Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 K 1083/11 Z

Diese Entscheidung zitiert ausblendenDiese Entscheidung zitiert


Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Festsetzung einer Zusatzabgabe für Milchanlieferungen  i.H.v. 15.917,90 €.

2

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb und ist Inhaberin einer Anlieferungsreferenzmenge.

3

Mit Bescheid vom 23.10.2009 setzte das beklagte Hauptzollamt (HZA) gegen die Klägerin gemäß Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1788/2003 (bis 31.03.2004: VO Nr. 3950/92) i.V.m. § 2 Nr. 1 und § 4  der Verordnung zur Durchführung der Zusatzabgabenregelung (Zusatzabgabenverordnung – ab April 2004 Milchabgabenverordnung) eine Zusatzabgabe für die Überlieferung ihrer Referenzmenge i.H.v. zunächst 10.532,95 € fest (VwA, Bl. 1). Zur Begründung führte das HZA aus, nach den Feststellungen der Zollbehörden habe die Klägerin im Februar und März 2005 insgesamt 31.659 kg Milch bei der Molkerei … eG auf die Erzeugernummer und damit auf die Anlieferungsreferenzmenge des Milcherzeugers R. W. abgeliefert, obwohl diese Milchmenge ihr zuzurechnen gewesen wäre. Dieser sog. „Kannentausch“ sei von Herrn W. in seiner Vernehmung gegenüber Beamten des Zollfahndungsamts … auch eingeräumt worden. Die Höhe der der Klägerin zuzurechnenden Milchlieferung ermittelte das HZA im Wege der Schätzung auf Grundlage der durchschnittlichen Milchmenge, die pro Anlieferungstag und Kuh von Herrn W. im Januar 2005 an die Molkerei geliefert worden war.

4

Gegen den Bescheid vom 23.10.2009 erhob die Klägerin Einspruch mit dem sie sich gegen die Höhe der getauschten Milchmenge und die Berechnung der Milchabgabe wandte und ferner die Rechtswidrigkeit der nachträglichen Erhebung geltend machte (VwA Bl. 6, 9 ff).

5

Zur Frage der Höhe der getauschten Milchmenge führte die Klägerin aus, das HZA habe bei der Berechnung der „getauschten“ Milchmenge zu Unrecht nur die durchschnittliche Tagesmenge einer Kuh für den Monat Januar 2005 zugrunde gelegt. Hierbei sei die Erhöhung der Liefermenge pro Kuh aufgrund der Abkalbung mehrerer Kühe im Betrieb des Herrn W. im Monat Februar unberücksichtigt geblieben. Es sei von einer Erzeugungsmenge von 3.500 kg pro Anlieferungstag auszugehen.

6

Hinsichtlich der Berechnung der Milchabgabe sei zudem auch für die nachträglich festgestellte, der Klägerin zuzurechnende Milchmenge, eine Saldierung gemäß § 14 Milchabgabenverordnung vorzunehmen.

7

Zur Begründung der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abgabenerhebung verwies die Klägerin auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003, wonach die zusätzlichen Abgabenbeträge von dem Mitgliedstaat zur Finanzierung einer „Milchaufgabevergütung“ oder zur Rückerstattung an Erzeuger verwendet werden müssten. Für beide Möglichkeiten gebe es in Deutschland keine entsprechenden Regelungen, so dass die Abgaben zweckwidrig verwendet würden, was  unzulässig und damit rechtswidrig sei.

8

Mit Entscheidung vom 23.12.2010 (VwA, Bl. 42 ff) wies der Beklagte den Einspruch zurück.

9

Zur Begründung führte das HZA aus, an der Höhe der getauschten Milchmenge sei festzuhalten.  Entsprechende Nachweise für eine erhöhte Erzeugungsmenge des Herrn W. seien nicht erbracht worden. Auch eine direkte Nachfrage bei dem Milcherzeuger habe zu keiner Bestätigung hierfür geführt.

10

Eine Saldierung gemäß § 14 Abs. 1 letzter Satz Milchabgabenverordnung sei nicht vorzunehmen, da die Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

11

Eine etwaige nicht verordnungskonforme Verwendung der Zusatzabgabe führe entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zur Rechtswidrigkeit der Erhebung der Abgabe. Entsprechendes ergebe sich weder aus der Verordnung (Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1788/2003) noch folge dies aus dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 31.05.2006, VII B 48/05.

12

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren, Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides, weiter. Zur Begründung führt sie aus, die Abgabenforderung sei bereits dem Grunde nach, jedenfalls aber der Höhe nach nicht gerechtfertigt (vgl. Schriftsätze vom 15.03.2011 und 28.06.2011, Gerichtsakte, Bl. 26 ff und 38 ff).

1.

