € festgesetzt wurde.
25Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, der sich gegen die Festsetzung von Umsatzsteuer auf Haushaltshilfeleistungen für Privathaushalte richtete. Sie sei eine nach § 4 Nr. 16 UStG begünstigte Einrichtung und erbringe gegenüber ihren jeweiligen Kunden identische Leistungen. Der Beklagte habe nicht belegen können, dass Putzen in Privathaushalten eine andere Leistung sei als Putzen gegenüber den hilfsbedürftigen Personen. Es werde auf Abschn. 4.16.1 Beispiel 1 des UStAE verwiesen. Tenor dieses Beispiels sei, dass, wenn der Unternehmer eine begünstige Einrichtung sei, die gesamten Haushaltshilfeleistungen steuerfrei seien.
26Mit Einspruchsentscheidung vom 24.07.2017, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG sei nicht auf Haushaltshilfeleistungen an nicht hilfsbedürftige Personen anwendbar. § 4 UStG regele Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen. Danach seien von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen bestimmte Umsätze, wie z.B. in § 4 Nr. 16 UStG angeführt, steuerfrei. Diesem Gesetzeswortlaut sei zu entnehmen, dass jede Leistung/jeder Umsatz eines Unternehmers für sich zu beurteilen sei, und nicht die eigentliche Tätigkeit des Unternehmers ausschlaggebend sei. Nach § 4 Nr. 16 UStG ergäben sich für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung zwei Voraussetzungen. Der Unternehmer müsse erstens eine begünstigte Einrichtung sein und es müsse sich zweitens um eine begünstigte Leistung handeln. Bei der Firma „X“ handele es sich unstreitig um eine begünstigte Einrichtung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b und g UStG. Nach dem Leitsatz des § 4 Nr. 16 UStG sei die Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen begünstigt. Hilfsbedürftig seien Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen, oder seelischen Zustandes krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht seien und deshalb Betreuung oder Pflege bedürften. Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung sei somit, dass bei dem Empfänger der Haushaltshilfeleistung eine Hilfsbedürftigkeit vorliege. Darunter würden insbesondere Umsätze fallen, die eine Einrichtung durch Gestellung von Haushaltshilfen im Sinne des § 38 SGB V erziele. Versicherte würden Haushaltshilfe erhalten, wenn ihnen wegen Krankenhausbehandlungen oder wegen einer Leistung nach § 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder 41 SGB V die Weiterführung des Haushalts oder wegen Schwangerschaft oder Entbindung die Weiterführung des Haushalts nicht möglich sei. Hierunter würden nicht Personen fallen, die nicht hilfsbedürftig nach den genannten Vorschriften seien.
27Gemäß § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG seien Betreuungs-oder Pflegeleistungen, die von den in § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG genannten Einrichtung erbracht würden, zudem nur befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handele, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils beziehe. Das bedeute, dass Umsätze aus Haushaltshilfeleistungen nur dann steuerbefreit seien, wenn die Voraussetzung des § 38 Abs. 1 SGB V erfüllt sei. Die Haushaltshilfeleistungen an nicht hilfsbedürftige Personen, z.B. wegen Berufstätigkeit, würden diese Voraussetzungen nicht erfüllen, weil es sich insoweit ihrer Art nach nicht um Leistungen handele, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils beziehe, denn die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 SGB V lägen hier nicht vor. Insoweit könnten nur gesonderte vertragliche Vereinbarungen mit diesem Personenkreis getroffen werden. Auch aus Abschn. 4.16.1 Abs. 1 UStAE ergebe sich, dass nur die Betreuungs- und Pflegeleistungen, die im Rahmen der sozialrechtlichen Anerkennung ausgeführt würden, in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung fallen würden. Es werde eingeräumt, dass das von der Klägerin zur Begründung angeführte Beispiel 1 zu Abschn. 4.16.1 Abs. 8 UStAE missverständlich sei. Dieses könne unter Bezugnahme auf den vorhergehenden Abs. 8 aber nur so verstanden werden, dass bei Leistung an eine hilfsbedürftige Person, die bei einer privaten Krankenkasse versichert sei, mit der das leistende Unternehmen keinen Vertrag nach § 132 SGB V abgeschlossen habe, ebenfalls eine steuerfreie Haushaltshilfeleistung angenommen werde, weil es sich nach ihrer Art um Leistungen handele, auf die sich die Anerkennung beziehe. Diese rechtliche Beurteilung ergebe sich auch aus Abschn. 4.16.2 Abs. 1 Satz 1 UStAE. Danach müssten die Nachweise für die Steuerbefreiung, dass die Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht würden, für jede betreute oder gepflegte Person belegt und buchmäßig erbracht werden. Sofern diese Nachweise nicht erbracht werden könnten, lägen die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsvorschrift nicht vor. Da Privatpersonen ohne Hilfsbedürftigkeit diesen Beleg nicht vorlegen könnten, seien somit die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht erfüllt.
28Ferner sei die Klägerin der Auffassung, dass die streitigen Umsätze schon deshalb steuerfrei seien, weil es sich um eng verbundene Leistungen handele. Als „eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbundene Umsätze“ seien Leistungen anzusehen, die für diese Einrichtung nach der Verkehrsauffassung typisch und unerlässlich seien, regelmäßig und allgemein beim laufenden Betrieb vorkommen würden und damit unmittelbar oder mittelbar zusammenhängen würden. Die Umsätze dürften nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, den Einrichtungen zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu steuerpflichtigen Umsätzen anderer Unternehmer stünden. Bei der Formulierung „eng verbunden“ werde auf den Zusammenhang der verschiedenen Umsätze an eine Person untereinander abgestellt und nicht auf die Tätigkeit des Unternehmens an sich. Dies ergebe sich aus dem BFH-Urteil vom 30.07.2008 mit dem Az. XI R 61/07. Dort heiße es „eng verbunden im Sinne des Einsatzes zu § 4 Nr. 16 UStG ist jede Leistung, die für die Pflege und Versorgung dieses Personenkreises unerlässlich ist“. Die Haushaltsleistung an nicht pflegebedürftige Personen stelle eine eigene Hauptleistung dar und könne nicht in Genuss der Steuerfreistellung der Haushaltsleistung an pflegebedürftige Person kommen. Sofern sich für die Haushaltshilfeleistung an nicht hilfsbedürftige Person nur deshalb eine Steuerbefreiung ergeben würde, weil diese Einnahmen durch eine anerkannte Institution erbracht würden, würde dies bedeuten, dass Einnahmen durch Tätigkeiten erzielt würden, die in unmittelbarem Wettbewerb z.B. zu Gebäudereinigungsfirmen stünden, die jedoch steuerpflichtige Umsätze erzielen würden. Insoweit würde dann eine steuerliche Ungleichbehandlung stattfinden.
