Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 5 Sa 642/97
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil
des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 21.01.1997
- 7 Ca 4424/96 - wird kostenpflichtig zurück-
gewiesen.
2) Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die Länge einer arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist.
3Der Kläger war aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages seit dem 03.06.1996 bei einem Bruttostundenlohn von DM 18,00 als Textilarbeiter bei der Beklagten beschäftigt.
4In dem Arbeitsvertrag vom 06.06.1996 heißt es unter anderem wie folgt:
51. Der Mitarbeiter wird zum 03.06.96 als Textilarbeiter an der Ultra-
6schall-Schneidemaschine (bei Bedarf in allen anderen Abteilungen)
7in unserer Bandweberei von der Firma eingestellt.
8Der Mitarbeiter ist bereit, eine andere zumutbare Tätigkeit in der
9Firma auszuüben. Der Einsatz erfolgt im Zeitlohn.
102. Die Einstellung erfolgt für 6 Monate. Es gelten die tariflichen und
11gesetzlichen Kündigungsfristen. Das Arbeitsverhältnis endet, ohne
12daß es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des 30. November 1996.
13Die ersten vier Wochen gelten als Probezeit mit 3-tägiger
14Kündigungsfrist.
153. Zur Leistung von Mehrarbeit ist der Mitarbeiter im Rahmen der
16gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen verpflichtet.
174. Der Mitarbeiter erhält als gewerblicher Arbeitnehmer beim Einsatz
18im Zeitlohn einen Stundenlohn von DM 18,00 brutto.
19Entsprechend der vorgesehenen Tätigkeit des Mitarbeiters bestimmt
20sich der Tariflohn nach der Lohngruppe 6 des derzeitigen Lohntarif-
21vertrages für die Nordrheinische Textilindustrie.
22Mit der Zuweisung einer anderen Tätigkeit gelten die Lohn-
23regelungen (Entlohnungsgrundsatz, Lohnhöhe, Lohngruppe) der
24gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen und/oder der anzuwen-
25denen Betriebsvereinbarungen.
265. Irrtümlich gezahlte Geldbeträge hat der Mitarbeiter im Rahmen der
27gesetzlichen und tariflichen Ausschlußfristen zu erstatten.
28Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß es sich bei den im Arbeitsvertrag genannten Tarifbestimmungen unter anderem um den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Nordrheinischen Textilindustrie vom 10.05.1978 (im MTV) handelt, dessen § 2 Nr. 6 auszugsweise wie folgt lautet:
29Die beiderseitige Kündigungsfrist beträgt, sofern ein Gesetz oder
30dieser Tarifvertrag nichts anderes bestimmt, zwei Wochen zum Schluß
31der Kalenderwoche ... .
32Die Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16.08.1996 zum 30.08.1996.
33Mit seiner am 30.09.1996 beim Arbeitsgericht Wuppertal anhängig gemachten Klage hat der Kläger die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist bis zum 15.09.1996 und entsprechend die Zahlung eines Bruttolohnes in Höhe von DM 1.440,00 geltend gemacht.
34Er hat die Auffassung vertreten, daß der Arbeitsvertrag auf die gesetzlichen Kündigungsfristen verweise und es der Beklagten verwehrt sei, sich auf die Bestimmungen des MTVs zu berufen.
35Der Kläger hat beantragt,
36die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 1.440,00 brutto
37nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag
38ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
39Die Beklagte hat beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Sie ist der Meinung gewesen, daß Ziff. 2 des Arbeitsvertrages in erster Linie auf tarifliche Vorschriften und erst bei deren Fehlen auf die gesetzlichen Bestimmungen verweise. Keinesfalls sei beabsichtigt gewesen, dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht einzuräumen.
42Mit Urteil vom 21.01.1997 hat die 7. Kammer des Arbeitsgerichts Wuppertal
43- 7 Ca 4424/96 - die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Problematik der anzuwendenden Kündigungsfrist dahingestellt sein lassen. Es hat demgegenüber ausgeführt, daß die Beklagte nicht in Annahmeverzug geraten sei, weil es nach Ablauf der kurzen Kündigungsfrist an einem entsprechenden Arbeitsangebot des Klägers gefehlt hätte.
44Der Kläger hat gegen das ihm am 24.04.1997 zugestellte Urteil mit einem am 15.05.1997 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 28.05.1997 eingegangenen Schriftsatz begründet.
