Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 K 2360/14


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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

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Streitig ist, ob Aufwendungen für Besuche bei einem im Ausland lebenden minderjährigen Kind als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

2

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger, der als Soldat Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, war in der Vergangenheit an unterschiedlichen Standorten tätig. Aus diesem Grund zogen die Kläger mit ihrer Familie mehrfach um. Bis zum Jahr 2008 lebten sie in B; anschließend zogen sie nach S um. Von 2010 bis April 2013 lebten sie in H/Frankreich. Danach erfolgte ein Umzug nach D. Eines der Kinder der Kläger, die im September 1996 geborene Tochter S, blieb im Streitjahr 2013 zur Vermeidung eines neuerlichen Schulwechsels in S/Frankreich wohnhaft.

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Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr machten die Kläger neben Krankheitskosten Aufwendungen für Besuchsfahrten zu ihrer in Frankreich lebenden Tochter in Höhe von 719,00 € als außergewöhnliche Belastungen geltend, die der Beklagte im Einkommensteuerbescheid vom 26. Juni 2014 nicht zum Steuerabzug zuließ.

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Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein und trugen zur Begründung vor, in besonderen Ausnahmefällen könnten Aufwendungen für Besuche von Eltern bei Kindern als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden. So verhalte es sich auch im Streitfall. Auf Grund der sich häufig ändernden Dienststellen des Klägers habe ihre Tochter bereits mehrfach die Schule wechseln müssen. Beim letzten Umzug nach D hätten sie entschieden, dass ihre Tochter am bisherigen Wohnsitz in Frankreich verbleiben solle, um dort die Schulausbildung zu beenden. Sie hätten vermeiden wollen, dass ihrem Kind durch einen erneuten Wechsel der Schule Nachteile entstünden. Ein neuerlicher Schulwechsel in Folge des Umzugs nach D wäre zeitlich in die Oberstufe gefallen. Ein solcher Umzug hätte die Schullaufbahn unterbrochen und den Erfolg der Schulausbildung gefährdet. In Anbetracht des Alters ihrer Tochter sei es jedoch erforderlich, dass diese regelmäßig mit der Familie zusammen treffe. Um diese Treffen zu ermöglichen, seien erhebliche Fahrtkosten angefallen. Ihre Tochter S benötige noch die familiäre Anbindung und regelmäßige, über Telefonate hinausgehende Kontakte mit ihren Eltern und Geschwistern. Diesen Bedürfnissen ihrer Tochter könnten sie sich nicht verweigern. Für die seelische Entwicklung des Kindes seien die Besuche unbedingt erforderlich. Den geltend gemachten Fahrtkosten für die Heimfahrten ihrer Tochter S von Frankreich nach Deutschland könnten sie sich aus sittlichen Gründen nicht entziehen. Die Kosten, die nicht zu den typischen Aufwendungen der Lebensführung gehörten, seien auch außergewöhnlich. Es gebe nur ganz wenige Familien, bei denen berufsbedingt häufige Umzüge erfolgten, die jeweils auch mit Schulwechseln verbunden seien.

5

Durch Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2014 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass außergewöhnliche Belastungen vorlägen, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwüchsen. Aufwendungen seien außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen lägen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung seien dagegen ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich des § 33 Einkommensteuergesetz -EStG- ausgeschlossen. Familienbedingte Aufwendungen seien bis 1995 durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs und seit 1996 durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs abgegolten. Zu den nicht außergewöhnlichen, bei typisierender Betrachtungsweise abgegoltenen Aufwendungen gehörten in der Regel die Kosten für Fahrten, um nahe Angehörige zu besuchen, es sei denn, die Fahrten würden ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen. Dadurch, dass jeder Elternteil nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht habe, Kontakt zu seinem Kind zu halten, seien die zu den typischen Kosten der Lebensführung gehörenden Aufwendungen nicht außergewöhnlich im Sinne des § 33 EStG. Weder sei es als außergewöhnlich anzusehen, dass ein Elternteil von seinen Kinder getrennt lebe, weil zwischen den Eltern keine eheliche oder eheähnliche Lebensgemeinschaft mehr bestehe, noch seien die auf Grund der Trennung der Eltern entstehenden Kosten für den Umfang mit den Kinder außergewöhnlich. Denn eine räumliche Trennung zwischen Eltern und Kindern sei auch bei zusammenlebenden Eltern nicht unüblich. Danach fehle es im Streitfall bereits an der Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen für Besuchsfahrten. Häufige Umzüge der Eltern und der Verbleib des Kindes am bisherigen Wohnort zwecks weiteren Besuchs der bisherigen Schule änderten hieran nichts. Auf die Frage, ob die Kläger im Streitfall eine sittliche Verpflichtung zu den Besuchsfahrten treffe, komme es nicht an.