29Die Klägerin hat daraufhin die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie Folgendes vor: Entgegen der Auffassung des Beklagten sei bezüglich ihrer Umsätze im Jahr 2015 insgesamt eine Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 16 UStG zu gewähren. Der Beklagte habe ein fehlerhaftes Rechtsverständnis von § 4 Nr. 16 UStG. Innerhalb des § 4 UStG unterscheidet sich § 4 Nr. 16 UStG grundlegend von den übrigen Befreiungstatbeständen des § 4 UStG. Anders als die übrigen Befreiungstatbestände, die in der Regel primär an Umsatz bzw. Leistung anknüpfen würden, knüpfe § 4 Nr. 16 UStG unmittelbar an die Begrifflichkeit ,,Einrichtungen" an, wie dies dann auch in den einzelnen Buchstaben von § 4 Nr. 16 UStG jeweils hervorgehoben werde. Nach dem Gesetzeswortlaut sei daher im Rahmen von § 4 Nr. 16 UStG nicht jede Leistung/jeder Umsatz einzeln zu beurteilen, sondern die gesamte Einrichtung als solche, sodass deren Umsatz entweder insgesamt steuerfrei oder insgesamt nicht steuerfrei sei.
30Dies ergebe sich auch aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Maßgeblich sei nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen damit, dass für die Frage der Steuerfreiheit auf die Einrichtung als solche abgestellt werden müsse. § 4 Nr. 16 UStG normiere nicht die Voraussetzung einer „begünstigten Leistung". Vielmehr habe der Gesetzgeber in § 4 Nr. 16 UStG eine Abstrahierung vorgenommen. Es werde nicht auf eine konkrete Leistung, sondern lediglich pauschal auf eine abstrakte Leistung abgestellt und eben nicht auf eine begünstigte Leistung. Dementsprechend sei auch die rechtliche Beurteilung des Beklagten dahingehend, dass Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung die Hilfsbedürftigkeit der Empfänger der Haushaltshilfeleistungen sei, unrichtig. Eine derartige Grundvoraussetzung werde durch § 4 Nr. 16 UStG nicht normiert. Es gehe lediglich um den Betrieb von Einrichtungen und damit eng verbundene abstrakte Leistungen. Das Gesetz normiere nicht, dass die Betreuung und Pflege begünstigt sei; das Gesetz stelle auf eng verbundene Leistungen der Einrichtung als Ganzes ab und ordne ihr eine Steuerbefreiung zu. Das Verständnis des Beklagten im Beispiel 1 zu Abschn. 4.16.1 Abs. 8 UStAE sei unrichtig. In diesem Beispiel würden vier Personengruppen aufgelistet, an die der Unternehmer seine Haushaltshilfeleistungen erbringe: Hilfsbedürftige Personen, Privatpersonen, privat Versicherte und Krankenkassen ohne Vertragsverhältnis. Nach diesem Beispiel sei der Unternehmer aufgrund nur eines Vertrages mit nur einer Krankenkasse schon eine begünstigte Einrichtung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG, sodass aufgrund dieses Umstandes die gesamten Haushaltshilfeleistungen steuerfrei seien.
31Dieses Gesamtbetrachtungsergebnis werde nicht durch Abschn. 4.16.2 Abs. 1 UStAE negiert. Wenn dort ein Beleg- und Buchnachweis für Leistungen an hilfsbedürftige Personen gefordert werde, so bedeute dies nicht, dass dies auch für weitere Kunden der gleichen Einrichtung gelte, die Leistungen gleicher Art erhalten würden.
32Im Übrigen seien Haushaltshilfe und Putzen für den Betrieb der Klägerin typische und unerlässliche, regelmäßig und allgemein beim laufenden Betrieb vorkommende Leistungen. Damit ein Haushaltshilfeunternehmen existieren könne, müsse es breit aufgestellt sein. Nur Einnahmen von Hilfsbedürftigen würden nicht reichen, um die Existenz des Unternehmens zu sichern. Die Umsätze bei Privatkunden, für die die Steuerbefreiung gewährt werden solle, seien unerlässlich, damit Umsätze für Hilfsbedürftige erbracht werden könnten.
33Dass eine steuerliche Ungleichbehandlung im FaIl der Klägerin zulasten Dritter verursacht würde, sei unrichtig. Das insoweit beklagtenseits bemühte Beispiel der Gebäudereinigungsfirmen verfange nicht, da sie mit ihrem Betrieb nicht zu derartigen Firmen in einem Wettbewerb stehe. Ihr Unternehmen stehe in Wettbewerb zu Pflegediensten, die auch bezüglich der Haushaltshilfeleistungen umsatzsteuerbefreit seien, sodass ihr Unternehmen ihnen gegenüber steuerrechtlich benachteiligt wäre, wenn die Beurteilung seitens des Beklagten durch das Gericht für zutreffend erachtet würde.
34Sie, die Klägerin, berufe sich auf eine Steuerbefreiung für die gesamten Umsätze ihres Unternehmens gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. b und g UStG. Hilfsweise berufe sie sich auf die durch das Beispiel 1 zu Abschn. 4.16.1 Abs. 8 UStAE entstandene Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG). Schließlich berufe sie sich höchst hilfsweise auf eine Steuerfreiheit unmittelbar aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Die von ihr vertretene einrichtungsbezogene Betrachtungsweise finde sogar ihre Bestätigung durch eine Normierung in Art. 132 MwStSystRL. Nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. o MwStSystRL seien sogar Dienstleistungen von der Umsatzsteuer befreit, die bei Veranstaltungen durch Einrichtungen erzielt würden, deren Umsätze u. a. nach dem Buchst. g des Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL befreit seien, wenn die Veranstaltungen dazu bestimmt seien, den Einrichtungen eine finanzielle Unterstützung zu bringen und ausschließlich zu ihrem Nutzen durchgeführt würden. Damit werde von der MwStSystRL normiert und anerkannt, dass Einrichtungen, wie die ihre, sich in legitimer Weise durch Dienstleistungen, die im engeren Sinne nicht Buchst. g zugeordnet werden könnten, querfinanzieren dürften, um so die Existenz der Einrichtung als solche im Interesse der Gesellschaft und des gesetzlichen Zwecks wirtschaftlich zu sichern. Dass keine Wettbewerbsverzerrung dadurch gegeben sei, ergebe sich bereits daraus, dass sie, die Klägerin, nicht zu vergleichbaren Einrichtungen in Wettbewerb trete und der Anteil der Leistungen an nichthilfebedürftige Personen bei ihr von untergeordnetem Umfang sei.
