Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 17 Sa 1715/97
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Essen vom 04.09.1997 - 1 Ca 2224/97 -
wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger wegen fristgerechter Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.03.1997 die Weihnachtsgratifikation 1996 zurückzahlen muß.
3Der Kläger war seit dem 01.07.1995 bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Gehalt betrug im Jahre 1996 4.300,00 DM brutto. Mit dem Novembergehalt 1996 erhielt der Kläger eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 2.150,00 DM brutto. Auf seine Kündigung zum 31.03.1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er müsse die Weihnachtsgratifikation 1996 in voller Höhe zurückzahlen. Dabei stützt sich die Beklagte auf § 6 des Anstellungsvertrages vom 19.05.1995. Dort heißt es:
4Scheidet der Angestellte nach Gewährung einer freiwilligen Weihnachtsgrati-
5fikation vor dem 31. März des Folgejahres durch Eigenkündigung oder ver-
6haltensbedingte Arbeitgeberkündigung (fristgerecht und fristlos) aus dem Arbeitsverhältnis aus, so ist die Gratifikation in voller Höhe zurückzuzahlen.
7Der Kläger fordert den von seinem Märzgehalt abgezogenen Betrag von 2.150,00 DM brutto. Er hat einen entsprechenden Klageantrag gestellt, wobei sein weitergehendes Klagebegehren auf Zahlung anteiliger Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1997 durch rechtskräftige Klageabweisung in erster Instanz seine Erledigung gefunden hat.
8Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe für März 1997 das volle Gehalt zu. Die Beklagte könne sich nicht auf § 6 des Anstellungsvertrages berufen. Er sei nicht vor dem 31.03.1997 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, sondern mit Ablauf des 31.03.1997.
9Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie meint, aufgrund seiner Eigenkündigung zum 31.03.1997 habe der Kläger gemäß § 6 des Anstellungsvertrages die Weihnachtsgratifikation 1996
10zurückzuzahlen. Dies sei auch vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 25.03.1997 (16 Sa 1724/96 - NZA RR 1997, 457 f.) zu einer wortgleichen Rückzahlungsklausel entsprechend entschieden worden. Sie habe deshalb zu Recht den entsprechenden Betrag von den Märzbezügen in Abzug gebracht.
11Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die Berufung der Beklagten, gegen die Zulässigkeitsbedenken nicht bestehen, ist unbegründet. Dem Kläger steht die Weihnachtsgratifikation 1996 zu.
14Zwar bestehen grundsätzlich bezüglich einer Rückzahlungsklausel, wie sie die Parteien in § 6 des Anstellungsvertrages vom 19.05.1995 vereinbart haben, keine Wirksamkeitsbedenken. In der Verknüpfung mit der freiwilligen Gratifikationsleistung liegt ein dogmatisch selbständiges Strafversprechen, gegen das in Rechtsprechung und Schrifttum einhellig keine Wirksamkeitsbedenken erhoben werden (vgl. BAG, st. Rspr., etwa Urteil vom 10.05.1962 - 5 AZR 452/61 - AP Nr. 22 und zuletzt etwa Urteil vom 09.06.1993 - 10 AZR 529/92 - AP Nrn. 22 und 150 zu § 611 BGB Gratifikation;
15Beckers, NZA 1997, 129, 137). Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt im Streitfalle ein die Rückzahlungspflicht auslösender Tatbestand jedoch nicht vor. Der Kläger ist infolge seiner Eigenkündigung mit Ablauf des 31.03.1997 ausgeschieden und nicht vor dem 31.03.1997. Deshalb ist er mit der streitigen Rückzahlungspflicht nicht belastet und die Beklagte gehalten, das Gehalt des Monats März 1997 an den Kläger voll auszuzahlen.
16I.
17Verträge sind gemäß §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie Treu und Glauben es erfordern.
181. Dabei ist zunächst vom Wortlaut der Vereinbarung auszugehen. Der Text des Anstellungsvertrages vom 19.05.1995 spricht in der fraglichen Klausel (§ 6 Abs. 4) eindeutig für das vom Arbeitsgericht im Anschluß an die Auffassung des Klägers gefundene Auslegungsergebnis. Wenn die Rückzahlungspflicht abgestellt wird auf ein Ausscheiden des Klägers vor dem 31. März des Folgejahres , sind nach dem Vertragstext keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb eine Kündigung zum 31. März des Jahres 1997 nicht ausreichen sollte, dem geforderten Bindungstatbestand zu genügen. Der Kläger durfte nach dem Wortlaut der Rückzahlungsklausel mit Ablauf des 31. März 1997 aufgrund der von ihm ausgesprochenen Kündigung ausscheiden, ohne eine Rückzahlungspflicht zu begründen.