13

Der Abgabenbescheid sei zum Einen schon deshalb rechtswidrig, weil das beklagte HZA nicht berechtigt sei, die Abgabe durch Bescheid gegenüber der Klägerin festzusetzen. Nach dem Gemeinschaftsrecht, das insoweit eine abschließende Regelung enthalte und einer Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts entgegenstehe, sei nämlich ausschließlich der Abnehmer, also die Molkerei, für die Erhebung der Abgabe zuständig. Zuständig für die Zahlung der Abgabe sei somit zunächst die Molkerei und nicht der Erzeuger. Die Molkerei wiederum sei dafür verantwortlich, den von ihr gezahlten Betrag von dem Erzeuger zu erheben (Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 15.01.2004, Az. C 230/01).

2.

14

Die Erhebung der Abgabe sei auch deshalb rechtswidrig, weil die erst mehrere Jahre nach dem Abschluss des Zwölfmonatszeitraums erfolgte Nacherhebung eine von der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der EU nicht geschuldete zusätzliche „überschüssige“ Abgabe darstelle. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 bestimme ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (nur) die Abgabe schulden, die sich aus der Überschreitung ihrer einzelstaatlichen Referenzmenge ergebe. Dieser Betrag sei im Zeitpunkt der Festsetzung der Abgabe im Jahr 2009 aufgrund der Abrechnung für das Milchwirtschaftsjahr 2004/2005 bereits vollständig gezahlt gewesen.

15

Zwar sei es im Gemeinschaftsrecht dem Grunde nach vorgesehen, dass auch solche „überschüssigen“ Abgaben erhoben werden. Diese Überschussbeträge müssten dann aber von dem Mitgliedstaat nach bestimmten Regelungen für bestimmte Zwecke verwendet werden, Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003, Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 5959/2004. Eine entsprechende Regelung für die Verwendung des Abgabenüberschusses gebe es in Deutschland aber nicht, vielmehr würden die Überschussbeträge an die EU abgeführt. Diese Vorgehensweise sei unzulässig. Die Entscheidung des BFH vom 30.03.2010, Az. VII B 170/09, stehe dem nicht entgegen, da diese noch auf einer anderen Rechtsgrundlage (VO Nr. 3950/92) beruhe.

3.

16

In jedem Fall sei zumindest die Berechnung der Höhe der Abgabe rechtswidrig, weil zu Unrecht keine Saldierung gemäß § 14 Abs. 1, 2 MilchAbgV 2004 berücksichtigt worden sei. Die von der Klägerin zu zahlende Abgabe müsse auf jeden Fall unter Berücksichtigung der Saldierung auf Molkerei- und auf Bundesebene berechnet werden.

17

§ 14 Abs. 1 S. 6 MilchAbgV, auf die sich der Beklagte berufe, sei nicht anwendbar, weil das Gemeinschaftsrecht hierzu abschließende Regelungen getroffen habe. Sanktionsregelungen seien in Art. 11 Abs. Abs. 3 und 5 sowie Art. 8  der Verordnung Nr. 595/2004 geregelt. Eine Sanktionsregelung gegen einen Erzeuger, der unrichtige Angaben gemacht habe, enthalte das EU-Recht nicht. Es verstoße deshalb gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn der nationale Verordnungsgeber in § 14 Abs. 1 S. 6 MilchAbgV eine entsprechende Sanktionsregelung treffe. Es werde angeregt, diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

4.

18

Des Weiteren sei die Höhe der Abgabe auch deshalb unzutreffend, weil der Beklagte nicht berücksichtigt habe, dass Herr W. in den Monaten Februar und März 2005 eine höhere Produktionskapazität gehabt habe und die der Klägerin zugerechnete Milchmenge nicht vollständig von ihr erzeugt worden sei. Die Herde des Herrn W. habe im betroffenen Zeitraum eine Produktionskapazität von 3.500 kg pro Abholung gehabt. Hierfür werde Herr R. W. als Zeuge benannt (ohne Angabe Anschrift). Diese Angabe werde belegt durch den statistischen Ausreißer am 17.03.2005, bei dem es offenkundig „vergessen“ worden sei, die Milchmenge aus dem Betrieb der Klägerin zu Herrn W. zu bringen, damit dieser sie unter seiner Liefernummer abliefere. Die unter der Liefernummer der Klägerin erfasste Menge an diesem Tag entspreche nämlich exakt der Menge die vor und nach dem streitgegenständlichen Zeitraum abgeliefert worden sei. Demgegenüber seien für Herrn W. eine Menge von 3.541,2 kg erfasst worden, was offenkundig seiner eigenen Produktionskapazität in diesem Zeitraum entspreche.