35Der Beklagte wende das Recht nicht gerechtfertigt ungleich an. Nach ihrem Informationsstand habe ihre Mitbewerberin, Frau N L, für ihr Unternehmen Y insgesamt Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 16 UStG erreicht. Nach ihrem Informationsstand habe das Finanzgericht die von Frau N L erhobene Klage als begründet erachtet und ihr stattgegeben. Aus dem Zeitungsbericht der … vom 00.00.0000 ergebe sich, dass andere Finanzämter insgesamt die Steuerbefreiung bejahen würden.
36In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, dass Frau N L am 00.00.0000 … auf einer Tagung in ihrem Vortrag betont habe, dass ihr Unternehmen umsatzsteuerbefreit sei. Auch aus dem zu den Akten gereichten Schreiben der Finanzverwaltung D bezüglich des V … sei zu entnehmen, dass die Finanzverwaltung D die Umsätze … als gemäß § 4 Nr. 16 UStG umsatzsteuerbefreit einstufe. So sehe es offensichtlich auch die Finanzverwaltung in I. Wie der Rechnung des I vom 00.00.2017 zu entnehmen sei, erfolge die Rechnungstellung ohne Umsatzsteuer. Die Rechnungsempfängerin Frau Q M sei nicht hilfsbedürftig. Dies führe augenfällig zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen, die der Gesetzgeber keinesfalls gewollt habe. Auch die ebenfalls zu den Akten gereichten E-Mail von Herrn … als Mitglied des Bundestages vom 00.00.0000 an Frau E, welche ein vergleichbares Unternehmen betreibe, in dem dieser die Stellungnahmen des Bundesministeriums der Finanzen und des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages in dieser rechtlichen Angelegenheit zusammenfasse, bestätige ihre Rechtsposition.
37Am 29.03.2019 hat ein Erörterungstermin stattgefunden, wegen dessen Einzelheiten auf das Protokoll verwiesen wird. Im Erörterungstermin ist die Klägerin aufgefordert worden mitzuteilen, in welchem Umfang die streitigen Umsätze auf Personen, die das 75. Lebensjahr vollendet hätten, und auf Personen, die noch nicht das 75. Lebensjahr vollendet hätten, entfielen. Die Klägerin hat hierzu mitgeteilt, dass im Streitjahr 2015 xxx € des Umsatzes und xxx € USt auf Personen entfallen würden, die über 75 Jahre alt seien.
38Mit Schriftsatz vom 30.01.2020 hat die Klägerin vorgetragen, dass zurzeit ein Petitionsverfahren beim Deutschen Bundestag laufe und das Verfahren daher ruhend zu stellen sei. Auf die als Anlage zum Schriftsatz gereichte Petition wird Bezug genommen. Die Klägerin hat zudem ein „Gutachten zur linguistischen Interpretation des Wortlauts „Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fünften fallenden Umsätzen sind steuerfrei: die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden Leistungen“ nach § 4 des UStG“ des … (bei der Philosophischen Fakultät der … zu D) eingereicht, sowie eine E-Mail des … (… Germanistisches Institut Sprachwissenschaftliche Abteilung) vom 00.00.0000, in der dieser seine grammatische Meinung zu dem Satz „die die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden Leistungen, die von Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch besteht, erbracht werden“, worauf Bezug genommen wird.
39Die Klägerin beantragt,
40das Verfahren bis zu einer Bescheidung ihrer Petition ruhend zu stellen,
41hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Union einzuholen,
42weiter hilfsweise, den Umsatzsteuerbescheid 2015 des Beklagten vom 03.02.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.07.2017 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf xxx € festgesetzt wird,
43äußerst hilfsweise, die Revision zuzulassen.
44Der Beklagte beantragt,
45die Klage abzuweisen.
46Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend Folgendes vor: Die Klägerin führe aus, § 4 Nr. 16 UStG unterscheide sich grundlegend von den übrigen Befreiungsvorschriften des § 4 UStG, weil § 4 Nr. 16 UStG unmittelbar an die Begrifflichkeit „Einrichtungen" anknüpfe und nicht der Umsatz bzw. die Leistung zu beurteilen sei. Dieser Argumentation könne nicht gefolgt werden, denn § 4 UStG enthalte bereits in der Überschrift die eindeutige Formulierung „Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen", was bedeute, dass Lieferungen und sonstige Leistungen und nicht Unternehmen als solche steuerbefreit sein können. Folglich werde dann in dieser Vorschrift geregelt, dass bestimmte von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen (also Lieferungen und sonstige Leistungen) steuerfrei zu stellen seien. Es sei daher auch bei der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 UStG auf den jeweiligen Umsatz abzustellen.
47Ferner werde moniert, dass der Beklagte eine „begünstigte Leistung" fordere. Dem Wortlaut des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG sei eindeutig zu entnehmen, dass der Gesetzgeber auf (konkrete) Leistungen abstelle, die von den Einrichtungen nach den Buchst. b bis I erbracht werden, die nur dann steuerbefreit seien, wenn es sich ihrer Art nach um Leistungen handele, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils beziehe. Nach Abschn. 4.16.5 Abs. 2 UStAE seien Haushaltshilfeleistungen nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. b UStG umsatzsteuerfrei, wenn diese von Einrichtungen erbracht würden, mit denen ein Vertrag nach § 132 SBG V bestehe. Zu den Ausführungen der Klägerin sei anzumerken, dass in Abschn. 4.16.1 Abs. 8 UStAE geregelt sei, dass Leistungen nach § 4 Nr. 16 UStG sowohl im Bereich gesetzlicher Versicherungen als auch bei Vorliegen eines privaten Versicherungsschutzes steuerfrei seien. Im Beispiel 1 werde dann vorgegeben, dass identische Haushaltshilfeleistungen vorliegen müssten. Identisch könnten sie aber nur dann sein, wenn diese an einen „begünstigten Personenkreis" erbracht werden würden. Es werde ergänzend darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich mit BMF-Schreiben vom 13.12.2017 das Beispiel 1 in Absatz 8 Satz 2 im Wortlaut klarstellend wie folgt geändert worden sei: „Daneben erbringt er die identischen Haushaltshilfeleistungen an hilfsbedürftige Privatpersonen, an hilfsbedürftige Privatversicherte sowie an die Krankenkasse B.“ Auch der BFH fordere mit Urteil vom 03.08.2017 (Az.: V R 52/16) für die Umsatzsteuerfreiheit eines Hausnotrufsystems und von Betreuungsleistungen in einem Altenheim ebenfalls, dass die Grundvoraussetzungen der Pflegebedürftigkeit für den Leistungsempfänger vorliegen müssten.
