Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 12 Sa 900/97
Tenor
Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 15.04.1997 wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Höhe einer betrieblichen Witwenrente, insbesondere darüber, ob aufgrund einer tariflichen Anrechnungsklausel die von der Klägerin zum regelmäßigen Gehalt im November bezogene Sonderzuwendung auf den in diesem Monat zu zahlenden Rentenbetrag anrechenbar ist.
3Der am 16.09.1991 verstorbene Ehemann der Kläger war bei der beklagten Ersatzkasse angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fand der Ersatzkassen-Tarifvertrag (EKT) mit dem am 01.07.1989 in Kraft getretenen Tarifvertrag Anlage 7 a zum EKT (nachfolgend: Anlage 7 a) Anwendung. In Anlage 7 a ist u. a. folgendes bestimmt:
47 Leistungen der Hinterbliebenenversorgung
57.1 Stirbt ein anspruchsberechtigter Angestellter, werden der Witwe,
6die dem Grunde nach Anspruch auf Witwenrente aus der gesetzlichen
7Rentenversicherung hat, 65 v.H. des Ruhegeldes gezahlt, das der An-
8gestellte erhalten hätte. ...
97.6 Bei Bezug von Arbeitsentgelt, vergleichbarem Entgelt (z.B. Vorruhe-
10standsgeld) sowie von an die Stelle des Arbeitsentgelts tretendem kurzfristigen Erwerbsersatzeinkommen (§ 18 a Abs. 3 Nr. 1 SGB IV) vermindert sich das Ruhegeld monatlich um den Betrag, um den das Arbeitsentgelt usw. 45 v.H. der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung überschreitet. Das gilt entsprechend beim Bezug von Arbeitseinkommen. Die Leistungen nach Nr. 7.5.1 bleiben hiervon unberührt.
11...
1213 Entstehung, Fälligkeit und Verjährung des Anspruchs auf Ruhegeld
13...
1413.3 Ansprüche nach diesem Tarifvertrag verjähren innerhalb von drei
15Jahren nach ihrer Fälligkeit.
16...
1715 Rückforderung und Aufrechnung
1815.1 Überzahltes Ruhegeld ist zurückzuzahlen. Beim Tode eines Ruhegeld-
19empfängers wird ein für den Sterbemonat bereits zur Zahlung angeordnetes Ruhegeld nicht zurückgefordert.
20...
2116 Verfahren
2216.1 Bei Eintritt des Versorgungsfalles erhält der Anspruchsberechtigte
23eine schriftliche Mitteilung über die Gewährung und die Höhe des Ruhegeldes. Die Auszahlung erfolgt nur, wenn von dem Anspruchsberechtigten eine Einverständniserklärung nachstehenden Inhalts abgegeben wurde:
24Von den Bestimmungen über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung - Anlage 7 a zum EKT - habe ich in allen Teilen Kenntnis genommen. Ich erkläre mich ausdrücklich damit einverstanden, daß die Bestimmungen dieses Tarifvertrages und auch etwaige spätere Änderungen für die Ruhegeldzahlung an mich maßgebend sind. Das gilt nicht im Falle der Nr. 17 zu Anlage 7 a zum EKT.
2516.2 Die Ruhegeldempfänger sind verpflichtet, jede für den Bezug des
26Ruhegeldes wichtige Änderung in ihren Verhältnissen(Veränderung des Wohnsitzes, Änderung in der Höhe der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der Pension aus der Pensionskasse u.ä., der Höhe des Entgelts oder Einkommens, Wiederverheiratung oder Beschäftigungsaufnahme usw.) der Kasse sofort mitzuteilen.
27...
28Die Klägerin ist Angestellte bei der Stadt S.. Zu ihrem laufenden Monatsverdienst erhält sie im November eine Zuwendung nach dem Zuwendungs-TV.
