Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (1. Senat) - 1 K 2194/12

I. Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 4. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 werden aufgehoben.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Streitig ist, ob der Einkommensteuerbescheid für 2010 nach § 10 Abs. 2a Satz 8 Einkommensteuergesetz -EStG- geändert werden kann.

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Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In ihrer Einkommensteuererklärung, die am 24. Januar 2011 beim Beklagten eingegangen ist, haben sie u.a. in der Anlage Vorsorgeaufwand die Beiträge zur Krankenversicherung (nur Basisabsicherung, keine Wahlleistungen) in Höhe von 9.178,00 € erklärt (Bl. 22 ESt-Hefter). Von der Einkommensteuererklärung für 2010 wurde im Einkommensteuerbescheid vom 29. März 2011 nicht abgewichen. Im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2011 erfolgte ein nachgelagerter elektronischer Abgleich der Basiskranken- und gesetzlichen Pflegeversicherungsbeiträge für den Veranlagungszeitraum 2010, da die Kläger gegenüber dem Versicherungsunternehmen in die Datenübermittlung nach § 10 Abs. 2 a EStG an die zentrale Stelle (nach § 81 EStG die Deutsche Rentenversicherung Bund) eingewilligt haben. Da sich hierbei Abweichungen ergaben, wurde der Einkommensteuerbescheid nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG am 4. April 2012 geändert. Nach dem Datenabgleich betragen in 2010 die im Streitjahr entrichteten Beiträge zur Krankenversicherung für die Basisabsicherung des Ehemannes 6.988,00 € und 2.492,00 € für die Wahlleistungen.

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Hiergegen haben die Kläger Einspruch eingelegt, der mit Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

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Mit der Klage tragen die Kläger vor, dass der Einkommensteuerbescheid nicht nach § 10  Abs. 2a EStG geändert werden könnte, da keine Daten nach § 10 Abs. 2 a Satz 4 EStG nach einer Steuerfestsetzung übermittelt worden seien. Die Beiträge seien bereits im Februar 2011 an die Deutsche Rentenversicherung Bund elektronisch übermittelt worden, so dass sie bei der Veranlagung 2010 im März 2011 dem Finanzamt zur Verfügung gestanden hätten. Die Veranlagung sei etwa einen Monat nach elektronischer Übermittlung erfolgt. Das Finanzamt habe die übermittelten Krankenversicherungsbeiträge nicht berücksichtigt und insofern einen rechtswidrigen, jedoch  wirksamen Steuerbescheid erlassen. In der Pressemitteilung der OFD vom 12. April 2011 habe diese mitgeteilt, dass es bei der Bereitstellung dieser elektronischen Daten und ihrer Verfügbarkeit zu Verzögerungen gekommen sei, die sich auf die Bearbeitung der Steuererklärungen 2010 ausgewirkt hätten. Weiterhin heiße es dort, dass es inzwischen jedoch möglich sei, die aus diesem Grund zurückgestellten Steuererklärungen abschließend zu bearbeiten. Der Finanzverwaltung sei es somit bewusst gewesen, dass es Probleme im Zusammenhang mit den elektronisch übermittelten Daten (Krankenversicherung, Altersversorgungsbeiträge usw.) der verschiedenen Stellen gegeben habe. Die Erklärung sei auch nicht zurückgestellt worden, so dass offensichtlich bei dieser Veranlagung das eben beschriebene Problem nicht vorgelegen hätte. Ansonsten wäre die Veranlagung zurückgestellt worden. Diese Komplikationen habe es auch im gesamten Bundesgebiet gegeben. Andere Oberfinanzdirektionen hätten das Problem insofern gelöst, dass sie die Veranlagung vorläufig vorgenommen hätten und bei tatsächlich erfolgter Datenübermittlung Steuerbescheide korrigiert hätten. Das Finanzamt habe den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 29. März 2011 unter § 165 Abs. 1 Satz 2 AO erlassen, so dass der Bescheid nur hinsichtlich der im Bescheid genannten Vorläufigkeitsmerkmale vorläufig gewesen sei. Daraus sei zu schließen, dass auch der Bereich der Sonderausgaben abschließend geprüft worden sei und eine vorläufige Steuerfestsetzung hinsichtlich dieses Problems nicht notwendig gewesen sei. Somit sei das Finanzamt an die Steuerfestsetzung nach § 124 Abs. 1 AO gebunden. Nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG könne ein Steuerbescheid geändert werden, soweit Daten nach den Sätzen 4, 6 oder 7 übermittelt worden seien. Der Einkommensteuerbescheid könne nicht mehr geändert werden, da die Steuerfestsetzung bereits mit den falschen Daten erfolgt sei, obwohl die richtigen Daten bereits bei der Veranlagung vorgelegen hätten. Nach der erstmaligen Steuerfestsetzung seien keine der in § 10 Abs. 2 a Satz 4, 6 und 7 EStG genannten Daten übermittelt worden. Im Laufe des Jahres 2011 sei der § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften überarbeitet worden und habe dadurch eine neue Qualität erreicht. Danach könnten Bescheide geändert werden, wenn Daten nach § 10 Abs. 2 a Satz 4 EStG vorliegen würden, die zu einer Änderung der Steuer führten. Jedoch habe der Gesetzgeber hierzu eine Anwendungsvorschrift erlassen (§ 52 Abs. 24 Satz 5 EStG), nach der die geänderte Fassung auch für den Veranlagungszeitraum 2011 sowie für den Veranlagungszeitraum 2010 gelte, soweit am 14. Dezember 2011 noch keine erstmalige Steuerfestsetzung erfolgt sei. Da die erstmalige Steuerfestsetzung der Kläger für das Jahr 2010  mit Bescheid vom 29. März 2011 erfolgt sei, könne eine Korrektur nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG n.F. nicht erfolgen.