48Vorliegend erbringe die Klägerin Haushaltshilfeleistungen ohne steuerbefreite Hauptleistungen an nicht „hilfsbedürftige" Personen. Es handele sich insoweit nicht um eng verbundene Leistungen, weil keine Identität des Leistungsempfängers bestehe. Die Leistungen würden vielmehr an unterschiedliche Leistungsempfänger erbracht.
49Ergänzend werde auch noch auf den Zweck der Befreiungsvorschrift hingewiesen, denn der Zweck der Befreiungsvorschrift sei nach der Gesetzesbegründung „die im Gesundheitsbereich tätigen Einrichtungen weitgehend von der Umsatzsteuer zu entlasten". Der BFH habe im Jahr 1996 festgestellt, dass die Entwicklung der Regelungen zur umsatzsteuerrechtlichen Befreiung von Krankenanstalten und ähnlichen Einrichtungen erkennen lasse, dass die Begünstigung der Träger der Sozialleistungen nicht alleiniger Zweck dieser Regelungen sei, sondern dass auch die betroffenen Bevölkerungskreise und die im Gesundheitsbereich tätigen Einrichtungen von der Befreiungsvorschrift begünstigt sein könnten. Die Klägerin erbringe die hier strittigen Leistungen weder im Gesundheitsbereich noch an einen betroffenen Bevölkerungskreis.
50Die Klägerin berufe sich hilfsweise auf eine Steuerfreiheit ihrer Umsätze unmittelbar nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Voraussetzung für diese Steuerbefreiung sei jedoch u. a., dass die Befreiungen nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen (Artikel 133 Buchst. d MwStSystRL). Die Klägerin trete in Wettbewerb mit denjenigen, an die sich „nicht hilfsbedürftige" Personen wenden würden, um Haushaltshilfen auf legalem Weg zu beschäftigen. Der in der Einspruchsentscheidung angeführte Gebäudereiniger sei nur exemplarisch genannt worden. Ferner seien Dienstleistungen von der Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn diese für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt werde, nicht unerlässlich seien (Art. 134 Buchst. a MwStSystRL). Die hier erbrachten Haushaltshilfeleistungen an nicht „hilfsbedürftige Personen" seien für die der Steuerbefreiung unterliegenden Dienstleistungen nicht erforderlich. Daher komme die Befreiungsvorschrift auch aus diesen Gründen schon nicht in Betracht.
51Die Klägerin habe mittlerweile einen Antrag auf Änderung u. a. der hier streitigen Umsatzsteuerfestsetzung 2015 nach § 164 Abs. 2 AO gestellt mit der Begründung, dass nach § 53 Nr. 1 AO Personen, die das 75. Lebensjahr vollendet hätten, als Hilfsbedürftige gelten würden. Eine weitergehende Prüfung der Hilfebedürftigkeit sei nicht vorzunehmen. Demnach sei die Klägerin erst einmal der Auffassung des Beklagten gefolgt, dass die Voraussetzungen der Hilfsbedürftigkeit für die Gewährung der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG hier grundsätzlich vorliegen müssten. Hierzu werde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Regelung in der AEAO zu § 53 AO Ziffer 4 letzter Satz um eine Vereinfachungsregelung der Nachweisführung und -prüfung zum Gemeinnützigkeitsrecht handele. Nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 03.05.2007 (Drucksache 16/5200) sei Sinn und Zweck des Gesetzes das bürgerschaftliche Engagement zu stärken und eine deutliche Verbesserung steuerlicher Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt sowie der Tätigkeit von Vereinen herbeizuführen. Der Verwaltungsaufwand für die Überprüfung der Hilfebedürftigkeit bei Personen, die das 75. Lebensjahr erreicht hätten, entfalle damit und führe zu einer enormen Entlastung der Körperschaft, die mildtätige Zwecke i. S. des § 53 AO verfolge. Anzumerken sei, dass diese Körperschaften uneigennützig handeln würden. Diese Regelung sei jedoch nicht auf die Voraussetzungen der Vorschrift des § 4 Nr. 16 UStG übertragbar, denn § 4 Nr. 16 UStG fordere als Spezialgesetz (lex specialis) den Einzelnachweis der Hilfsbedürftigkeit der einzelnen zu betreuenden Person (s. Abschn. 4.16.2 UStAE zu § 4 Nr. 16 UStG). Bei der Vorschrift des § 53 AO handele es sich um ein allgemein gehaltenes Gesetz (lex generalis), das gegenüber dem Spezialgesetz subsidiär sei. Für die Klägerin bestehe hier auch schon deshalb kein Anspruch auf die Vereinfachungsregelung nach § 53 AO, da sie weder gemeinnützig/mildtätig noch selbstlos tätig sei. Die Personen, die gem. § 53 Nr. 1 AO aufgrund ihres Alters als „hilfebedürftig" angesehen werden könnten, seien jedoch nicht gleichzeitig als „hilfsbedürftig" i.S.d. § 4 Nr. 16 UStG anzusehen.