45Er wiederholt sein Vorbringen aus der ersten Instanz und meint, daß es eines Inverzugsetzens der Beklagten nicht bedurft hätte, weil diese klar zum Ausdruck gebracht hätte, daß sie den Arbeitsplatz des Klägers nur bis zum 30.08.1996 zur Verfügung stellen wollte.
46Im übrigen habe er, der Kläger, den Geschäftsführer der Beklagten auch gefragt, ob es zulässig sei, mit einer derart kurzen Frist zu kündigen.
47Der Kläger ermäßigt seinen Klageantrag unter Berücksichtigung einer bei der Beklagten bestehenden 39-Stunden-Woche und beantragt nunmehr,
48das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 21.01.1997 - 7 Ca 4424/96 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 1.404,00 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
49Die Beklagte beantragt,
50die Berufung zurückzuweisen.
51Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt im wesentlichen ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug.
52Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
53E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
54I.
55Die Berufung ist zulässig.
56Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).
57II.
58In der Sache selbst hat das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg.
59Er hat gegen die Beklagte weder aus §§ 615, 611, 293 ff. BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag noch aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf Zahlung vom DM 1.404,00 brutto, weil sich die Beklagte nach dem 30.08.1996 nicht in Annahmeverzug befand.
601. Die Berufungskammer ist allerdings mit dem Kläger der Auffassung, daß hinsichtlich der anzuwendenden Kündigungsfrist auf die gesetzliche Bestimmung des § 622 Abs. 1 BGB und nicht auf die Tarifnorm des § 2 Nr. des MTV abzustellen ist. Dies ergibt eine an §§ 133, 157 BGB orientierte Auslegung des Arbeitsvertrages vom 06.06.1996.
61a) Nach §§ 133, 157 BGB sind bei der Vertragsauslegung zunächst die Vorstellungen der Erklärenden zugrunde zu legen, die aber nur insoweit Berücksichtigung finden können, als sie in der Erklärung und dem Gesamtzusammenhang mit dem Vertragsabschluß einen wahrnehmbaren Ausdruck gefunden haben. Dabei kann auch auf die Interessenlage und die Zwecke des Arbeitsvertrages abgestellt werden. Die Auslegung ist dann so vorzunehmen, wie dies Treu und Glauben mit Rücksicht auf Verkehrssitte erfordern, wobei es entscheidend darauf ankommt, wie der Arbeitnehmer als Empfänger das Vertragsangebot verstehen konnte (BAG, Urteil v. 08.06.1988 - 4 AZR 15/88 - n. v.; BAG, Urteil v. 11.11.1987 - 4 AZR 339/87 - AP Nr. 5 zu § 3 BAT).
62In Anwendung dieser Auslegungsregeln kann gerade nicht davon ausgegangen werden, daß nach den Vorstellungen der Parteien die tariflichen Kündigungsfristen des MTV zur Anwendung gelangen sollten.
63aa) Der Wortlaut von Ziff. 2 des Arbeitsvertrages ist nicht eindeutig und bietet keine hinreichenden Rückschlüsse auf die von der Beklagten vorgenommene Interpretation. Das Wort und , das die Begriffe tariflich und gesetzlich verbindet, deutet eher darauf hin, daß beide Kündigungsfristen gleichrangig nebeneinander zur Anwendung kommen sollen. Jedenfalls kommt nicht zum Ausdruck, daß den Tarifbestimmungen ein irgendwie gearteter Vorrang eingeräumt werden soll.
64bb) Auch der Gesamtzusammenhang, in dem sich Ziff. 2 des Arbeitsvertrages mit den anderen Normen befindet, spricht nicht für die von der Beklagten vorgenommene Auslegung. Der Verweis auf die tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen befindet sich an mehreren Stellen im Arbeitsvertrag, wobei unsystematisch einmal die tariflichen dann aber auch die gesetzlichen Regelungen als verbindlich genannt werden. Die erkennende Kammer vermochte nicht zu erkennen, daß hiernach grundsätzlich von einem Vorrang der Tarifnormen ausgegangen werden sollte; entsprechende Vorstellungen der Parteien finden im Arbeitsvertrag jedenfalls keinen rechtserheblichen Anklang.
65cc) Auch die beiderseitige Interessenlage vermag keine ausreichenden Rückschlüsse auf die von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Auslegung zuzulassen. Sie selbst hat sicherlich ein erhebliches Interesse daran, mit einer möglichst kurzen Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis des Klägers beendigen zu können; andererseits muß es das vorherrschende Interesse des Arbeitnehmers, hier des Klägers, sein, bei einer Kündigung möglichst lange im Arbeitsverhältnis zu verbleiben. Hieraus folgt gleichzeitig, daß auch Sinn und Zweck des Arbeitsvertrages keine beachtenswerten Hinweise dafür bietet, daß tatsächlich die kurzen tariflichen Kündigungsfristen zur Anwendung gelangen sollten.