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Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Ergänzend zum Vorbringen im Verwaltungsverfahren tragen sie vor, dass im Jahr 2013 ein weiterer Schulwechsel ihrer Tochter S nicht angezeigt gewesen sei. Ein erneuter Umzug hätte zu ganz erheblichen Schwierigkeiten für ihre Tochter geführt, zumal auch die internationale Schule in Frankreich nach anderen Lehrplänen arbeite als die Schulen in Deutschland. Eine dauerhafte Trennung von ihnen sei für ihre Tochter und deren geistige und seelische Entwicklung von Nachteil. Aus diesem Grund hätten sie häufige Besuchskontakte gehabt. Die entstandenen Kosten seien ihnen zwangsläufig entstanden. Sie könnten sich den Kosten und den Besuchsfahrten zu ihrer Tochter nicht entziehen. Eine dauerhafte Trennung von den Eltern ohne regelmäßige Besuchskontakte würde zu einer Beeinträchtigung der minderjährigen Tochter in ihrer seelischen und geistigen Entwicklung führen. Es sei auch keine Vergleichbarkeit mit Fällen gegeben, in denen ein Elternteil von der Familie getrennt lebe. Dann verbleibe das Kind – anders als vorliegend – regelmäßig bei einem Elternteil und somit bei einer Bezugsperson. Im Streitfall sei das Kind jedoch von beiden Bezugspersonen auf längere Zeit getrennt. Es sei eine Situation gegeben, die bei der Mehrzahl der Familien in Deutschland nicht vorliege. Trennungen in Folge von Auslandsaufenthalten seien schon auf Grund der Kosten in der Regel von vornherein auf wenige Monate begrenzt. Bei einem Auslandsaufenthalt im Rahmen eines Schüleraustauschs sei regelmäßig auch nur ein enger zeitlicher Rahmen gegeben. Im Übrigen treffe in diesen Fällen das Kind bewusst die Entscheidung, sich von den Eltern für eine gewisse Zeit zu trennen. Ihre Tochter habe sich aber nicht bewusst für einen Wegzug von ihren Eltern entschieden, sondern zur Vermeidung schulischer Nachteile gegen einen erneuten Umzug mit den Eltern. Außergewöhnlich seien Aufwendungen, wenn sich nicht der Mehrzahl der Steuerpflichtigen ebenfalls entstünden. So verhalte es sich vorliegend. Die Aufwendungen seien auch nicht durch den Grundfreibetrag und den Familienleistungsausgleich abgegolten.

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Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2014 den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 vom 26. Juni 2014 dahingehend zu ändern, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 719,00 € anerkannt werden.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Er verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er vor, dass Besuchsfahrten regelmäßig zu den typischen Aufwendungen der Lebensführung, die durch den Grundfreibetrag und den Familienleistenausgleich abgegolten seien, gehörten. Abgesehen von krankheitsbedingten Aufwendungen komme es auf die Motivation des Steuerpflichtigen, warum und in welcher Höhe er Aufwendungen auf sich nehme oder zu tragen habe, grundsätzlich nicht an.

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Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (vgl. § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-), ist unbegründet.

12

Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2013 vom 26. Juni 2014 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2014 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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Der Beklagte hat zu Recht angenommen, dass die Aufwendungen der Kläger für die Besuche ihrer Tochter nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen sind. Das Gericht folgt den Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 2014 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 105 Abs. 5 FGO).