52„Hilfebedürftigkeit" i.S. der AO sei nicht mit der „Hilfsbedürftigkeit“ nach dem Umsatzsteuerrecht gleichzusetzen. Es finde sich jedenfalls kein Hinweis im UStG oder UStAE auf diese Vorschrift. Die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 UStG sei auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL gestützt und knüpfe eng an die in der Vorschrift benannten Normen des Sozialrechts an. Die Steuerbefreiung setze damit eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung voraus. Die Hilfsbedürftigkeit einer Person sei damit sozialrechtlich zu verstehen. Nach Abschn. 4.16.1 Abs. 4 UStAE setze sie den Betreuungs- und Pflegebedarf einer Person aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands, nicht jedoch aufgrund ihres Alters, voraus. Der Zustand der Hilfsbedürftigkeit sei in den Sozialgesetzbüchern beschrieben, so z.B. in § 37 SGB V (ges. KV), § 14 SGB XI (soziale Pflegevers.), § 61 SGB XII (Sozialhilfe). Hiernach bestehe bei hilfsbedürftigen Personen ein Grundpflegebedarf bzw. Bedarf nach Haushaltshilfe gem. § 14 SGB Xl und § 61 Abs. 5 SGB XII oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz gem. § 45a SGB Xl. Zwar könne Pflegebedürftigkeit gegebenenfalls auch bei fehlender Fähigkeit zur Haushaltsführung gegeben sein (§ 45a Abs. 1 SGB XI); die genannte Pflegebedürftigkeit sei jedoch gem. § 18 SGB Xl durch den medizinischen Dienst oder andere Gutachter festzustellen.
53Ob die Leistungsempfänger hilfsbedürftig seien, sei daher gem. Abschn. 4.16.2 UStAE buch- und belegmäßig für jede Person nachzuweisen, z.B.
54- durch eine Bestätigung der Krankenkasse, Pflegekasse, Sozialhilfeträger, des
55Gesundheitsamts oder durch ärztliche Verordnung
56- Anerkennung eines Pflegegrads.
57Diese Nachweise seien nicht erbracht worden. Das FG Schleswig Holstein habe zudem mit Urteil vom 21.10.2012 (Az. IV 530/92) entschieden, dass die Zugehörigkeit zum Personenkreis der körperlich oder geistig pflegebedürftigen Personen i.S. von § 68 Abs. 1 BSHG nicht ab einem bestimmten Lebensalter unterstellt werden dürfe.
58Soweit die Klägerin auf die E-Mail vom 00.00.2018 des …, MdB, verweise, führe dies zu keiner anderen Auffassung. Zum einen sei der Sachverhalt nicht ausführlich dargestellt, sodass nicht ohne weiteres von einem vergleichbaren Fall ausgegangen werden könne. Zum anderen sei der Mail auch nicht zu entnehmen, dass die Haushaltsleistungen an nicht hilfsbedürftige Personen steuerfrei sein sollen. Dem Einwand der Klägerin, dass andere Steuerbehörden auch die Leistungen an nicht pflegebedürftige Personen steuerfrei stellen würden, sei entgegen zu halten, dass zwischenzeitlich das Beispiel 1 in Abschnitt 4.16.1 Absatz 8 UStAE im Wortlaut klarstellend geändert worden sei.
59Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
60Entscheidungsgründe:
61A. Der Senat konnte in der Sache entscheiden. Es war weder in Ansehung der von der Klägerin beim Deutschen Bundestag eingereichten Petition noch mit Blick auf eine möglicherweise von der Klägerin beabsichtigte Konkurrentenklage das Ruhen des Verfahrens anzuordnen noch das Verfahren auszusetzen.
621. Gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 251 ZPO hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Vorliegend scheitert das Ruhen des Verfahrens bereits daran, dass ein entsprechender Antrag des Beklagten nicht vorliegt.
632. Gemäß § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist.
64Ein Rechtsverhältnis in diesem Sinne ist im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere liegt hinsichtlich der von der Klägerin beim Deutschen Bundestag eingereichten Petition kein Rechtsverhältnis in diesem Sinne vor. Im Rahmen der Gewaltenteilung ist den Gerichten die Rechtsschutzgewährung zugewiesen (Art. 20 Abs. 3 GG) und ihnen allein ist im Rahmen ihrer Fachzuständigkeit letztlich die verbindliche Auslegung einer Norm überantwortet (vgl. z.B. BVerfG, Urteil vom 19. 10.1983 2 BvR 298/81, BVerfGE 65, 196; Beschluss vom 17. 06.2004 2 BvR 383/03, BVerfGE 111, 54, 107; Beschluss vom 21.06. 2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369). Es ist Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob die Umsätze der Klägerin im Streitjahr von der Umsatzsteuer befreit sind. Dabei ist das Gericht aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 Satz 2 LRiStaG NW) nur dem Gesetz unterworfen. Die Entscheidung des Petitionsausschusses hat für das Gericht keine unmittelbar bindende Wirkung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.08.2019 7 B 11071/19, juris).
65Aber auch eine möglicherweise von der Klägerin beabsichtigte (vorliegend bislang nicht erhobene) Konkurrentenklage wäre kein Rechtsverhältnis im o.g. Sinne. Denn mit einer Konkurrentenklage kann allenfalls eine Änderung einer unzutreffenden Besteuerung des Konkurrenten zum Nachteil des Konkurrenten erreicht werden (vgl. zur Konkurrentenklage z.B. BFH, Urteil vom 07.02.2018 XI K 1/17, BFHE 260, 410, HFR 2018, 480).
66B. Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um eine Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) einzuholen.
67Der Senat hat vorliegend keine Zweifel i.S. des Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an der Auslegung der im Streitfall anzuwendenden unionsrechtlichen Bestimmungen der Art. 132 Abs. 1 Buchst. g und 134 MwStSystRL (vgl. dazu unter C. IV.), sodass keine Veranlassung besteht, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (acte éclairé, vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 C-283/81 CILFIT, NJW 1983, 1257, Rn. 14).
68C. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
69Der Umsatzsteuerbescheid 2015 des Beklagten vom 03.02.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Entgegen der Auffassung der Klägerin fallen nicht sämtliche ihrer steuerbaren Umsätze unter die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 UStG.
70I. Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen sind gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG steuerfrei, die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die u.a. von
71Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch besteht (Buchst. b),
72Einrichtungen, soweit sie Leistungen erbringen, die landesrechtlich als niedrigschwellige Betreuungsangebote nach § 45b des Elften Buches Sozialgesetzbuch anerkannt sind (Buchst. g),
73erbracht werden.
74Nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG sind die Leistungen im Sinne des Satzes 1, die von Einrichtungen nach den Buchstaben b bis l erbracht werden, befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.