19Soweit die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf eine wortgleiche Rückzahlungsklausel anders ausgelegt hat (Urteil vom 25.03.1997 - 16 Sa 1724/96 - NZA - RR 1997, 457 ff.), ist gleichfalls davon ausgegangen worden, daß mit einer Rückzahlungsklausel, die auf ein Ausscheiden vor dem 31. März des Folgejahres abstellt, ein Bindungszeitraum bis zum 31. März des Folgejahres einhergeht. Aus der Rückzahlungsklausel folgt ein klar definierter Bindungszeitraum, der dem Arbeitnehmer eine entsprechende Betriebsbindung vorgibt, will er seine Gratifikation nicht im nachhinein verlieren. Aus einem Bindungszeitraum bis zum 31. März ist aber gerade nicht abzuleiten, daß damit vereinbart sei, der Arbeitnehmer müsse über diesen Termin hinaus betriebstreu bleiben. Der von der 16. Kammer angeführten Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 09.06.1993 - 10 AZR 529/92 - a.a.O.) ist ein solches Auslegungsergebnis nicht zu entnehmen. In dem Streitfall war folgende Rückzahlungsklausel vereinbart: Sollte Herr H. bis zum 31.03. des jeweils folgenden Jahres aus den Diensten der Firma ausscheiden, so ist er verpflichtet, die Weihnachtsgratifikation unverzüglich zurückzuzahlen . Der damalige Kläger hatte zum 31.03. (1992) gekündigt. Damit war er in der Tat bis zum 31.03. des auf die Gratifikationszahlung folgenden Jahres aus
20den Diensten des Arbeitgebers ausgeschieden. Der Wortlaut auch dieser Klausel war eindeutig, ist jedoch mit der Rückzahlungsklausel des vorliegenden Rechtsstreits gerade nicht identisch. Deshalb kommt es im Streitfalle auf die auch nach Auffassung der Kammer richtige Erkenntnis des BAG, die ihm zur Entscheidung vorliegende Klausel bedeute im Ergebnis eine Bindung über den 31.03. des Folgejahres hinaus, nicht an.
212. Zwar sind auch im Rahmen der Auslegung von Verträgen die außerhalb des Wortlauts liegenden Begleitumstände mit einzubeziehen. Die Orientierung der Auslegung an Treu und Glauben bedeutet, daß im Zweifel ein Auslegungsergebnis anzustreben ist, das die berechtigten Interessen beider Parteien angemessen berücksichtigt. Das Vorbringen der Beklagten, an sich sei eine Bindung des Klägers über den 31. März des Folgejahres hinaus gewollt gewesen, trifft aber jedenfalls nicht die Interessenlage des Klägers. Es ist weder aus der hier fraglichen Rückzahlungsklausel noch aus dem übrigen Anstellungsvertrag auch nur ansatzweise zu entnehmen, daß sich der Kläger entgegen des eindeutigen Wortlautes des § 6 Abs. 4 auf eine längere Zeit binden wollte.
223. Auch aus Sinn und Zweck einer solchen Rückzahlungsklausel kann die Beklagte für das von ihr gewünschte Auslegungsergebnis nichts herleiten. Richtig ist, daß der Arbeitgeber, der in Verbindung mit der Zahlung einer Weihnachtsgratifikation solche Klauseln formuliert und in den Arbeitsvertrag einbringt, den Arbeitnehmer noch eine gewisse Zeit an den Betrieb binden will. Nach st. Rspr. des BAG hat die Gewährung einer freiwilligen Weihnachtsgratifikation den Sinn, einmal die vergangene Betriebstreue zu belohnen und zum anderen, bei Vereinbarung einer Rückzahlungsklausel eine Betriebsbindung des Arbeitnehmers für die Zukunft zu erreichen - Urteile vom 25.04.1991 - 6 AZR 532/89 - und etwa vom 19.11.1992 - 10 AZR 264/91 - AP
23Nrn. 137 und 147 zu § 611 BGB Gratifikation. Davon geht auch der zu Weihnachten bedachte Arbeitnehmer aus und stellt sich darauf ein.
24Dieser Sinn der Zahlung einer Weihnachtsgratifikation sagt aber nichts darüber aus, von welcher Dauer die dem Arbeitnehmer abverlangte Betriebstreue sein soll. Dies zu fixieren, ist allein Sache der Arbeitsvertragsparteien im jeweiligen Einzelfall.
