Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 8 Sa 1204/09
Tenor
1.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Oberhausen vom 01.10.2009
- Az. 1 Ca 2172/08 - wird kostenpflichtig zurückge-
wiesen.
2.Die Revision wird zugelassen.
1
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
3Die 28 Jahre alte, ledige Klägerin war zwischen dem 15.02.2007 und dem 15.08.2009 als Kontrollschaffnerin bei der Beklagten beschäftigt. Ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 07.02.2007, wegen dessen weiterer Einzelheiten auf Bl. 5 f. der Akte verwiesen wird, betrug der Stundenlohn der Klägerin nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit 8,50 € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen Anwendung, die zusätzlich im Arbeitsvertrag der Parteien in Bezug genommen wurden.
4Der danach anwendbare Lohntarifvertrag (im folgenden LTV) lautet auszugsweise wie folgt:
52. Löhne
6(...)
72.04Kontrolleure im Außendienst und Schichtführer im
8Revierwachdienst
9Stunden-Grundlohn10,45
10(...)
112.0.10.Beschäftigung in der Bewachung in Verkehrsmitteln
12des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs,
13sowie Mitarbeiter im Ordnungsdienst in Bahnhöfen
14Stunden-Grundlohn11.04
15(...)
165.Allgemeine Bestimmungen
17(...)
185.2Ansprüche aus diesem Lohntarifvertrag müssen
19spätestens drei Monate nach Fälligkeit geltend gemacht werden.
20Als Kontrollschaffnerin oblagen der Klägerin insbesondere die folgenden Aufgaben:
21- Durchführung von Fahrausweisprüfungen nach erfolgter Kontroll-
22schaffnerausbildung
23- Berechtigung und Verpflichtung zur Entgegennahme des erhöh-
24ten Beförderungsentgelts nach Maßgabe der Beförderungsbe-
25dingungen der Rheinbahn bei Zahlungswillen des Kunden
26- Überwachung der Einhaltung der Allgemeinen Beförderungsbe-
27dingungen
28- Aktiver Dienst am Kunden in Form der Erteilung von Auskünften
29zu Verkehrsverbindungen, Tarifen und Örtlichkeiten sowie die
30Leistungs- und Hilfestellung gegenüber allen, insbesondere
31mobilitätsbehinderten Kunden
32- Hilfestellung bei der Bedienung von Ticketautomaten
33- Erkennen und Melden von Gefahrenzuständen
34Mit der vorliegenden, am 09.12.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 14.07.2009 erweiterten Klage hat die Klägerin, soweit für die Berufungsinstanz noch von Bedeutung, unter anderem eine Differenzlohnzahlung für 80 Arbeitsstunden in den Monaten April und Mai 2009 geltend gemacht, die die Beklagte mit einem Stundenlohn von 9,14 € brutto vergütet hat. Erstmals im Schriftsatz vom 13.07.2009 hat die Klägerin die Auffassung vertreten, wenn ihr keine Vergütung nach Maßgabe der Lohngruppe 2.0.10 zustehe, so doch zumindest eine nach Lohngruppe 2.0.4 (Stundenlohn 10,45 € brutto). Genau das ergebe sich aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.02.2009 zum Revisionsrechtsstreit 4 AZR 41/08, an dem die Beklagte - unstreitig - beteiligt war. Sie, die Klägerin, mache sich die dortige Argumentation des BAG zu Eigen.
35Die Klägerin hat beantragt,
36die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.465,74 € brutto und 21,-- € netto nebst Zinsen von 5 Prozent über dem Basiszinssatz von 659,11 € brutto und 21,-- € netto seit dem 09.12.2008 und von 806,63 € brutto seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen;
37hilfsweise,
38die Beklagte zu verurteilen, an sie 250,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.06.2009 zu zahlen.
39Die Beklagte hat beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Die Beklagte hat die Ansprüche der Klägerin für weitgehend verfallen gehalten. Sie hat weiterhin die Auffassung vertreten, dass in Lohngruppe 2.0.4 nur Mitarbeiter mit Vorgesetztenfunktionen wie etwa die dort ausdrücklich genannten Schichtführer im Revierdienst eingruppiert seien. Eine derartige Funktion übten die Kontrollschaffner nicht aus. Ihre Aufgabe sei auch nicht, für eine reibungslose Durchführung des Bewachungsauftrags zu sorgen und insoweit Qualitätskontrollen durchzuführen.
