Urteil vom Finanzgericht Münster - 7 K 3156/21 Kg
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Klägerin ein Kindergeldgeldanspruch für ihren am 00.05.2000 geborenen Sohn O S zusteht.
3Nach dem Abitur begann ihr Sohn im August 2018 eine Berufsausbildung zum Technischen Produktdesigner mit der Fachrichtung Produktgestaltung und -konstruktion bei der M GmbH. Die Ausbildung sollte bis Januar 2021 dauern. Die Ausbildungsvergütung betrug 986,94 EUR im ersten Ausbildungsjahr, 1.056,49 EUR im zweiten Ausbildungsjahr und 1.147,82 EUR im dritten Ausbildungsjahr (Berufsausbildungsvertrag vom 12.10.2017, Bl. 20 der Gerichtsakte).
4Zum Wintersemester 2018/2019 begann O S ein berufs- oder ausbildungsbegleitendes Verbundstudium „Maschinenbau (Bachelor)“ an der Fachhochschule T in J (vgl. Studienbescheinigung vom 07.02.2021, Bl. 29 der Kindergeldakte). Das Studium besteht aus neun Semestern. Die Studieninhalte werden sowohl im Selbststudium durch Lernbriefe (rund 70 % des Studiums) als auch in Präsenzveranstaltungen (rund 30 % des Studiums) vermittelt (vgl. § 5 Abs. 1 der Studienordnung). Die Präsenzveranstaltungen finden in der Regel alle zwei Wochen samstags und insgesamt an acht Samstagen pro Semester statt. In den ersten fünf Semestern werden Grundlagenfächer wie Mathematik, Technische Mechanik oder Physik durchgenommen. In den folgenden Semestern werden die Kenntnisse in den verschiedenen Anwendungsgebieten vertieft und erweitert (vgl. Flyer zum Studiengang auf der Homepage der Hochschule). Auf der Homepage der Hochschule sind verschiedene Arbeitgeber – unter anderem auch die M GmbH – aufgelistet, welche grundsätzlich bereit sind, ein Verbundstudium zu unterstützen.
5Die Beklagte bewilligte der Klägerin Kindergeld ab Juni 2018 (Bescheid vom 10.04.2018, Bl. 20 der Kindergeldakte).
6Im Dezember 2020 schloss O S mit der M GmbH einen „befristeten Arbeits- und Qualifizierungsvertrag. Die Einstellung erfolgte ab 16.01.2021 als Verbundstudent für Arbeiten der Tariflohn- bzw. Stammlohngruppe EG08 (monatlich brutto 2.883,50 EUR, effektiv (sh. Arbeitszeit) = 2.306,80 EUR). Als Eintrittsdatum war der 15.08.2018 vorgesehen. Der Arbeitsvertrag wurde unter der „auflösenden Bedingung“ geschlossen, dass O S seine Berufsausbildung am 15.01.2021 erfolgreich abschließt. O S wurde als Verbundstudent der Kostenstelle der Personalabteilung zugeordnet (Abschnitt 1). Nach Abschnitt 2 des Vertrages erfolgte zum Zwecke der Erfüllung der Studienverpflichtungen an einem Arbeitstag eine unbezahlte Freistellung von der Arbeit (i.d.R. an einem Freitag). Die Freistellung verminderte die Vergütung und die übrigen zeitabhängigen Ansprüche (z.B. Urlaub). Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug 28 Stunden. Nach Abschnitt 4 des Vertrages war O S verpflichtet, auch andere ihm zugewiesene vergleichbare/zumutbare Arbeiten und Tätigkeiten zu übernehmen. Abschnitt 8 des Vertrages sah vor, dass er nach Abschluss seiner Berufsausbildung zwecks Erfüllung der Zusage gemäß § 4 des Vertrages vom 12.10.2017 im Rahmen einer zeitlichen Befristung mit Sachgrund übernommen wird, damit er im Rahmen eines arbeitsbegleitenden Studiums den Studienabschluss als Bachelor of Engineering erreichen kann. Die Befristung sollte enden mit dem Abschluss des Studiums oder mit Ablauf des Monats, in dem das Studium aufgegeben wird. Bei Überschreitung der Regelstudienzeit von neun Semestern sollte sich der Arbeits- und Qualifizierungsvertrag um längstens zwei Semester verlängern. Für die Anfertigung der Bachelorarbeit war eine bezahlte Freistellung von zwei Wochen vorgesehen. O S erklärte sich bereit, Überstunden und Schichtarbeit zu leisten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Arbeits- und Qualifizierungsvertrag vom 10.12.2020 Bezug genommen (Bl. 18 f. der Gerichtsakte).
7Am 15.01.2021 schoss O S seine Berufsausbildung erfolgreich ab (Bl. 40 der Kindergeldakte).
