Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht (3. Senat) - 3 K 18/13

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 15. März 2010, der Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 26. November 2010 sowie die Einkommensteuerbescheide für 2009 und 2010 jeweils vom 28. Dezember 2011 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2013 werden abgeändert. Dem Finanzamt wird aufgegeben, die geänderten Steuerfestsetzungen nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner dem Kläger das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und die geänderten Bescheide mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekanntzugeben.

Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Finanzamt.

Das Urteil ist - soweit der Klage stattgegeben wurde - wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Streitig ist die Anwendbarkeit des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), insbesondere ob die Einkünfte des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit in Deutschland von der Besteuerung freizustellen sind.

2

Der Kläger erzielt als Pilot bei der Fluggesellschaft  mit Sitz in Irland Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Seinen Wohnsitz hatte er in den Streitjahren in der Bundesrepublik Deutschland. Der aus seiner beruflichen Tätigkeit in den Streitjahren bezogene Bruttoarbeitslohn betrug 2007  ... €, 2008  ... €, 2009  ... € und 2010  ... €. Die von seinem Arbeitgeber auf diese Beträge zunächst einbehaltenen und an die entsprechende irische Finanzbehörde abgeführten Steuern wurden auf Antrag des Klägers in voller Höhe an ihn erstattet.

3

Das beklagte Finanzamt unterwarf den Bruttoarbeitslohn 2007 bis 2010 vollständig der deutschen Besteuerung. Entgegen der Auffassung des Klägers seien die Einkünfte wegen § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBI I 2006, 2878) nicht gemäß Art. XII Abs. 3 i.V.m. XXII Abs. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer vom 17. Oktober 1962 (BGBI II 1964, 267 BStBI I 1964, 321) - DBA-Irland - von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in Deutschland auszunehmen.

4

Entsprechende Einkommensteuerbescheide erließ das beklagte Finanzamt am 15. März 2010 für 2007, am 26. November 2010 für 2008 sowie am 28. Dezember 2011 für 2009 und 2010.

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Hiergegen legte der Kläger jeweils fristgerecht Einspruch ein.

6

Einvernehmlich ruhten die Rechtsbehelfsverfahren 2007 bis 2010 wegen des beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen I R 27/11 anhängigen Revisionsverfahrens. Aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des BFH vom 11. Januar 2012, I R 27/11, BFHE 236, 327, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 07. Mai 2012, die Verfahrensruhe zu beenden und seinen Einsprüchen abzuhelfen. Infolge des BFH-Urteils sei der Steuersachverhalt höchstrichterlich geklärt worden. Dieser Sachverhalt gleiche exakt seinem Steuersachverhalt.

7

Mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2013 wies das beklagte Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.

8

Am 25. Februar hat der Kläger unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 11. Januar 2012, I R 27/11, BFHE 236, 327 Klage erhoben. Auf die weitergehende Klagebegründung wird Bezug genommen.

9

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt seines Vorbringens,
den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 15. März 2010, den Einkommensteuerbescheid für 2008, den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 26. November 2010 und die Einkommensteuerbescheide für 2009 und 2010 jeweils vom 28. Dezember 2011 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2013 zu ändern, seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit als Pilot bei der Firma ... von der deutschen Besteuerung freizustellen und lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2007 bis 2010 dementsprechend niedriger festzusetzen.

10

Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

11

Es hält an seiner Rechtsauffassung fest.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Steuerakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Einkommensteuerscheide und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

14

Entgegen der Auffassung des Finanzamts ist § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 für die im Streitfall zu beurteilende Konstellation nicht anwendbar; die Regelung wird durch die insoweit vorrangige Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) - EStG 2002/2004 - verdrängt.

15

Der Kläger hatte in den Streitjahren seinen Wohnsitz in Deutschland. Er unterfällt deswegen gemäß § 1 Abs. 1 EStG hier mit seinem Welteinkommen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Dieser Pflicht ist auch der Arbeitslohn (§ 19 EStG) unterworfen, den er als Flugzeugführer für die irische Fluggesellschaft in den Streitjahren vereinnahmt hat.

16

Das Besteuerungsrecht für diesen Arbeitslohn ist in Deutschland allerdings nach Art. XII Abs. 3 i.V.m. Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Irland in der in den Streitjahren maßgebenden Fassung von der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer auszunehmen, weil es sich hierbei um Einkünfte aus Quellen innerhalb Irlands handelt, die in Übereinstimmung mit dem Abkommen in Irland besteuert werden können: Dass es sich um Einkünfte aus Quellen innerhalb Irlands handelt, ergibt sich aus Art. XXII Abs. 3 DBA-Irland; Dienstleistungen, die eine natürliche Person ganz oder überwiegend an Bord von Luftfahrzeugen erbringt, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person betreibt, gelten danach als in diesem Vertragsstaat erbracht. Die Vergütungen für solche Dienstleistungen können nach Art. XII Abs. 3 DBA-Irland in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet, im Streitfall also in Irland. In Deutschland verbleibt nach Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Irland lediglich die Möglichkeit, die Einkünfte gemäß § 32b EStG dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.

17

Jedoch wird die Freistellung jener Einkünfte nach Maßgabe des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ungeachtet des Abkommens nicht gewährt, wenn die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht aufgrund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist.

18

Eine derartige Situation ist im Streitfall gegeben. Irland gebührt nach Art. XII Abs. 3 DBA-Irland das Besteuerungsrecht für die in Rede stehenden Vergütungen des Klägers. Irland verzichtet nach seinem Steuerrecht aber auf die Einkommensbesteuerung. Der Tatbestand des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ist als solcher erfüllt.

19

Die Anwendbarkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 wird indessen ihrerseits durch Abs. 8 der Vorschrift ausgeschlossen. Es verbleibt deswegen bei der Einkommensfreistellung. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007 ändert daran unilateral nichts. Auf das Urteil des BFH vom 11. Januar 2012, I R 27/11, BFHE 236, 327, DStR 2012, 689) wird verwiesen.

20

Die angefochtenen Steuerbescheide sind antragsgemäß zu ändern. Die in Rede stehenden – als solche unstreitigen – Einkünfte sind im Ergebnis und im Einklang mit dem DBA-Irland antragsgemäß steuerfrei zu belassen, jedoch dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.

21

Die Ermittlung und Berechnung des festzusetzenden Betrages wird dem beklagten Finanzamt nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen (§100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

22

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 115 Abs. 2 FGO).


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