42Mit Urteil vom 01.10.2009 hat das Arbeitsgericht der Klage im Hinblick auf die Lohndifferenzen für die Monate April und Mai 2009 stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 104,80 € brutto (80 Stunden x 1,31 € brutto Lohndifferenz pro Stunde) verurteilt; im Übrigen hat es die Klage wegen Verfalls der Ansprüche abgewiesen. Zur Begründung hat sich das Arbeitsgericht der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 25.02.2009 angeschlossen und eine Eingruppierung der Klägerin in die Lohngruppe 2.0.4 LTV bejaht. Schon der Wortlaut spreche entscheidend dafür, dass ein nicht im Innendienst eingesetzter Kontrollschaffner als "Kontrolleuer im Außendienst" fungiere. Hier wie da gehe es um ein Überwachen, ein Überprüfen, ob alles mit rechten Dingen zugehe. Der von der Beklagten vorgenommene Rückschluss aus der Nennung des Schichtführers im Revierwachdienst auf die Anforderungen an einen Kontrolleur im Außendienst überzeuge ebenfalls nicht. Der LTV lasse keine Systematik erkennen, wonach nur Tätigkeiten, die in innerer Beziehung zueinander stehen, in einer Lohngruppe zusammen gefasst wären.
43Gegen das ihr am 12.10.2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Anwaltsschriftsatz vom 02.11.2009 Berufung eingelegt, die im Urteil ausdrücklich zugelassen worden war. Die per Telefax am 02.11.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufungsschrift trägt unter dem Text ein Namenszeichen in Form eines schräg stehenden Striches, oberhalb dessen sich ein nach unten geöffneter Rundbogen befindet, dessen rechte Seite wiederum eine Stufe aufweist (im folgenden "Pr"). Weiterhin ist der Zusatz " Dr. N. Q. Rechtsanwalt" angebracht. Das Original der Berufungsschrift ist nicht unterschrieben, auf der beglaubigten Abschrift befindet sich ein Namenszeichen, welches demjenigen auf dem Fax vom 02.11.2009 entspricht. Die am 23.11.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufungsbegründungsschrift ist dergestalt unterschrieben, dass neben dem "Pr" mit neuem Ansatz ein deutlich lesbares "er" gesetzt wurde (im folgenden "Pr er"). Wegen der Einzelheiten der äußeren Gestaltung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift wird auf Blatt 102 ff., 111 ff., 185 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.
44Die Beklagte ist der Auffassung, die Berufungsschrift sei von ihrem Prozessbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt Dr. N. Q., in hinreichender Form unterschrieben. Sie weist unter Bezugnahme auf höchstrichterliche Rechtsprechung des BVerfG und des BGH insbesondere - zutreffend - darauf hin, dass auch in anderen Rechtsstreitigkeiten vor dem Landesarbeitsgericht ein "Pr" als Unterschrift des Herrn Dr. Q. akzeptiert worden sei. Überdies könne schon wegen des maschinenschriftlichen Namenszusatzes kein Zweifel an der Identität des Unterzeichners bestehen. In der Sache habe das Arbeitsgericht zu Unrecht eine Eingruppierung der Klägerin in die Lohngruppe 2.0.4 LTV angenommen. Die dort angesprochene Kontrolltätigkeit im Außendienst müsse sich auf betriebseigene Mitarbeiter beziehen, nicht auf externe Personen wie Fahrgäste etc. Das ergebe sich neben dem Wortlaut der Vorschrift und deren Stellung im LTV aus der Historie der Tarifnorm. Noch im Jahre 1989 habe die einschlägige Lohngruppe 2.0.5 "Kontrolleure sowohl des Revierwachdienstes als auch aller anderen Außendienste" umfasst. Die 1990 vorgenommene Änderung in die heute noch gültige Formulierung in 2.0.4 LTV sei nur eine sprachliche Modernisierung gewesen; zu einer inhaltlichen Modifikation habe es nicht kommen sollen. Richtigerweise sei die Klägerin der Lohngruppe 2.0.8 LTV ("Wachmann im Kontroll-, Ordnungs- und Informationsdienst bei Messen und Veranstaltungen") zuzuordnen. Unter Berücksichtigung des Gesamtkonzepts des LTV seien die Tätigkeiten eines Kontrollschaffners mit denen eines Mitarbeiters, der wie etwa ein Schichtführer im Revierdienst in 2.0.4 eingruppiert sei, nicht zu vergleichen.