14

Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass Aufwendungen außergewöhnlich im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG sind, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind dagegen ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie werden durch den Grundfreibetrag (vgl. § 32a Abs. 1 EStG) berücksichtigt; familienbedingte Aufwendungen sind durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs abgegolten (vgl. BFH, Beschluss vom 11. Januar 2011, VI B 60/10, BFH/NV 2011, 876). Zu den nicht außergewöhnlichen, bei typisierender Betrachtungsweise abgegoltenen Aufwendungen gehören in der Regel die Kosten für Fahrten, um nahe Angehörige zu besuchen, es sei denn, die Fahrten werden ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen. Der Gesetzgeber hat die Aufwendungen eines nicht sorgeberechtigten Elternteils für den Umgang mit seinem Kind – unabhängig von der Höhe der im Einzelfall entstehenden Aufwendungen – den typischen Aufwendungen der Lebensführung zugeordnet, die durch den Familienleistungsausgleich berücksichtigt werden (vgl. BFH, Urteil vom 27. September 2007, III R 28/05, BStBl II 2008, 287); dies gilt in gleicher Weise für Eltern, denen gemeinsam das Sorgerecht für ihre Kinder zusteht. Das Recht und die Pflicht zum Umgang mit den eigenen Kindern (vgl. § 1684 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) bestehen auch bei intakten Ehen und ergeben sich hier aus dem gemeinsamen Sorgerecht für die Kinder. Bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern, insbesondere wenn nur ein Elternteil das Sorgerecht hat, bedarf es zwar zur Vermeidung von Streit einer besonderen gesetzlichen Regelung. Steuerrechtliche Folgerungen hinsichtlich der durch den Umgang mit den Kindern entstehenden Kosten ergeben sich aus den Vorschriften des Familienrechts – ebenso wenig wie bei intakten Ehen und gemeinsamem Sorgerecht – aber nicht (vgl. BFH, Urteil vom 27. September 2007, a.a.O.).

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Danach sind die Aufwendungen der Kläger für die Besuchsfahrten zu ihrer – im Streitjahr 16 bzw. 17 Jahre alten – Tochter nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig. Unabhängig von der Höhe der im Einzelfall entstehenden Aufwendungen hat der Gesetzgeber die Aufwendungen der Eltern für den Umgang mit ihrem Kind den typischen Aufwendungen der Lebensführung zugeordnet, die durch den Familienleistungsausgleich berücksichtigt werden. Aufwendungen zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses sind durch den Kinderfreibetrag und das Kindergeld mitabgegolten. Der Beklagte hat auch zutreffend angenommen, dass die Kosten der Kläger für die Besuche ihrer Tochter nicht als außergewöhnlich anzusehen sind. Eine räumliche Trennung zwischen Eltern und ihren (minderjährigen) Kindern ist auch bei zusammen lebenden Eltern nicht unüblich. Derartige Lebenssituationen kommen bspw. dann vor, wenn Kinder in einem Heim, einem Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrichtung untergebracht sind oder im Rahmen eines Schüleraustauschs längere Zeit im Ausland leben. Räumliche Trennungen sind aber auch darüber hinaus nicht untypisch, wenn etwa Kinder – wie im Streitfall – eine Schule im Ausland besuchen oder auswärtig für einen Beruf ausgebildet werden (vgl. BFH, Beschluss vom 11. Januar 2011, a.a.O.).

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Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass Kosten von getrennt oder zusammen lebenden Eltern(teilen) für Besuche ihrer Kinder im Regelfall durch den Familienleistungsausgleich abgegolten sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Einkommensteuerrecht ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Gesetzgeber aus dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG- das Gebot, die Steuerlast nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten, die nach dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip zu bemessen ist. Für den Bereich des subjektiven Nettoprinzips gebieten Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 1 Abs. 1und Art. 6 Abs. 1 GG, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie von der Einkommensteuer zu verschonen. Auf Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, darf der Staat bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2002, 2 BvR 400/98 und 2 BvR 1735/00, BStBl II 2003, 534; vom 16. März 2005, 2 BvL 7/00, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356). Der Gesetzgeber darf indes nicht nur im Bereich des objektiven, sondern auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Auf Grund dieser Befugnis des Gesetzgebers werden das von der Einkommensteuer freizustellende sächliche Existenzminimum des Steuerpflichtigen durch den Grundfreibetrag und das sächliche Existenzminimum eines Kindes durch den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld berücksichtigt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass Aufwendungen von getrennt oder zusammen lebenden Eltern(teilen) für den Umgang mit ihren Kindern durch den Familienleistungsausgleich abgegolten sind, liegt im Rahmen seines gesetzgeberischen Regelungsspielraums. Individueller Sonderbedarf ist grundsätzlich nicht bei der Ermittlung des von der Steuer freizustellenden Existenzminimums zu berücksichtigen, da bei allen Steuerpflichtigen gleichermaßen die existenznotwendigen Mindestaufwendungen typisierend anzusetzen sind. Daher muss bei der Ermittlung des steuerrechtlichen Existenzminimums auch nicht jede sozialrechtliche Zusatzleistung mitberücksichtigt werden. In welchem Umfang durch eine zusätzliche steuerliche Entlastung der Umgang mit dem Kind erleichtert und gefördert werden soll, liegt im Regelungsermessen des Gesetzgebers (vgl. BFH, Urteil vom 27. September 2007, a.a.O.; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. September 2011, 5 K 2011/10, juris).

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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