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Die Kläger beantragen,
den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 4. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt er aus, dass eine Änderung nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG in Betracht komme. Die Änderungsvorschrift sei lex specialis gegenüber den allgemeinen Änderungsvorschriften. Nach dieser Regelung könne eine Steuerfestsetzung innerhalb der Festsetzungsfrist jederzeit erfolgen. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sei die Änderungsvorschrift in den Fällen der erstmaligen Übermittlung (Satz 4), der erstmaligen Übermittlung bei Zustimmung nach Ablauf des Beitragsjahres bis zum Ende des auf die Zustimmung folgenden Quartals (Satz 6) und der korrigierten oder stornierten Übermittlung (Satz 7) anwendbar. Für eine Korrektur des Steuerbescheides nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG komme es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Datenübermittlung erfolgt sei. Weder aus der Vorschrift des § 10 Abs. 2 a Satz 4 EStG noch aus der Vorschrift des § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung vom 16. Juli 2009 (EStG a.F.) sei zu entnehmen, dass die Frage der Änderungsmöglichkeit davon abhängig sei, ob die Datenermittlung an die zentrale Stelle vor oder nach einer durchgeführten Steuerfestsetzung erfolge. Vielmehr regele § 10 Abs. 2 a Satz 4 EStG a.F. lediglich, dass die übermittelnde Stelle (hier Central Krankenversicherungs AG) bei Vorliegen einer Einwilligung (sei im Jahr 2010 erfolgt) im Fall der Nr. 2 (Kranken- und Pflegeversicherung) unter Angabe der Vertrags- oder Versicherungsdaten, des Datums der Einwilligung und der Identifikationsnummer nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung an die zentrale Stelle bis zum 28. Februar des dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres (hier 28. Februar 2011) zu übermitteln habe. Da die Datenübermittlung an die zentrale Stelle lt. Sachverhaltsdarstellung der Kläger im Februar 2011 erfolgt sei, sei § 10 Abs. 2 a Satz 4 EStG a.F. erfüllt und der ursprüngliche Einkommen-steuerbescheid 2010 könne somit nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG a.F. geändert werden. Von dieser Änderungsmöglichkeit sei nach Prüfung der Abweichungen der erklärten von den übermittelten Daten unter Berücksichtigung der sich daraus ergebenden steuerlichen Auswirkungen Gebrauch gemacht worden. Aus der Pressemitteilung der OFD vom 12. April 2011 sei nicht zu entnehmen, dass für die rheinland-pfälzischen  Finanzämter die Verpflichtung bestanden habe, die Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen auf Grund der bestehenden Datenübermittlungsproblematik zurückzustellen. Darüber hinaus existiere keine entsprechende Verwaltungsanweisung. Dies schließe jedoch nicht aus, dass andere rheinland-pfälzische Finanzämter in freier Entscheidung die Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen zurückgestellt hätten. Ergänzend sei auszuführen, dass die abschließende Bearbeitung (Datenfreigabe) der Einkommensteuererklärung 2010 am 14. März 2011 um 16:20 Uhr erfolgt sei. Dem Finanzamt hingegen seien die Daten in Bezug auf die Basisabsicherung von der zentralen Stelle jedoch erst nach der abschließenden Bearbeitung zur Verfügung gestellt worden. Nachweislich sei dies für die Daten, die auf den Ehemann lauten würden, erst am 14. März 2011 um 22:52 Uhr und für die Daten, die auf die Kinder lauteten, um 23:51 Uhr erfolgt. Die Neufassung des § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG sei ab Gesetzesverkündung (14. Dezember 2011) auch für die Veranlagungszeiträume 2010 und 2011 anwendbar, wenn insoweit Einkommensteuerbescheide erstmals nach dem Inkrafttreten erlassen worden seien. Die Tatsache, dass gegenüber den Klägern bereits am 29. März 2011 ein Einkommensteuerbescheid für 2010 erlassen worden sei, schließe die Anwendung der Neufassung aus.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen (§ 105 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