19

Die von dem Beklagten berechnete Milchmenge, die aus dem Betrieb der Klägerin stammen solle, könne schon deshalb nicht stimmen, weil der für den Transport benutzte mobile Milchtank nicht die entsprechende Kapazität aufweisen würde. Nach eigenen Angaben des Herrn W. seien insgesamt nur eine Menge von 25.000 kg von dem Betrieb der Klägerin zu ihm transportiert worden.

20

Mit Änderungsbescheid vom 16.01.2014 setzte der Beklagte eine Zusatzabgabe in Höhe von insgesamt 15.917,90 € (statt bisher 10.532,95 €) fest. Zur Begründung führte er aus, eine Neuberechnung auf der Grundlage der durchschnittlichen Milchmenge, die pro Anlieferung im Zeitraum April 2004 bis Januar 2005 vom Milcherzeuger W. an die Molkerei abgeliefert wurde, ergebe im Durchschnitt eine Anlieferungsmenge pro Tag von 27,08 kg. Dieser Wert sei für die Schätzung im den hier streitigen Monaten Februar und März 2005 zugrunde zu legen und führe zu einer – geschätzten – höheren Anlieferungsmenge der Klägerin. Die Argumentation der Klägerin, wegen Abkalbungen sei es zu einer erhöhten Milchproduktion der Kühe des Herrn W. gekommen, sei von der Klägerin nicht nachgewiesen worden.

21

Mit Schriftsatz vom 19.03.2014 (Gerichtsakte, Bl. 126 ff) äußerte sich die Klägerin zum Änderungsbescheid dahingehend, dass die nunmehr vorgenommene Berechnung keine angemessene Schätzung darstelle. Die Schätzung sei viel zu pauschal und deshalb völlig ungeeignet, weil nicht anhand der in der HIT-Datenbank registrierten Anzahl der weiblichen Tiere mit Abkalbung festgestellt werden könne, welche Milchleistung tatsächlich erbracht worden sei. Aus der Datenbank sei aber erkennbar, dass sich die Anzahl der laktierenden Milchkühe im Betrieb des Herrn W. vom Herbst 2004 bis zum Frühjahr 2005 erheblich erhöht hätten (Datenbankauszüge April bis Dez. 2004, Gerichtsakte, Bl. 106 ff). Hieraus folge, dass es im maßgeblichen Zeitraum Februar und März 2005 tatsächlich mehrere Abkalbungen gegeben habe, wie von Herrn W. ausgesagt. Die durchschnittliche Milchmenge pro Kuh müsse sich innerhalb der ohnehin gegebenen enormen Schwankungsbreite (22,61 kg pro Kuh um November 2004 und 31,93 kg im Juni 2003) im maßgeblichen Zeitraum jedenfalls im oberen Bereich befunden haben.

22

Eine Schätzung anhand der durchschnittlichen Milchmenge im gesamten Milchwirtschaftsjahr sie auch deshalb nicht sachgerecht, weil anhand der konkreten Lieferdaten aus den Monaten Januar 2005 und April 2005, in denen jeweils kein „Kannentausch“ statt gefunden habe, sehr konkrete Anhaltspunkte dafür gefolgert werden könnten, in welcher Höhe in der Zwischenzeit tatsächlich Milch, die im Betrieb der Klägerin erzeugt wurde, unter der Liefernummer des Herrn W. abgeliefert worden sei. Denn die beiden Monate würden am nächsten zum streitgegenständlichen Zeitraum liegen.

23

Während die durchschnittliche Menge pro Liefertag im Januar 2005 ziemlich konstant bei ca. 2.800 Liter gelegen habe, lägen die Liefermengen im April und Mai 2005 deutlich über 3.000 Liter pro Liefertag. Hierdurch werde belegt, dass sich die Liefermenge im Betrieb des Herrn W. in den Monaten Februar und März 2005 deutlich gesteigert haben müsse.

24

Deutlich werde dies auch daraus, dass sich die Liefermenge der Klägerin in demselben Zeitraum nicht in dem Ausmaß verringert hätte, wie sie sich bei dem Zeugen W. erhöht hätten.

25

Die tatsächliche Produktionskapazität im maßgeblichen Zeitraum lasse sich am besten anhand des statistischen Ausreißers am 17.03.2005 nachvollziehen. An diesem Tag sei der Kannentausch offensichtlich „vergessen“ worden, so dass die Liefermenge an diesem Tag den tatsächlichen Produktionskapazitäten entspreche. An diesem Tag habe Herr W. eine Milchmenge von 3.541,2 Liter abgeliefert. Dieser Wert habe 800 bis max. 850 Liter unter dem Wert der davor liegenden und danach folgenden Ablieferungen gelegen. Eine spiegelbildliche Entwicklung ergebe sich aus den Lieferdaten der Klägerin. Dort sei die Liefermenge am 18.03.2005 sprunghaft auf 8.485,2 Liter gestiegen, was ca. 800 bis 850 Liter über den davor und danach Liegenden Werten liege.

