Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 13 Sa 1718/99
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 15.09.1999 4 Ca 2604/98 wird auf Kosten der
Beklagten zurückgewiesen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung der Beklagten.
3Die Klägerin ist bei der Beklagten langjährig als Kontrollschaffnerin beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist die Geltung des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) und der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge, insbesondere des Bezirkszusatztarifvertrages (BZT-G NRW) in der jeweils geltenden Fassung vereinbart.
4Die Parteien haben bereits in einem Vorprozess darüber gestritten, ob die Klägerin eine Anordnung der Beklagten im Wege des Direktionsrechts hinnehmen muss, wonach ihre Arbeitsbedingungen mit Wirkung zum 01.01.1998 geändert werden. Bisher hatte die Klägerin ihren Dienst in der Weise aufgenommen, dass sie zur festgesetzten Zeit des Dienstbeginns an der ihrem Wohnort nahegelegenen Bahnstation einstieg und ihre Kontrolltätigkeit dort aufnahm. Entsprechend verfuhr sie bei Dienstende. Mit Zustimmung des Betriebsrats wies die Beklagte die Kontrollschaffner(innen) Ende Dezember 1997 mit Wirkung zum 01.01.1998 an, den Dienst auf einem der Betriebshöfe aufzunehmen bzw. zu beenden. Im vorliegenden Verfahren versucht die Beklagte, ihr Ziel durch den Ausspruch einer Änderungskündigung zu erreichen. Die Klägerin hat die Änderung der Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt angenommen. Durch rechtskräftiges Urteil der erkennenden Kammer vom 05.11.1998, welches sich unter Blatt 22 f. bei der Gerichtsakte befindet, steht zwischenzeitlich fest, dass die Maßnahme vom Direktionsrecht der Beklagten nicht gedeckt war.
5Die Klägerin hält auch die streitgegenständliche Kündigung für unwirksam.
6Sie hat beantragt,
7festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im
8Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Beklagten
9vom 09.04.1998 unwirksam ist.
10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
11Zur Begründung hat sie vorgetragen, das Unternehmen habe sich aufgrund der wirtschaftlichen Situation zur Effizienzsteigerung in allen Bereichen, also auch bei den Kontrollschaffnern, gezwungen gesehen. Es könne nicht hingenommen werden, dass während der Anfahrt zum bzw. der Abfahrt vom Betriebshof, die etwa 20 % der Dienstzeit ausmache, nur etwa ein Fünftel der sonst üblichen Kontrollintensität erreicht werde. Dies führe zu einem vermeidbaren Verlust an Beförderungsentgelten in Höhe von 200.000,-- DM jährlich. Auch ließe sich durch ausschließlich vom Betriebshof aus durchgeführte Kontrollen die Sicherheit der Kontrolleure erhöhen, denn dann gäbe es die verhältnismäßig stark überfallgefährdeten Einzelkontrollen auf dem Weg zum bzw. vom Betriebshof nicht mehr, die Kontrolleure arbeiteten während der gesamten Dienstzeit in Zweierteams. Im übrigen gehe der Hinweis der Klägerin auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigung in der AWV fehl, da diese Übereinkunft nur Beendigungs- aber keine Änderungskündigungen erfasse. Es sei seinerzeit nicht beabsichtigt gewesen, notwendige und unumgängliche Effizienzsteigerungen zugunsten der Beklagten zu verhindern.
12Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 15.09.1999 der Klage stattgegeben. Gegen seine Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die geltend macht, von 80 bei ihr beschäftigten Kontrollschaffnerinnen und schaffnern hätten nur 9 gegen die im Streit befindliche Anordnung Klage erhoben. Angesichts divergierender Entscheidungen des LAG zur Frage des Umfangs des Direktionsrechts sei man gezwungen, aus Gleichbehandlungsgründen die im Streit stehende Änderungskündigung auszusprechen. Fehl gehe die Auffassung der Vorinstanz, dass die Wirksamkeit der Änderungskündigung an einer mangelnden Bestimmtheit des mit ihr verknüpften Änderungsangebots scheitere. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren § 51 BMT-G könne zum Zweck der Änderung des Arbeitsvertrages dieser unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Lehne der Arbeiter die Fortsetzung seiner Tätigkeit zu den ihm angebotenen geänderten Vertragsbedingungen ab, so ende das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 50. Exakt dieser tarifvertraglichen Regelung entspreche die erklärte Änderungskündigung, in deren letzten Absatz der Klägerin mitgeteilt worden sei, dass sie innerhalb der 14-tägigen tariflichen Kündigungsfrist mitzuteilen habe, ob sie das Angebot zur Änderung des Arbeitsvertrages annehme. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei eine betriebsbedingte Änderungskündigung auch nicht nach §§ 4, 10 AWV (Anwendungsvereinbarung zur Anlage 1 BMT-G in Verbindung mit dem TV Nahverkehr-NW/BesR für die R. B. AG D. (Bl. 11 f d. A.) ausgeschlossen. Vom Sinn und Zweck her beziehe sich der dort vereinbarte Ausschluss einer betriebsbedingten Beendigungskündigung allein auf eine vom Arbeitgeber originär beabsichtigte Beendigungskündigung, nicht dagegen auf eine Änderungskündigung, die wegen der Nichtannahme des Änderungsangebots zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Im Hinblick auf § 2 des KSchG ergebe sich dies zwanglos daraus, dass ein Arbeitnehmer ohne die Konsequenz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die geänderten Arbeitsbedingungen unter dem Vorbehalt annehmen könne, die Änderung der Arbeitsbedingungen seien nicht sozial gerechtfertigt. Weiterhin ziele eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Änderungskündigung nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab, dies sei jedoch die Intension des Ausschlusses einer betriebsbedingten Beendigungskündigung nach AWV.
13Dringende betriebliche Erfordernisse ergäben sich aus einer erforderlichen Gleichstellung der Klägerin mit den anderen Kontrollschaffnern und schaffnerinnen, den organisatorischen Problemen bei der Durchführung von den seit dem 05.01.1998 geltenden Kontrollen im Team und den im Anschreiben an den Betriebsrat genannten Gründen, die vollinhaltlich zum Gegenstand des Sachvortrags gemacht würden.
14Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Beklagtenschriftsatz vom 13.12.1999 (Bl. 89 f d.A.) Bezug genommen.
15Die Beklagte beantragt nunmehr,
16das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.09.1999 4 Ca 2604/98
17abzuändern und die Klage abzuweisen.
18Die Klägerin beantragt,
19die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
20Sie wiederholt im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
21Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23Die Berufung ist zulässig, hatte jedoch in der Sache keinen Erfolg.
24An der Auffassung der Kammer, dass die von der Beklagten angestrebte Maßnahme im Wege des Direktionsrechts nicht durchsetzbar ist, wird festgehalten. Damit konnte sie auch nicht ohne rechtswirksame Änderungskündigung erfolgen.