8Im Rahmen des Arbeits- und Qualifizierungsvertrages wurde O S in verschiedenen Abteilungen der M GmbH (März 2021 bis August 2021: Entwicklung Technologie; September 2021 bis Februar 2022: Entwicklung Automobil; März und April 2022: Qualitätstechnik; Mai und Juni 2022: Qualitätslabor; Juli und August 2022: Industrialisierung Metall/Montage; September 2022 bis November 2022: Erarbeitung des Themas der Bachelorarbeit in den Abteilungen Entwicklung Automobil und Entwicklung Technologie; Dezember 2022: Erarbeitung der Bachelorarbeit) eingesetzt (vgl. Bl. 70 der Gerichtsakte).
9Die Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung ab Februar 2021 auf und führte an, dass der Sohn der Klägerin im Januar 2021 seine Berufsausbildung abschließen werde (Aufhebungsbescheid vom 08.01.2021, Bl. 25 der Kindergeldakte). Mit Bescheid vom 11.02.2021 lehnte sie die Bewilligung von Kindergeld ab Februar 2021 ab und führte unter Hinweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG – an, dass ihr Sohn bereits eine erste Berufsausbildung abgeschlossen habe und nunmehr einer im Vordergrund stehenden Erwerbstätigkeit nachgehe (Bl. 35 der Kindergeldakte). Mit Schreiben vom 23.03.2021 – eingegangen bei der Beklagten am 26.03.2021 – legte die Klägerin Einspruch gegen den Bescheid vom 11.02.2021 ein (Bl. 38 der Kindergeldakte). Die Beklagte verwarf den Einspruch als unzulässig (Einspruchsentscheidung vom 30.03.2021, Bl. 44 der Kindergeldakte).
10Mit Bescheid vom 09.09.2021 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld ab dem Monat März 2021 ab (Bl. 69 der Kindergeldakte).
11Die Klägerin legte Einspruch ein (Bl. 82 der Kindergeldakte) und teilte mit, dass ihr Sohn sein Bachelorstudium voraussichtlich im März 2023 abschließen werde und dass das Studium mit ungefähr 23 Wochenstunden stattfinde (Bl. 66 ff. der Kindergeldakte). Zudem legte sie eine Bestätigung der M GmbH vom 14.09.2021, wonach die Ausbildung voraussichtlich bis 01.01.2023 dauern werde (Bl. 76 der Kindergeldakte), sowie eine Bescheinigung der Fachhochschule vom 01.12.2021, wonach im siebten Fachsemester ein wöchentlicher Arbeitsaufwand von ca. 22 Stunden (Bearbeitung von Lernbriefen und Präsenzveranstaltungen) vorgesehen sei, vor (Bl. 88 der Kindergeldakte).
12Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 09.12.2021 als unbegründet zurück und führte an, dass die Ausbildungsmaßnahme gegenüber der Berufstätigkeit des Kindes in den Hintergrund trete (Bl. 89 ff. der Kindergeldakte).
13Mit der dagegen gerichteten Klage macht die Klägerin ergänzend geltend, dass in dem gesamten Verbundstudium eine Erstausbildung zu sehen sei. Hierfür spreche, dass ihr Sohn keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehe, sondern an einem Tag pro Woche unbezahlt freigestellt und als Verbundstudent angestellt sei. Auch sei der Arbeits- und Qualifizierungsvertrag auf Grund der Zusage in dem Ausbildungsvertrag abgeschlossen worden. Auf der Homepage der Hochschule werde ausgeführt, dass die Studieninhalte in den Grundsätzen mit Vertretern der regionalen Unternehmen abgestimmt seien. Auch sei zu beachten, dass andere Studierende weiterhin Kindergeld erhielten.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09.09.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.12.2021 zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihren Sohn O S ab dem Monat März 2021 zu bewilligen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Der Senat hat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (Beschluss vom 05.07.2022).
19Die Sache wurde am 17.08.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe
21Die Klage ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid vom 09.09.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.12.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ihr steht kein Kindergeldanspruch für ihren Sohn ab März 2021 zu (§ 101 Satz 1 FGO). Der Kindergeldanspruch ist nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen, da ihr Sohn mit der Ausbildung zum Technischen Produktdesigner eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen hat (dazu I.), kein Ausbildungsdienstverhältnis nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG vorliegt (dazu II.) und für die rechtliche Beurteilung unerheblich ist, ob bei anderen Studierenden in gleichgelagerten Fällen ein Kindergeldanspruch bejaht worden ist (dazu III.).
22I. Der Kindergeldanspruch ist nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen, da der Sohn der Klägerin mit der Ausbildung zum Technischen Produktdesigner bereits eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen hat.
231. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG).
