Urteil vom Finanzgericht Münster - 11 K 820/19 E
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2017 (Streitjahr) die Berücksichtigung von Beiträgen an einen Solidarverein im Rahmen des Sonderausgabenabzuges streitig.
3Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie zahlten für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall an den Verein „X e.V.“ (im Folgenden: Solidargemeinschaft) Beiträge in folgender Höhe:
4Kläger |
Klägerin |
|
Krankenabsicherung (Basisabsicherung) |
3.757 € |
823 € |
Krankenabsicherung (Mehrleistungen) |
355 € |
87 € |
Pflegeabsicherung |
236 € |
218 € |
Die im Streitjahr gültige Satzung der Solidargemeinschaft, hinsichtlich deren Einzelheiten auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird, (im Folgenden: Satzung) enthält - u.a. - die folgenden Regelungen:
6„§ 2 Zweck des Vereins
7(1)
8Die Solidargemeinschaft ist eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung.
9(2)
10Zwecke des Vereins sind:
11a.
12Die Mitglieder sichern sich gegenseitig rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht; […].
13(3)
14Die Satzungszwecke werden insbesondere dadurch verwirklicht,
15a.
16dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhält; […].
17(4)
18Mit der Umsetzung der Satzungszwecke werden die Voraussetzungen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bzw. vergleichbare Ansprüche gemäß § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG erfüllt.
19(…)
20§ 5 Beiträge, Individualkonto und Solidarfonds
21(1)
22Beiträge werden in der Beitragsordnung geregelt, und der Umfang der Zuwendungen ergibt sich aus der Zuwendungsordnung. Erlass und Änderungen der Beitrags- und Zuwendungsordnung regelt § 8 Abs. 6 der Satzung. Die Beitragsordnung und die Zuwendungsordnung werden durch den Vorstand so gestaltet, dass die vorgesehenen Zuwendungen aus den Beiträgen auch bei Schwankungen des Leistungsverlaufs erbracht werden können und darüber hinaus eine ausreichende Reserve für größere Zuwendungsfälle aufgebaut und erhalten werden kann. Um die Leistungsfähigkeit weiter zu sichern, werden, soweit erforderlich, auch Anpassungen der Beiträge, angemessene Nachschüsse oder angemessene Sonderzahlung vorgesehen sowie Möglichkeiten zu angemessener Anpassung der vorgesehenen Zuwendungen durch den Vorstand vorbehalten. Dabei wird darauf geachtet, dass Art und Umfang der medizinischen Versorgung entsprechend den in § 2 Abs. 2 Buchstabe a) der Satzung festgelegten Kriterien beibehalten wird, und das finanzielle Belastungen, die für ein Mitglied im Einzelfall untragbar sind, vermieden werden.
23(2)
24Jedes Mitglied kann verlangen, dass das Guthaben auf seinem Individualkonto im Rahmen der Zuwendungsordnung zur Deckung seiner Krankheitskosten im ambulanten und stationären Bereich ausgezahlt wird.
25(3)
26Aus dem Solidarfonds können weitere Unterstützungen an die Mitglieder erbracht werden, die auch die Hilfe im Pflegefall abdecken. Über einen Antrag auf Unterstützung der Kosten für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung oder eine andere gebotene Form der Therapie entscheidet der Vorstand nach Maßgabe der Zuwendungsordnung. Ein Anspruch auf Leistungen besteht nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit. Diese soll dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege-oder Krankenversicherung erreicht werden soll. In anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen.
27(…)
28§ 11 Streitfälle
29(1)
30Im Streitfall unter den Vereinsmitgliedern oder zwischen einem Mitglied und dem Verein ist das Schlichtungsverfahren einzuleiten. Die streitenden Parteien benennen aus den Mitgliedern des Vereins oder deren Regionalgruppen je einen Vertreter als Schlichter. Die Schlichter benennen gemeinsam ein weiteres Vereinsmitglied als weiteren Schlichter, der den Vorsitz des Schlichtungsverfahrens übernimmt. Nach Erörterung mit den streitenden Parteien und ihren Schlichter gibt der weitere Schlichter eine Empfehlung zur Streitbeilegung an die streitenden Parteien (Schlichtungsverfahren). Der Vorstand kann eine Schlichtungsordnung nach § 8 Abs. 6 erlassen.
31(2)
32kommt es im Rahmen des Schlichtungsverfahrens nicht zu einer Einigung bzw. wird die Empfehlung im Schlichtungsverfahren nicht akzeptiert, ist auf Antrag einer Partei ein Schiedsverfahren im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges unter Benennung eines Schiedsrichters einzuleiten. Hierauf hat die andere Partei ebenfalls einen Schiedsrichter zu benennen. Beide Schiedsrichter benennen einen weiteren Schiedsrichter als Obmann. Das Schiedsgericht ist unabhängig und unparteilich. Der Spruch des Schiedsgerichts ist bindend. Der Vorstand kann eine Schiedsordnung nach § 8 Abs. 6 erlassen.
