Beschluss vom Finanzgericht Münster - 9 V 1001/22 E
Tenor
Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 vom 15.07.2021, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.02.2022, wird dahingehend ausgesetzt, dass der bislang für den Antragsteller angesetzte Bruttoarbeitslohn im Jahr 2018 um 1.275 € und im Jahr 2019 um 212 € zu mindern ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Berechnung der von der Vollziehung ausgesetzten Einkommensteuer 2018 und 2019 wird dem Antragsgegner übertragen.
Die Kosten des Verfahrens tragen zu 80 % die Antragsteller und zu 20 % der Antragsgegner.
Gründe:
1I.
2Die Beteiligten streiten darüber, ob den Antragstellern Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist. In der Sache geht es um die Höhe der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Antragsteller.
3Die Antragsteller sind verheiratet und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Antragsteller erzielten in den Streitjahren 2016, 2018 und 2019 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einer Tätigkeit für die Firma X. GmbH.
4Die X. GmbH war mit notariellem Gesellschaftsvertrag vom xx.xx.2016 durch Herrn G. D. (geb. xx.xx.1995), dem Sohn der Antragsteller, gegründet und am xx.xx.2016 in das Handelsregister des Amtsgerichts C. (HRB ...) eingetragen worden. Alleiniger und von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreiter Geschäftsführer war der Antragsteller. Gegenstand des Unternehmens war zunächst der Betrieb von „..., ... und Kurierdiensten“. Auf der Gesellschafterversammlung vom xx.xx.2017 wurde eine Änderung des Unternehmensgegenstandes dahingehend beschlossen, dass dieser nunmehr in dem Betrieb von „..., ... und ...“ bestehen sollte. Mit Beschluss des Amtsgerichts C1. vom xx.xx.2021 (... IN .../21) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X. GmbH eröffnet; zur Insolvenzverwalterin wurde S. aus M. bestellt.
5Am 30.06.2016 hatte die X. GmbH, vertreten durch den Antragsteller als Geschäftsführer, mit dem Antragsteller und der Antragstellerin sowie weiteren Arbeitnehmern jeweils einen Arbeitsvertrag für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer/innen bis 450 € geschlossen. Es wurde in den Arbeitsverträgen (zunächst) ein Stundenlohn von ... € vereinbart.
6Die Z. GmbH wurde mit notariellem Gesellschaftsvertrag vom xx.xx.2017 gegründet. Alleiniger Gesellschafter war der Sohn der Antragsteller, Herr G. D.. Geschäftsführer der Gesellschaft war der Antragsteller. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb von „...- und ...dienstleistungen aller Art“.
7Mit Prüfungsanordnung vom 08.03.2019 ordnete der Antragsgegner eine Lohnsteueraußenprüfung bei der X. GmbH an. Als Prüfungsbeginn gab er den 25.03.2019 an.
8Im Prüfungsbericht vom 16.04.2019 ging die Prüferin davon aus, dass sich im Prüfungszeitraum 01.06.2016 bis 28.02.2019 zeitweise zwei Motorräder im Betriebsvermögen der X. GmbH befunden hätten, die von dem Antragsteller privat genutzt worden seien. Dementsprechend sei nach der 1%-Regelung bei dem Antragsteller ein zusätzlicher Arbeitslohn in folgender Höhe zu erfassen (Tz. 2 des Prüfungsberichtes):
9Kennzeichen |
Art |
Zulassung |
BLNP* |
1% 2017 |
1% 2018 |
1% 1+2/2019 |
AA BB 01 |
Suzuki ... |
06.04.17 |
10.200 |
918,00 |
1.224,00 |
204,00 |
AA CC 02 |
Suzuki ... |
03.02.17 |
10.600 |
1.166,00 |
1.272,00 |
212,00 |
geldwerter Vorteil |
2.084,00 |
2.496,00 |
416,00 |
*Bruttolistenneupreis
11Zur Begründung führte die Prüferin aus, der Antragsteller habe zunächst dargelegt, dass es sich bei den Motorrädern um rein private Motorräder handele, die nichts mit dem Betrieb zu tun hätten. Er hätte aufgrund der geringen Beträge nicht gemerkt, dass sämtliche Anschaffungs- und Unterhaltskosten über den Betrieb abgerechnet worden seien, anderenfalls hätte er dem Unternehmen die Kosten erstattet. Grund für die Anmeldung auf das Unternehmen sei der günstigere Versicherungstarif (Flottentarif) gewesen. Erst nachdem dem Antragsteller die steuerliche Würdigung aufgezeigt worden sei, sei eine betriebliche Nutzung der Motorräder behauptet worden.