26

Selbst wenn man davon ausgehe, dass in den gesamten Monaten Februar und März 2005 ein „Kannentausch“ stattgefunden habe, obwohl Herr W. ausgesagt habe, dass damit erst am 05.02.2005 begonnen worden sei, würde sich bei einer Differenz von 850 Liter pro Abholung und 29 Liefertagen eine Differenz i.H.v. 24.650 kg ergeben, was ziemlich exakt zu der Schätzung des Herrn W., wonach ca. 25.000 kg „getauscht“ worden seien, passen würde. Hiervon abzuziehen sei noch der Wert von 850 Liter, weil bei der Abholung am 17./18.03. offenkundig kein Tausch erfolgt sei. Die Menge der von der Klägerin erzeugten und im Namen des Herrn W. abgelieferten Milch betrage somit max. 24.000 kg.

27

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 23.10.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16.01.2014 aufzuheben.

28

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

29

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

30

Ergänzend führt er Folgendes aus:

1.

31

Soweit die Klägerin die Berechtigung des HZA zur Erhebung der Abgabe anzweifele,  sei darauf hinzuweisen, dass Art. 11 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1788/2003 nach dem Wortlaut tatsächlich den Grundsatz festlege, dass der Abnehmer für die Erhebung des Beitrags der Erzeuger zur Abgabe zuständig sei. Nur wenn der Abnehmer dieser Verpflichtung nicht nachkomme, stehe dem Mitgliedstaat gemäß Art. 13 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 1788/2003 die Möglichkeit offen, die nicht gezahlten Beträge direkt beim Erzeuger zu erheben.

32

Der Rat der Europäischen Union habe diese strikte Formulierung jedoch in Absatz 12 der Erwägungsgründe zur VO (EWG) Nr. 1788/2003 sogleich wieder entkräftet. Nach den dort festgehaltenen Überlegungen sollte der Beitrag, den die Erzeuger zu der Abgabe zu leisten haben, nur deshalb durch den Abnehmer erhoben werden, weil dieser dazu am Besten in der Lage sei. Dies bedeute, dass es den Mitgliedstaaten offenstehe, sich über diesen Effizienzgedanken des Rates hinweg zu setzen, wenn es im Abgabenanmeldungsverfahren vorgesehen und eine Abgabenfestsetzung erforderlich sei oder es aus sonstigen wichtigen Gründen angebracht erscheine.

33

In einem Fall wie dem vorliegenden sei es sinnvoll, wenn die Finanzbehörde den Abgabenbescheid direkt an den Milcherzeuger richte, da so vermieden werde, dass der Abnehmer ggf. gegen den Schuldner zivilrechtlich vorgehen müsse.

34

Die Regelungen der MilchabgabenVO stünden dem auch nicht entgegen. Vielmehr sehe diese sogar ausdrücklich vor, dass die Durchführung dieser VO und der EG-Milchabgabenregelung in erster Linie der Bundesfinanzverwaltung und erst danach in deren Auftrag dem Abnehmer (Käufer) obliege, § 3 MilchabgabenVO. Die Mitgliedstaaten seien deshalb durch Art. 13 i.V.m. Art. 11 VO (EWG) Nr. 1788/2003 nicht gehindert, festzusetzende Abgabenbeträge durch die Hauptzollämter direkt beim Erzeuger erheben zu lassen.

2.

35

Hinsichtlich der Verwendung der „überschüssigen“ Abgaben verweist das HZA auf Art. 13 Abs.1 VO (EWG) Nr. 1788/2003, wonach der Mitgliedstaat den Überschussbetrag ganz oder teilweise zur Finanzierung von Maßnahmen nach Art. 18 Abs. 1 a verwenden und/oder ihn ganz oder teilweise den Erzeugern zurück erstatten könne. D.h., die Bundesrepublik sei zwar ermächtigt, aber nicht verpflichtet, einen sog. Überschussbetrag entsprechend zu verwenden. Sie habe von der Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, so dass die Milchabgabe stets an die EU (EAGFL – Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für Landwirtschaft) abzuführen sei (Hinweis auf Abs. 6 der Erwägungsgründe zur VO (EWG) Nr. 1788/2003).

36

Unabhängig davon handele es sich entgegen der Auffassung der Klägerin bei der nachträglichen Erhebung der Milchabgabe auch nicht um einen Überschussbetrag, sondern lediglich um die Korrektur des abgeschlossenen Milchwirtschaftsjahres. Die dabei entstanden Milchabgabe würde genauso behandelt wie die regulär angefallene Milchabgabe. Könnte sie nachträglich nicht mehr erhoben werden, würden Erzeuger, die unrichtige Angaben gemacht haben, im Ergebnis einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen.

3.