33Die in § 2 Abs. 1 der Satzung in Bezug genommene Norm des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) in der beim Inkrafttreten der Satzung gültigen Fassung (a.F.; heute § 3 Abs. 1 Nr. 1 VAG in der seit 2016 geltenden Fassung) lautete:
34„Der Aufsicht nach diesem Gesetz unterliegen nicht: Personenvereinigungen, die ihren Mitgliedern, ohne dass diese einen Rechtsanspruch haben, Unterstützungen gewähren, insbesondere die Unterstützungseinrichtungen und Unterstützungsvereine der Berufsverbände“.
35Die Mitglieder der Solidargemeinschaft leisten einkommensabhängige Beiträge nach Maßgabe einer Beitragsordnung (im Folgenden: BO). Diese sieht vor, dass die Hälfte der Beiträge einem Individualkonto des Mitglieds gutgeschrieben werden (§ 4 Abs. 5 Satz 1 BO). Die andere Hälfte der Beiträge wird einem sog. Solidarfonds gutgeschrieben (§ 4 Abs. 4 BO). Nicht verbrauchte Bestände auf den Individualkonten gehen mit Ablauf eines Kalenderjahres in den Solidarfonds über (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BO). Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 BO sind, sofern Zuwendungen aus dem Solidarfonds beantragt werden, vorher Zahlungen in Höhe des halben Richtbeitrags vom Mitglied zu tragen – entweder vom Individualkonto oder als sog. Selbstbehalt (die Eigenbeteiligungen gemäß der Zuwendungsordnung sind zusätzlich zu tragen). Für den Härtefall sieht § 4 Abs. 6 Satz 2 BO die Möglichkeit einer Abweichung von dieser Regelung vor.
36Nach der Zuwendungsordnung der Solidargemeinschaft (im Folgenden: ZO) besteht freie Therapiewahl, sodass den Mitgliedern der Solidargemeinschaft die Wahl unter approbierten Ärzten, Zahnärzten und Therapeuten sowie Heilpraktikern frei zusteht (§ 1 Abs. 1 ZO). Bei medizinisch notwendiger stationärer Heilbehandlung hat jedes Mitglied eine freie Wahl unter den öffentlichen und privaten Krankenhäusern (§ 1 Abs. 2 ZO). Die Mitglieder sind zunächst Selbstzahler und erhalten in der Regel eine Rechnung nach einer geltenden Gebührenordnung, die sie zur Abrechnung an die Geschäftsstelle der Solidargemeinschaft einreichen können (§ 2 ZO). Zur Verwirklichung der Ziele der Solidargemeinschaft dient gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 ZO ein in § 7 ZO geregelter Zuwendungsrahmen, der Obergrenzen für einzelne Behandlungsleistungen festlegt. Im Einzelfall können Zuwendungen über den Zuwendungsrahmen hinaus durch den Vorstand gewährt werden (§ 7 ZO).
37In einem „Argumentarium“ der Solidargemeinschaft vom 07.06.2017 (Bl. 155ff. d.GA), hinsichtlich dessen Einzelheiten auf das zur Gerichtsakte gereichte Exemplar Bezug genommen wird, werden die maßgeblichen Prinzipien der Solidargemeinschaft genannt. Auf Seite 3 des Argumentariums heißt es hierzu:
38„5. Zuwendung statt Anspruch: Die Solidargemeinschaft hat eine klare Beitrags- und Zuwendungsordnung. Es geht um das Geben von Zuwendungen statt um das Erheben von Ansprüchen.“
39In dem Aufnahmebogen der Solidargemeinschaft aus dem Streitjahr, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Bl. 202 d.GA Bezug genommen wird, heißt es auszugsweise:
40„(…) Mir ist bekannt, dass kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen besteht, und dass dieser auch nicht durch wiederholte oder regelmäßige Zahlungen in anderen Fällen entsteht. (...)“
41Die Kläger machten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die an die Solidargemeinschaft gezahlten Beiträge als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) und b) des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) geltend. Durch Bescheid vom 27.07.2018 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 21.896,00 €, evangelische Kirchensteuer gegen die Klägerin i.H.v. 671,40 € und einen Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer i.H.v. 684,97 € fest, ohne die Beiträge zur Solidargemeinschaft im Rahmen des Sonderausgabenabzuges zu berücksichtigen. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein, mit welchem Sie die Berücksichtigung dieser Beiträge bei den Sonderausgaben begehrten.