29Mit Schreiben vom 21.11.1991 (Bl. 8 f. d. Gerichtsakte) übersandte die Beklagte der Klägerin eine von dieser abzugebende Meldung und informierte sie unter Hinweis auf Nr. 7.6 Anlage 7 a darüber, daß weitere Bezüge (wie z. B. Arbeitsentgelt, ...) bei der Festsetzung des Ruhegeldes zu berücksichtigten sind. Die Klägerin sandte mit Anschreiben vom 05.12.1991 die Gehaltsbescheinigung ihres Arbeitgebers für den Monat Oktober 1991 und die unter dem 04.12.1991 ausgefüllte Meldung (Bl. 37) zurück. Darin gab sie ihr Arbeitsentgelt mit DM 2.217,68 brutto monatlich an. Die Meldung enthält eine - von der Klägerin unterzeichnete - Erklärung, die wie folgt lautet:
30Von den Bestimmungen über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung - Anlage 7 a zum EKT - habe ich in allen Teilen Kenntnis genommen. Ich erkläre mich ausdrücklich damit einverstanden, daß die Bestimmungen dieses Tarifvertrages und auch etwaige spätere Änderungen für die Ruhegeldzahlung an mich maßgebend sind. Das gilt nicht im Falle der Nr. 17 der Anlage 7 a zum EKT.
31Mit Schreiben vom 07.01.1992 informierte die Beklagte die Klägerin über das berechnete monatliche Ruhegeld. Weiterhin heißt es in dem Schreiben:
32In ihrer Meldung vom 04.12.1991 haben Sie bestätigt, daß Ihre Bezüge gemäß Nr. 7.6/7.6.1 der Anlage 7 a zum EKT den maßgebenden Grenzwert von z. Zt. 3.060 DM monatlich nicht überschreiten. Wir können Ihnen daher das genannte Ruhegeld in vollem Umfang zur Verfügung stellen. Sollte in der Höhe dieser Einkünfte zukünftig eine Änderung eintreten oder Ihnen weitere Bezüge bewilligt werden, bitten wir Sie, uns entsprechende Nachweise über deren Höhe herzureichen, damit wir erneut prüfen können, inwieweit diese auf das Ruhegeld anzurechnen sind.
33Im Juli 1994 informierte die Beklagte durch Rundschreiben (Bl. 20) die Ruhegeldempfänger über die Entbehrlichkeit der Übersendung von Rentenanpassungsmitteilungen. Mit Schreiben vom 15.02.1996 forderte sie die Klägerin zur Übersendung ihrer Gehaltsabrechnungen für die Monate Juli/November 1995, mit Schreiben vom 12.03.1996 zur Übersendung der Gehaltsabrechnungen für Juli/November 1992 bis 1994 auf. Die Klägerin kam dem mit Antwortschreiben vom 21.02.1996 und 12.03.1996 nach. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 10.04.1996
34(Bl. 10) mit, daß rückwirkend ab 1992 für die Novembermonate eine Neuberechnung ihrer Ruhegeldbezüge vorgenommen werde, da das Arbeitsentgelt in diesen Monaten aufgrund der Weihnachtsgeldzahlung 45 v.H. der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung überstiegen habe und also das Ruhegeld insoweit mindere.
35Im Mai 1996 hielt die Beklagte DM 579,13 ein, in den folgenden Monaten jeweils DM 400,--, ausgenommen den Monat Oktober, für den DM 1.818,61 einbehalten wurden.
36Die Klägerin hat mit dem zuletzt beim Arbeitsgericht Wuppertal gestellten Antrag die Zahlung des von Mai 1996 bis März 1997 einbehaltenen Gesamtbetrages von DM 5.997,74 nebst Zinsen begehrt. Durch Urteil vom 15.04.1997 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil, auf das hiermit zur weiteren Darstellung des Streitstandes verwiesen wird, mit Rechtsausführungen an. Sie beantragt die Abänderung des Urteils und die Klageabweisung.
37Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt mit Rechtsausführungen das Urteil und meint, daß eine etwaige Gegenforderung der Beklagten wegen überzahlten Ruhegeldes nach § 40 a EKT verfallen sei.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den von den Parteien vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40Die Klage ist nicht begründet und daher - unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils - abzuweisen.
411. Der Anspruch der Klägerin auf Ruhegeld der in Höhe der im Zeitraum Mai 1996 bis 1997 einbehaltenen Teilbeträge ist dem Grunde und der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist allein, ob der Beklagten die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung zusteht, also ob die Klägerin jeweils für den Monat November der Jahre 1992 bis 1995 wegen Nichtberücksichtigung der Sonderzuwendung ein überhöhtes Ruhegeld bezog und ob die Gegenforderung der Beklagten verfallen ist. Dabei ist die Gegenforderung selbst der Höhe nach nicht im Streit.