12Unter Tz. 3.2. des Betriebsprüfungsberichtes führte die Prüferin aus, dass nicht alle abgerechneten Löhne an das Wohnsitzfinanzamt der Arbeitnehmer übermittelt worden waren, u.a. seien im Jahr 2016 für die Antragsteller Arbeitslöhne in folgender Höhe nicht mitgeteilt worden:
13L. D. (Antragsteller) |
1.275 € |
T. D. (Antragstellerin) |
1.275 € |
Der Prüfungsbericht enthielt insoweit wiederum den Hinweis, dass die Nachversteuerung des Arbeitslohns per Kontrollmitteilung an das jeweilige Wohnsitzfinanzamt erfolge.
15Auch bei der Firma Z. GmbH führte der Antragsgegner zeitgleich eine Lohnsteueraußenprüfung durch.
16Unter Tz. 2.1 des Prüfungsberichtes stellte der Antragsgegner fest, dass im Zeitraum 03-12/2018 keine Stundenaufzeichnungen für den Antragsteller geführt worden seien. Da der Antragsteller angestellter Geschäftsführer ohne Gesellschaftsanteile sei, seien gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Mindestlohngesetzes (MiLoG) zwingend Stundenaufzeichnungen zu führen. Da es an derartigen Stundenaufzeichnungen fehle, liege kein pauschalierungsfähiges Beschäftigungsverhältnis gem. § 40a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor, so dass zusätzlicher Lohn in Höhe von 3.300 € der tariflichen Einkommensteuer unterliege. Die Nachversteuerung erfolge per Kontrollmitteilung an das Wohnsitzfinanzamt.
17Der Antragsgegner folgte den Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung. Mit Datum vom 15.07.2021 erließ er einen § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016, in dem er die Einkünfte der Antragsteller aus nichtselbständiger Arbeit jeweils um 1.275 € erhöhte.
18Ebenfalls mit Datum vom 15.07.2021 erließ der Antragsgegner einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018, in dem er die Einkünfte des Antragstellers aus nichtselbständiger Arbeit um 5.796 € (2.496,00 € private Kfz-Nutzung und 3.300 € zu Unrecht pauschal versteuerter Arbeitslohn) erhöhte.
19Am 15.07.2021 erließ der Antragsgegner darüber hinaus einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019, in dem er die Einkünfte des Antragstellers aus nichtselbständiger Arbeit um 416 € (private Kfz-Nutzung) erhöhte.
20Für das Jahr 2017 erließ der Antragsgegner keinen geänderten Einkommensteuerbescheid.
21Gegen die geänderten Bescheide legten die Antragsteller am 16.07.2021 Einsprüche ein. Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 beriefen sich die Antragsteller auf Festsetzungsverjährung. Es sei zudem zu beanstanden, dass Kaufwerte von Fahrzeugen dadurch verdoppelt würden, dass DM-Beträge ohne Umrechnung direkt in Euro-Beträge umgewandelt würden. Ferner sei nicht nachvollziehbar, wie der Antragsgegner die Höhe der Einkünfte in den Streitjahren ermittelt habe. Der Antragsteller habe im Jahr 2016 16.000 € und nicht 16.416 € verdient sowie im Jahr 2018 brutto 11.000 € und nicht 21.596 €. Dies bedürfe daher der Aufklärung.
22In seinem Schreiben vom 27.07.2021 wies der Antragsgegner u.a. darauf hin, dass der für das Jahr 2018 übermittelte Arbeitslohn 15.800 € betragen habe und nicht 11.000 €.
23Mit Einspruchsentscheidungen vom 18.02.2022 wies der Antragsgegner den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 als unbegründet zurück. Die Festsetzungsverjährungsfrist beginne mit dem Ablauf des Kalenderjahres 2017 (Jahr der Abgabe der Steuererklärung) und ende mit Ablauf des 31.12.2021. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 änderte der Antragsgegner dahingehend ab, dass er hinsichtlich der Bruttolistenpreise eine Umrechnung von DM in Euro vornahm und den geldwerten Vorteil aus der privaten Kfz-Nutzung von 2.496 € auf 1.275 € (2018) bzw. von 416 € auf 212 € (2019) reduzierte. Im Übrigen wies er die Einsprüche als unbegründet zurück. Die 1%-Regelung sei anzuwenden, da der Antragsteller im Rahmen der Prüfung zunächst selbst angegeben habe, dass die Motorräder privat genutzt würden. Die spätere Abänderung des Vortrags sei nicht glaubhaft. Hinsichtlich des Arbeitslohns, den der Antragsteller von der Z. im Jahr 2018 erhalten habe, komme eine Lohnsteuerpauschalierung nach § 40a Abs. 2 EStG nicht in Betracht. Gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 MiloG sei ein Arbeitgeber, der geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer beschäftige, verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer spätestens bis zum siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Derartige Aufzeichnungen habe die Z. GmbH nicht geführt. Der Vortrag, dass Stundenaufzeichnungen zwar geführt, aber nicht auffindbar seien, sei erst nach der steuerlichen Würdigung durch die Prüferin erfolgt und daher nicht glaubhaft.
24Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 2016, 2018 und 2019 vom 15.07.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 22.02.2022 haben die Antragsteller Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 9 K 562/22 E beim erkennenden Senat anhängig ist.
25Mit ihrem an das Finanzgericht gerichteten Antrag nach § 69 FGO begehren die Antragsteller nunmehr die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2016, 2018 und 2019.
26Eine private Nutzung der Motorräder sei weder im Arbeitsvertrag des Antragstellers L. D. noch in anderen Vereinbarungen schriftlich erlaubt worden, so dass der Antragsgegner für die private Benutzung beweispflichtig sei. Da dem Antragsgegner dieser Beweis nicht gelungen sei, dürfe kein privater Nutzungsvorteil nach der 1%-Regelung angesetzt werden. Insbesondere habe er, der Antragsteller, keine Privatnutzung eingeräumt, sondern lediglich wörtlich ausgesagt: „Die Motorräder wurden für den Geschäftsbereich Motorradkurier angeschafft und sollten später eigentlich privat genutzt werden.“ (Beweis: Vernehmung der Prüferinnen). Damit sei mit keinem Wort ausgesagt worden, dass der Geschäftsführer diese privat nutzen wollte/sollte bzw. wer die Fahrzeuge privat nutzen könnte, sobald eine Genehmigung vorliege. Darüber hinaus habe die X. GmbH den Betriebsbereich „Kurierfahrten“ zum 07.06.2017 eingestellt und die Fahrzeuge, also auch die Motorräder, an die Z. GmbH, die eigens für diesen Geschäftsbereich gegründet worden sei, zur Nutzung abgegeben. Allerdings seien seinerzeit keine Kosten für die Nutzung der Fahrzeuge in Rechnung gestellt worden. Daher wäre eine private Nutzung, selbst wenn diese durchgeführt worden sei, nicht über die X. GmbH zu versteuern, sondern durch die Z. GmbH. Die Motorräder hätten sich zwar im Betriebsvermögen der X. GmbH befunden, seien aber der Z. GmbH zur Nutzung überlassen worden. Der Antragsteller könne heute nicht mehr sagen, ob er dies den Prüferinnen des Antragsgegners seinerzeit auch mitgeteilt habe. Jedenfalls sei (auch) bei der Z. GmbH eine private Nutzung der Fahrzeuge ausgeschlossen gewesen. Die Stundennachweise der Z. GmbH seien dem Antragsgegner durch Briefkasteneinwurf durch eine Zeugin am 23.02.2020 zugestellt worden; bei dem zuvor angegebenen Datum vom 23.02.2019 (Schriftsatz der Antragsteller vom 20.04.2022) handele es sich klar um einen Tippfehler (Schriftsatz der Antragsteller vom 23.05.2022). Die Stundenaufzeichnungen selbst seien nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist von 24 Monaten geschreddert und entsorgt worden. Zudem bestehe gem. § 1 Abs. 2 MiloDokV keine gesetzliche Pflicht zur Führung von Arbeitszeitnachweisen bei Ehegatten, Kindern oder Eltern des Firmeninhabers. Außerdem seien im finanzgerichtlichen Verfahren 9 K 688/20 L Stundenaufzeichnungen der X. GmbH vorgelegt worden.
27Die Antragsteller beantragen,
28die Einkommensteuerbescheide 2016, 2018 und 2019 jeweils vom 15.07.2021 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 18.02.2022 in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen.
29Der Antragsgegner beantragt,
30den Antrag abzulehnen.