25Die abweichende Auffassung der 4. Kammer des erkennenden Gerichts (vgl. 4 Sa 376/99 vom 02.06.1999 u. a. ) überzeugt nicht. Die Kammer hält auch die von der 4. Kammer zur Begründung ihrer Auffassung zitierte Entscheidung des BAG vom 23.06.1992 1 AZR 57/92 nicht für einschlägig. Die 4. Kammer führt zur Begründung ihrer Auffassung aus, in Übereinstimmung mit der zitierten BAG-Entscheidung könne in der Vereinbarung der zur Zeit des Abschlusses des Arbeitsvertrages im Betrieb geltenden Lage der Arbeitszeit nicht eine Vereinbarung des Inhalts gesehen werden, dass diese derzeit geltende Arbeitszeit unabhängig von der jeweiligen betrieblichen Arbeitszeit unverändert für dieses Arbeitsverhältnis gelten solle. Die 4. Kammer sieht in der bei der Beklagten zur Zeit des Vertragsabschlusses mit der Klägerin bestehenden betrieblichen Gepflogenheit, dass die angestellten Kontrollschaffner in Anwendung des § 15 BMT-G II ihren Dienst in der Weise aufnehmen bzw. beenden konnten, dass sie zur festen Zeit des Dienstbeginns an der ihrem Wohnort jeweils nahegelegenen Bus- oder Bahnstation einstiegen und dort ihre Kontrolltätigkeit aufnahmen und in entsprechender Weise bei Dienstende verfuhren, keine arbeitsvertraglich bindende Absprache zwischen den Parteien über den Arbeitsort, an dem der Dienst aufzunehmen bzw. zu beenden sei. Es sei allein um eine den jeweiligen Arbeitnehmern günstigere betriebliche Einheitsregelung über die Dienstaufnahme bzw. Beendigung gegangen, die den Vorteil gehabt habe, dass der Dienst vom Einstieg in ein dem Wohnort nahegelegenes Beförderungsmittel bis zum Ausstieg wahrgenommen werden konnte. Diese betriebliche Handhabung habe nichts mit einer individuellen Festlegung des Arbeitsortes mit Rechtsbindungswillen zu tun gehabt.
26Dem ist zu widersprechen. § 15 BMT-G schließt eine Vereinbarung, dass die Arbeitszeit mit dem Beginn bzw. dem Ende des Weges zur und von der Arbeitsstelle beginnen oder enden kann, nicht aus (vgl. Scheuring-Lang-Hoffmann, Kommentar z. BMT-G II § 14 Anm. 13, § 15 Anm. 4).
27Nach den Feststellungen der erkennenden Kammer im Vorprozess 13 (14) Sa 853/98 haben die Parteien eine individuelle Festlegung zur Arbeitszeit der Klägerin auf den Beginn und das Ende des Weges zur Arbeitsstelle getroffen.
28Angesichts der unstreitigen Praxis, dass dem jeweiligen Kontrolleur bei Vertragsschluss durch die Personalabteilung die seinerzeit gültige Praxis mitgeteilt wurde, die dann jahrelang beibehalten wurde, ist nicht ersichtlich, woraus für die Arbeitnehmer erkennbar sein sollte, dass es sich um eine nur freiwillig gewährte jederzeit abänderbare vorteilhafte Regelung handeln sollte. § 15 BMT-G steht der Annahme nicht entgegen, dass die Parteien eine vertraglich verbindliche Vereinbarung über die Modalitäten der Dienstaufnahme und Beendigung treffen konnten. In jedem anderen privatrechtlich gestalteten Arbeitsverhältnis wäre davon auszugehen, dass die ursprünglich getroffenen Absprachen zum Vertragsinhalt wurden. Verfehlt ist daher auch die Annahme der Beklagten, dass die geschuldete vertragliche Leistung durch ihre Anordnung weder ihrem Inhalt noch ihrem zeitlichen Umfang nach geändert werde. Der Inhalt der vertraglichen Leistung ist bei Abschluss des Vertrages der Parteien originär in der Weise bestimmt worden, wie er dann jahrelang erbracht wurde. Daher stellt die Anordnung der Beklagten, die zu längeren unbezahlten Wegezeiten der betroffenen Arbeitnehmer führt, durchaus eine inhaltliche Veränderung der vertraglichen Leistung ohne finanziellen Ausgleich dar, wie es auch das Arbeitsgericht in seinen (auf der Grundlage der dortigen Urteilsbegründung allerdings nicht gebotenen) Anmerkungen durchaus zutreffend gesehen hat.
29Die Kündigung scheitert entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht an inhaltlicher Unbestimmtheit des Änderungsangebots. Dies ergibt sich bereits aus der Überlegung, dass eine Kündigung, welche ein Beendigungsdatum nicht enthält, grundsätzlich zu dem gesetzlich oder tariflich zulässigen Zeitpunkt wirkt, ohne dass dies ausdrücklich erklärt werden muss. Daher ist der Zeitpunkt, zu dem die Änderung der Arbeitsbedingungen eintreten sollte, entsprechend den Ausführungen der Beklagten nach den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen zu bestimmen.