422. a) Die Beklagte kann nach Ziffer 15.1 Anlage 7 a die Rückzahlung überzahlten Ruhegeldes verlangen.
43b) Außerdem kommt ein Schadensersatzanspruch der Beklagten in Betracht. Nach Ziffer 16.2 Anlage 7 a war die Klägerin verpflichtet, jede für den Bezug des Ruhegeldes wichtige Änderung in ihren Verhältnissen, insbesondere die Veränderung in der Höhe des Arbeitsentgeltes, sofort mitzuteilen. Mit Schreiben der Beklagten vom 07.01.1992 wurde sie auf diese Pflicht hingewiesen. Der gelegentliche Bezug einer Sonderzahlung (hier im Monat November) stellt eine Veränderung der Höhe des Arbeitsentgeltes dar, gleichgültig, ob man in diesem Zusammenhang auf das regelmäßige Arbeitsentgelt oder - was näher liegt - auf das von der Klägerin in der Meldung vom 04.12.1991 und mit der Gehaltsbescheinigung für Oktober 1991 angegebene Arbeitsentgelt abstellt.
44Der Einwand der Klägerin, daß es sich bei dem im November ausgezahlten 13. Gehalt um eine vertragliche Leistung ihres Arbeitgebers handele (Seite 5 f. des Schriftsatzes vom 19.03.1997), geht fehl, denn es kommt für die Mitteilungspflicht nach Ziffer 16.2 Anlage 7 a nicht auf die - der Beklagten regelmäßig unbekannten - arbeitsvertraglichen Entgeltansprüche des Ruhegeldempfängers gegen seinen Arbeitgeber an. Maßgebend ist vielmehr, ob sich die Höhe des Arbeitsentgeltes, d. h. der betragsmäßig angegebenen Monatsbezüge, geändert hat, denn gerade und nur dieser Umstand ist für die Anrechnung nach Ziffer 7.6.1 Anlage 7 a von Bedeutung.
45Die Klägerin hat auch fahrlässig i. S. v. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB gehandelt. Es war ihr möglich und zumutbar, die Mitteilungsobliegenheiten zu erkennen und danach zu handeln. Das Rundschreiben der Beklagten aus Juli 1994 führt zu keiner Exkulpation, denn es verhält sich lediglich über Rentenänderungsmitteilungen, nicht jedoch zu dem Bezug von Arbeitseinkommen. Durch die Verletzung der Mitteilungspflicht ist bei der Beklagten ein Schaden in Höhe der geleisteten Überzahlungen eingetreten.
46Die Beklagte trifft an dem entstandenen Schaden kein Mitverschulden. Sie war zu regelmäßigen Nachfragen bei der Klägerin nicht verpflichtet (vgl. BAG, Urteil vom 16.11.1989, 6 AZR 114/88, AP Nr. 8 zu § 29 BAT, zu II 3 c). Der ihr zugeleitete Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Bl. 18) enthält zwar im Rahmen der Berechnung der gesetzlichen Rente einen Hinweis auf jährliche Zuwendungen aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis . Die Beklagte brauchte jedoch den Bescheid nicht durchzusehen, um hieraus gegen die Klägerin zu ermitteln, sondern durfte sich darauf verlassen, daß diese von sich aus eine Änderung der Höhe des Entgelts mitteilte. Jedenfalls wäre ein Mitverschulden der Beklagten derart gering, daß es im Rahmen des § 254 BGB außer Ansatz zu bleiben hat.
473. Sonderzuwendungen, die der Ruhegeldberechtigte in seinem Arbeitsverhältnis bezieht, erhöhen das Arbeitsentgelt des Auszahlungsmonats und führen zu einer Berücksichtigung bei dem für denselben Monat gewährten Ruhegeld. Dies ergibt sich aus Ziffer 7.6 Anlage 7 a.