42Durch Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Einer Berücksichtigung der streitbefangenen Beiträge im Rahmen des Sonderausgabenabzuges im Streitjahr stehe entgegen, dass für die Kläger im Krankheitsfall kein einklagbarer Rechtsanspruch gegenüber der Solidargemeinschaft existiere. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG sei jedoch Voraussetzung für den Abzug der Beiträge im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) EStG, dass diese an ein Versicherungsunternehmen oder an eine Einrichtung gezahlt würden, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) oder eine Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung im Sinne des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gewähre. Beide letztgenannten Vorschriften stellten jedoch auf das Bestehen eines Leistungsanspruches ab. Unter Zugrundelegung der Regelungen der Satzung der Solidargemeinschaft lasse sich ein einklagbarer Rechtsanspruch der Kläger gegenüber der Solidargemeinschaft jedoch nicht begründen. Vielmehr handele es sich bei den Ausführungen in der Satzung der Solidargemeinschaft lediglich um Absichtserklärungen.
43Daraufhin haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführen, die Solidargemeinschaft sichere ihren Mitgliedern rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu. So sei zur Verwirklichung des Satzungszweckes nach § 2 Abs. 3 Buchst. a) der Satzung verbindlich geregelt, dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhalte. Im Falle der Solidargemeinschaft bestehe daher ein Rechtsanspruch der Mitglieder auf Leistungen. Dies führe zur Anerkennung als anderweitige Absicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) EStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Die in § 2 Abs. 1 der Satzung der Solidargemeinschaft vorgenommene rechtliche Einordnung habe allein und ausschließlich dem Zweck gedient, nicht unter die Regelungen des VAG zufallen, wonach für den Geschäftsbetrieb der Solidargemeinschaft eine versicherungsaufsichtsrechtliche Genehmigung und damit der Nachweis der Erfüllung der hierfür im VAG vorgesehenen Voraussetzungen erforderlich sei. Die Solidargemeinschaft habe jedoch von Beginn an gerade kein Versicherungsunternehmen sein wollen. Dies zeige auch die mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geführte Auseinandersetzung im Hinblick auf die Frage, ob die Solidargemeinschaft ein erlaubnispflichtiges Versicherungsgeschäft betrieben habe.
44§ 2 Abs. 2 Buchst. a) der Satzung enthalte die verbindliche Zusage, dass alle Mitglieder der Solidargemeinschaft eine Krankenversorgung erhielten, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Auch in ihren Veröffentlichungen habe die Solidargemeinschaft immer wieder auf den bestehenden Leistungsanspruch ihrer Mitglieder hingewiesen. So verweise das zur Gerichtsakte überreichte Argumentarium vom 07.06.2017 darauf, dass das Leistungsniveau der Solidargemeinschaft mindestens dem der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Die Solidargemeinschaft erbringe umfangreiche und dauerhaft gesicherte Leistungsansprüche gegenüber den Mitgliedern. Soweit in der Satzung Einschränkungen enthalten seien, seien diese ausschließlich rechtlichen Anforderungen Dritter und dem Bestreben der Solidargemeinschaft geschuldet, nicht als Versicherungsunternehmen qualifiziert zu werden. Entsprechende Einschränkungen hätten deshalb auf das Leistungsversprechen der Solidargemeinschaft keinen Einfluss. Inzwischen habe auch der Gesetzgeber reagiert und in § 176 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz – DVPMG) vom 03.06.2021 (BGBl I 2021 S. 1309) vorgesehen, dass die Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und als ein mit dem Anspruch auf freie Heilfürsorge oder einer Beihilfeberechtigung vergleichbarer Anspruch im Sinne des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gelte, wenn die Solidargemeinschaft – wie die Solidargemeinschaft – am 20.01.2021 bereits bestanden habe und seit ihrer Gründung ununterbrochen fortgeführt worden sei, sie beides dem Bundesministerium für Gesundheit nachweise und auf ihren alle fünf Jahre zu stellenden Antrag hin das Bundesministerium für Gesundheit jeweils das Vorliegen eines testierten Gutachtens über die dauerhafte Leistungsfähigkeit gemäß Absatz 3 bestätige. Der Gesetzgeber gehe also nunmehr davon aus, dass für Solidargemeinschaften wie die Solidargemeinschaft die in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) EStG in Bezug genommenen Voraussetzungen vorlägen bzw. nach Antragstellung fingiert werden könnten. Die Leistungsansprüche der Mitglieder seien auch nicht entziehbar. Vielmehr bestehe das Recht zur außerordentlichen Kündigung nur im Falle der arglistigen Falschangabe und des schädigenden Verhaltens. Insoweit entsprächen die Regelungen in der Satzung der Solidargemeinschaft zur Entziehbarkeit der Leistungsansprüche dem Leitbild der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass auch für sie, die Kläger, konkret ein Rechtsanspruch während des vorliegend streitbefangenen Zeitraumes gegenüber der Solidargemeinschaft bestanden habe. Auf die insoweit zur Gerichtsakte überreichten Bestätigungen der Solidargemeinschaft (Bl. 167 ff. d.GA.) werde insoweit Bezug genommen. Auch das durch die Satzung vorgesehene Schlichtungs- und Schiedsverfahren sei ein durch die Zivilprozessordnung vorgesehenes Verfahren. Der ordentliche Rechtsweg sei insoweit nicht ausgeschlossen.
