Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 12 Sa 1810/98
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darüber, ob eine arbeitgeberseitige Nachkündigung, die in einem anwaltlichen Schriftsatz im Vorprozeß enthalten war, das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zum 31.05.1998 aufgelöst hat.
3Die Klägerin trat im Juli 1997 als kaufmännisch-technische Angestellte in die Dienste der Beklagten, die sich mit der Vermittlung von Leiharbeitnehmern befaßt und mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. In dem schriftlichen Anstellungsvertrag vom 07.07.1997 trafen die Parteien nähere Bestimmungen zur Ausübung des beiderseitigen Kündigungsrechts (§ 5). In § 6 Ziff. 6.3 legten sie fest, daß Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages ... der gesetzlichen schriftlichen Bestätigung zu ihrer Wirksamkeit bedürfen.
4Mit Schreiben vom 09.01.1998, das der Klägerin am Nachmittag des 16.01.1998 zugestellt wurde, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb der Probezeit zum 31.01.1998 . Am 26.01.1998 reichte die anwaltlich vertretene Klägerin beim Arbeitsgericht Düsseldorf (Geschäfts-Nr. 4 Ca 600/98) Kündigungsschutzklage ein mit dem Antrag, festzustellen, daß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien vom 09.01.1998 durch die Beklagte, zugegangen am 17.01.1998, rechtsunwirksam ist. In der Klageschrift rügte die Klägerin die Sozialwidrigkeit der Kündigung und die Bevollmächtigung des Mitarbeiters der Beklagten H., der das Kündigungsschreiben unterzeichnet hatte. Der Klageschrift lag eine Einheitsvollmacht bei, in der die Klägerin ihren Prozeßbevollmächtigten u. a. Vollmacht zur Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen und zur Abgabe und Entgegennahme von einseitigen Willenserklärungen ( z. B. Kündigungen) erteilte. Die Einheitsvollmacht enthielt außerdem den fettgedruckten, in einen Kasten gesetzten Aufdruck: Zustellungen werden nur an den/die Bevollmächtigte(n) erbeten!
5Am 02.03.1998 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht einen Abfindungs- und Abwicklungsvergleich, den die Beklagte später widerrief. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15.04.1998 nahm sie zu der Klage Stellung. Die Klageerwiderungsschrift schließt auf der letzten Seite mit folgender, abgesetzter Passage:
6Vorsorglich kündigen wir den Anstellungsvertrag der Klägerin Namens und in Vollmacht der Beklagten nochmals fristgerecht aus betrieblichen Gründen.
7Eine auf uns lautende Vollmacht ist der beglaubigten Abschrift dieses Schriftsatzes zwecks Zustellung bei der Klägerin beigefügt.
8Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten übermittelten die Klageerwiderungsschrift den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin unmittelbar per Fax mit einem Anschreiben (Bl. 147) sowie per normaler Briefpost. Der Fax-Sendung war eine von der Beklagten für ihre Prozeßbevollmächtigten unter dem 15.04.1998 ausgestellte Vollmacht beigefügt. Für die Vollmachtserklärung wurde der auch schon von der Klägerin verwendete Vordruck der Einheitsvollmacht benutzt. Ob auch der unmittelbar auf dem normalen Postweg zugestellten Klageerwiderung eine Vollmachtsurkunde beilag, ist zwischen den Parteien umstritten.
9Des weiteren reichten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten die Klageerwiderung beim Arbeitsgericht ein. Das Gericht leitete die Abschriften - eine beglaubigte und unterzeichnete Abschrift mit Vollmacht sowie eine unbeglaubigte, nicht unterzeichnete Abschrift - an die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin weiter. Anläßlich einer Besprechung am 28.04.1998 in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten händigte der sachbearbeitende Rechtsanwalt H. die unbeglaubigte Abschrift der Klägerin aus. Rechtsanwalt H. hatte die Klageerwiderung nicht bis zum Ende gelesen und daher die auf der letzten Seite erklärte Kündigung nicht bemerkt.
10In der Verhandlung am 20.05.1998 vor dem Arbeitsgericht schlossen die Parteien einen Widerrufsvergleich über den ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Nachdem die Beklagte den Vergleich widerrufen hatte, gab das Arbeitsgericht durch Urteil vom 17.06.1998 der Kündigungsschutzklage nach Maßgabe des Klageantrages statt. In der Folgezeit lehnte die Beklagte das Ansinnen der Klägerin, weiterbeschäftigt zu werden, unter Hinweis darauf ab, daß das Arbeitsverhältnis durch die anwaltliche Nachkündigung vom 15.04.1998 zum 31.05.1998 sein Ende gefunden habe.