37

Soweit die Klägerin die angebliche Rechtswidrigkeit der Berechnung der Abgabenhöhe mit der Bezugnahme auf Art. 11 VO (EG) Nr. 595/2004 begründe, sei zu entgegnen, dass diese Rechtsnorm keine mit § 14 MilchabgabenV vergleichbare Vorschrift darstelle. Während § 14 das Saldierungsverfahren regele, befasse sich Art. 11 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 595/2004  mit den Rechtsfolgen der nicht fristgerechten Abgabe der nach Abs. 2 VO (EG) Nr. 595/2004 geforderten Erklärung.

4.

38

Zum Schriftsatz der Klägerin vom 19.03.2014 führt das HZA aus, dass gerade aufgrund der von der Klägerin selbst angesprochenen Schwankungen der Milchleistung einer Kuh aufgrund der sog. Laktationsperiode sei das Errechnen der durchschnittlichen Milchmenge pro Tag über einen möglichst großen Zeitraum am sinnvollsten, da gerade dann diese Schwankungen mit einbezogen werden könnten. Gerade weil die Milchlieferungen tageweise großen Schwankungen unterliegen könne, könne nicht auf einen einzelnen Tag, hier der 17.03.2004, an dem angeblich der Kannentausch „vergessen“ worden sei, abgestellt werden.

5.

39

Mit Schriftsatz vom 02.05.2014  (Gerichtakte, Bl. 146 f) führt die Klägerin ergänzend aus, der Ausschluss von der Saldierung verstoße gegen Unionsrecht. In dem ebenfalls vom Bevollmächtigten des Klägers vertretenen Rechtsstreit vor dem Bundesfinanzhof (BFH), Az. VII R 9/12 (Urteil vom 16.04.2013), habe der BFH willkürlich von einer Vorlage an den EuGH abgesehen. Gegen die Entscheidung sei deshalb Verfassungsbeschwerde wegen der Entziehung des gesetzlichen Richters erhoben worden. Das Verfahren sei beim Bundesverfassungsgericht unter dem Aktenzeichen 1 BvR 817/14 anhängig.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die mit Textziffern bezeichneten Schriftsätze und sonstigen Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

41

Die Klage ist unbegründet.

42

Die Festsetzung der Milchabgabe ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

I.

43

Gegenstand des Klageverfahrens ist gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung der Änderungsbescheid vom 16.01.2014, der an die Stelle des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2009 getreten ist. Das HZA war im Rahmen des noch anhängigen Klageverfahrens zur Änderung des Bescheides befugt (vgl. BFH-Beschluss vom 14.07.2003, II B 121/01, BFH/NV 2004, 2).

II.

44

Der Beklagte war berechtigt, gegen die Klägerin eine Milchabgabe für die Überlieferung ihrer Anlieferungsreferenzmenge festzusetzen.

45

Maßgebende Rechtsgrundlagen für den hier vorliegenden Streitfall sind diejenigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts, die für den Zwölfmonatszeitraum galten, auf den sich der streitgegenständliche Abgabenbescheid bezieht, hier Februar und März 2005. Anzuwendende Rechtsgrundlage hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts ist mithin die ab 1. April 2004 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (VO 1788/2003) sowie die Verordnung (EG) Nr. 595/2004 der Kommission vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (VO 595/2004).

46

Hinsichtlich des nationalen Rechts sind anzuwenden das Gesetz zur Durchführung der Marktorganisation (MOG) und die Verordnung zur Durchführung der Zusatzabgabenregelung (Zusatzabgabenverordnung - ZusatzAbgV -) vom 12. Januar 2000 in der Fassung vom 09. August 2004 (jetzt: Milchabgabenverordnung - MilchAbgV, vgl. Art. 1 der Dritten VO zur Änderung der Zusatzabgabenverordnung, BGBl. I 2004, 462 und BGBl. I 2004, 2143).

1.

47

Festsetzung der Milchabgabe durch das HZA

48

Entgegen der Auffassung der Klägerin war das HZA berechtigt, einen Bescheid zur Festsetzung der Milchabgabe gegenüber der Klägerin zu erlassen.