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Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 4. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2012 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Unrecht nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG einen geänderten Steuerbescheid erlassen.

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Nach § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG kann ein Steuerbescheid geändert werden, soweit Daten nach den Sätzen 4, 6 oder 7 übermittelt worden sind. Im Streitfall kommt Satz 4 in Betracht, da danach die Daten bei Vorliegen einer Einwilligung (Kranken- und Pflegeversicherung) unter Angabe der Vertrags- oder Versicherungsdaten, des Datums der Einwilligung und der Identifikationsnummer nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Datenfernübertragung an die zentrale Stelle bis zum 28. Februar des dem Beitragsjahr folgenden Kalenderjahres übermitteln worden sind. Nach § 52 Abs. 24 Satz 4 EStG ist § 10 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 2 a Satz 4 i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes vom 8. Dezember 2010 erstmals für die Übermittlung der Daten des Veranlagungszeitraumes 2011 anzuwenden. Hierbei handelt es sich um § 10 Abs. 2 a EStG a.F. Die Neufassung des § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 gilt auch für den Veranlagungszeitraum 2011 sowie für den Veranlagungszeitraum 2010, soweit am 14. Dezember 2011 noch keine erstmalige Steuerfestsetzung erfolgt ist (§ 52 Abs. 24 Satz 5 EStG ). Im Streitfall ist aber der erstmalige Einkommensteuerbescheid für 2010 bereits am 29. März 2011 erlassen worden.

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Auch eine Änderung gem. § 10 Abs. 2 Satz 5 EStG a.F. kommt nicht in Betracht. Nach den Unterlagen des Beklagten ergibt sich, dass die Datenfreigabe für den erstmaligen Einkommensteuerbescheid 2010 am 14. März 2011 um 16:20 Uhr erfolgt ist. Die Datenübermittlung ist am 14. März 2011 um 22:53 Uhr bzw. 23:51 Uhr dem Finanzamt zur Verfügung gestellt worden. Auf diese Uhrzeit kommt es aber nicht an, da nach § 10 Abs. 1 Satz 5 EStG a.F. der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides maßgebend ist. Die erstmalige Steuerfestsetzung für das Jahr 2010 ist mit Einkommensteuerbescheid vom 29. März 2011 erfolgt, also nach dem Zeitpunkt, zu dem die Datenübermittlung an das Finanzamt erfolgt ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151, 155 Abs. 1 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 713 FGO.

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