45Die für die Versicherungsaufsicht zuständige (BaFin habe gegen die Solidargemeinschaft nach Ablauf des Streitjahres ein auf die Einstellung und Abwicklung des Geschäftsbetriebs gerichtetes Verfahren eingeleitet, in welchem sie die Auffassung vertreten habe, die Solidargemeinschaft gewähre ihren Mitgliedern einen Rechtsanspruch auf Leistungen aus dem Solidarfonds und betreibe daher erlaubnispflichtige Versicherungsgeschäfte, ohne dass ihr die erforderliche Erlaubnis erteilt worden sei. Zwar liege ein Versicherungsgeschäft nicht vor, wenn der Anspruch der Mitglieder gegen die Solidargemeinschaft auf die verfügbaren Mittel beschränkt sei (Anspruch auf Leistung nach Kassenlage; Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.1956 – I C 147.54). Eine solche Regelung enthielten die Satzung und ZO der Solidargemeinschaft jedoch nicht. Solidargemeinschaft habe daraufhin die Satzung dahingehend geändert, dass Ansprüche auf Leistungen aus dem Solidarfonds auf die zur Verfügung stehenden Mittel beschränkt seien. Die BaFin habe diese Änderung akzeptiert und das Verfahren beendet.
46Die Kläger beantragen,
47den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 27.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 dahingehend zu ändern, dass die durch die Kläger im Streitjahr an die Solidargemeinschaft geleisteten Beiträge als Vorsorgeaufwendungen bei den Sonderausgaben der Kläger berücksichtigt werden und die Einkommensteuer 2017 entsprechend niedriger festgesetzt wird;
48hilfsweise, die Revision zuzulassen.
49Der Beklagte beantragt,
50die Klage abzuweisen.
51Zur Begründung führt er aus, die Solidargemeinschaft gewähre ihren Mitgliedern weder ein nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vergleichbares Versorgungsniveau im Krankheitsfall, noch hätten ihre Mitglieder einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Versorgung im Krankheitsfall. An einem gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Leistungen im Krankheitsfall fehle es bereits deshalb, weil nach der Satzung der ordentliche Rechtsweg zu den Zivil-, aber auch den Sozialgerichten ausgeschlossen sei. Das vorgesehene Schlichtungs- und Schiedsverfahren werde von den Mitgliedern der Solidargemeinschaft durchgeführt. Es fehle dadurch an einer objektiven Unabhängigkeit. Bereits durch den in § 2 Abs. 1 enthaltenen Verweis in ihrer Satzung auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F. stelle die Solidargemeinschaft gegenüber ihren Mitgliedern klar, dass diese mit ihren Mitgliedsbeiträgen keinen Rechtsanspruch auf Versorgung im Krankheitsfall erwerben. Den Aussagen zum Zweck der Solidargemeinschaft in § 2 Abs. 2 und Abs. 4 der Satzung fehle es an Rechtsverbindlichkeit. Es handele sich insoweit lediglich um Absichtserklärungen. Die Solidargemeinschaft leiste nicht nach einem festgelegten Leistungskatalog, anhand dessen die dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau nach dem SGB XII entsprechenden Leistungen erkennbar und für das einzelne Mitglied Planungssicherheit hinsichtlich seiner zukünftigen Inanspruchnahme von Leistungen hergestellt würden. Stattdessen leiste die Solidargemeinschaft nach individuellen Maßstäben bezogen auf die einzelne Person. Diese Vorgehensweise gewähre den Mitgliedern nur die Möglichkeit einer Leistungserstattung, welche dem Grunde und der Höhe nach dem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen könne, aber nicht zwangsläufig müsse. Indem die Satzung der Solidargemeinschaft vorsehe, dass seitens des Vorstandes für jedes Mitglied individuell beurteilt werde, welche medizinisch notwendige Heilbehandlung/Therapie erstattet werde, widerspreche die Satzung ihrem Anspruch, ein in Quantität und Qualität mindestens dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau des SGB XII entsprechende Krankenversorgung herzustellen.
52Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.
53Aufgrund des Beschlusses vom 29.07.2019 hat das Verfahren bis zum Ergehen einer die Instanz abschließenden Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem unter dem Aktenzeichen X R 12/19 geführten Verfahren geruht. Der Senat hat am 09.02.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit Bezug genommen.
54Entscheidungsgründe
55I. Die Klage ist unbegründet.
56Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 27.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat den Sonderausgabenabzug der durch die Kläger im Streitjahr an die Solidargemeinschaft gezahlten Beiträge zutreffend versagt.
571. Beiträge zu Krankenversicherungen sind gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG als Sonderausgaben abziehbar, soweit diese Beiträge zur Erlangung eines durch das SGB XII bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind und sofern auf die Leistungen ein Anspruch besteht. Daneben sind gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) EStG Beiträge zu gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflege-Pflichtversicherung) ebenfalls als Sonderausgaben abzugsfähig.
58Weitere Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug solcher Beiträge ist insbesondere, dass sie an die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) bis d) EStG genannten Versicherungsunternehmen, berufsständischen Versorgungseinrichtungen, Sozialversicherungsträger oder Anbieter i.S.d. § 80 EStG geleistet werden (sog. begünstigte Versorgungsträger bzw. Beitragsempfänger). Die Abzugsfähigkeit der Beitragsleistung an ein Versicherungsunternehmen setzt dabei außerdem voraus, dass das Versicherungsunternehmen entweder seinen Sitz oder seine Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat und das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Doppelbuchst. aa) EStG) oder ihm die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Doppelbuchst. bb) EStG). Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 2 EStG werden darüber hinaus Beiträge nur berücksichtigt, wenn es sich um Beträge i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) EStG an eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder eine der Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung i.S.d. § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gewährt.
59a) Die Solidargemeinschaft fällt nicht unter § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 1 EStG. Selbst wenn sie als „Versicherungsunternehmen“ anzusehen wäre - was die Solidargemeinschaft ausweislich des Vortrages des Klägervertreters gerade nicht beabsichtigt (hat) -, wäre Voraussetzung für einen Sonderausgabenabzug, dass sie das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf (Doppelbuchst. aa) oder ihr die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (Doppelbuchst. bb). Gemäß § 8 Abs. 1 VAG bedürfen Versicherungsunternehmen zum Geschäftsbetrieb der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. Da der Solidargemeinschaft im Streitjahr - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - weder eine solche Erlaubnis erteilt war noch die Voraussetzungen etwaiger Ausnahmetatbestände von der Erlaubnispflicht erfüllt waren, durfte sie das Versicherungsgeschäft im Inland nicht betreiben.
60b) Bei der Solidargemeinschaft handelt es sich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles auch nicht um eine Einrichtung, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 2 EStG) und auf deren Leistungen ein Anspruch besteht (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) Satz 1 EStG).
61Nach der in § 194 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) enthaltenen Legaldefinition ist ein Anspruch das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Ein solches Recht der Kläger und anderer Mitglieder gegenüber der Solidargemeinschaft lässt sich im vorliegenden Fall nicht aus den nach der Rechtsprechung des BFH maßgeblichen Quellen - zuvörderst der Satzung der Solidargemeinschaft unter Berücksichtigung der Beitrags- und Zuwendungsordnung, aber auch deren Internetauftritt, Werbematerial und Protokolle von Mitgliederversammlungen (BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 12/19, BFHE 270, S. 409, BFH/NV 2021, S. 483) - herleiten.
62aa) Die Satzung der Solidargemeinschaft enthält keine ausdrücklichen Anspruchsgrundlagen für Leistungen, wie sie etwa die §§ 20 ff. i.V.m. § 11 SGB V für die gesetzliche Krankenversicherung enthalten.
63Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben versicherte Personen nach den folgenden Vorschriften Anspruch auf folgende Leistungen:
64- 65
bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§§ 24c bis 24i SGB V),
- 66
zur Verhütung von Krankheiten und von deren Verschlimmerung sowie zur Empfängnisverhütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch (§§ 20 bis 24b SGB V),
- 67
zur Erfassung von gesundheitlichen Risiken und Früherkennung von Krankheiten (§§ 25 und 26 SGB V)
- 68
und zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V).
Auch die Vorschriften der § 20i Abs. 1 Satz 1, § 20j Abs. 1, § 22 Abs. 3, § 22a Abs. 1 Satz 1, § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1 Satz 1, § 24a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 24b Abs. 1 Satz 1, § 24d Satz 1 SGB V räumen den versicherten Personen ausdrücklich einen „Anspruch auf Leistungen“ ein.
70Bei den vorbenannten Vorschriften handelt es sich um Anspruchsgrundlagen, die Ansprüche i.S.d. § 194 Abs. 1 BGB zugunsten der versicherten Personen begründen.
71Die im Streitjahr maßgebliche Satzung der Solidargemeinschaft hat demgegenüber keine vergleichbaren ausdrücklichen Regelungen enthalten. Anspruchsgrundlagen für verbindliche Leistungsansprüche lassen sich auch im Rahmen der Auslegung ihrer Satzung nicht herleiten: § 2 Abs. 2 Buchst. a) der Satzung hat keine Anspruchsgrundlage für Leistungen der Solidargemeinschaft begründet. Denn nach dieser Vorschrift haben sich die Vereinsmitglieder gegenseitig rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zugesichert, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Die Vorschrift hat allerdings lediglich den Vereinszweck beschrieben, was sich an ihrer Überschrift („§ 2 Zweck des Vereins“), dem Abs. 2 einleitenden Halbsatz („Zwecke des Vereins sind: …“) und der Verwendung unbestimmter Begriffe wie „umfassende“ und „mindestens“ zeigt. Die Regelung hat – wie auch die in § 2 Abs. 2 Buchst. b) und c) der Satzung enthaltenen Regelungen lediglich allgemeine Prinzipien der Unterstützung der Solidargemeinschaft bzw. das nach der Satzung der Solidargemeinschaft beabsichtigte Gegenseitigkeitsprinzip beschrieben. Sie hat indes (bereits ihrem Wortlaut nach) keine Rechtsansprüche ihrer Mitglieder gegen die Solidargemeinschaft als Verein begründet, sondern hat das von der Solidargemeinschaft beabsichtige faktische Verhältnis der Mitglieder untereinander beschrieben.
72bb) Der Senat gelangt bei der Auslegung der Satzung der Solidargemeinschaft unter Heranziehung der weiteren durch die Klägerseite im Einspruchs- und Klageverfahren eingereichten Unterlagen, insbesondere des Argumentariums vom 07.06.2017 und des Aufnahmebogens, zu dem Ergebnis, dass ein Leistungsanspruch der Kläger gegenüber der Solidargemeinschaft im Streitjahr nicht bestanden hat. So hat § 2 Abs. 1 der Satzung einen Anspruch auf Leistungen ausdrücklich ausgeschlossen. Hiernach ist die Solidargemeinschaft eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG (a.F.) gewesen. Nach dieser Vorschrift haben der Aufsicht lediglich solche Personenvereinigungen nicht unterlegen, die ihren Mitgliedern Unterstützungen gewährt haben, ohne dass diese Mitglieder einen Rechtsanspruch darauf haben. § 2 Abs. 1 der Satzung hat damit einen Anspruch auf Leistungen verneint. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit dem Vorbringen der Kläger im Klageverfahren. So erklärte der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 06.10.2021 (Bl. 185ff. d.GA.) und erneut im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass dieser Passus der Satzung dazu zu dienen bestimmt gewesen sei, sich von der Rechtsform der Krankenversicherung und den damit durch die Aufsicht verbundenen Regelungen zu befreien. Dies gelingt zur Überzeugung des Senats aber tatsächlich nur dann, wenn der in § 2 Abs. 1 der Satzung enthaltene Verweis auch tatsächlich „gelebt“ worden ist, d.h. Unterstützungsleistungen gewährt werden, ohne dass hierauf ein rechtssicherer Anspruch bestünde.
73cc) Auch die in § 5 Abs. 2 und 3 der Satzung enthaltenen Regelungen haben unter Berücksichtigung der Regelungen der ZO und der BO keinen Rechtsanspruch der Kläger und anderer Mitglieder gegen die Solidargemeinschaft auf Leistungen im Krankheits- oder Pflegefall begründet.
74Nach § 5 Abs. 2 der im Streitjahr geltenden Satzung kann jedes Mitglied zur Deckung seiner Krankheitskosten die Auszahlung des Guthabens auf seinem Individualkonto verlangen. Spiegelbildlich folgt daraus, dass eine Auszahlung ausscheidet, soweit das Individualkonto kein Guthaben (mehr) aufweist. Dabei fließen nicht verbrauchte Beträge auf Individualkonten am Jahresende in den Solidarfonds (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BO) mit der Folge, dass das Guthaben auf dem Individualkonto am Ende eines jeden Kalenderjahres verfällt. Es steht zur Deckung von Kosten dieses Mitglieds also allein im Kalenderjahr der Einzahlung zur Verfügung. Über die Grenzen eines Kalenderjahres hinaus können Beiträge nicht „angespart“ werden. Dies hat zur Folge, dass eine volle Kostenerstattung nur in dem Falle erfolgt, in welchem die Kosten den auf dem Individualkonto verbuchten Teil des Jahresbeitrags unterschreiten. Die Satzungsnorm gewährt somit keinen unbedingten Anspruch auf (volle) Leistungen im Falle einer Krankheit oder eines Pflegebedürfnisses. Sie ist vielmehr Ausdruck des Interesses der Mitglieder der Solidargemeinschaft, die Entstehung von Kosten möglichst zu vermeiden und für entstandene Kosten jeweils selbst – nämlich durch eigene Beiträge – aufzukommen.
75§ 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Satzung haben die Möglichkeit eingeräumt, dass weitere Unterstützungen an die Mitglieder aus dem Solidarfonds erbracht werden „können“. Über einen entsprechenden Antrag hat der Vorstand der Solidargemeinschaft entschieden. Dieser hat demnach eine Entscheidung im jeweiligen Einzelfall anhand der in den Sätzen 2 bis 4 näher beschriebenen Maßstäbe zu treffen gehabt. Danach hat ein Anspruch auf Leistung nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit (Satz 3) bestanden; in anderen Fällen hat der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen (Satz 5) entschieden. Die Leistung „soll“ dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden „soll“ (Satz 4). Der Rahmen der ZO ist in diesem Fall maßgeblich gewesen (Satz 2).
76Im Rahmen der Gesamtbetrachtung dieser Vorschriften kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Mitglieder der Solidargemeinschaft keinen Rechtsanspruch auf Erstattung ihrer Kosten gehabt haben. Zwar indizieren § 5 Abs. 3 Sätze 3 und 5 der Satzung eine Pflicht zur Leistung dem Grunde nach für Fälle, in denen eine Behandlung, ein Medikament oder Hilfsmittel medizinisch notwendig gewesen ist. Ein Anspruch auf Leistungen in einer bestimmten Höhe hat demgegenüber nicht bestanden. Die Formulierungen „können“ (Satz 1) und „soll“ (Satz 4) belegen, dass Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Versicherung zwar angestrebt gewesen sind. Garantiert worden sind diese indes gerade nicht. Auch aus der ZO haben sich keine konkreten Ansprüche ergeben. Denn der Zuwendungsrahmen nach § 7 ZO hat lediglich Obergrenzen für Zahlungen der Solidargemeinschaft enthalten und Überschreitungen des Zuwendungsrahmens nur für den Fall der Gewährung durch den Vorstand zugelassen. Den Regelungen über die freie Therapiewahl, die freie Wahl der behandelnden Ärzte, Zahnärzte, Therapeuten und Heilpraktiker sowie des Krankenhauses haben sich ebenso wenig konkrete Beträge entnehmen lassen. Die Bestimmung der Höhe des Zuschusses aus dem Solidarfonds hat somit im Ermessen des Vereinsvorstands gelegen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass – woran der Senat zu zweifeln keinen Anlass hat - nach Auskunft des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung es in nahezu jedem Fall zu einer Kostenerstattung der Solidargemeinschaft gegenüber den Mitgliedern gekommen ist. Aus Sicht des Senats vermag jedoch diese Tatsache die fehlende Rechtsverbindlichkeit der Ansprüche der Mitglieder gegenüber der Solidargemeinschaft nicht zu überlagen bzw. umzuqualifizieren. Denn unstreitiges Ziel der Solidargemeinschaft ist es (im Streitjahr) gewesen, nicht als Versicherungsunternehmen im Sinne der Vorschriften des VAG qualifiziert zu werden, was nur bei fehlender Rechtsverbindlichkeit der Leistungsansprüche der Mitglieder hat erreicht werden können.
77Daneben tritt der Umstand, dass gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 BO vor einer Zahlung aus dem Solidarfonds Kosten in Höhe des halben (Richt-)Beitrags stets vom Mitglied zu tragen gewesen sind. Standen dafür keine Mittel auf dem Individualkonto zur Verfügung, hat das für das Mitglied bedeutet, dass es insoweit keine Unterstützung von der Solidargemeinschaft erhalten hat (sogenannter „Selbstbehalt“, der von den Eigenbeteiligungen gemäß der ZO zu unterscheiden ist).
78Schließlich deutet auch die Regelung des § 11 der Satzung, die nach Auskunft des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung nach dem Streitjahr aus der Satzung der Solidargemeinschaft gestrichen wurde, weil es faktisch nie zu Auseinandersetzungen zwischen der Solidargemeinschaft und ihren Mitgliedern gekommen sei, nach Ansicht des Senats auf ein Fehlen eines rechtssicheren Anspruches hin. Denn über die Durchführung eine Schlichtungsverfahrens nach § 1025 ff. ZPO hinaus, schließt die vorbenannte Regelung den ordentlichen Rechtsweg ausdrücklich aus. Der Senat verkennt auch in diesem Zusammenhang nicht, dass der Rechtswegausschluss mutmaßlich dem Bestreben der Solidargemeinschaft geschuldet gewesen ist, (aus aufsichtsrechtlichen Gründen) im Streitjahr nicht als Versicherungsunternehmen qualifiziert zu werden. Aus Sicht des Senats spricht dieses Bestreben aber – wie bereits ausgeführt – gerade dafür, dass die einen Rechtsanspruch ausschließenden Regelungen der Satzung der Solidargemeinschaft tatsächlich auch haben gelebt werden sollen und nicht lediglich formaler Natur gewesen sind.
79dd) Das „Argumentarium“ der Solidargemeinschaft lässt den Senat ebenfalls zu keiner abweichenden Einschätzung kommen. Dabei weist der Senat darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BFH, von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, neben der Satzung weitere Quellen nur ergänzend heranzuziehen sind (BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 12/19, BFHE 270, 409, BFH/NV 2021, S. 483, Rn. 34). Aus Sicht des Senats folgt hieraus, dass ergänzende Auslegungsquellen – wie das Argumentarium – nur ein Auslegungsergebnis herbeiführen können, das sich mit der Satzung der Solidargemeinschaft in Einklang bringen lässt. Dies vorausgeschickt vermögen die Ausführungen des Argumentariums im vorliegenden Fall zu keinem anderen Auslegungsergebnis führen. Zwar stellt das Argumentarium dar, dass die Grundlage der Kostenübernahme ein rechtlich verbindlicher Anspruch sei, der mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenkasse entspreche (Seite 2 des Argumentariums, vorletzter Absatz). Demgegenüber benennt es jedoch als das fünfte Prinzip der Solidargemeinschaft das Prinzip „Zuwendung statt Anspruch“. Es gehe „um das Geben von Zuwendungen statt um das Erheben von Ansprüchen“. Ein individueller Anspruch gegenüber der Gemeinschaft widerspricht danach den Werten der Solidargemeinschaft, der unter Solidarität stattdessen die gemeinschaftliche Zuwendung an den Einzelnen versteht.
80ee) Das aus den Ausführungen unter bb) bis dd) folgende Auslegungsergebnis wird durch den von der Solidargemeinschaft nach Auskunft der Klägerseite im Streitfall verwandten Aufnahmebogen gestützt. Denn darin müssen die Antragsteller durch ihre Unterschrift bestätigen, dass ihnen bekannt sei, dass kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen bestehe und dass ein solcher auch nicht durch wiederholte oder regelmäßige Zahlungen in anderen Fällen begründet werde. Hierin liegt aus Sicht des Senats ein ausdrücklicher Hinweis der Solidargemeinschaft auf das Fehlen eines rechtlichen Anspruches auf Leistungen. Dass insoweit von einem Anspruch auf „bestimmte“ Leistungen die Rede ist, führt aus Sicht des Senats zu keiner anderen Beurteilung dieses Abschnittes des Aufnahmebogens. Der Senat vermag nicht der Interpretation des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung zu folgen, nach welcher die vorbenannte Passage dergestalt zu verstehen ist, dass die Mitglieder keinen Anspruch auf Durchführung bestimmter Behandlungsleistungen haben. Denn die Inanspruchnahme bestimmter Heilbehandlungen steht – auch nach der Satzung der Solidargemeinschaft – im ausschließlichen Ermessen des einzelnen Mitglieds und liegt damit nicht im Einflussbereich der Solidargemeinschaft. Soweit der Aufnahmeantrag damit auf „bestimmte Leistungen“ Bezug nimmt, können aus Sicht des Senats nur Leistungen der Solidargemeinschaft gegenüber den Mitgliedern in Form von Zuwendungen nach der ZO gemeint sein, denen der Aufnahmebogen rechtsverbindlichen Charakter abspricht.
81Bei der Gesamtwürdigung der vorbenannten Umstände hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 176 SGB V die Möglichkeit eingeräumt hat, die Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft (im Fiktionswege) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und als ein mit dem Anspruch auf freie Heilfürsorge oder einer Beihilfeberechtigung vergleichbarer Anspruch im Sinne des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gelten zu lassen. Da der Gesetzgeber die Entscheidung hierzu erst (deutlich) nach Ablauf des Streitjahres getroffen hat, vermag diese Tatsache auf die Gesamtwürdigung der Umstände des vorliegenden Falles aus Sicht des Senats keinen Einfluss zeitigen.
82c) Ob es sich bei der Solidargemeinschaft um eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG), kann der Senat aufgrund des Fehlens eines Anspruches der Mitglieder auf eine solche Absicherung offenlassen.
83II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
84III. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf einer tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere der aus dem Urteil des BFH vom 12.08.2020 (X R 12/19, BFHE 270, S. 409) folgenden Auslegungsgrundsätze.
85… … …
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Referenzen
- § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V 2x (nicht zugeordnet)
- § 7 ZO 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 10 1x
- §§ 1025 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- 2020 X R 12/19 2x (nicht zugeordnet)
- X R 12/19 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 1025 Anwendungsbereich 1x
- § 176 SGB V 2x (nicht zugeordnet)