75Dabei sind die Steuerbefreiungsvorschriften als Ausnahme zu der grundsätzlich bestehenden Steuerpflicht eng auszulegen.
76§ 4 Nr. 16 UStG beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, Art. 133 und Art. 134 MwStSystRL. Ebenso wie diese Befreiungsvorschriften (z.B. EuGH-Urteil vom 26.05.2005 Rs. C-498/03 Kingscrest Associates und Montecello, HFR 2005, 915) dient die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 UStG dem Zweck, die Kosten der Sozialleistungen zu senken und damit, neben den Sozialversicherungsträgern als Kostenträgern für ihre Versicherten, typisierend auch die selbstzahlenden Leistungsempfänger zu entlasten (Hölzer in: Rau/Dürrwächter, UStG, 185. Lieferung 01.2020, § 4 Nr. 16 UStG). Dabei sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Begriffe, mit denen die in Art. 132 MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen (EuGH-Urteil vom 15.11.2012 C-174/11, Zimmermann, HFR 2013, 84).
77Für die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 UStG müssen mehrere Voraussetzungen vorliegen. Es muss sich um eine begünstigte Einrichtung handeln, die Leistungen müssen gegenüber dem in § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG genannten Personenkreis erbracht werden, es muss sich um mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen handeln und es muss sich nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG um Leistungen handeln, auf die sich die Anerkennung bezieht (vgl. dazu die Kommentierung von Weber in Reiß/Krausel/Langer, UStG Stand 1.11.2019, § 4 Nr. 16, Rz. 16, 21, 27, 73; Janzen in Lippross/Seibel, UStG Stand 03/2019, § 4 Nr. 16, Rz. 16; Hölzer in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 16, Rz. 171, 221, 581).
781. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin aufgrund ihrer mit dem Verband der Ersatzkassen, der AOK …, und der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen geschlossenen Verträge über Haushaltshilfen gem. § 132 SGB V und der Anerkennung ihrer Tätigkeit als niederschwelliges Hilfe- und Betreuungsangebot gem. § 2 Abs. 2 Nr. 7 HBPfVO eine anerkannte Einrichtung im Sinne des § 4 Nr. 16 Buchst. b und g UStG ist.
792. Soweit die Klägerin allerdings mit der vorliegenden Klage für sämtliche Umsätze die Steuerbefreiung beansprucht, mit der Begründung, dass allein aufgrund ihrer Anerkennung im o.g. Sinne die Steuerbefreiung zu gewähren sei und eine tatsächliche Hilfsbedürftigkeit der Leistungsempfänger nicht vorliegen müsse, vermag der Senat dieser Auffassung nicht zu folgen.
80a) Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG kommt die Steuerbefreiung nur für die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Befreiung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze in Betracht. Damit ergibt sich nach Auffassung des Senats bereits aus dem Wortlaut, dass es sich bei dem Leistungsempfänger der von Einrichtungen gem. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. a bis l UStG erbrachten Betreuungs- oder Pflegeleistungen um eine hilfsbedürftige Person handeln muss (vgl. z.B. auch Hölzer in Rau/Dürrwächter, UStG, Stand 01.2019, § 4 Nr. 16, Rz. 221; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuerhandbuch, Stand 10.2019, § 4 Nr. 16 UStG, Rz. 7). Auch aus der BT-Drucksache 16/11108 (Bericht des FinAussch. vom 27.11.2008 zum RegE eines JStG 2009, Seite 37), in der es wörtlich heißt: „Die Steuerbefreiung erfasst neben den Pflegeleistungen künftig auch Betreuungsleistungen für nunmehr nach neuer Terminologie als „hilfsbedürftig“ bezeichnete Personen“, ergibt sich, dass Leistungen an hilfsbedürftige Personen vorliegen müssen. Das Vorliegen einer Hilfsbedürftigkeit als Voraussetzung der Steuerbefreiung folgt zudem auch daraus, dass „für jede betreute oder gepflegte Person nachzuweisen ist, dass die Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht werden“ (vgl. BT-Drucksache 16/11108, Seite 38).
81Soweit die Klägerin als Beleg für ihre hiervon abweichende Auffassung das „Gutachten zur linguistischen Interpretation des Wortlauts „Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fünften [sic] fallenden Umsätzen sind steuerfrei: die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen“ nach § 4 des UStG“ des … (bei der Philosophischen Fakultät der … zu D) und die E-Mail des … (… Germanistisches Institut Sprachwissenschaftliche Abteilung) vom 00.00.2019 vorgelegt hat, so greifen die darin vorgenommenen bloßen Wortinterpretationen gegenüber der vorliegend gebotenen richtlinienkonformen engen Gesetzesauslegung ersichtlich zu kurz.
82b) Hilfsbedürftig im Sinne des 4 Nr. 16 UStG sind Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes der Betreuung und Pflege bedürfen, weil sie krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind (BT-Drucksache 16/11108, Seite 37; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuerhandbuch, Stand 10.2019, § 4 Nr. 16 UStG Rz. 7).
83Vorliegend hat die Klägerin weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass die strittigen Umsätze an hilfsbedürftige Personen im o.g. Sinne erbracht wurden.
84Der Auffassung der Klägerin, dass diese Umsätze i.H.v. xxx € auf Personen entfielen, die über 75 Jahr alt seien und daher für diese aufgrund der Nr. 4 zu § 53 AEAO von einer Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 4 Nr. 16 UStG auszugehen sei, vermag der Senat nicht zu folgen.
85Soweit in Nr. 4 des AEAO zu § 53 AO die persönliche Hilfebedürftigkeit ab Vollendung des 75. Lebensjahres im Rahmen der Anerkennung als gemeinnützig (Verfolgung von mildtätigen Zwecken) ohne weitere Nachprüfung - aus Vereinfachungsgründen - angenommen wird, so ist diese Vorschrift nicht auf die Voraussetzungen der Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 4 Nr. 16 UStG übertragbar. Weder in § 4 Nr. 16 UStG noch im UStAE zu § 4 Nr. 16 UStG wird auf diese Vorschrift hingewiesen. Vielmehr wird im UStAE in Abschnitt 4.16.2 ausdrücklich gefordert, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung, dass die Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht wurden, für jede betreute oder gepflegte Person buchmäßig nachzuweisen sind. Entsprechend heißt es - wie bereits ausgeführt - auch in der BT-Drucksache 16/11108 auf Seite 38: „Wie bisher ist nachzuweisen, dass die Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht wurden, und zwar für jede betreute oder gepflegte Person.“ Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass jede Person über 75 Jahre tatsächlich hilfebedürftig ist (vgl. hierzu auch: FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.10.2012 IV 530/92, EFG 1993, 347, in dem ausgeführt wird, dass die Zugehörigkeit zum Personenkreis der körperlich oder geistig pflegebedürftigen Personen i.S. von § 68 Abs. 1 BSHG nicht ab einem bestimmten Lebensalter unterstellt werden dürfe).