11Die Klägerin wendet sich mit der vorliegenden, am 28.08.1998 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage gegen die Kündigung vom 15.04.1998 und verlangt das Gehalt für die Monate Juni und Juli 1998. Außerdem begehrt sie mit der bereits am 23.07.1998 eingereichten Klageschrift die tatsächliche Weiterbeschäftigung. Die Klägerin bestreitet den wirksamen Zugang der Kündigung vom 15.04.1998 und rügt die fehlende Schriftform. Sie hält die Berufung der Beklagten auf die Schriftsatzkündigung für treuwidrig.
12Durch Urteil vom 15.10.1998 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung. Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens greift die Klägerin das Urteil in rechtlicher Hinsicht an. Sie trägt vor:
13Da Rechtsanwalt H. angesichts der angeblichen Probezeitkündigung nicht mit einer dem Kündigungsschutzgesetz unterfallenden Wiederholungskündigung habe rechnen müssen, habe er im Vorprozeß auf die Erhebung der allgemeinen Feststellungsklage verzichtet. Die im Vorprozeß erteilte Vollmacht erfasse nicht die Entgegennahme von Wiederholungskündigungen. Die Mandatierung hinsichtlich einer etwaigen Wiederholungskündigung sei wegen der damit für die Klägerin verbundenen Kostenfolge auch nicht selbstverständlich gewesen. Rechtsanwalt H. habe die letzte Seite der Klageerwiderung nicht mehr gelesen, weil der Schriftsatz der Beklagten auf den Vorseiten eine abwegige Argumentation enthalten habe. Die Klägerin selbst habe lediglich die einfache Abschrift der Klageerwiderung (ohne Vollmacht) erhalten, nicht jedoch die - nur für ihre Prozeßbevollmächtigten bestimmte - beglaubigte Abschrift mit Vollmacht.
14Die Klägerin beantragt,
15unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.10.1998
161. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Schriftsatzkündigung der Beklagten vom 15.04.1998 aufgelöst worden ist;
172. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als kaufmännisch-technische Angestellte oder mit einer anderen angemessenen Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits weiterzubeschäftigen;
183. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 4.000,-- brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von DM 1.295,70 netto (Juni 1998) und weitere DM 4.000,-- brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von DM 1.351,29 netto (Juli 1998) zu zahlen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie tritt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens den Ausführungen der Klägerin entgegen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den von den Parteien vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24I. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 15.04.1998 zum 31.05.1998 aufgelöst worden ist und daher die Kündigungsschutz-, Weiterbeschäftigungs- und Vergütungsklage abgewiesen. Die Kammer folgt dem erstinstanzlichen Urteil in den wesentlichen Teilen der Begründung (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die Angriffe der Berufung haben keinen Erfolg.
251. Die im anwaltlichen Schriftsatz vom 15.04.1998 enthaltene Kündigungserklärung ist wirksam abgegeben worden (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zwar sind prozessuale Schriftsätze zunächst für das Gericht und Abschriften für die Zustellung an den vom Prozeßgegner bestellten Prozeßbevollmächtigten bestimmt. Nach den Usancen zwischen den Parteien und den sie vertretenden Rechtsanwälten darf freilich der Absender erwarten, daß der gegnerische Prozeßbevollmächtigte eine Abschrift seiner Partei zuleitet. Damit geht der erkennbare Wille des Absenders dahin, in der Abschrift enthaltene Willenserklärungen, namentlich eine Kündigungserklärung, an die andere Partei zu richten (Isenhardt, Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht, 1.3, Rz. 18). Dieser Befund gilt auch für die streitbefangene Schriftsatzkündigung vom 15.04.1998. Dabei geht der Wille der Beklagten, gegenüber der Klägerin eine weitere Kündigung auszusprechen, zusätzlich daraus hervor, daß der beglaubigten Abschrift der Klageerwiderung eine Vollmacht beigefügt war, und zwar - ausdrücklich (Seite 5 der Klageerwiderung) - zwecks Zustellung bei der Klägerin .