49

Der Bundesfinanzhof führt hierzu in seinem Beschluss vom 13.07.2011 (VII B 223/10, BFH/NV 2011, 1732) Folgendes aus:

50

„Es bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die von einem Milcherzeuger nach den einschlägigen Bestimmungen verwirkte Milchabgabe durch Bescheid der Finanzbehörde festgesetzt werden kann, wenn seitens der Molkerei von dem Milchgeld nicht einbehalten und in der dem HZA zu erstattenden Abgabeanmeldung nicht erfasst worden ist.“

51

Der BFH begründet dies unter Berufung auf § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) wie folgt:

52

§ 12 Abs. 2 Satz 1 MOG ermächtigt dazu, durch Rechtsverordnung Vorschriften über das Verfahren bei Abgaben zu Marktordnungszwecken zu erlassen. Davon ist u.a. durch die hier ebenfalls noch anzuwendende Verordnung zur Durchführung der EG-Milchabgabenregelung (Milchabgabenverordnung—MilchAbgV-, i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. August 2004, BGBl I, 2143) Gebrauch gemacht worden. Diese sieht zwar eine Abgabefestsetzung durch Bescheid für den Regelfall nicht vor, sondern verpflichtet vielmehr—vereinfacht gesagt—den Milchkäufer zu einer Anmeldung der Abgabe, welche eine behördliche Festsetzung naturgemäß erübrigt. Nach § 3 MilchAbgV sind indes die Behörden der Bundesfinanzverwaltung für die Durchführung der Verordnung und der EG-Milchabgabenregelung zuständig, soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Sie haben nach § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG dabei die Abgabenordnung anzuwenden, nach deren § 155 Abs. 1 Satz 1 Abgaben grundsätzlich durch Bescheid festgesetzt werden, wenn nichts anderes bestimmt ist. Dass der Milchkäufer die Abgabe anzumelden hat, ist keine anderweitige Bestimmung im Sinne dieser Vorschrift, die das HZA, wenn jener dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, daran hindern müsste, in diesem Fall die geschuldete Abgabe durch Bescheid festzusetzen.“

53

Entgegen der Auffassung der Klägerin findet diese im MOG i.V.m. der MilchabgV getroffene Zuständigkeitsregelung ihre Grundlage in der VO Nr. 1788/2004, denn Art. 13 der VO lautet wie folgt:

54

„Ist der Abnehmer der Verpflichtung zur Erhebung des Beitrags der Erzeuger zur Abgabe gemäß Art. 11 nicht nachgekommen, so kann der Mitgliedstaat unbeschadet etwaiger Sanktionen gegen den säumigen Abnehmer die nichtgezahlten Beiträge direkt beim Erzeuger erheben.“

55

Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des EuGH (Urteil vom 15.01.2004, C 230/01)  - die im Übrigen zur VO Nr. 3950/92 erging, die eine dem Art. 13 entsprechende Regelung nicht enthielt – betrifft einen Sachverhalt, der mit dem vorliegenden  nicht vergleichbar ist.

2.

56

Nicht geschuldete überschüssige Abgabe und nicht zweckgerechte Verwendung

57

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Erhebung der Abgabe auch nicht deshalb rechtswidrig, weil es sich um eine zusätzliche, „überschüssige“ Abgabe nach Abschluss des Milchwirtschaftsjahres 2004/2005 und nach Abführung der Abgabe an die Union für dieses Milchwirtschaftsjahr handelt. Die Milchabgabe ist vielmehr auch dann gegen den Milcherzeuger festzusetzen, wenn die nachträglich festgestellten Mehrlieferungen keinen Einfluss auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat an die Union abzuführende Abgabe haben.

58

Der BFH hat hierzu bereits mehrfach in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass zwischen den von den Mitgliedstaaten erhobenen Milchabgaben und den von ihnen an die Union abzuführenden Beträgen keine strenge Akzessorietät besteht, dass es für die Abgabenpflicht des Milcherzeugers in erster Linie auf die Überschreitung seiner verfügbaren Referenzmenge ankommt und zudem ein Milcherzeuger, der seine die verfügbare Referenzmenge überschreitenden Lieferungen gegenüber der zuständigen Behörde verschleiern konnte, nicht davon profitieren darf, dass die von ihm vorgenommenen Manipulationen erst später nach Haushaltsabschluss aufgedeckt werden (BFH-Beschluss vom 07.08.2012, VII B 173/11, BFH/NV 2013, 16 mit Hinweis auf Senatsbeschlüsse vom 25. September 2003 VII B 309/02, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern—ZfZ- 2004, 17; vom 31. Mai 2006 VII B 48/05, ZfZ 2006, 373; und vom 30. März 2010 VII B 170/09, BFH/NV 2010, 1669; BFH-Urteil vom 16.04.2013, VII R 9/12, BFH/NV 2013, 1370).

59

Es entspricht somit den unionsrechtlichen Milchabgabevorschriften, eine hinterzogene Milchabgabe auch dann gegen den Milcherzeuger festzusetzen, wenn die nachträglich festgestellten Mehrlieferungen keinen Einfluss auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat an die Union abzuführende Abgabe haben.