45Die Beklagte beantragt,
46das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 01.10.2009 - 1 Ca 2172/08 - wird abgeändert, soweit sie verurteilt wurde, an die Klägerin 104,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.06.2009 zu zahlen. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
47Die Klägerin beantragt,
48die Berufung der Beklagten kostenpflichtig abzuweisen.
49Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie meint, die von der Beklagten in die Lohngruppe 2.0.4 hineingelesenen Voraussetzungen, insbesondere die der obligatorischen Mitarbeiterkontrolle, ließen sich der Vorschrift schlicht und ergreifend nicht entnehmen.
50Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Instanzen verwiesen.
51E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
52A.
53Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist frist- und trotz der in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2010 geäußerten Bedenken des Gerichts formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ZPO. Die Berufung ist in Anbetracht der vom Arbeitsgericht gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG ausgesprochenen Zulassung, an die das Gericht nach Maßgabe von § 64 Abs. 5 ArbGG gebunden ist, auch statthaft.
54Die per Telefax am 02.11.2009 eingelegte Berufung der Beklagten trägt eine Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt Dr. N. Q..
55(1)Bei bestimmenden Schriftsätzen ist die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers erforderlich. Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Eine Unterschrift setzt danach einen individuellen Schriftzug voraus, der sich - ohne lesbar sein zu müssen - als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt ist und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Ein Schriftzug, der als bewusste und gewollte Namenskürzung erscheint (Handzeichen, Paraphe), stellt demgegenüber keine formgültige Unterschrift dar. Ob ein Schriftzug eine Unterschrift oder lediglich eine Abkürzung darstellt, beurteilt sich dabei nach dem äußeren Erscheinungsbild. Dabei ist von Bedeutung, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, ist insoweit ein großzügiger Maßstab anzulegen, wenn die Autorenschaft gesichert ist (BAG, Beschluss vom 30.08.2000 - 5 AZB 17/00, NZA 2000, 1248, BGH, Beschluss vom 17.11.2009 - XI ZB 6/09, MDR 2010, 226, Urteil vom 23.09.2008 - XI ZR 253/07, WM 2008, 2158). Es ist zu berücksichtigen, dass bei der Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften keine überspannten Anforderungen gestellt werden und der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.07.2002 - 2 BvR 2168/00, NJW 2002, 3534).
56(2)Nach diesen Grundsätzen lässt sich die Signatur "Pr", mit der der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufung unterzeichnet hat, noch als Unterschrift im Sinne der §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO einstufen. Zwar erscheint dem Gericht die Signatur "Pr" nicht als Ergebnis eines bloßen Abschleifungsprozesses im Verhältnis zur Unterschrift "Pr er", mit der die Berufungsbegründungsschrift unterzeichnet ist, da unter einer Abschleifung der Verlust von Ausprägungen eines Schriftzuges, nicht aber das Absehen von einem erneuten Schreibansatz - hier zum "er" - zu verstehen ist. Auch das Argument, das Gericht habe doch in anderen Fällen ebenfalls ein "Pr" als Unterschrift ausreichen lassen, ist nicht unbedingt stichhaltig. Denn den Eindruck, es könne sich beim "Pr" unter Umständen nur um eine Paraphe handeln, gewinnt der Betrachter natürlich erst, wenn der Vergleich zu einer unzweifelhaft vollständigen Unterschrift mit "Pr er" gezogen wird.
57Gleichwohl sprechen die besseren Gründe für die Anerkennung des "Pr" als gesetzmäßiger Unterschrift.