262. Die Kündigung ist der Klägerin im April 1998 zugegangen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).
27Der späteste Zeitpunkt des Zugangs ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, der 28.04.1998 gewesen. Nach Auffassung der Kammer ist die Kündigung der Klägerin freilich schon am 15.04.1998, nämlich mit dem Eingang des Telefaxes bei ihren Prozeßbevollmächtigten, zugegangen.
28a) Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin waren deren Empfangsvertreter (§ 164 Abs. 3 BGB), jedenfalls deren Empfangsboten für die Nachkündigung vom 15.04.1998.
29(1) Eine Willenserklärung ist zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, daß er von ihr Kenntnis erlangen konnte (BAG, Urteil vom 02.03.1989, 2 AZR 275/88, AP Nr. 17 zu § 130 BGB, zu II 1 der Gründe, Urteil vom 11.11.1992, 2 AZR 328/92, AP Nr. 18 zu § 130 BGB, zu III; KR-Friedrich, 5. Aufl., Rz. 102,
30Isenhardt, a.a.O., Rz. 33, Becker-Schaffner, BB 98, 422, Erman/Brox, BGB, 9. Aufl,
31§ 130 Rz. 6 f.). Entscheidend ist nicht, ob überhaupt und wann der Empfänger ein in seinen Machtbereich gelangtes und für ihn bestimmtes Schriftstück liest, sondern nach der Verkehrssitte mit dessen Kenntnisnahme zu rechnen ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 130 Rz. 5). Die Erklärung muß nicht dem Adressaten persönlich zugehen. Hat dieser einen Dritten als Passivvertreter (§ 164 Abs. 3) oder als Empfangsboten zur Entgegennahme der Erklärung ermächtigt, geht die Willenserklärung mit der Entgegennahme durch den Vertreter oder den Boten zu und wird damit wirksam (Palandt/Heinrichs, a.a.O., Einf. v. § 164, Rz. 11, § 130 Rz. 8 f.).
32(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen hängt der Zugang einer schriftsätzlichen Nachkündigung davon ab, ob ein Prozeßbevollmächtigter ermächtigt ist, die von der Gegenpartei ausgesprochene Kündigung für seine Partei entgegenzunehmen oder nicht. Nach herrschender Meinung (Isenhardt, a.a.O., Rz. 20, KR-Fischermeier, § 626 BGB Rz. 91 f., KR-Friedrich, § 4 KSchG Rz. 106 a, 106 b; vgl. BAG, Urteil vom 21.01.1988, 2 AZR 581/86, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969, zu B II 2 b) erstreckt sich die Prozeßvollmacht, aufgrund der der Rechtsanwalt Klage lediglich mit dem Antrag nach § 4 KSchG und nicht auch mit dem allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO erhebt, nicht auf die Empfangnahme weiterer Kündigungen. Ebenso erstreckt sich in einem solchen Kündigungsrechtsstreit die auf seiten der beklagten Partei erteilte Vollmacht nach § 81 ZPO nicht darauf, daß ihr Prozeßbevollmächtigter zum Ausspruch weiterer Kündigungen bevollmächtigt sein soll (KR-Fischermeier, a.a.O.). Dies findet seine Begründung darin, daß die Prozeßvollmacht in ihrem gesetzlichen Umfang den Rechtsanwalt gerade und nur zur Abgabe und Annahme solcher materiellrechtlicher Willenserklärungen ermächtigt, die sich auf den Streitgegenstand beziehen. Streitgegenstand in dem mit einem Antrag nach § 4 KSchG geführten Rechtsstreit ist die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aus Anlaß einer ganz bestimmten Kündigung aufgelöst wird (KR-Friedrich, a.a.O., Rz. 225, m. w. N.). Etwaige Nachkündigungen sind nicht Streitgegenstand; ihr Ausspruch bzw. ihre Entgegennahme wird daher nicht von der Prozeßvollmacht nach § 81 ZPO eingeschlossen. Der für eine Nachkündigung nicht empfangsberechtigte Rechtsanwalt des Adressaten ist daher nur als Erklärungsbote des Absenders anzusehen, so daß die Erklärung erst zugeht, wenn sie der Partei selbst ausgehändigt wird oder sonst in ihren Machtbereich gelangt.