24a) Bei der Erstausbildung muss es sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln. Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt. Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildenden Schule erfolgen soll. Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächstmöglichen Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient (BFH-Urteil vom 17.01.2019 III R 8/18, BFH/NV 2019, 815 m.w.N.).
25b) An einer einheitlichen Erstausbildung kann es auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden, für die vor allem die nachfolgenden Kriterien von Bedeutung sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 17.01.2019 III R 8/18, BFH/NV 2019, 815 m.w.N.):
26aa) Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20-Stundengrenze allenfalls geringfügig, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden liegen wird, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Ausschlag geben. Führt das Kind etwa neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Arbeitstätigkeit ein Vollzeitstudium an der Universität durch, kann auch weiter der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen.
27bb) Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Wird z.B. ein Geselle oder Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Denn ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre (z.B. Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel) oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (z.B. bei einem Bachelor, der während des nachfolgenden Masterstudiums mit 19 Stunden als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist und daneben drei Nachhilfestunden pro Woche gibt), kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.
28cc) Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur "neben der Berufstätigkeit" durchgeführt werden. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind (BFH-Urteil vom 17.01.2019 III R 8/18, BFH/NV 2019, 815).
292. Nach diesen Grundsätzen ist die Ausbildung zum Technischen Produktdesigner als erstmalige Berufsausbildung anzusehen.
30a) Bei der Ausbildung handelt sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang. Der Abschluss erfolgt in der Form einer Prüfung und der Sohn der Klägerin erwirbt durch die Ausbildung die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen.
31b) In der Ausbildung zum Technischen Produktdesigner und dem Verbundstudium ist keine einheitliche Erstausbildung zu sehen.
32Zwar spricht einiges dafür, dass die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Allerdings ist bei Anwendung der vom Bundesfinanzhof aufgestellten Kriterien in der Gesamtabwägung davon auszugehen, dass das Verbundstudium gegenüber der Beschäftigung im Rahmen des Arbeits- und Qualifizierungsvertrages in den Hintergrund tritt.
33aa) Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich der Sohn der Klägerin längerfristig an die M GmbH gebunden hat, indem er ein bis zu dem Ende seines Studiums und damit voraussichtlich auf zwei Jahre befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit – nämlich 28 Stunden – eingegangen ist.
34Der gesamte Arbeitsaufwand für das Studium beträgt nach dem Vortrag der Klägerin nur 23 Stunden bzw. nach der Bescheinigung der Fachhochschule 22 Stunden. Zudem kann der Zeugenaussage des Sohnes, er habe die arbeitsfreien Freitage – insbesondere zu Beginn des Semesters – nicht immer für das Selbststudium genutzt, entnommen werden, dass der zeitliche Aufwand in den ersten Semesterwochen geringer als 22 bzw. 23 Stunden ausgefallen sein wird.
35bb) Ohne die Ausbildung zum Technischen Produktdesigner hätte der Sohn der Klägerin seine Beschäftigung im Rahmen des Arbeits- und Qualifizierungsvertrages nicht aufnehmen können. Damit hat er die durch die Berufsausbildung erlangte Qualifikation genutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben.
36Hierfür spricht, dass der Arbeits- und Qualifizierungsvertrag unter der Bedingung geschlossen wurde, dass der Sohn seine Ausbildung zum Technischen Produktdesigner abschließt. Auch liegt die Vergütung leicht über dem durchschnittlichen Einstiegsgehalt eines Produktdesigners (2.500 EUR brutto, vgl. https://www.ausbildung.de/berufe/technischer-produktdesigner/gehalt/).
37Angesichts dieser Umstände fällt nicht ins Gewicht, dass der Arbeits- und Qualifizierungsvertrag nicht auf eine dauerhafte Beschäftigung angelegt ist, sondern nur für die Zeit bis zum Abschluss des Bachelorstudiums abgeschlossen worden ist.
38cc) Auch wird die Beschäftigung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht „neben der Ausbildung“ durchgeführt. Vielmehr geht der Sohn der Kläger seinem Verbundstudium „neben der Berufstätigkeit“ nach. Dies zeigt sich darin, dass seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 28 Stunden beträgt, während das Studium in der Regel nur an dem arbeitsfreien Freitag sowie am Abend und am Wochenende durchgeführt wird. Angesichts dieser Zeiteinteilung fällt nicht in ins Gewicht, dass der Sohn vereinzelt auch während der Arbeitszeit gelernt haben mag.
39dd) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Sohn der Klägerin die weitergehende Ausbildungsmaßnahme – also das Verbundstudium – bereits während seiner Berufsausbildung im Rahmen eines dualen Studiums begonnen hat und dass er nach Abschluss seiner Ausbildung im Rahmen eines „Arbeits- und Qualifizierungsvertrages“ angestellt worden ist. Beide Umstände zeigen lediglich, dass die gesamte Ausbildung mit dem Abschluss der Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen war, lassen aber keinen Rückschluss darauf zu, ob der zweite Ausbildungsabschnitt im Verhältnis zur Erwerbstätigkeit im Vordergrund steht.