58(a)Dass §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO eine eigenhändige Unterschrift fordern, ist kein Selbstzweck. Die Vorschriften dienen der Zuordnung eines Schriftsatzes zum Unterzeichner als geistigem Urheber und die für den Inhalt verantwortliche Person. Überdies soll ausgeschlossen werden, dass es sich um den bloßen Entwurf eines Schriftsatzes handelt. Auch in Anbetracht des aus verfassungsrechtlichen Gründen anzulegenden großzügigen Maßstabs genügt die Unterzeichnung der Berufungsschrift diesen Zwecken. Dass nicht Herr Rechtsanwalt Dr. Q., sondern ein anderer der in der Sozietät V. X. & Partner H. tätigen Rechtsanwälte oder gar eine dritte Person den Schriftzug unter die Berufungsschrift gesetzt hat, ist ausgeschlossen. Das ergibt sich nicht nur aus der Verwendung des Sozietätsbriefbogens und der äußeren Gestaltung des Schriftsatzes (voller maschinengeschriebener Namenzusatz unter dem Unterschriftsfeld), sondern auch aus der Teilidentität des "Pr" mit der Unterschrift des Herrn Dr. Q. "in Langform". Im Übrigen lässt sich anhand der vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorgelegten und dem Gericht aus anderen Rechtsstreitigkeiten bekannten Signaturen feststellen, dass die Unterschrift von Herrn Dr. Q. eine nicht unerhebliche Variationsbreite umfasst. So unterscheidet sich insbesondere das "er" in seiner Schriftgröße nahezu immer, in einigen Fällen ist es zu einem Punkt verkümmert oder kaum noch zu erkennen. Demzufolge ist gerade nicht feststellbar, dass sich das "Pr" als eine bewusste und gewollte Namensverkürzung darstellt, wie sie für eine dem Unterschriftserfordernis nicht genügende Paraphe typisch wäre.
59(b)Zutreffend weist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf hin, dass das "Pr" in diversen Fällen von der entscheidenden Kammer und auch anderen Kammern des Landesarbeitsgerichts als hinreichende Unterschrift - auch unter bestimmenden Schriftsätzen - akzeptiert worden ist. Das mag daran gelegen haben, dass die hier offenbare Abweichung in der Unterzeichnung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift dort nicht so offensichtlich war oder schlicht übersehen wurde. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass letztgenannte Umstände Herrn Dr. Q. nicht zur Kenntnis gelangt sein werden und sich in seiner Person deshalb ein schutzwürdiges Vertrauen darauf einstellen durfte, das Gericht nehme ein "Pr" als formgültige Unterschrift hin. Schon die aus der verfassungsrechtlich verankerten Maxime des "fair trial" abzuleitenden Grundsätze, wonach kein Richter sich widersprüchlich verhalten darf und einer Partei aus Versäumnissen des Gerichts keine Verfahrensnachteile entstehen dürfen, sprechen dafür, nicht ohne vorherige Warnung die über einen längeren Zeitraum praktizierte Hinnahme einer objektiv unzureichenden Unterschrift aufzugeben (BVerfG, Beschluss vom 26.04.1988 - 1 BvR 669/87 u.a., NJW 1988, 2787). Eine solche Warnung indes hat Herr Rechtsanwalt Dr. Q. bisher vom Gericht noch nicht erhalten.
60(c)
61B.
62Die Berufung ist unbegründet.
63Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung ergänzenden Lohns für die Monate April und Mai 2009 in Höhe von insgesamt 104,80 € brutto (80 Stunden x 1,31 € brutto Lohndifferenz pro Stunde) verurteilt. Nach Maßgabe des anwendbaren LTV ist die Tätigkeit der Klägerin als Kontrollschaffnerin aus der Lohngruppe 2.0.4 mit 10,45 € brutto/Stunde zu vergüten und nicht nur mit den vertraglich vereinbarten 9,14 €.
64I.Die Kammer nimmt zunächst gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug auf die zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts unter Ziffer II. der Entscheidungsgründe, welches sich seinerseits die Ausführungen des BAG im Urteil vom 25.02.2009 - 4 AZR 41/08 (dort Randziffern 24 ff.) zu Eigen gemacht hat. Danach ist nicht zu bezweifeln, dass ein Kontrollschaffner dem Wortlaut nach "Kontrollen im Außendienst" durchführt. Hinweise darauf, dass sich derartige Kontrollen auf betriebseigene Mitarbeiter beziehen müssen, lassen sich den tarifvertraglichen Begrifflichkeiten nicht entnehmen. Es geht um Kontrolleure im Außendienst und nicht um Kontrolleure des Außendienstes. Ebenso wenig lässt sich der Begriff der "Kontrolle" mit einem wie auch immer gearteten Mindestmaß an Entscheidungskompetenzen oder Verantwortlichkeiten im Bereich der Mitarbeiterführung verknüpfen. Kontrollieren meint schlicht das Überprüfen, ob in einem bestimmten Bereich alles mit rechten Dingen zugeht (BAG, aaO, Rdz. 25).