86Der Beklagte hat hierzu zutreffend darauf hingewiesen, dass die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 UStG sich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL stützt und damit eng an die in der letztgenannten Vorschrift genannten tatbestandlichen Voraussetzungen anknüpft. Die Steuerbefreiung setzt damit eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung voraus. Die Hilfsbedürftigkeit einer Person ist daher nach Auffassung des Senats in Anlehnung an die sozialrechtliche Definition zu verstehen. Der Zustand der Hilfsbedürftigkeit ist in den Sozialgesetzbüchern beschrieben, so z.B. in § 37 SGB V (ges. KV), § 14 SGB XI (soziale Pflegevers.), § 61SGB XII (Sozialhilfe). Hiernach besteht bei hilfsbedürftigen Personen ein Grundpflegebedarf bzw. Bedarf nach Haushaltshilfe gem. § 14 SGB Xl und § 61 Abs. 5 SGB XII oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz gem. § 45a SGB Xl. Zwar kann Pflegebedürftigkeit gegebenenfalls auch bei fehlender Fähigkeit zur Haushaltsführung gegeben sein (§ 45a Abs. 1 SGB XI); die genannte Pflegebedürftigkeit ist jedoch gem. § 18 SGB Xl durch den medizinischen Dienst oder andere Gutachter festzustellen.
873. Soweit die Klägerin die Steuerbefreiung für Leistungen an Personen begehrt, die nicht hilfsbedürftig im Sinne des § 4 Nr. 16 UStG sind, ist zudem die Voraussetzung des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG nicht gegeben. Die Haushaltshilfeleistungen an nicht hilfsbedürftige Personen, die die Leistungen z.B. wegen Berufstätigkeit in Anspruch nehmen, erfüllen nicht die Voraussetzung des Satzes 2, weil es sich insoweit ihrer Art nach nicht um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.
884. Bei den von ihr gegenüber nicht hilfsbedürftigen Personen erbrachten strittigen Leistungen handelt es sich – entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung – auch nicht um mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundene Leistungen. Die Klägerin trägt insoweit vor, dass die Umsätze bei Privatkunden, für die die Steuerbefreiung gewährt werden solle, unerlässlich seien, damit Umsätze für Hilfsbedürftige erbracht werden könnten, weil nur Einnahmen von Hilfsbedürftigen nicht ausreichen würden, um die Existenz ihres Unternehmens zu sichern.
89„Eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbunden“ sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur Nebenleistungen zu einer Betreuungs- und Pflegeleistung, die keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern unerlässlich sind und das Mittel darstellen, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Darüber hinaus muss der Empfänger des eng verbundenen Umsatzes auch der Empfänger der Hauptleistung sein (Identität des Leistungsempfängers, vgl. hierzu Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuerhandbuch, Stand 10.2019, § 4 Nr. 16 UStG, Rz. 69 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind bei den strittigen Leistungen an nicht hilfsbedürftige Personen nicht gegeben, denn weder besteht eine Identität des Leistungsempfängers in Bezug auf die begünstigten Leistungen an andere, hilfsbedürftige Personen, noch stellen die Haushaltshilfeleistungen an nicht hilfsbedürftige Personen eine unselbständige Nebenleistung zu den an hilfsbedürftige Personen erbrachte begünstigte Leistungen dar.
90II. Der Klägerin ist die begehrte Steuerbefreiung auch nicht wegen des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung zu gewähren.
91Die Klägerin trägt insoweit vor, dass sich aus dem Beispiel 1 in Abschn. 4.16.1 Abs. 8 UStAE (Stand 2015) ergebe, dass auch Haushaltshilfeleistungen an nicht hilfsbedürftige Personen steuerfrei seien, wenn es sich bei dem Leistungserbringer um eine anerkannte Einrichtung im Sinne des § 4 Nr. 16 UStG handele.
92Dieses von der Klägerin angeführte Beispiel hat den folgenden Wortlaut: „Ein Unternehmer erbringt Haushaltshilfeleistungen im Rahmen eines Vertrages nach § 132 SGB V mit der Krankenkasse A an eine hilfsbedürftige Person. Daneben erbringt er die identischen Haushaltshilfeleistungen an Privatpersonen, an Privatversicherte sowie an die Krankenkasse B. Ein Vertrag nach § 132 SGB V besteht mit der Krankenkasse B nicht. Der Unternehmer stellt eine begünstigte Einrichtung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe b UStG dar. Somit sind die gesamten Haushaltshilfeleistungen im Sinne des § 132 SGB V steuerfrei.“
93Ungeachtet dessen, dass der von den Gerichten zu beachtende Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung nur für solche Verwaltungsvorschriften gilt, die die Ermessensausübung regeln, weil die Verwaltung im Bereich der Ermessensentscheidungen einen Entscheidungsfreiraum hat, der gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist (BFH-Urteil vom 30.09.1997 IX R 37/94, HFR 1998, 367), und es sich bei Abschnitt 4.16.1 UStAE nicht um eine die Ermessensausübung regelnde Verwaltungsvorschrift handelt, kann das Beispiel 1 im Zusammenhang mit dem gesamten Abschn. 4.16.1 UStAE, in dem es in Absatz 4 ausdrücklich heißt, dass die Steuerbefreiung sowohl Betreuungs- als auch Pflegeleistungen für hilfsbedürftige Personen erfasst, nur dahingehend verstanden werden, dass mit der Bezeichnung „identische Leistungen“ entsprechende Leistungen an hilfsbedürftige Personen gemeint sind. Auch in Anbetracht des nachfolgenden Abschn. 4.16.2 UStAE, in dem für jede betreute oder gepflegte Person der Nachweis gefordert wird, dass die Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht werden, kann das Beispiel 1 nur so verstanden werden, dass mit identischen Leistungen Leistungen an hilfsbedürftige Personen gemeint sind.