31Nach der Rechtsprechung des BFH bestehe ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dienstliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stünden, auch tatsächlich privat genutzt würden. Die Antragsteller hätten diesen Anscheinsbeweis nicht durch einen Gegenbeweis erschüttert. Insbesondere hätten sie nichts zu gleichwertigen privaten Fahrzeugen vorgetragen. Darüber hinaus habe der Antragsteller zunächst selbst ausgeführt, dass die Motorräder rein zur Privatnutzung angeschafft worden seien und die Anmeldung auf die Firma X. GmbH allein aus versicherungstechnischen Gründen erfolgt sei. Nach Erläuterung der steuerlichen Konsequenzen sei der Antragsteller dann im Laufe der Prüfung auf die Darstellung umgeschwenkt, dass eine Privatnutzung nur eventuell erfolgen solle (nachdem die Aufträge für den Kurierdienst bis 12/2017 ausgeblieben seien) bzw. die Anschaffung von vornherein nur betrieblich erfolgt sei. Einmal habe der Antragsteller erklärt, eine Privatnutzung sei untersagt worden, ein anderes Mal habe er ausgeführt, eine Privatnutzung sei nicht explizit erlaubt worden. Im Verlaufe des Verfahrens habe der Antragsteller erklärt, der Sohn der Antragsteller habe die Motorräder auch nutzen können, dies sei nicht geprüft worden. Zuletzt habe der Antragsteller behauptet, die Motorräder seien von der einen GmbH an die andere GmbH überlassen worden und dort dann ggf. die Nutzung untersagt worden. Auch in diesem Falle sei nach Auffassung des Antragsgegners die gleiche steuerliche Folgerung zu ziehen, allerdings bei der anderen GmbH, bei der der Kläger ebenfalls angestellt gewesen sei.
32Es lägen ferner keine Stundenaufzeichnungen aus dem Arbeitsverhältnis des Klägers zur Z. GmbH vor, so dass die Einkommensbesteuerung nicht pauschal, sondern nach dem Tarif durchzuführen sei. Soweit die Antragsteller angäben, dass sie die Stundenaufzeichnungen bereits am 23.02.2019 in den Briefkasten des Antragsgegners eingeworfen hätten, so bestreitet der Antragsgegner dies. Die Lohnsteueraußenprüfung habe erst im Zeitraum vom 26.03.2019 bis zum 16.04.2019 stattgefunden. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb die Antragsteller entsprechende Unterlagen grundlos und unaufgefordert beim Antragsgegner vor der Lohnsteueraußenprüfung eingereicht haben sollten. Zudem habe der Kläger während der Prüfung zunächst angegeben, überhaupt keine Stundenaufzeichnungen für sich geführt zu haben. Auch insoweit habe der Kläger seine Darstellung kurze Zeit später abgeändert und behauptet, die Aufzeichnungen seien digital nicht mehr verfügbar und in Papierform nicht mehr auffindbar. Eine bereits erfolgte Vorlage der Stundenaufzeichnungen sei zu diesem Zeitpunkt nicht erwähnt worden. Auch die Behauptung, die Stundenaufzeichnungen seien inzwischen „geschreddert“ worden, sei nicht schlüssig, denn dann wären Unterlagen, die ggf. eine günstigere Beurteilung des Sachverhalts bestätigen würden, während eines nicht abgeschlossenen Verfahrens vernichtet worden. Die Diskrepanz zwischen den Ausführungen während der Lohnsteueraußenprüfung und im Gerichtsverfahren lasse sich nicht mit einer inzwischen fehlenden Erinnerung an die damalige Prüfung erklären, sondern deute eher darauf hin, dass die Antragsteller den Sachverhalt nun, nachdem die rechtlichen Folgen für die erkennbar geworden seien, für sich günstig abzuändern versuchten. Ohne Aufzeichnungen zur Arbeitszeit sei die Überprüfung der Geringfügigkeit des Arbeitsverhältnisses und einer möglichen Pauschalisierung der Lohnsteuer nach § 40a Abs. 2 und Abs. 2a EStG nicht möglich. Nach § 17 Abs. 1 MiLoG hätten Arbeitgeber gewisse Dokumentationspflichten zu befolgen und die Unterlagen hierzu zwei Jahre lang aufzubewahren. Die von den Antragstellern geforderte Ausnahmeregelung hinsichtlich der Aufzeichnungspflichten für Familienangehörige greife nicht ein. Arbeitgeber sei im Streitfall die juristische Person Z. GmbH und nicht etwa der Sohn der Antragsteller als Einzelunternehmer gewesen. Die GmbH werde durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Der Antragsteller sei somit als Geschäftsführer das vertretungsberechtigte Organ, er sei aber gerade nicht Verwandter von sich selbst.
33Der Senat hat die Akten der Verfahren 9 K 562/22 E, 9 K 2542/21 AO, 9 K 2623/21 AO, 9 V 2619/21 AO, 9 V 2560/21 AO und 9 K 688/20 L beigezogen.
34II.
35Der Antrag hat überwiegend keinen Erfolg.
361. Der Antrag ist zulässig.
37a) Die Antragsteller haben die Einkommensteuerbescheide 2016, 2018 und 2019 i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 2. Halbs. i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO mit ihrem Einsprüchen und ihrer Klage im Verfahren 9 K 562/22 E angefochten.