48a) Tarifnormen sind wie Gesetze auszulegen. Zunächst ist vom Wortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil diese Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Da die tarifunterworfenen Arbeitsvertragsparteien den Gesamtzusammenhang auch erkennen können, ist er mitzuberücksichtigen, und zwar auch bei der Frage, ob die verwendete Formulierung eindeutig ist oder nicht. Falls der Wortlaut, die Systematik und der sich daraus ergebende Regelungszweck des Tarifvertrages keine zweifelsfreien Auslegungsergebnisse zulassen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, die praktische Tarifübung und die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 16.05.1995, 3 AZR 395/94, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie, zu I 1, vgl. Urteil vom 17.01.1995, 3 AZR 527/94, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Tarifverträge: Holz, zu II 4 (zur Praktikabilität), Urteil vom 05.09.1995, 3 AZR 124/95, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie, zu II 1 a, b).
49Diese Auslegungskriterien gelten auch dann, wenn Tarifrecht nur aufgrund einzelvertraglicher Verweisung in Anwendung kommt (BAG, Urteil vom 12.02.1992, 5 AZR 566/90, AP Nr. 20 zu § 15 BAT).
50Sonderzahlungen sind Arbeitsentgelt i. S. v. Ziffer 7.6 Anlage 7 a.
51Die Tarifvertragsparteien haben nicht erläutert, was sie unter dem Begriff des Arbeitsentgeltes verstehen. Verwenden die Tarifvertragsparteien jedoch einen Begriff, der in der Rechtsterminologie einen bestimmten vorgegebenen Inhalt hat, so ist davon auszugehen, daß der betreffende Begriff von ihnen mit dieser Bedeutung verstanden und angewendet werden soll, soweit sich nicht aus den tariflich Bestimmungen etwas anderes ergibt (BAG, Urteil vom 29.08.1991, 6 AZR 384/89, AP Nr. 2 zu §§ 22, 23 BAT Zuwendungs-TV, zu II 1 a).
52Sonderzahlungen sind entweder Arbeitsentgelt i. e. S. oder, wenn sie Mischcharakter tragen, Arbeitsentgelt i. w. S. (BAG, Urteil vom 10.01.1991, 6 AZR 205/89, AP Nr. 136 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 2 a). Die jährliche Zuwendung nach dem Zuwendungs-TV hat Mischcharakter und ist als Arbeitsentgelt i. w. S. anzusehen (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.1996, 10 AZR 558/95, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchendienst, zu 4 f). Anzumerken ist, daß Sonderzahlungen auch Arbeitsentgelt im steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Sinn sind (vgl. Benner/Bals, BB 1997, Beilage 1 zu Heft 1, Einmalige Bezüge , B. Gaul, Sonderleistungen und Fehlzeiten, S. 47 ff.).
53Ziffer 7.6 Anlage 7 a unterscheidet nicht zwischen Arbeitsentgelt i. e. S. oder i. w. S., sondern versteht Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in einem weiten Sinn. Die Vorschrift enthält keine Beschränkung auf laufende oder regelmäßig gezahlte Gehaltsbezüge, sondern schließt unregelmäßig gezahlte Bezüge, z. B. Provisionen, mit ein. Daher stellen auch gewährte Sonderzahlungen den Bezug von Arbeitsentgelt dar. Die Tarifvertragsparteien kennen den Unterschied zwischen monatlichem Gehalt (vgl. §§ 11 - 13 EKT) und Sonderzahlungen (vgl. § 23 EKT). Wenn sie in Ziffer 7.6 Anlage 7 a von einer Formulierung, die auf diese Unterscheidung abstellen würde, absehen und den weiten Begriff des Arbeitsentgelts verwenden, indiziert dies ihren Willen, sämtliche Bezüge mit Entgeltcharakter zu erfassen.
54Dieser Befund entspricht dem tariflichen Regelungszweck. Das Ruhegeld soll zur Versorgung des Ruhegeldempfängers bis zu einer betragsmäßig bestimmten Grenze beitragen. Soweit die Grenze durch andere anrechenbare Einkünfte überschritten wird, entfällt der Versorgungsbedarf. Dies rechtfertigt es, Vergütungen jedweder Art, die aufgrund einer Arbeitstätigkeit bezogen werden, zu berücksichtigen, denn sie ermöglichen dem Arbeitnehmer die Bestreitung seines Lebensunterhalts, dienen also seiner Versorgung .