94Im Übrigen ist das Beispiel 1 – wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat –durch BMF-Schreiben vom 13.12.2017 (III C 3–S 7015/16/10003, 2017/1017217, BStBl I 2017, 1667) klarstellend zur Beseitigung redaktioneller Unschärfen wie folgt geändert worden: „Ein Unternehmer erbringt Haushaltshilfeleistungen im Rahmen eines Vertrages nach § 132 SGB V mit der Krankenkasse A an eine hilfsbedürftige Person. Daneben erbringt er die identischen Haushaltshilfeleistungen an hilfsbedürftige Privatpersonen, an hilfsbedürftige Privatversicherte sowie an die Krankenkasse B. Ein Vertrag nach § 132 SGB V besteht mit der Krankenkasse B nicht. Der Unternehmer stellt eine begünstigte Einrichtung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe b UStG dar. Somit sind die gesamten Haushaltshilfeleistungen im Sinne des § 132 SGB V steuerfrei.“ Dadurch ist ersichtlich, dass dieser Abschnitt nicht so zu verstehen war, wie die Klägerin ihn verstehen will.
95III. Der Klägerin ist die begehrte Steuerbefreiung auch nicht etwa wegen einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG zu gewähren.
96Die Klägerin trägt hierzu vor, dass andere Finanzämter mit ihr vergleichbaren Unternehmern auch für Umsätze an nicht hilfsbedürftige Personen die Steuerbefreiung gewähren würden. Dieser Vortrag der Klägerin ist schon in keiner Weise verifiziert. Das von ihr insoweit vorgelegte Schreiben des Finanzamts D spricht ebenfalls wie das Beispiel 1 in Abschnitt 4.16.1 UStAE lediglich von der Steuerfreiheit für „identische Leistungen“. Aus der E-Mail des … lässt sich entsprechendes ebenfalls nicht entnehmen. Insbesondere lässt sich auch aus dem Umstand einer Rechnungserstellung ohne gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer durch einen Unternehmer ebenfalls nicht schlussfolgern, dass dessen Umsätze von der Finanzverwaltung als steuerfreie Umsätze behandelt wurden.
97Ungeachtet dessen gewährt Art 3 Abs. 1 GG nach ständiger Rechtsprechung keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (BFH-Beschluss vom 15.01.2008 VIII B 61/07, juris m.w.N.). Selbst wenn der Vortrag der Klägerin also zutreffen würde, dass die Leistungen an nicht hilfebedürftige Personen anderer Unternehmer von anderen Finanzämtern als steuerfreie Umsätze behandelt würden, könnte sich vorliegend keine andere Beurteilung ergeben. Aus diesem Grund bedurfte es auch keiner Vernehmung der als Zeuginnen benannten Q M und N L oder einer Beiziehung von Gerichtsakten in Verfahren vergleichbarer anderer Unternehmer. In derartigen Fällen der – bislang nicht verifizierten – gesetzeswidrigen Besserstellung anderer Unternehmen ist die umsatzsteuerliche Konkurrentenklage das Mittel, die Ungleichbehandlung durch Schlechterstellung des anderen Unternehmers zu beseitigen.
98IV. Schließlich führt auch die Berufung der Klägerin auf eine unmittelbare Anwendung der unionsrechtlichen Befreiungsvorschrift im Streitfall nicht zur Umsatzsteuerfreiheit der strittigen Umsätze.
99Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH kann sich ein Einzelner in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. z.B. Urteil vom 10.09.2002 C-141/00 Kügler, Slg. 2002, I-6833, HFR 2002, 1146).
100Ungeachtet der Frage, ob für das Streitjahr das UStG die Befreiungsvorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, auf die sich die Klägerin beruft - nicht hinreichend umgesetzt ist, sind deren Voraussetzungen vorliegend jedenfalls nicht erfüllt.
101Art. 132 MwStSystRL sieht Steuerbefreiungen vor, mit denen, wie die Überschrift des Kapitels zeigt, zu dem dieser Artikel gehört, die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezweckt wird. Diese Befreiungen betreffen jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind (EuGH, Urteil vom 14.03.2019 C-449/17, A & G Fahrschul-Akademie, HFR 2019, 544-545).
102Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Bei den im Streitjahr erbrachten Leistungen, für die die Klägerin im vorliegenden Verfahren die Steuerbefreiung begehrt, handelt es sich schon nicht um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen i.S. dieser Vorschrift.
103Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die Begriffe, mit denen die in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG, nunmehr Art. 132 MwStSystRL, vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen (EuGH-Urteil vom 15.11.2012 C-174/11, Zimmermann, HFR 2013, 84).
104Der EuGH hat bereits anerkannt, dass Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen erbracht werden, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL darstellen (EuGH-Urteil vom 15.11.2012 C-174/11, Zimmermann, HFR 2013, 84 und EuGH-Urteil vom 10.09.2002, C-141/00 Kügler, Slg. 2002, I-6833, HFR 2002, 1146). Vorliegend hat die Klägerin mit den streitigen Leistungen aber gerade keine Leistungen an hilfsbedürftige Personen erbracht. Haushaltshilfeleistungen an Privatpersonen, z.B. wegen einer Berufstätigkeit, stellen keine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen dar. Insofern fehlt es augenscheinlich daran, dass diese Dienstleistungen dem Gemeinwohl dienen (vgl. auch BFH-Urteil vom 25.04.2013 V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976).
105Gemäß Art. 134 MwStSystRL sind zudem Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der des Artikels 132 Abs. 1 Buchst. b, g, h, i, l, m ausgeschlossen, wenn sie
106a) für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind,
107b) sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbaren Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.
108Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, dass die Umsätze an nicht hilfebedürftige Personen erforderlich seien, damit das Unternehmen existieren könne. Diese Umsätze sind mithin im Wesentlichen dazu bestimmt, der Klägerin im o.g. Sinne zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Damit tritt die Klägerin - entgegen ihrer Auffassung - aber in unmittelbaren Wettbewerb mit der Mehrwertsteuer unterliegenden Unternehmen, die ebenfalls Haushaltshilfeleistungen anbieten, so dass auch aus diesem Grund die begehrte Steuerbefreiung ausgeschlossen ist.
109D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
110E. Die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 FGO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs.
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