38b) Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO für eine Antragstellung bei Gericht sind ebenfalls erfüllt. Der Antragsgegner hat vor der Stellung des gerichtlichen Antrags auf AdV mit Schreiben vom 23.03.2022 (Bl. 33 der Gerichtsakte im Verfahren 9 K 562/22 E) mitgeteilt, dass er die Vollstreckung wieder aufnehmen werde, so dass gem. § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO eine Vollstreckung droht.
392. Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet.
40a) Gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag den Verwaltungsakt aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Außerdem kann unter den vorgenannten Voraussetzungen auch eine Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO) erfolgen.
41Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO liegen vor, wenn bei Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von entscheidungserheblichen Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, BFH, Beschluss vom 16.05.2019 – XI B 13/19, BFH/NV 2019, 1043). Bei der notwendigen Abwägung im Einzelfall sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Die AdV setzt jedoch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Gründe überwiegen. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso nicht auszuschließen ist wie der Misserfolg (BFH, Beschluss vom 23.08.2007 – VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799). Dagegen begründet eine vage Erfolgsaussicht noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (BFH, Beschluss vom 11.06.1968 – VI B 94/67, BStBl. II 1968, 657). Im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf AdV beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere die Akten der Behörde oder andere präsente Beweismittel. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (BFH, Beschluss vom 14.02.1989 – IV B 33/88, BStBl. II 1989, 516).
42b) Nach diesen Grundsätzen bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2016, 2018 und 2019 nur in Bezug auf den angesetzten Arbeitslohn wegen einer Nutzungsüberlassung von zwei Motorrädern i.H.v. 1.275 € (2018) bzw. 212 € (2019). Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
43aa) Soweit der Antragsgegner im Jahr 2016 den steuerpflichtigen Arbeitslohn beider Antragsteller um jeweils 1.275 € erhöht hat, ist dies nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
44aaa) Der Antragsgegner konnte den Einkommensteuerbescheid 2016 am 15.07.2021 noch ändern, die Festsetzungsfrist war noch nicht abgelaufen.
45Die Festsetzungsfrist beträgt gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt gem. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO).
46Im Streitfall bestand wegen der Wahl der Steuerklassenkombination III/V sowie des Bezugs von dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünften (Lohnersatzleistungen) über dem gesetzlichen Grenzbetrag von 410 € (Antragsteller 7.918 €, Antragstellerin 126 €) eine Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung (§ 46 Abs. 2 Nr.1, 3a EStG).
47Da die Steuererklärung am 27.03.2017 von den Antragstellern eingereicht wurde, begann die vierjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2017 und endete am 31.12.2021, so dass diese im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides am 15.07.2021 noch nicht abgelaufen war.
48bbb) Die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegen ebenfalls vor. Gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Tatsache, dass der Arbeitslohn in Höhe von jeweils 1.275 € nicht in die Veranlagung einbezogen worden ist, ist dem Antragsgegner erst nach der ursprünglichen Veranlagung im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung aufgrund der vorgelegten Verdienstnachweise bekannt geworden.
49Soweit die Antragsteller die Erhöhung des Arbeitslohns als nicht belegt ansehen, folgt der Senat dem nicht. Aus der Verdienstbescheinigung des Antragstellers für den Monat Dezember 2016 (LSt-Außenprüfungsakte, „Reiter“ Lohnabrechnungen Nov. 16-04/17) ergibt sich, dass der Antragsteller einen Gesamtverdienst in Höhe von 1.275,00 € im Jahr 2016 aus seiner Tätigkeit für die X. GmbH erzielt hat, der zumindest in Höhe von 825 € unter Zugrundelegung der Steuerklasse VI und daher offenbar nicht pauschal abgerechnet worden ist (vgl. „Aufgelaufene Jahressummen, St-Brutto (ohne P)“, wobei P die Abkürzung für eine pauschale Versteuerung ist). Außerdem werden in dieser Dezember-Abrechnung 450 € zwar mit der Bezeichnung „Geringfügige Beschäftigung“ ausgewiesen, ohne dass aber (anders als in der Abrechnung für den Monat November 2016, welche im Übrigen die Lohnsteuerklasse III ausweist) eine 2%-ige Pauschalsteuer einbehalten worden wäre, so dass auch dieser Betrag nach Aktenlage nicht versteuert worden ist. Unter diesen Umständen wäre es Sache der Antragsteller gewesen, den zugrunde liegenden Sachverhalt näher zu erläutern.
50bb) Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Antragsgegner die Einkünfte des Antragstellers aus seiner Tätigkeit für die Z. GmbH in Höhe von 3.300 € im Jahr 2018 zu Recht als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) der Besteuerung nach dem allgemeinen Steuertarif unterworfen hat. Diese Einkünfte sind nicht gemäß § 40 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 40a Abs. 2, 5 EStG bei der Veranlagung zur Einkommensteuer außer Betracht zu lassen, denn die Voraussetzungen für eine steuerliche Pauschalierung liegen nach summarischer Prüfung nicht vor. Es fehlt an den erforderlichen Aufzeichnungen.
