Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 K 2189/03



Tatbestand

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Streitig ist, ob Tagesheimkosten als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 9 Einkommensteuergesetz -EStG- und Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind.

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Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung. Er ist seit November 1997 geschieden und Vater der 1985 bzw. 1987 geborenen Kinder A und S, die in seinem Haushalt leben.

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In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 machte der Kläger u.a. Tagesheimkosten des F-Gymnasiums in Höhe von 1.350,00 DM (Bl. 4 ESt-Akten) als Sonderausgaben geltend (Bl. 48 ESt-Akten). Daneben beantragte er die Anerkennung von Kinderbetreuungskosten in Höhe von 7.350,00 DM (Bl. 10 ESt-Akten) als außergewöhnliche Belastungen (Bl. 48 R ESt-Akten).

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Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 16. Juli 2002 berücksichtigte der Beklagte im Rahmen der Berechnung des zu versteuernden Einkommens des Klägers einen Freibetrag für Kinder von 19.872,00 DM sowie einen Haushaltsfreibetrag von 5.616,00 DM; gleichzeitig wurde bei der Festsetzung der Einkommensteuer das an den Kläger ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 6.480,00 DM der ermittelten tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet. Die vom Kläger geltend gemachten Tagesheim- und Kinderbetreuungskosten erkannte der Beklagte nicht an.

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Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und trug hinsichtlich der vorliegend noch im Streit stehenden Aufwendungen vor, dass Betreuungskosten in tatsächlicher Höhe als Minderung der Steuerschuld zu berücksichtigen seien. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass dem Gesetzgeber bei der Auslegung des § 33 c EStG kein Spielraum für den Abzug einer zumutbaren Eigenbelastung zustehe. Die Kinderbetreuungskosten minderten regelmäßig - als stetige Wahrnehmung  der elterlichen Erziehungsverantwortung durch Drittbetreuung - die steuerliche Leistungsfähigkeit in einem existenznotwendigen Bedarf und stünden deshalb für eine Einkommensbesteuerung nicht zur Verfügung.

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Nachdem der Beklagte unter dem 11. April 2003 im Hinblick auf weitere Einwendungen des Klägers einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erlassen hatte, wies er mit Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2003 den Einspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass in den Veranlagungszeiträumen 2000 und 2001 der Betreuungsbedarf für ein Kind ausschließlich durch das Kindergeld oder den Betreuungsfreibetrag berücksichtigt werde. Die Berücksichtigung eines erwerbsbedingten Betreuungsaufwands sei nach der Rechtsprechung entbehrlich geworden, weil das Gericht einen derartigen Bedarf allgemein für Eltern feststelle und zum Kinderfreibetrag des Kindes rechne. Das Bundesverfassungsgericht habe den Gesetzgeber verpflichtet, den Betreuungsaufwand für ein Kind als Bestandteil des kinderbedingten Existenzminimums stets von der Einkommensteuer freizustellen und die Anwendung des für verfassungswidrig erkannten § 33 c EStG a. F. letztmals bis zum Veranlagungszeitraum 1999 zugelassen. Die Neuregelung des Betreuungsaufwands zusammen mit dem Kinderfreibetrag und dem Wegfall der Kinderbetreuungskosten nach § 33 c EStG a. F. sei somit verfassungsrechtlich geboten gewesen. Die Regelung für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2001 sei verfassungskonform.

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Dem Antrag des Klägers, die Tagesheimkosten in Höhe von 1.350,00 DM für die Betreuung der Tochter als Schulgeld im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu berücksichtigen, könne nicht entsprochen werden. Zwar handele es sich bei dem F-Gymnasium um eine gem. Art. 7 Abs. 4 Grundgesetz -GG- staatliche genehmigte Ersatzschule, für die jedoch kein Schulgeld gezahlt werde. Die entstandenen Kosten des Klägers seien ein Entgelt für die Betreuung seiner Tochter, welches gem. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ausdrücklich nicht als Schulgeld zum Abzug zugelassen werde.

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Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er trägt vor, dass er im Jahr 2000 ganztätig berufstätig gewesen sei. Um sein Einkommen zu erzielen, ohne dass seine Kinder Schaden leiden müssten, habe er diese betreuen lassen müssen. Dadurch seien ihm die geltend gemachten Aufwendungen entstanden. Kinderbetreuungskosten, die auf Grund der Erwerbstätigkeit der Eltern anfielen, minderten deren steuerliche Leistungsfähigkeit. Dies ergebe sich zunächst aus Art. 3 Abs. 1 GG. Erwerbsbedingte Betreuungskosten reduzierten das Einkommen ebenso wie andere Werbungskosten oder Betriebsausgaben. Auch Artikel 3 Abs. 2 GG gebiete die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für die Kinderbetreuung. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (vgl. BVerfGE 99, 216) ergebe sich die Notwendigkeit, diese Kosten zum Abzug zuzulassen. Die im Einkommensteuerrecht vorgesehenen Entlastungen für die Kinderbetreuung reichten nicht aus. So beziehe sich etwa § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG lediglich auf hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse. Ähnliches gelte für den Betreuungsfreibetrag in § 32 Abs. 6 EStG, der erst ab einem sehr hohem Einkommen Wirkung zeige.