55c) Indem Ziffer 7.6 Anlage 7 a auf den Bezug von Arbeitsentgelt (Arbeitseinkommen) abstellt, spricht der Wortlaut der Tarifnorm des weiteren dafür, daß es für die Höhe des monatlichen Ruhegeldes auf die Einkünfte ankommt, die der Ruhegeldempfänger aus der Erwerbstätigkeit in demselben Monat erzielt bzw. erhalten hat. Das Wort Bezug kann den tatsächlichen Zufluß meinen, aber auch den fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf Arbeitsentgelt (vgl. Urteil der Kammer vom 28.07.1994, LAGE Nr. 8 zu § BUrlG). Dies bedarf vorliegend keiner Klärung, denn der Klägerin stand die tarifliche Jahreszuwendung im November zu; sie hat die Zuwendung auch im November tatsächlich erhalten. In jedem Fall steht das Wort Bezug entgegen, Entgeltbestandteile nicht oder, wenn sie etwa für einen längeren Referenzzeitraum (Arbeitsjahr) gezahlt werden, für den Auszahlungsmonat nur zeitanteilig zu berücksichtigen.
56Auch hier gilt, daß den Tarifvertragsparteien die Üblichkeiten im Arbeits- und Wirtschaftsleben bekannt sind. Sie wissen, daß zu den regelmäßigen monatlichen Vergütungen Sonderzahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Tantiemen u. ä.) hinzutreten, die einen anderen Bezugszeitraum als den Monat haben. Wenn sie gleichwohl weder diese Zahlungen aus der Anrechenbarkeit ausschließen noch ihre zeitanteilige Umrechnung vorsehen, sondern allein an den Bezug von Arbeitsentgelt anknüpfen, ist einer abweichenden Berechnung, insbesondere zeitanteiligen Umrechnung, die Grundlage entzogen. Die intendierte Bindung an den einzelnen Monat ergibt sich auch daraus, daß Ziffer 7.6 Anlage 7 a explizit auf das monatliche Ruhegeld und die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung abstellt. Hingegen wird tariflich nicht etwa auf den Jahresarbeitsverdienst und die jährliche Beitragsbemessungsgrenze abgestellt, um etwaige monatliche Vergütungsschwankungen, wie sie auch durch Sonderzuwendungen ausgelöst werden, zu nivellieren.
57Entgegen der Auffassung der Klägerin bildet Ziffer 7.6 Anlage 7 a nicht § 97 SGB VI
58ab. Im übrigen würde eine dem Gesetz nachgebildete Klauselfassung nicht die Heranziehung der Bestimmungen über Arbeitseinkommen und Hinzuverdienst im SGB IV (§§ 18 a ff.) und SGB VI (§ 34 Abs. 2 Satz 2) rechtfertigen. Hätten die Tarifvertragsparteien solches gewollt, so hätte nichts näher gelegen, als auf die entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zu verweisen. Eben dies ist nicht geschehen. Die differenzierte Inbezugnahme von Gesetzesvorschriften, z. B. in Ziffer 4.4.4, 7.6, 7.10.1, 14.2 Anlage 7 a, indiziert vielmehr die Regelungsabsicht, daß im übrigen nicht sozialversicherungsrechtliche Regelungen für das tarifliche Versorgungssystem gelten sollen (vgl. zu globalen bzw. partiellen Verweisungen: BAG, Urteil vom 23.o2.1988, 3 AZR 3oo/86, AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 2 b, Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 397, Gaul, ZTR 1991, 192 f.). Fraglos sind das gesetzliche und das tarifliche bzw. betriebliche Versorgungssystem miteinander verknüpft. Die im Sozialversicherungsrecht getroffenen Differenzierungen erklären sich freilich mit spezifischen öffentlich-rechtlichen Zwecken. Bei einer Zusatzversorgung ist demgegenüber auf die arbeitsrechtliche Bedeutung und Zielsetzung abzustellen (BAG, Urteil vom 07.03.1995, 3 AZR 282/94, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 d gg).
59d) Der tarifliche Gesamtzusammenhang, namentlich die Sonderregelungen in Ziffer 4.5.8, 7.5.1, 9.1.2 Satz 2 Anlage 7 a, bestätigt den Befund, daß Sonderzahlungen um Arbeitsentgelt des Auszahlungsmonats gehören und sich auf den Ruhegeldanspruch für diesen Monat auswirken können.