51Gem. § 40a Abs. 2 EStG kann der Arbeitgeber unter Verzicht auf den Abruf von elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen (§ 39e Absatz 4 Satz 2) oder die Vorlage einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug (§ 39 Absatz 3 oder § 39e Absatz 7 oder Absatz 8) die Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuern (einheitliche Pauschsteuer) für das Arbeitsentgelt aus geringfügigen Beschäftigungen im Sinne des § 8 Absatz 1 Nummer 1 oder des § 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV), für das er Beiträge nach § 168 Absatz 1 Nummer 1b oder 1c (geringfügig versicherungspflichtig Beschäftigte) oder nach § 172 Absatz 3 oder 3a (versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreite geringfügig Beschäftigte) oder nach § 276a Absatz 1 (versicherungsfrei geringfügig Beschäftigte) des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch zu entrichten hat, mit einem einheitlichen Pauschsteuersatz in Höhe von insgesamt 2 Prozent des Arbeitsentgelts erheben.
52Eine geringfügige Beschäftigung gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV liegt vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450 Euro nicht übersteigt.
53Der Arbeitgeber hat die nach § 40a EStG pauschal besteuerten Bezüge auf dem Lohnkonto zu erfassen (§ 4 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung – LStDV –). Insoweit reicht es aus, wenn sich aus den Aufzeichnungen Name und Anschrift des Arbeitnehmers, Dauer der Beschäftigung, Tag der Zahlung und Höhe des Arbeitslohns ergeben (§ 4 Abs. 2 Nr. 8 Satz 4 LStDV). Die Aufzeichnungen müssen eine Nachprüfung ermöglichen, ob die Voraussetzungen der Pauschalierung erfüllt sind. Pauschale Angaben zu geleisteten Arbeitsstunden reichen nicht aus (Wagner, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 40a Rdn. 15).
54Der Arbeitgeber muss die Zahl der vom einzelnen Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden in den entsprechenden Lohnzahlungszeiträumen festhalten (Wagner, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 40a Rdn. 15; Schmidt/Krüger, EStG, § 40a Rdn. 11; Niestegge in: BeckOK EStG, § 40a Rdn. 77). Kommt der ArbG seinen Aufzeichnungspflichten nicht oder nicht ausreichend nach, macht dies die Pauschalierung jedoch nicht unzulässig, da die Aufzeichnungen keine materiell-rechtliche Voraussetzung der Pauschalierung sind. Der Arbeitgeber muss dann in anderer Weise nachweisen, ob die Voraussetzungen der Pauschalierung erfüllt sind (BFH-Urteil vom 12.06.1986 – VI R 167/83, BStBl. II 1986, 681; Wagner, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 40a Rdn. 15).
55Im Streitfall haben die Antragsteller – anders als die X. GmbH für die Antragstellerin und den Sohn G. D. – keine Stundenaufzeichnungen der Z. hinsichtlich des Antragstellers vorgelegt. Die Antragsteller haben auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie derartige Stundenaufstellungen am 23.02.2019 oder – wie sie nunmehr korrigierend vortragen – am 23.02.2020 in den Briefkasten des Antragsgegners eingeworfen haben. Es ist des Weiteren nicht nachvollziehbar, warum die Stundenaufzeichnungen der Z. GmbH – anders als der Unterlagen der X. GmbH – nicht mehr in Kopie vorhanden sind. Der Vortrag, dass diese Unterlagen nach Ablauf der von den Antragstellern als maßgeblich angesehenen Frist von 24 Monaten „geschreddert“ worden seien, ist nicht plausibel, da diese Aufzeichnungen ersichtlich wegen der im März/April 2019 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung noch von Bedeutung sein konnten. Die Klägerin hat auch nicht in anderer Weise nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen der Pauschalierung gegeben sind.
56cc) Nach summarischer Prüfung ist der Antragsgegner zwar zu Recht von einer privaten (Mit-)Nutzung der Motorräder in den Streitjahren 2018 und 2019 ausgegangen. Ernstlich zweifelhaft ist jedoch, ob deshalb Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) des Antragstellers vorliegen oder ob von verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG an den Sohn des Antragstellers als Alleingesellschafter sowohl der X. GmbH als auch der Z. GmbH auszugehen ist.