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Der Kläger beantragt,

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den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 11. April 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2003 dahingehend zu ändern, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von 1.350,00 DM und weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 7.350,00 DM berücksichtigt werden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verweist auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, im Einkommensteuerrecht seien Kinderbetreuungskosten weder Werbungskosten noch Betriebsausgaben, selbst wenn durch die Fremdbetreuung des Kindes die Berufstätigkeit erst ermöglicht werde. Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sei zunächst für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2001 in § 32 Abs. 6 EStG neben dem Kinderfreibetrag ein typisierender Betreuungsfreibetrag in Höhe von 3.024,00 DM für ein Elternpaar eingeführt worden. Für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2001 werde der Betreuungsbedarf ausschließlich durch das Kindergeld oder den Betreuungsfreibetrag abgedeckt.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid vom 11. April 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2003 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

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Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die geltend gemachten Tagesheim- und Kinderbetreuungskosten als Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Der Senat folgt den Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2003 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 105 Abs. 5 FGO).

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Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs im Veranlagungszeitraum 2000 auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der erkennende Senat folgt, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

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Nach § 32 Abs. 6 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552) wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 3.456 DM für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie für jedes Kind, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert im Sinne des Absatzes 4 Satz 1 Nr. 3 ist, zusätzlich ein Betreuungsfreibetrag von 1.512 DM vom Einkommen abgezogen. Damit wird der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, wonach im Rahmen der Steuerfreistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes bei der Besteuerung der Eltern nicht nur der sächliche Mindestbedarf, sondern auch ein Betreuungsbedarf anzusetzen ist, dadurch entsprochen, dass für jedes Kind, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, zusätzlich zum Kinderfreibetrag ein Betreuungsfreibetrag eingeführt wird, der allen Eltern unabhängig von konkreten Aufwendungen zusteht.

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Die in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG gewährten Freibeträge genügen in ihrer Höhe den Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. zum sächlichen Existenzminimum BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60; vom 25. September 1992, 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153; vom 10. November 1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246; vgl. zum Betreuungsbedarf als Bestandteil des familiären Existenzminimums BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998,

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2 BvR 980/91, 1057/91, 1226/91, BVerfGE 99, 216), wie auch der Bundesfinanzhof zu Steuerpflichtigen mit Kindern unter 16 Jahren entschieden hat (vgl. BFH, Urteil vom 11. März 2003, VIII R 76/02, BFH/NV 2003, 1303; vgl. auch Hessisches FG, Urteil vom 27. Januar 2004, 13 K 1234/02, EFG 2004, 992). Dies steht im Einklang mit der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. z.B. Jachmann in Kirchhoff/Söhn, EStG, Loseblatt, § 32 Rdnr. A 89 a; Glanegger in Schmidt, EStG, 23. Aufl., § 32 Rdnr. 3; Heuermann in Blümich, EStG, Loseblatt, § 32 Rdnr. 22).

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Wie der Bundesfinanzhof mit Urteilen vom 26. Februar 2002 (VIII R 92/98, BStBl II 2002, 596) und vom 13. August 2002 (VIII R 80/97, BFH/NV 2002, 1456) dargelegt hat, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 6 GG kein Gebot zu entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise und einem bestimmten Umfang zu gewähren und jegliche die Familien treffenden Belastungen auszugleichen. Der Gesetzgeber war lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1990 und vom 10. November 1998, 2 BvL 42/93, a.a.O.) und ab dem Jahr 2000 zusätzlich einen Betreuungsbedarf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998, 2 BvR 980/91, 1057/91, 1226/91, a.a.O.) im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen. Die Berücksichtigung eines individuellen erwerbsbedingten Betreuungsaufwands ist entbehrlich geworden, weil das Bundesverfassungsgericht einen derartigen Bedarf allgemein für Eltern feststellt und zu den Freibeträgen für Kinder rechnet. Dementsprechend besteht kein Recht auf steuerliche Anerkennung aller im Einzelfall entstandenen erwerbsbedingten Betreuungskosten (vgl. BFH, Urteil vom 11. März 2003, a.a.O.).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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