66dd) Weitere Umstände, die bei Vertragsabschluß eine Rolle gespielt haben könnten, und für die eine oder andere Interpretation sprechen, sind im übrigen dem Berufungsgericht nicht bekannt und von den Parteien auch nicht vorgetragen worden.
67b) Ist danach immer noch zweifelhaft, wie Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom 06.06.1996 auszulegen ist, so greift nunmehr die in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Unklarheitenregelung ein. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß der Arbeitsvertrag - wie auch vorliegend - regelmäßig vom Arbeitgeber einseitig formuliert wird und andererseits bei der Vertragsauslegung vom Empfängerhorizont, also aus der Sicht des Klägers, auszugehen ist. Bei Zweifeln und Unklarheiten über die Auslegung des Vertrages ist deshalb die sogenannte Unklarheitenregelung zugrunde zu legen, wonach derjenige, der eine Regelung geschaffen hat, bei Unklarheiten über ihre Auslegung die ihn ungünstigere Auslegungsmöglichkeit hinnehmen muß; der Verfasser des Arbeitsvertrages muß danach Zweifel der Auslegung gegen sich gelten lassen, wenn zwei verschiedene Auslegungen denkbar sind (BAG, Urteil v. 14.06.1995 - 10 AZR 25/95 - EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 127; BAG, Urteil v. 21.02.1984
68- 3 AZR 442/81 - n. v.; BAG, Urteil v. 30.10.1984 - 3 AZR 587/82 - n. v.).
69Nach dem oben Gesagten steht fest, daß Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom 06.06.1996 sowohl entsprechend der Rechtsauffassung des Klägers wie auch der Beklagten ausgelegt werden kann. Dann aber muß sich die Beklagte die Interpretation des Klägers entgegenhalten lassen; es gilt die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 16.08.1996 erst zum 15.09.1996 beendet worden ist.
702. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts geht allerdings auch die Berufungskammer davon aus, daß der Kläger die von ihm begehrte Vergütung bis zum 15.09.1996 nicht beanspruchen kann, weil sich die Beklagte ab dem 31.08.1996 nicht in Annahmeverzug befand, §§ 615,
71293 ff. BGB.
72a) Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB. Danach muß der Schuldner in der Regel die geschuldete Leistung tatsächlich anbieten. Nach § 295 BGB gilt jedoch ein wörtliches Angebot, wenn der Gläubiger erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung der Leistung erforderlich ist. Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es ausnahmsweise überhaupt keines Angebots, wenn der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt (§§ 296 BGB).
73In Anwendung dieser Grundsätze vertritt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß der Arbeitgeber im Falle einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug gerät, wenn er den Arbeitnehmer nicht - im Falle der ordentlichen Kündigung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist - aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen (vgl. hierzu: BAG, Urteil v. 09.08.1984 BAGE 46, 234 ff.; BAG, Urteil v. 21.03.1985 - 2 AZR 201/84 - AP Nr. 35 zu § 615 BGB; BAG, Urteil v. 29.10.1987 - 2 AZR 189/87 - n. v.).
74b) Zum Annahmeverzug bei einer ordentlichen oder einer außerordentlichen befristeten Kündigung hat das Bundesarbeitsgericht darüber hinaus klargestellt, daß der Arbeitgeber durch die Kündigung nur zum Ausdruck bringe, daß er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist den Arbeitsplatz für den betreffenden Arbeitnehmer bereithalte und ihm Arbeit zuzuweisen beabsichtige. Erst für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist hat deshalb der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufzufordern, trotz Kündigung weiterzuarbeiten, wenn er nicht in Annahmeverzug geraten will (BAG, Urteil v. 29.10.1987, a. a. O.). Schließlich meint das BAG, daß die vorgenannten Grundsätze auch dann zu beachten sind, wenn der Arbeitnehmer zum Kündigungstermin infolge Krankheit befristet arbeitsunfähig war; auch in diesem Fall treten die Verzugsfolgen mit Eintritt der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich unabhängig von der Anzeige der Arbeitsfähigkeit ein, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder sonstigen Widerspruch gegen die Kündigung seine weitere Leistungsbereitschaft deutlich gemacht hat (BAG, Urteil v. 19.04.1990 - 2 AZR 591/89 - EzA § 615 BGB Nr. 66; BAG, Urteil v. 24.10.1991 - 2 AZR 112/91 - EzA § 650 BGB Nr. 70).