57aaa) Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen oder ein Motorrad im Rahmen eines steuerlich anzuerkennenden Dienstverhältnisses zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers (vgl. BFH, Urt. vom 13.06.2013 – VI R 17/12, BStBl. II 2014, 340). Liegt hingegen eine vertragswidrige Nutzung oder eine Nutzung ohne eine fremdübliche Vereinbarung durch den Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft oder einer diesem nahe stehenden Person vor, kann dies zu einer vGA i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG beim Gesellschafter führen (vgl. BFH in BStBl II 2014, 340 zu einem Gesellschafter-Geschäftsführer). Eine derartige vGA setzt allgemein voraus, dass die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat (BFH, Beschl. vom 18.03.2021 – VIII B 76/20, BFH/NV 2021, 1076). Sie kann auch ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter verwirklicht werden, wenn der Vorteil dem Gesellschafter durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahe stehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht (BFH, Urt. vom 10.12.2019 -- VIII R 2/17, BStBl. II 2020, 679). Die vGA i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG weist zumindest in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal gesellschaftliche Veranlassung Parallelen zu der Regelung für vGA auf der Ebene der Gesellschaft in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf. Ist der Gesellschafter ein beherrschender, kann die Vermögensminderung schon dann ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben, wenn der Leistung an den Gesellschafter oder eine diesem nahe stehende Person keine klare und von vornherein abgeschlossene Vereinbarung zugrunde liegt oder die Vereinbarung nach ihrem Inhalt oder ihrer tatsächlichen Durchführung nicht dem entspricht, was zwischen Fremden üblich ist (BFH, Urt. vom 21.10.2014 – VIII R 31/12, GmbHR 2015, 772, zu § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; BFH-Beschl. vom 12.09.2018 – I R 77/16, BFH/NV 2019, 368, zu § 8 Abs. 3 S. 2 KStG). Außerdem kann zur Beurteilung der Fremdüblichkeit zumindest häufig auch auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Vertragsverhältnisse zwischen nahen Angehörigen zurückgegriffen werden (vgl. FG Münster, Urt. v. 14.08.2013 – 2 K 2483/11, EFG 2014, 29).
58bbb) Im Streitfall ist bei summarischer Beurteilung von einer privaten Nutzung oder Mitbenutzung der beiden Motorräder durch den Antragsteller und/oder dessen Sohn auszugehen.
59Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden dienstliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Etwas anderes gilt, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, das typischerweise zum privaten Gebrauch nicht geeignet ist. Soweit keine besonderen Umstände hinzutreten, kann das Finanzgericht aufgrund der Anscheinsbeweisregel regelmäßig davon ausgehen, dass eine private Nutzung stattgefunden hat. Der Beweis des ersten Anscheins kann vom Kläger entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegenteils nicht erforderlich. Der Kläger muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung nicht stattgefunden hat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass vom Kläger ein Sachverhalt dargelegt (und im Zweifelsfall nachgewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (BFH-Urteil vom 19.05.2019 – VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974).
60Nach diesen Grundsätzen besteht im Streitfall ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Motorräder auch privat genutzt worden sind. Die Antragsteller haben diesen Anscheinsbeweis für eine Privatnutzung nicht entkräftet. Ein Privatnutzungsverbot hinsichtlich der Motorräder ergibt sich aus den in den Akten vorliegenden Arbeitsverträgen der Antragsteller mit der X. GmbH nicht. Für eine Privatnutzung spricht, dass der Unternehmensgegenstand Kurierdienst bereits Mitte des Jahres 2017 weggefallen ist. Die Motorräder wurden gleichwohl nicht veräußert, sondern unverändert weiter im Betriebsvermögen der X. GmbH behalten. Soweit die Antragsteller im Rahmen des Aussetzungsverfahrens erstmalig darlegen, dass die X. GmbH die Motorräder der Z. GmbH unentgeltlich überlassen habe, so ändert dies nichts daran, dass bei dieser Gesellschaft, deren Arbeitnehmer und Geschäftsführer der Antragsteller ebenfalls war, gleichermaßen keine ausschließliche Nutzung für eigenbetriebliche Zwecke ersichtlich ist. Auch diese Gesellschaft hatte nicht den Geschäftsgegenstand „Kurierfahrten“. Für eine Privatnutzung spricht des Weiteren, dass der Antragsteller in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Berichts über die Lohnsteueraußenprüfung vom 12.04.2019 selbst dargelegt hat, dass die Motorräder Ende 2017 eigentlich aus dem Geschäft herausgenommen und nur noch privat genutzt werden sollten. Dies impliziert eine vorherige (zumindest auch) private Nutzung. Schließlich fehlen Ausführungen des Antragsteller dazu, ob und ggf. welche anderweitigen privaten Motorräder und PKW ihm sowie seinem Sohn als Alleingesellschafter zur Verfügung standen. Für Zwecke des vorliegenden Aussetzungsverfahrens bedarf es deshalb keines weiteren Eingehens darauf, ob – was die Antragsteller bestreiten – die Darstellung der Prüferinnen zutreffend ist, wonach der Antragsteller gegenüber den Prüferinnen des Antragsgegners zunächst angegeben hatte, dass die Motorräder nichts mit dem Betrieb zu tun hätten, rein privat genutzt würden und nur wegen der günstigeren Flottenversicherung auf den Betrieb angemeldet worden seien.