33Einer Partei ist es indessen unbenommen, die dem Anwalt erteilte Vollmacht nicht auf den gesetzlichen Umfang des § 81 ZPO, also i. c. den um eine bestimmte Kündigung geführten Rechtsstreit, zu beschränken, sondern auf die Vornahme anderer materiellrechtlicher Rechtsgeschäfte und Prozeßhandlungen zu erstrecken (BAG, Urteil vom 10.08.1977, 5 AZR 394/96, AP Nr. 2 zu § 81 ZPO). So kann für den Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozeß es als durchaus sinnvoll erscheinen, seinem Prozeßbevollmächtigten eine über § 81 ZPO hinausgehende Vollmacht zu erteilen, insbesondere ihn auch zur Entgegennahme einer Nachkündigung und zur Erhebung der Klage gegen diese Kündigung zu bevollmächtigen. Aus Sicht der Partei bedeutet die generelle Zwischenschaltung ihres Rechtsanwalts im Rechtsverkehr mit der Gegenseite nicht nur eine persönliche Entlastung, sondern auch eine bessere Wahrnehmung ihrer Interessen etwa dadurch, daß der (rechtskundige) Anwalt form- und fristgebundene Angriffs- oder Verteidigungsmittel kennt und anwendet.
34Die von der Klägerin ihren Prozeßbevollmächtigten erteilte Einheitsvollmacht (Vordruck Nr. V 118 der Hans Soldan GmbH) umfaßt ausdrücklich (Ziff. 5) die Vollmacht zur Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen und zur Abgabe und Entgegennahme von einseitigen Willenserklärungen (z. B. Kündigungen) . Damit beschränkt sich die Einheitsvollmacht nicht auf den mit dem Antrag nach § 4 KSchG eingeleiteten Rechtsstreit um eine ganz bestimmte Kündigung, sondern schließt Ausspruch und Entgegennahme von weiteren Kündigungen ein. Der eindeutige Erklärungsinhalt der Einheitsvollmacht entspricht dem erkennbaren Interesse des Vollmachtgebers (§ 133, § 157 BGB), nämlich dem Rechtsanwalt das Führen der rechtlichen Auseinandersetzung mit etwaigen Weiterungen zu überantworten. Der aufgedruckte Vermerk Zustellungen werden nur an den/die Bevollmächtigte(n) erbeten bestätigt diesen Befund; denn der Vermerk richtet sich in erster Linie an die gegnerische Partei, die veranlaßt werden soll, nur über den Anwalt zu korrespondieren, und weniger an das Gericht, das bei Zustellungen ohnehin den gesetzlichen Vorgaben verpflichtet ist und hiervon nicht deshalb abweichen darf, weil Prozeßbeteiligte dies erbeten haben.
35Aufgrund der von der Klägerin ausgestellten Einheitsvollmacht vom 20.01.98 (Bl. 4 der Akte 4 Ca 600/98 ArbG Düsseldorf) waren ihre Prozeßbevollmächtigten daher gemäß § 167 Abs. 1 BGB bevollmächtigt, beklagtenseitige Nachkündigungen als Empfangsvertreter entgegenzunehmen. Die Kündigung vom 15.04.1998 war daher bereits mit Eingang des Telefaxes am selben Tag bei den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zugegangen.
36(3) Danach braucht nicht mehr erörtert zu werden, ob die Klägerin dadurch die erteilte Prozeßvollmacht konkludent erweiterte, daß in ihrer Anwesenheit der Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt H. am 02.03.1998 einen Widerrufsvergleich schloß, der in Ziffer 2 und Ziffer 3 über den Streitgegenstand des Klageantrags hinausging.
37(4) Selbst wenn man der Auffassung ist, daß die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht deren Empfangsvertreter bzw. Empfangsboten für die streitbefangene Nachkündigung waren, ist der Klägerin die Nachkündigung noch im April 1998 zugegangen, nämlich durch Übergabe der unbeglaubigten Abschrift am 28.04.1998 in der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten. Dies ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zu I 1, 2 a (1) und ist bereits vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellt worden.