60e) Es ist auch sinnvoll, auf die Verhältnisse im Auszahlungsmonat (Ziffer 13.2 Anlage 7 a) und die jeweilige Höhe des Arbeitsentgeltes, der gesetzlichen Rente usw. (vgl. Ziffer 16.2 Anlage 7 a) abzustellen. Damit wird grundsätzlich sichergestellt, daß der Ruhegeldempfänger in jedem Monat über Einkünfte verfügt, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Eine finanzielle Versorgung wäre nicht in gleichartiger Weise gewährleistet, wenn Sonderzahlungen auf zurückliegende Zeiträume verrechnet werden müßten. Dies könnte zur Folge haben, daß bei Überschreitung des Grenzwertes die bereits gezahlten Ruhegeldraten anteilig gekürzt werden müßten und der Ruhegeldempfänger einem beträchtlichen Rückzahlungsanspruch der Beklagten ausgesetzt wäre.
61Des weiteren sprechen Praktikabilitätsgründe für die Berücksichtigung des im jeweiligen Monat bezogenen Arbeitsentgeltes, auch wenn sich dieses auf einen längeren Vorzeitraum bezieht. Zum einen wird die Ermittlung des monatlichen Ruhegeldbetrages durch die Beklagte vereinfacht; zum anderen werden tatsächliche und rechtliche Komplikationen vermieden, die entstehen könnten, wenn unregelmäßige Zahlungen (Provisionen, Tantiemen, Gratifikationen u. ä.) auf einen längeren Vorzeitraum umgerechnet werden müßten.
62f) Ziffer 7.6 Anlage 7 a ist mit dem sich hiernach ergebenden Regelungsinhalt rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BAG, Urteil vom 27.02.1996, 3 AZR 886/94, AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu III 3 a, Urteil vom 07.11.1995, 3 AZR 952/95, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen, zu B II 1). Sie führt im Fall der Klägerin zu einer Schlechterstellung gegenüber der von ihr gewünschten Außerachtlassung von Sonderzuwendungen oder deren zeitanteiligen Umrechnung. In anderen Fällen, in denen die anrechenbaren Bezüge nur knapp unterhalb der Anrechnungsgrenze (derzeit DM 3.690,--) oder oberhalb der Anrechnungsgrenze liegen, mag die auf den Auszahlungsmonat beschränkte Berücksichtigung von Sonderzuwendungen eine finanzielle Besserstellung gegenüber der zeitanteiligen Umrechnung auf den Bezugszeitraum, meist das Kalender- oder Dienstjahr, bewirken. Die unterschiedlichen Auswirkungen sind freilich geringfügig und Folge der notwendigen Typisierung und Generalisierung in Tarifnormen. Die Gerichte für Arbeitssachen haben nicht darüber zu befinden, ob eine andere Tarifregelung sozial gerechter wäre, denn Tarifnormen unterliegen keiner Angemessenheits- und Billigkeitskontrolle. Eine solche kann auch nicht über Art. 3 Abs. 1 GG legitimiert werden (vgl. BAG, Urteil vom 07.11.1995, a.a.O., zu B II 1 b bb).
63g) Die Anrechnung von Erwerbseinkünften nach § 5 Abs. 2 BetrAVG ist zulässig (vgl. BAG, Urteil vom 09.07.1991, 3 AZR 337/90, AP Nr. 37 zu § 5 BetrAVG). Überdies schließt § 17 Abs. 3 BetrAVG Tarifregelungen von der Bindung an § 5 BetrAVG aus.
643. Die Gegenforderung der Beklagten ist weder tariflich verfallen noch verjährt.
65a) Nach § 40 a EKT müssen Ansprüche nach diesem Tarifvertrag innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist; Ansprüche auf Überstundenvergütung müssen spätestens im letzten Monat vor einem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis geltend gemacht werden.