61ccc) Ausgehend von den unter aaa) dargelegten Grundsätzen erscheint es jedoch ernstlich möglich, dass in Bezug auf die anzunehmende private Nutzung der Motorräder (s. dazu unter bbb) von einer vGA auszugehen sein könnte, die nicht dem Antragsteller, sondern dem Alleingesellschafter G. D. zuzurechnen wäre.
62Der Antragsteller ist der Vater des Alleingesellschafters der X. GmbH bzw. der Z. GmbH und damit eine diesem nahe stehende Person. Vereinbarungen zwischen den beiden vorgenannten GmbHs und dem Antragsteller sind damit auch anhand des sog. formellen Fremdvergleichs zu beurteilen. Eine klare und eindeutige schriftliche Vereinbarung über die private Nutzung der beiden Motorräder durch den Antragsteller liegt nicht vor. Von einer mündlichen Vereinbarung des Antragstellers mit dem Alleingesellschafter, der für den Abschluss und die Änderung der von den vorgenannten GmbHs mit dem Antragsteller als Geschäftsführer abgeschlossenen Anstellungsverträge zuständig wäre (Annexkompetenz zu § 46 Abs. 5 i.V.m. § 5a des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung), dahingehend, dass die Nutzung der beiden Motorräder dem Antragsteller im Rahmen der Anstellungsverträge gestattet sein sollte, kann ebenfalls nicht ausgegangen werden. Zum einen hat der Antragsteller dies bestritten. Zum anderen wäre eine derartige Vereinbarung zumindest teilweise nicht durchgeführt worden, weil insoweit von den beiden GmbHs kein Sachbezug als Arbeitslohn für den Antragsteller erfasst und kein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden ist. Sollte der Alleingesellschafter selbst die Motorräder privat genutzt haben, sind erst recht keine klaren Vereinbarungen ersichtlich. Damit bestehen gewichtige Gründe für Annahme, dass die Nutzungsüberlassung nach den Maßgaben des formellen Fremdvergleichs gesellschaftlich veranlasst war und bereits deshalb als vGA zu beurteilen ist und zu Einkünften des Alleingesellschafters (aber nicht des Antragstellers) führt.
63Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst im Falle einer Nutzungsvereinbarung mit dem Antragsteller eventuell Zweifel an der Fremdüblichkeit bestanden hätten. Denn PKW-Überlassungen bei einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis unter Ehegatten hat der BFH als fremdunüblich beurteilt (vgl. BFH, Urt. vom 10.10.2018 X R 44-45/17, BStBl. II 2019, 203) und es bliebe zu klären, ob bzw. inwieweit die dortigen Rechtsgrundsätze auf Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften mit einem geringen Gesamtvergütungsanspruch übertragbar sind.
643. Die Berechnung der von der Vollziehung ausgesetzten Einkommensteuer 2018 und 2019 wird dem Antragsgegner übertragen (§ 69 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
654. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
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Referenzen
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- 2 K 2483/11 1x (nicht zugeordnet)
- IV B 33/88 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 100 1x
- VIII R 60/06 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 40a Pauschalierung der Lohnsteuer für Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte 1x
- § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1x (nicht zugeordnet)
- VIII B 76/20 1x (nicht zugeordnet)
- 9 K 2542/21 1x (nicht zugeordnet)
- VIII R 31/12 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 2 Nr. 8 Satz 4 LStDV 1x (nicht zugeordnet)
- VI R 167/83 1x (nicht zugeordnet)
- 9 K 2623/21 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 20 4x
- XI B 13/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 8 Abs. 3 S. 2 KStG 1x (nicht zugeordnet)
- VIII R 2/17 1x (nicht zugeordnet)
- 9 K 688/20 2x (nicht zugeordnet)
- VI B 42/07 1x (nicht zugeordnet)
- 9 K 562/22 4x (nicht zugeordnet)
- VI R 17/12 1x (nicht zugeordnet)
- 9 V 2619/21 1x (nicht zugeordnet)
- 9 V 2560/21 1x (nicht zugeordnet)
- VI B 94/67 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 19 2x