383. a) Der Einwand der Klägerin, sie und ihr Prozeßbevollmächtigter hätten nicht mit einer Wiederholungskündigung zu rechnen brauchen, ist rechtsunerheblich und geht auch in tatsächlicher Hinsicht fehl. Im allgemeinen darf ein Arbeitnehmer, der eine Kündigung angegriffen hat, sich nicht darauf verlassen, daß der Arbeitgeber keine weitere Kündigung ausspricht. Er muß schon mit einer Wiederholungs- oder Trotzkündigung rechnen und diese innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist angreifen (BAG, Urteil vom 26.08.1993, 2 AZR 159/93, AP Nr. 112 zu § 626 BGB, zu II 1 d bb, KR-Friedrich, a.a.O., Rz. 269 ff.). Darüber hinaus muß er mit einer Nachkündigung rechnen, weil der Arbeitgeber veranlaßt sein kann, mögliche Mängel der ersten Kündigung, z. B. eine unzureichende Anhörung des Betriebsrats, auszuräumen oder eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Gegebenheiten zum neuen Kündigungsgrund zu machen. Nach den Gepflogenheiten im Arbeits- und Rechtsleben müssen der Arbeitnehmer und sein Prozeßbevollmächtigter überdies erwarten, daß eine etwaige Nachkündigung in einem gegnerischen Schriftsatz enthalten ist (Isenhardt, a.a.O., Rz. 19).
39Danach hatten die Klägerin und ihr Prozeßbevollmächtigter keinen Anlaß, darauf zu vertrauen, daß die Beklagte von einer weiteren Kündigung absehen und diese nicht in einem anwaltlichen Schriftsatz aussprechen würde. Die Kündigung vom 15.04.1998 durfte für sie vor allem deshalb keine Überraschung darstellen, denn in der Klageschrift wird die Unwirksamkeit der unter dem 09.01.1998 ausgesprochenen Kündigung wegen fehlender Vertretungsmacht bzw. Bevollmächtigung des Mitarbeiters H. gerügt. Daher mußten die Klägerin und ihre Prozeßbevollmächtigten erwarten, daß die Beklagte vorsorglich eine insoweit mangelfreie Kündigung aussprechen bzw. dies durch ihren Prozeßbevollmächtigten tun würde.
40b) Die Beklagte hat, wie bereits das Arbeitsgericht richtig gesehen hat, die Kündigungserklärung auch nicht in ihrem anwaltlichen Schriftsatz vom 15.04.1998 versteckt , sondern klar, deutlich und übersichtlich auf der letzten Seite des Schriftsatzes zum Ausdruck gebracht. Durch die der Abschrift beigefügten Vollmacht hat sie zusätzlich erkennbar gemacht, daß der Schriftsatz in seiner Bedeutung über eine
41bloße Klageerwiderung hinaus ging und für die Klägerin relevante rechtsgeschäftliche Erklärungen enthalten sollte. Schließlich fehlt der Schriftsatzkündigung ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt auch deshalb, weil die Beklagte den Schriftsatz der Klägerin gleich auf drei Wegen - per Fax, mit normaler Post und über das Gericht - zuleiten ließ.
42Danach braucht nicht näher darauf eingegangen zu werden, ob und welchen Umständen der versteckten Schriftsatzkündigung die Anerkennung ihrer Rechtswirksamkeit zu versagen ist (vgl. BAG, Urteil vom 29.11.1995, 5 AZR 447/94, AP Nr. 1 zu § 3 AGB-Gesetze).
434. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten waren zum Kündigungsausspruch bevollmächtigt. Die Bevollmächtigung ergibt sich aus Ziff. 5 der von der Beklagten unterzeichneten Einheitsvollmacht . Der Einwand der Klägerin, die Vollmacht vom 15.04.1998 lasse die Bevollmächtigung der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zum Ausspruch einer weiteren Kündigung nicht erkennen, wird daher nicht dem eindeutigen Inhalt der Vollmachtsurkunde gerecht. Im übrigen steht einer restriktiven Auslegung der Vollmachtserklärung entgegen, daß die Beklagte erkennbar ein Interesse daran haben konnte, durch den vorsorglichen Ausspruch einer weiteren Kündigung etwaige Mängel der ersten Kündigung zu beseitigen und die von ihr in jedem Fall angestrebte Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen.
44Die Klägerin hat es schließlich versäumt, die Kündigung vom 15.04.1998 gemäß
45§ 174 S. 1 BGB unverzüglich zurückzuweisen.
465. Die Kündigung ist nicht nach § 127, § 126 Abs. 1 (§ 125) BGB nichtig.
47a) Da die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eine unterzeichnete Abschrift des gegnerischen Schriftsatzes vom 15.04.1998 nebst einer von der Beklagten ausgestellten Originalvollmacht erhielten, ist für die in Fax und Abschrift enthaltene Kündigungserklärung die Schriftform gewahrt worden.
48b) Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, daß ihr die Kündigung erst mit der am 28.04.1998 erfolgten Aushändigung der unbeglaubigten Abschrift des Schriftsatzes vom 15.04.1998 zuging, ist die Kündigung nicht wegen fehlender Schriftform unwirksam. Auch dies hat das Arbeitsgericht richtig erkannt.
49In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Übergabe der nicht unterzeichneten Abschrift eines Schriftsatzes, in dem eine Kündigung erklärt wird, die gewillkürte Schriftform wahren kann (vgl. BAG, Urteil vom 28.08.1998, 2 AZR 603/97, z. V. v.). Denn die in einem Arbeitsvertrag enthaltene Klausel, nach der Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürfen, erfaßt nicht einseitige Gestaltungserklärungen, namentlich nicht Kündigungen (LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.08.1994, LAGE Nr. 5 zu § 125 BGB, LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.12.1996, LAGE Nr. 1 zu §§ 126, 127 BGB). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitsvertrag das Kündigungsrecht gesondert regelt, ohne hierbei für die Kündigung Schriftform vorzuschreiben (KR-Friedrich, § 13 KSchG Rz. 274, BAG, Urteil vom 09.10.1997, 2 AZR 195/97, EzA-SD 1998, Nr. 11, 5-6). Außerhalb des gesetzlichen oder gewillkürten Schriftformzwangs ist die nicht unterzeichnete schriftliche Kündigung wirksam, wenn aus den Umständen eindeutig hervorgeht, daß die Kündigung von einer bestimmten Person herrührt, die Authentizität und der Wille des Erklärenden, die Kündigung dem Adressaten zugehen zu lassen, unzweifelhaft sind (Isenhardt, a.a.O., Rz. 31, KR-Friedrich, § 13 KSchG Rz. 301 e).
50Diesen Anforderungen genügte die der Klägerin am 28.04.1998 zugegangene unbeglaubigte Abschrift. Die Klägerin konnte nicht im Zweifel darüber sein, daß die Kündigungserklärung von den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten herrührte, in deren Namen und Vollmacht ausgesprochen wurde und ihr, der Klägerin, zugehen sollte.
516. Da die Klägerin die unter dem 15.04.1998 erklärte ordentliche Kündigung nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich angegriffen hat, wird nach § 7 KSchG die soziale Rechtfertigung der Kündigung fingiert.
527. Schließlich hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, daß sich die Beklagte mit der Berufung auf die Kündigung nicht deshalb treuwidrig verhält, weil sie sich am 20.05.1998 widerruflich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses verglichen und dann das Widerrufsrecht ausgeübt hatte. Der Widerrufsvergleich begründet kein berechtigtes Vertrauen, sondern nur eine rechtlich ungesicherte Exspektanz (vgl. KR-Friedrich, § 5 KSchG Rz. 66). Der Vergleichsabschluß war auch nicht für die Versäumung der Klagefrist ursächlich, weil zu diesem Zeitpunkt (20.05.1998) die Klagefrist hinsichtlich der Nachkündigung bereits abgelaufen war. Den zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils (dort unter I 3 b) ist die Klägerin mit der Berufung auch nicht weiter entgegengetreten.
538. Andere Gründe, aus denen die Nachkündigung der Beklagten rechtsunwirksam sein könnte, werden von der Klägerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.05.1998 aufgelöst hat, steht der Klägerin weder ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung (Antrag zu 2) noch auf Vergütung für die Zeit ab dem 01.06.1998 (Antrag zu 3) zu.
54II. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Klägerin als unterlegene Partei zu tragen.
55Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision für die Klägerin zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 ArbGG).
56R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
57Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin
58REVISION
59eingelegt werden.
60Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
61Die Revision muß
62innerhalb einer Notfrist von einem Monat
63nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
64Bundesarbeitsgericht,
65Graf-Bernadotte-Platz 5,
6634119 Kassel,
67eingelegt werden.
68Die Revision ist gleichzeitig oder
69innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
70schriftlich zu begründen.
71Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
72Dr. Plüm Dittmar
73- zugleich für den am 31.01.1999 ausgeschiedenen
74ehrenamtlichen Richter Fahrenberg -
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