66Es kann dahinstehen, ob § 40 a EKT sich auch auf Ansprüche aus anderen, als Anlagen zum EKT bezeichneten (Haus-)Tarifverträgen oder nur auf Ansprüche aus dem EKT selbst bezieht. Jedenfalls erfaßt die Verfallklausel nicht die wechselseitigen Ansprüche zwischen Ruhegeldberechtigten und Arbeitgeber aus dem Versorgungsverhältnis (vgl. BAG, Urteil vom 27.02.1990, 3 AZR 216/88, AP Nr. 107 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 2 c, Urteil vom 17.12.1991, 3 AZR 44/91, AP Nr. 32 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu I, Urteil vom 07.03.1995, a.a.O., zu B V 1 b). § 40 a EKT erfaßt die im laufenden Arbeitsverhältnis entstandenen Ansprüche und bezweckt, nach Ablauf einer bestimmten Zeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen. Dies verdeutlicht die Sonderregelung für Ansprüche auf Überstundenvergütung. Für Ansprüche aus einem Versorgungsverhältnis gilt der Regelungszweck des § 40 a EKT nicht.
67Im übrigen wird § 40 a EKT, zumal im Hinblick auf den Vorbehalt der tarifvertraglich anderen Regelung, durch die Sonderregelung in Ziffer 13.3 Anlage 7 a verdrängt. Bei der gegenteiligen Auffassung der Klägerin wäre Ziffer 13.3 Anlage 7 a praktisch bedeutungslos (vgl. BAG, Urteil vom 11.07.1995, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Versicherungsgewerbe, zu II 1 c).
68b) Nach der Verfallklausel in Ziffer 13.3 Anlage 7 a (§ 225 Satz 2 BGB) könnte die Überzahlung aus November 1992 verjährt und deshalb nicht mehr aufrechenbar sein (§ 390 Satz 2 BGB). Ob der Verjährung entgegensteht, daß die Beklagte von der im November an die Klägerin geleisteten Sonderzuwendung nicht wußte und auch zu regelmäßigen Nachfragen nicht verpflichtet war (vgl. BAG, Urteil vom 16.11.1989, a.a.O.; krit. Kammerurteil vom 11.06.1997, 12 (13) Sa 421/97, zu II 2 a), bedarf vorliegend keiner Klärung. Denn Ziffer 13.3 Anlage 7 a gilt nicht für Ansprüche auf Rückforderung überzahlten Ruhegeldes. Dies ergibt sich zwar nicht aus der zugegebenermaßen weiten Formulierung (vgl. BAG, Urteil vom 14.09.1994, 5 AZR 407/93, AP Nr. 127 zu § 4 TVG Ausschlußfristen), jedoch aus der systematischen Stellung. Ziffer 13.3 Anlage 7 a ist Bestandteil der Regelungsmaterie der Ziffer 13, betrifft also lediglich den Anspruch auf Ruhegeld . Gegenansprüche des Arbeitgebers (wegen Überzahlung) sind in Ziffer 13 Anlage 7 a nicht angesprochen, sondern werden erst in Ziffer 15 erwähnt.
69Es kann daher offen bleiben, ob ein Schadensersatzanspruch der Beklagten wegen Verletzung der Meldepflicht den Ansprüchen nach diesem Tarifvertrag (Ziffer 13.3 Anlage 7 a) zugerechnet werden könnte. Für den Schadensersatzanspruch würde im allgemeinen die 30jährige Verjährung gelten (vgl. BAG, Urteil vom 27.03.1990, 3 AZR 187/88, AP Nr.1 zu § 1 BetrAVG Überzahlung, zu I 3 c).
704. Die Klägerin hat als unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
71Die Kammer für die Klägerin die Revision zugelassen. Die Rechtssache hat grund- sätzliche Bedeutung i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil sie die Auslegung eines Tarifvertrages betrifft, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hinaus erstreckt. Außerdem gibt es eine Vielzahl gleichgelagerter Streitfälle, zu deren Beilegung allein eine höchstrichterliche Entscheidung führen wird.
72RECHTSMITTELBELEHRUNG
73Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin
74REVISION
75eingelegt werden.
76Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
77Die Revision muß
78innerhalb einer Notfrist von einem Monat
79nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
80Bundesarbeitsgericht,
81Graf-Bernadotte-Platz 5,
8234119 Kassel,
83eingelegt werden.
84Die Revision ist gleichzeitig oder
85innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
86schriftlich zu begründen.
87Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
88Dr. Plüm Dr. Escher Böhm
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