40II. Es liegt kein Ausbildungsdienstverhältnis im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG vor.
411. Ein Ausbildungsdienstverhältnis setzt nach der Rechtsprechung zum Lohnsteuerrecht nicht nur ein Dienstverhältnis besonderer Art voraus, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist. Hinzukommen muss, dass die Ausbildungsmaßnahme selbst Gegenstand und Ziel des Dienstverhältnisses ist, die Ausbildung mithin verpflichtender Gegenstand des Arbeitsvertrages ist und die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung, für die der Arbeitgeber bezahlt, in der Teilnahme an der Berufsausbildungsmaßnahme besteht. In Abgrenzung hierzu reicht somit ein normales Dienst- oder Arbeitsverhältnis, das schwerpunktmäßig durch die Erbringung einer Arbeitsleistung nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen die Zahlung von Entgelt charakterisiert wird, nicht aus. Selbst wenn das Dienstverhältnis neben der Arbeitsleistung auch berufliche Fortbildungen und Qualifizierungen des Arbeitnehmers zum Gegenstand hat, diese aber nicht den wesentlichen Inhalt des Vertrages ausmachen, wird das Dienstverhältnis nicht zu einem Ausbildungsdienstverhältnis (BFH-Urteil vom 23.06.2015 III R 37/14, BStBl II 2016, 55).
42Nach A 20.3.2 Abs. 2 DA-KG 2022 fehlt es bei berufsbegleitenden und berufsintegrierten dualen Studiengängen häufig an einer Ausrichtung der Tätigkeit für den Arbeitgeber auf den Inhalt des Studiums, sodass in solchen Fällen die Annahme eines Ausbildungsdienstverhältnisses ausscheidet. Liegt hingegen eine Verknüpfung zwischen Studium und praktischer Tätigkeit vor, die über eine bloße thematische Verbindung zwischen der Fachrichtung des Studiengangs und der in dem Unternehmen ausgeübten Tätigkeit oder eine rein organisatorische Verzahnung hinausgeht, ist die Tätigkeit als im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses ausgeübt zu betrachten.
432. Nach diesen Grundsätzen begründet der „Arbeits- und Qualifizierungsvertrag“ kein Ausbildungsdienstverhältnis.
44Zwar lassen die Vertragsbezeichnung und der Umstand, dass der Sohn der Klägerin in verschiedenen Abteilungen eingesetzt wird, darauf schließen, dass der Vertrag auch die berufliche Fortbildung des Sohnes zum Gegenstand hat. Hierfür spricht auch, dass sich die M GmbH auf der Homepage der Fachhochschule bereit erklärt hat, ein Verbundstudium zu unterstützen.
45Die Fortbildung macht aber nicht den wesentlichen Inhalt des Vertrages aus. Vielmehr wird der Vertrag schwerpunktmäßig durch die Erbringung einer Arbeitsleistung nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen die Zahlung von Entgelt charakterisiert. Hierfür spricht, dass der Sohn der Klägerin eine Vergütung erhält, die nicht unter dem Einstiegsgehalt eines Produktdesigners liegt, seine Tätigkeiten – ausweislich seiner Zeugenaussage – auch eigenverantwortlich durchführt und nach dem Vertragsinhalt auch zu anderen zumutbaren Arbeiten sowie zu Überstunden und Schichtarbeit verpflichtet ist. Auch sind die Beschäftigung und das Studium nicht in der Weise aufeinander abgestimmt, dass die für den Einsatz in den jeweiligen Abteilungen erforderlichen Kenntnisse parallel auch in dem Studium durchgenommen würden.
46III. Schließlich kann offen bleiben, ob bei anderen Studierenden in gleichgelagerten Fällen ein Kindergeldanspruch bejaht worden ist. Denn der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) gewährt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis. Eine „Gleichheit im Unrecht“ gibt es nicht (BFH-Urteil vom 24.02.2010 III R 3/08, BFH/NV 2010, 1262).
47IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
48Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Die Entscheidung ist auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ergangen. Nach Auffassung des Gerichts sind die Grundsätze, die der Bundesfinanzhof für mehraktige Berufsausbildungen aufgestellt hat, auch auf duale Studiengänge – also auf Studiengänge, welche neben einer Berufsausbildung aufgenommen werden – anzuwenden. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann nicht entnommen werden, dass insoweit andere Kriterien heranzuziehen wären.
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Referenzen
- EStG § 32 Kinder, Freibeträge für Kinder 2x
- 2019 III R 8/18 3x (nicht zugeordnet)
- 2010 III R 3/08 1x (nicht zugeordnet)
- 2015 III R 37/14 1x (nicht zugeordnet)