60

Die Unionsrechtswidrigkeit der Abgabenregelung lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht unter Hinweis darauf begründen, dass das Abgabenaufkommen nicht zweckentsprechend verwendet würde. Richtig ist, dass Art. 22 VO Nr. 1708/2003 vorsieht, dass die Abgabe zur Finanzierung der Ausgaben im Milchsektor verwendet wird, und dass die Abgabe nach dem 22. Erwägungsgrund in erster Linie der Regulierung und Stabilisierung des Milchmarktes dient und daher zur Finanzierung der Ausgaben im Milchsektor eingesetzt werden sollte. Die Abgabe ist Teil der bestehenden Marktordnungsvorschriften, hat also den Charakter einer Abgabe zur Regulierung des Marktes, zudem trägt sie zur Finanzierung der Marktordnungsausgaben des Agrarsektors bei, weshalb es im Sinne der Zweckbindung der Abgabe nicht erheblich ist, in welchem Wirtschaftsjahr sie zufließt bzw. verwendet wird (Urteil des FG Hamburg vom 20.03.2012, 4 K 219/09, Juris, mit Hinweis auf das Urteil  des FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12.11.2008, 3 K 416/07, bestätigt durch BFH, Beschluss vom 07.10.2009, VII B 253/08).

61

Schon vor dem Hintergrund, dass weder die Einnahmen aus der Milchgarantiemengenabgabe, noch die Ausgaben für die Ordnung des Agrarmarktes statisch sind, sondern vielmehr naturgemäß erheblichen, nicht korrespondierenden Schwankungen unterworfen sind, kann nicht verlangt werden, dass die Abgaben im Wirtschaftsjahr ihrer Einnahme auch zweckentsprechend verwendet werden (Urteil des FG Hamburg vom 20.03.2012, 4 K 219/09, Juris).

62

Ferner folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1788/2004, dass Deutschland vom Gemeinschaftsrecht zwar ermächtigt, aber nicht verpflichtet ist, einen sog. Überschussbetrag zur Finanzierung bestimmter Maßnahmen zu Gunsten von Erzeugern, die sich zur Aufgabe und Einschränkung ihrer Milcherzeugung verpflichtet haben, oder zur Rückerstattung an bestimmte Erzeugergruppen zu verwenden (BFH-Beschluss vom 30.03.2010, VII B 170/09, BFH/NV 2010, 1669 zum Art. 2 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 3950/92). Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, der Beschluss des BFH sei im Streitfall nicht einschlägig, da er noch auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhe, geht ihre Auffassung fehl. Denn Art. 2 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 3950/92 wurde inhaltlich unverändert in der Nachfolge-Verordnung, VO Nr. 1788/2004 - dort Art. 13 Abs. 1 - übernommen.

3.

63

Unterlassung der Saldierung

64

Das HZA hat zu Recht eine Saldierung der überlieferten Milchmenge mit den auf Landes- oder Bundesebene erfolgten Liefermengen abgelehnt.

65

Nach § 14 Abs. 1 Satz 7 ZusatzAbgV vom 12. Januar 2000 (BGBl I 2000, 27) in der im Streitfall maßgeblichen Neufassung der Milchabgabenverordnung vom 09.08.2004 (BGBl. I 2004, 2143) ist auf Änderungen, die dem Käufer nach dem in § 19 Abs. 3 Zusatzabgabenverordnung genannten Datum (15. Mai) bekannt werden, das Ergebnis der Verrechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 Zusatzabgabenverordnung anzuwenden, es sei denn, der Milcherzeuger hat unrichtige oder unvollständige Angaben über seine tatsächliche Milchanlieferung gemacht. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist, so der BFH in seinem Beschluss vom 21.04.2009 (VII B 74/08, BFH/NV 2009, 1219), eindeutig; es kommt auch nicht darauf an, ob die Angaben über die tatsächlichen Milchlieferungen schuldhaft in unrichtiger bzw. unvollständiger Weise gemacht worden sind.

66

Im Streitfall steht außer Frage – und wird von der Klägerin auch nicht bestritten -, dass die Klägerin (vorsätzlich) unrichtige Angaben über die in den Monaten Februar und März 2005  tatsächlich abgelieferte Milchmenge gemacht hat. Damit sind die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 letzter Satz MilchabgV erfüllt, so dass die nachträglich festgestellte Milchmenge von der Saldierung ausgeschlossen ist.

III.

67

Schätzung der überlieferten Milchmenge

68

Die vom HZA vorgenommene Schätzung der von der Klägerin überlieferten Milchmenge ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig.

1.

69

Anwendung der Vorschriften der Abgabenordnung

70

Wie bereits oben (vgl. Ziffer II.1.) ausgeführt, gelten für die Durchführung der EG-Milchabgabenregelung gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 MOG die Regelungen der Abgabenordnung (AO) entsprechend.

1.1.