75In der zuletzt genannten Entscheidung heißt es darüber hinaus wörtlich, daß nach der Senatsrechtsprechung ein Verzugslohnanspruch im oder ohne Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeit dann nicht in Betracht komme, wenn der Arbeitnehmer nicht gegen die Kündigung protestiert , wenn er sie also hingenommen habe.
76c) Die Berufungskammer meint, daß ein derartiger Protest nicht nur dann zu fordern ist, wenn der Arbeitnehmer zum Kündigungstermin arbeitsunfähig krank ist, sondern immer dann, wenn er Vergütungsfortzahlung über das Ende der vom Arbeitgeber gesetzten Kündigungsfrist beanspruchen will.
77Soweit ersichtlich, ist die aufgeworfene Frage vom Bundesarbeitsgericht in den zuvor genannten Entscheidungen bisher nur im Zusammenhang mit Verzugslohnansprüchen erörtert worden, die anläßlich einer fristgemäßen Kündigung und einer gleichzeitig vorliegenden Arbeitsunfähigkeit geltend gemacht wurden. In den entschiedenen Fällen hatte der betroffene Arbeitnehmer - mit Rücksicht auf die 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG - seine Leistungsbereitschaft und spätere Leistungsfähigkeit durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage kenntlich gemacht. In einem solchen Fall ist dem Arbeitgeber bewußt, daß sich der Arbeitnehmer nicht nur gegen die Kündigung wehren will, sondern daß sich der Arbeitgeber darüber hinaus auch auf die mögliche Zahlung von Verzugslohn gemäß § 615 BGB einstellen muß.
78Demgegenüber zeichnet sich die hier zu beurteilende Fallkonstellation dadurch aus, daß die Beklagte eine nach ihrer Auffassung fristgemäße ordentliche Kündigung zum 30.08.1996 ausgesprochen hatte, ohne zunächst zu wissen, ob und wie der Kläger sich gegen die Kündigung wehren wollte. Die Beklagte hatte danach keinerlei Hinweise darauf, daß der Kläger (irgendwann) Verzugslohnansprüche bis zum 15.09.1996 geltend machen würde. Sie hatte demgemäß auch keinerlei Veranlassung, dem Kläger über den 30.08.1996 hinaus einen funktionsfähigen Arbeitsplatz anzubieten, um die Folgen des Annahmeverzuges zu umgehen. Würde man in diesem Falle in Anwendung des § 296 BGB gleichwohl eine Aufforderung zur Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber für notwendig erachten, so führt dies nach Auffassung der Berufungskammer zu paradoxen und unlogischen Ergebnissen: Der Arbeitgeber wäre nämlich verpflichtet, gleichzeitig oder im Rahmen der von ihm gewählten Kündigungsfrist den Arbeitnehmer vorsichtshalber auffordern, nach Ablauf der Kündigungsfrist seine Tätigkeit wieder aufzunehmen, obwohl überhaupt nicht erkennbar ist, daß der Arbeitnehmer die gewählte Kündigungsfrist reklamieren will. Hieraus wiederum folgt, daß ein Annahmeverzug des Arbeitgebers erst dann eintreten kann, wenn der Arbeitnehmer - entsprechend § 295 BGB - gegen den vorzeitigen Ablauf der Kündigungsfrist protestiert hat und damit dem Arbeitgeber zu erkennen gibt, daß jener sich auf Verzugslohnansprüche einzustellen hat.
79Dem Kläger ist es indessen in beiden Instanzen nicht gelungen, substantiiert vorzutragen und unter Beweis zu stellen, daß er vor Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist einen derartigen Protest gegenüber der Beklagten eingelegt hat. Allein der Hinweis darauf, daß er - irgendwann - beim Geschäftsführer angefragt habe, ob die kurze Kündigungsfrist richtig gewählt sei, reicht hierfür ersichtlich nicht aus.
80Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
81Die Kammer hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht und die Revision zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
82RECHTSMITTELBELEHRUNG
83Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
84REVISION
85eingelegt werden.
86Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
87Die Revision muß
88innerhalb einer Notfrist von einem Monat
89nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
90Bundesarbeitsgericht,
91Graf-Bernadotte-Platz 5,
9234119 Kassel,
93eingelegt werden.
94Die Revision ist gleichzeitig oder
95innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
96schriftlich zu begründen.
97Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
98gez. Göttling gez. Ropertz gez. Meiwald
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