30Die Änderungskündigung scheitert jedoch an der Bindung, welche die Beklagte durch die §§ 4, 10 Abs. 3 der Anwendungsvereinbarung vom 08.12.1995 (Bl. 11 15 d.A.) eingegangen ist. Danach sind betriebsbedingte Kündigungen der Beklagten für die Dauer der Laufzeit der Anwendungsvereinbarung bis zum 31.12.2005 ausgeschlossen.
31Dieser vereinbarte Ausschluss ist nicht mit der Einschränkung versehen, dass Änderungskündigungen möglich sein sollen. Eine derartige Einschränkung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus Sinn und Zweck der Vereinbarung, weil wie die Beklagte meint sich der vereinbarte Ausschluss einer betriebsbedingten Beendigungskündigung alleine auf eine vom Arbeitgeber originär beabsichtigte Beendigungskündigung, nicht dagegen auf eine Änderungskündigung, die wegen Nichtannahme des Änderungsangebots zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe, ziele. Vielmehr würden Sinn und Zweck der vereinbarten Beschäftigungssicherung unterlaufen werden können, wenn es dem Arbeitgeber gestattet wäre, während der Bindungsfrist Vertragsverhältnisse durch Änderungskündigungen nahezu beliebig inhaltlich umzugestalten.
32Im übrigen ist unerlässliche Voraussetzung für jede Änderungskündigung eine echte Kündigung (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht § 2 KSchG Rn. 5). Daraus ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, dass die Beklagte nicht damit argumentieren kann, die Zulässigkeit einer Kündigung während der Dauer der Geltung der Anwendungsvereinbarung hänge davon ab, mit welchem Ziel sie ausgesprochen werde.
33Folgt man diesen nach Überzeugung der Kammer zwingenden Überlegungen nicht, so fehlt es für die soziale Rechtfertigung der Änderungskündigung zumindest an der Darlegung hinreichend schlüssiger Gesichtspunkte für die Annahme dringender betrieblicher Erfordernisse, die die Änderung der Arbeitsbedingungen im Sinne des § 2 KSchG sozial rechtfertigen könnten. Die von der Beklagten angeführten Einsparungen durch Steigerung der Effizienz der Kontrollen infolge der Maßnahme, die Kontrolleure nur noch im Team einzusetzen, sind angesichts der Tatsache, dass lediglich 9 von 80 betroffenen Arbeitnehmern sich dem Wunsch der Beklagten nicht gebeugt haben, nicht so gravierend, dass darin eine merkliche Verbesserung auf dem Wege zum Ziel der Verringerung der bei der Beklagten festgestellten Defizite begründet sein könnte.
34Das von der Beklagten verfolgte Ziel der Gleichbehandlung aller betroffenen Arbeitnehmer ist ebenfalls kein Gesichtspunkt für den Abbau einzelvertraglicher Zusicherungen. Nimmt man an, dass mit der von der Beklagten verfolgten Maßnahme der Kernbereich des Arbeitsverhältnisses bezüglich der vereinbarten Vergütung und der vereinbarten Arbeitszeit betroffen ist, so rechtfertigt sich aus der Zielsetzung der Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern nicht der von der Beklagten erstrebte Abbau einzelvertraglich begründeter Vergünstigungen.
35Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO:
36Im Hinblick auf die abweichende Auffassung der 4. Kammer, die in den von ihr erlassenen Entscheidungen zum Ausdruck kommt, war zur Vermeidung divergierender Entscheidungen die Revision zuzulassen.
37R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
38Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
39REVISION
40eingelegt werden.
41Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
42Die Revision muss
43innerhalb einer Notfrist von einem Monat
44nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
45Bundesarbeitsgericht,
46Hugo-Preuß-Platz 1,
4799084 Erfurt,
48eingelegt werden.
49Die Revision ist gleichzeitig oder
50innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
51schriftlich zu begründen.
52Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
53Funke Novak Blum
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