71

Gem. § 162 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde, hier das HZA,  die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

72

Die Schätzung ist ein Verfahren, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für ein solches Verfahren von Bedeutung sein können. Auszugehen ist von dem aufgeklärten Sachverhalt. Es bedarf weiterhin der Feststellung, dass eine weitere Sachaufklärung nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Erst in diesem Stadium setzen die Schätzungsüberlegungen ein, die aus dem festgestellten Sachverhalt folgern, dass die Besteuerungsgrundlagen in einer wahrscheinlichen Höhe verwirklicht worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteil vom 18. 12.1984, VIII R 195/82, BStBl. II 1986, 226).

73

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen war das HZA dem Grunde nach zur Schätzung der von der Klägerin überlieferten Milchmenge berechtigt. Welche Menge an Milch von den Kühen der Klägerin auf den Namen des Landwirts W. abgeliefert wurde, war nachträglich für das HZA nicht mehr feststellbar, da Herr W. seine und die von der Klägerin „übernommene“ Milch insgesamt bei der Molkerei abgeliefert hatte. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

1.2.

74

Streitig ist allein die Höhe der der Klägerin zuzurechnenden Milchmenge.

75

Die vom HZA im Rahmen des Änderungsbescheides zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlagen, hier die Annahme von einer Milchproduktion von 27,08 kg Milch pro Kuh und Tag, die im Wege einer Durchschnittsberechnung bezogen auf das Milchwirtschaftsjahr 2004/2005 ermittelt worden ist, ist nicht zu beanstanden.

1.2.1.

76

Naturgemäß besteht bei der Schätzung nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen eine Bandbreite möglicher Wertansätze (sog. Schätzungsrahmen). Soweit sich die Schätzung innerhalb dieses Rahmens bewegt, ist sie nicht zu beanstanden. Die Vernachlässigung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen bei der Sachaufklärung darf nicht dazu führen, dass der Nachlässige einen Vorteil erzielt gegenüber denjenigen, die ihre steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllen. Es gilt das Verbot der Prämierung von Mitwirkungspflichtverletzungen. Die Schätzungsungewissheit darf nicht dazu führen, nur den Betrag anzunehmen, der auch im ungünstigsten Falle als sicher vereinnahmt angesehen werden kann. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung muss es ein Steuerpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, vielmehr hinnehmen, dass die im Wesen jeder Schätzung liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt.

77

Die Vorschriften über die Schätzung erlauben es, Tatsachenfeststellungen mit einem geringeren Grad an Überzeugung zu treffen, als dies in der Regel (nach § 88 AO) geboten ist (sog. Reduzierung des Beweismaßes; vgl. BFH-Urteile vom 15. Februar 1989, X R 16/86, BStBl II 1989, 462; vom 14. August 1991, X R 86/88, BStBl II 1992, 128). Der Grad der grundsätzlich erforderlichen Gewissheit ("Überzeugung") reduziert sich in der Weise, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf. Dies bedeutet, dass sich das Gericht hinsichtlich nicht feststehender Tatsachen über gegebene Zweifel hinwegsetzen kann (BFH-Urteil vom 15.05.2002, X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415).

78

Nach der Rechtsprechung des BFH erweist sich eine Schätzung erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt; wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich die Steuerbehörde an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen möchte (BFH-Urteil vom 13.07.2000, IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3).

79

Entsprechendes gilt für den hier vorliegenden Sachverhalt der Verschleierung der tatsächlich der Klägerin zuzurechnenden Milchmenge – und damit letztlich der zu zahlenden Milchabgabe - in den Streitmonaten. Die Klägerin hat es unterlassen, dem HZA die von ihr in den Monaten Februar und März 2005 insgesamt produzierte bzw. die an den Landwirt W. „abgegebene“ Milchmenge zu beziffern, obwohl ihr dies zweifelsohne auch im Nachhinein - beispielsweise anhand der Abrechnungen mit Herrn W. - möglich gewesen wäre.

1.2.2.

80

Die vom HZA vorgenommen Schätzung der Überlieferung anhand des Durchschnittswertes der im Milchwirtschaftsjahres 2004/2005 ermittelten Milchproduktion des Landwirts W. liegt im Rahmen des zulässigen Schätzungsrahmens und ist nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerin, die Milchproduktion des Herrn W. sei in den relevanten Monaten Februar und März 2005 aufgrund erhöhter Kälbergeburten besonders hoch gewesen, hat die Klägerin weder für diese Monate konkret dargelegt, noch ist erkennbar, dass es gerade und ausschließlich in diesem Zeitraum zu vermehrten Kälbergeburten gekommen war. Der erkennende Senat erachtet es vielmehr als zutreffende Schätzgrundlage von einem das maßgebende Milchwirtschaftsjahr betreffenden Durchschnittswert auszugehen.

81

Gleichwohl verbleibende Schätzungsunschärfen und etwaige Fehlertoleranzen müssen - wie oben bereits dargelegt – von der Klägerin hingenommen werden.

IV.

82

Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.

83

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen