Beschluss vom Finanzgericht Münster - 8 V 2789/21
Tenor
Die Vollziehung des Abrechnungsbescheides vom 02.09.2021 über die Entstehung von Säumniszuschlägen zur Lohn- und zur Umsatzsteuer 07/2021 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, spätestens bis zu einer anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens, in voller Höhe ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
1Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung eines Abrechnungsbescheides über die Entstehung von Säumniszuschlägen in voller Höhe auszusetzen ist. In der Sache streiten die Beteiligten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge.
2Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in U-Stadt (eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts N-Stadt unter HRB xxx). Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist das Verwalten von Gesellschaftsanteilen und die Beteiligung an Gesellschaften, die im Immobilienbereich tätig sind. Des Weiteren ist Gegenstand des Unternehmens die Projektierung, die Produktsteuerung und Finanzierung von Immobilien.
3Die Antragstellerin zahlte die Lohnsteuer für Juli 2021 i.H.v. 2.805,54 € und die Umsatzsteuer für Juli 2021 i.H.v. 1.435,68 € trotz Fälligkeit zum 10.08.2021 erst am 20.08.2021. Die durch die verspätete Zahlung nach § 240 Abgabenordnung (AO) entstandenen und für einen angefangenen Monat berechneten Säumniszuschläge in Höhe von 28,00 zur Lohnsteuer und 14,00 € zur Umsatzsteuer beglich die Antragstellerin nicht.
4Am 17.08.2021 beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO im Hinblick auf die Säumniszuschläge, welchen der Antragsgegner am 02.09.2021 erließ. Der Bescheid weist Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Juli 2021 in Höhe von 28,00 € und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 in Höhe von 14,00 € aus. Auf den Abrechnungsbescheid wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
5Mit Schreiben vom 08.09.2021 legte die Antragstellerin gegen den Abrechnungsbescheid Einspruch ein und beantragte dessen Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verweis sie auf den beigefügten Beschluss des Bundesfinanzhof (BFH) vom 10.06.2021 im Verfahren VII B 54/21 (AdV).
6Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 08.11.2021 mit, das der Einspruch im Hinblick auf das beim BFH anhängige Verfahren VII R 55/21 aus Zweckmäßigkeitsgründen ruhe. Zugleich lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
7Mit ihrem daraufhin am 11.11.2021 bei Gericht gestellten Aussetzungsantrag verfolgt die Antragstellerin ihr Aussetzungsbegehren weiter. Zur Begründung verweist sie auf den beigefügten Beschluss des BFH vom 31.08.2021 im Verfahren VII B 69/21 (AdV).
8Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
9die Vollziehung des Abrechnungsbescheides über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 vom 02.09.2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe auszusetzen,
10hilfsweise, für den Fall des vollen oder teilweisen Unterliegens, die Beschwerde zuzulassen.
11Der Antragsgegner beantragt,
12den Antrag abzulehnen.
13Zur Begründung trägt er vor, dass die Finanzverwaltung nach interner Abstimmung mit dem Finanzministerium der Ansicht sei, dass die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zur Unanwendbarkeit der Entscheidung zu §§ 233a, 238 AO auf sonstige Verzinsungstatbestände nach der AO zur Folge hätten, dass verfassungsrechtliche Zweifel an § 240 AO nicht bestünden und eine Aussetzung der Vollziehung im Hinblick auf die Säumniszuschläge grundsätzlich nicht in Betracht komme. Der Beschluss des BFH vom 31.08.2021 (VII B 69/21) ändere an dieser Auffassung nichts.
14Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
15Der Antrag ist zulässig und begründet.
16Bei der im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
17Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts u.a. aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der hiernach gebotenen Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, wobei diese nicht überwiegen müssen. Es ist eine summarische Prüfung aufgrund des Sachverhalts vorzunehmen, der sich aus den sog. präsenten Beweismitteln, dem Vortrag der Beteiligten und den Akten ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH, Beschluss vom 20.10.2011, VIII S 5/11, BFH/NV 2012, 262, BFH, Beschluss vom 12.07.2017, X B 16/17, BFHE 257, 523; BFH, Beschluss vom 19.02.2018, II B 75/16, BFH/NV 2018, 706).
18In Anwendung dieser Kriterien war der angefochtene Abrechnungsbescheid auszusetzen.
19Bei dem angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 02.09.2021 handelt es sich um einen vollziehbaren Verwaltungsakt im Sinne von § 69 FGO, da darin die Säumniszuschläge erstmalig ausgewiesen werden (vgl. BFH, Urteil vom 15.06.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46; FG Münster, Beschluss vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO, juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 168. Lieferung 11.2021, § 218 AO Rz. 28 bis 30; Rüsken in: Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 218 Rz. 44).
20Nach summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Feststellung des Antragsgegners, dass die im Abrechnungsbescheid aufgeführten Säumniszuschläge in ausgewiesener Höhe nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO in Ansatz zu bringen sind. Dies beruht darauf, dass aus der Sicht des erkennenden Senats die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge zweifelhaft erscheint. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des 12. Senats des FG Münster im Beschluss vom 16.12.2021 (12 V 2684/21 AO, juris).
21Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf eines Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).
22Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten und kraft Gesetzes sofort zu leistenden Steuerschuld anhalten soll, so dass sie insoweit eine Art Zwangsmittel darstellen (BFH, Urteil vom 26.01.1988, VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695). Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH, Urteil vom 30.03.2006, V R 2/04, BStBl II 2006, 612; BFH, Beschluss vom 02.03.2017, II B 33/16, BStBl II 2017, 646; FG Münster, Beschluss vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO, juris).
23Das BVerfG hat mit Beschluss vom 08.07.2021 in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 entschieden, dass § 233a AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt und daher verfassungswidrig ist, soweit er auf Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 zur Anwendung gelangt, und dass zwar eine Fortgeltung der genannten Regelung für Verzinsungszeiträume vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2018 geboten ist, dass es aber für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume bei der Unanwendbarkeit als Regelfolge des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG bleibt.
24Im Weiteren hat das BVerfG in dem vorgenannten Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, juris) darauf hingewiesen, dass andere Verzinsungstatbestände nach der AO einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürfen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände – anders als bei der Vollverzinsung – grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen.
25Im Hinblick auf Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO hat der BFH bereits mehrfach Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten geäußert (Urteil vom 30.06.2020, VII R 63/18, BStBl II 2021, 191 sowie Beschlüsse vom 14.04.2020, VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177 und vom 31.08.2021, VII B 69/21).
26In der von der Antragstellerin erwähnten Entscheidung des BFH vom 31.08.2021 (Az.: VII B 69/21) führt dieser aus, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel aus seiner Sicht jedenfalls insoweit gelten, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion haben.
27Der erkennende Senat teilt insoweit die Ansicht des 12. Senat (Beschluss vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO, juris), dass diese einschränkende Äußerung des BFH darauf beruhen dürfte, dass sich das Aussetzungsbegehren im dortigen Verfahren auf den in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteil und damit auf die Hälfte der dortigen Säumniszuschläge beschränkt hat, so dass der BFH keine Entscheidung über eine darüber hinausgehende Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung zu treffen hatte.
28Zudem kann die einheitliche Regelung zur unteilbar gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein. Für eine Aussetzung der Vollziehung genügen dabei bereits die bestehenden und vom BFH aufgezeigten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm und die hieraus folgende unklare Rechtslage. Für das Eilverfahren muss die Verfassungswidrigkeit noch nicht abschließend festgestellt und vom BVerfG bestätigt worden sein.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
30Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs., 3 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
31xxx xxx xxx
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- X B 16/17 1x (nicht zugeordnet)
- V R 2/04 1x (nicht zugeordnet)
- VIII S 5/11 1x (nicht zugeordnet)
- VII R 55/21 1x (nicht zugeordnet)
- VIII R 151/84 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 69/21 4x (nicht zugeordnet)
- VII R 3/97 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 54/21 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2237/14 3x (nicht zugeordnet)
- VII R 63/18 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 53/19 1x (nicht zugeordnet)
- 12 V 2684/21 4x (nicht zugeordnet)
- II B 33/16 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2422/17 3x (nicht zugeordnet)
- II B 75/16 1x (nicht zugeordnet)