25Ihren - angeblichen - Willen einer Bindung über den 31.03. des auf die Gratifikationszahlung folgenden Jahres hinaus hat die Beklagte hier indes nicht zum Ausdruck gebracht. Dabei ist überdies zu Lasten der Beklagten darauf abzustellen, daß eine - zumindest - unklare Regelung zu Lasten desjenigen geht, der bei der Formulierung der entsprechenden Vereinbarung für die nötige Klarheit hätte sorgen können (vgl. etwa BAG - Urteil vom 18.09.1991 - 5 AZR 650/90 - AP Nr. 14 zu § 339 BGB, zu II 2 c der Gründe).
264. Der Kläger konnte die fragliche Klausel auch nicht etwa deshalb so verstehen, wie es die Beklagte nunmehr möchte, weil der 31.03.1997 ohnehin für ihn der erste mögliche Kündigungstermin nach Auszahlung der Gratifikation mit dem Novembergehalt 1996 war. Abgesehen davon, daß die Klausel auch etwa den Fall erfaßt, daß der Kläger aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB das Arbeitsverhältnis vor dem 31.03.1997 hätte kündigen können, hat die Beklagte in Kenntnis der dem Kläger vorgegebenen ordentlichen Kündigungsfrist keine weitergehende Betriebstreue verlangt als eine solche bis zum 31.03.1997. Daran muß sie sich festhalten lassen. Nur ein vorheriges Ausscheiden des Klägers, aus welchen Gründen auch immer, hätte die Rückzahlungsverpflichtung auslösen können.
27II.
28Selbst wenn dem Auslegungsverständnis der Beklagten und der 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf gefolgt würde, wäre zudem aus anderen Rechtsgründen der Berufung kein Erfolg beschieden.
291. Die vorgesehene Bindungsdauer muß für den Arbeitnehmer zumutbar sein. Der Arbeitnehmer darf durch die bestehende Rückzahlungsverpflichtung weder in seiner Berufsausübungs- noch in seiner Kündigungsfreiheit unzumutbar beschränkt werden. Deshalb hat die Rechtsprechung zeitliche Grenzen festgelegt, an denen sich die Rückzahlungsvereinbarungen messen lassen müssen. Dabei muß die vereinbarte
30Betriebsbindung in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Sonderzahlung stehen. Im Einzelnen gilt folgendes:
31Bei Gratifikationen, die den Betrag von 200,00 DM nicht übersteigen, ist eine Rückforderungsklausel wegen der Geringfügigkeit des Betrages generell unzulässig. Bei Gratifikationen, die über 200,00 DM aber unter einem Monatsbezug liegen, kann dem Arbeitnehmer zugemutet werden, eine Rückzahlungsklausel einzuhalten, die bis zum 31.03. des Folgejahres reicht. Nur wenn die Weihnachtsgratifikation in Höhe eines vollen Monatsbezuges gezahlt wird, ist eine Bindung des Arbeitnehmers über den 31.03. des Folgejahres hinaus zulässig (vgl. wiederum BAG, Urteil vom 09.06.1993
32- 10 AZR 529/92 - a.a.O., zu II 2 der Gründe - m. w. N.).
332. Nach diesen Grundsätzen, von denen abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, kam im Streitfalle die Rückzahlungsklausel des § 6 des Anstellungsvertrages vom 19.05.1995 letztlich schon deshalb nicht zum Tragen, weil der Kläger streitlos eine Gratifikation lediglich in Höhe eines halben Monatsgehalts erhalten hat.
34III.
35Die Berufung der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
36Von der Zulassung der Revision ist abgesehen worden, weil der Streitsache weder eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden kann (§§ 72 Abs. 2 Nr. 1,
3772 a ArbGG) noch die Voraussetzungen für eine Divergenzrevision i. S. von
38§ 72 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG vorliegen. Ungeachtet der Divergenz zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.03.1997 - 16 Sa 1724/96 (a.a.O.) beruht die vorliegende Entscheidung nicht auf dieser Abweichung, da der Klage auch aus anderweitigen Gründen stattzugeben und die Berufung der Beklagten damit zurückzuweisen war.
39Der Gerichtsgebührenstreitwert war gemäß § 25 Abs. 2 GKG auf 2.150,00 DM festzusetzen.
40R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
41Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
42gez. Grigo gez. Janz gez. Spaas
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