65II.Die Angriffe der Berufung vermögen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht in Frage zu stellen.
66(1)Die Argumentation der Beklagten, nach dem Gesamtkonzept des LTV handele es sich bei den innerhalb einer Lohngruppe genannten Tätigkeiten um gleichwertige Aufgaben, deshalb müsse sich die Tätigkeit eines Kontrolleurs im Außendienst wie beim Schichtführer im Revierdienst auf die Kontrolle von Arbeitsergebnissen ihm unterstellter Sicherheitsmitarbeiter erstrecken, verfängt nicht. Zwar ist natürlich richtig, dass die Tarifvertragsparteien von der Gleichwertigkeit von Tätigkeiten innerhalb einer Lohngruppe ausgehen, schließlich werden die Tätigkeiten ja gleich vergütet. Die Wertigkeit von Tätigkeiten bestimmt sich aber nicht zwingend allein danach, ob mit ihnen Vorgesetztenfunktionen verbunden sind oder nicht. Der Wert einer Tätigkeit wird vielmehr auch durch Kriterien wie
67-den Grad an Verantwortung des Mitarbeiters (beim Kontrollschaffner z.B. für das durch die Inkassotätigkeit eingenommene erhöhte Beförderungsentgelt),
68-die intellektuellen Anforderungen der Arbeit (z.B. im Zusammenhang mit der Beherrschung des Systems unterschiedlicher Fahrausweise und Beförderungstarife im ÖPNV oder der Funktionsweise von Ticketautomaten),
69-deren Risikoträchtigkeit (z.B. bei Überprüfung renitenter Schwarzfahrer; hier wird überdies ein nicht unerhebliches Maß an Flexibilität und psychologischem Einfühlungsvermögen gefragt sein) und
70-deren Bedeutung für die Außendarstellung des Verkehrsunternehmens (geprägt durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft des Kontrolleurs gegenüber dem zahlenden Fahrgast)
71bestimmt. Die Kammer vermochte in Anbetracht dessen nicht festzustellen, dass die Tätigkeit einer Kontrollschaffnerin die 10,45 € brutto/Stunde nicht "wert" ist. Abgesehen davon ist es nicht Sache der Parteien oder des Gerichts, ihre Wertigkeitsvorstellungen von bestimmten Tätigkeiten an die Stelle derjenigen der hierzu berufenen Tarifvertragsparteien zu setzen, ohne dass sich insoweit hinreichende Anhaltspunkte aus Wortlaut und Systematik des Tarifvertrages ergeben. Dass es eine vernünftigere, sachgerechtere und praktisch brauchbarere Regelung wäre, Kontrollschaffner nicht als "Kontrolleure im Außendienst" im Sinne der Lohngruppe 2.0.4 LTV anzusehen, ist ohne weiteres nicht ersichtlich (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen von Tarifverträgen das BAG etwa im Urteil vom 06.07.2006 - 2 AZR 587/05, NZA 2007, 167).
72(2)Vor allem lassen sich aus der von der Beklagten geschilderten tariflichen Entstehungsgeschichte keine Schlüsse auf einen derartigen Willen der Tarifvertragsparteien ziehen. Wenn Tarifvertragsparteien aus der Formulierung "Kontrolleure sowohl des Revierwachdienstes als auch aller anderen Außendienste" (so der Wortlaut der Lohngruppe 2.0.5 bis 1988) die Formulierung "Kontrolleure im Außendienst und Schichtführer im Revierwachdienst" machen, geht das über eine sprachliche Modernisierung hinaus. Erstgenannte Formulierung stellt nämlich klar, auf wen sich die Kontrolle zu beziehen hat, während in der heute noch gültigen Fassung darauf abgestellt wird, wo die Kontrolle stattfinden muss. Wäre im Übrigen die Kontrolle betriebseigener Mitarbeiter bzw. eine Vorgesetztenfunktion als signifikantes Kriterium der Lohngruppe 2.0.4 LTV gewollt gewesen, hätte die Formulierung "Kontrolleure im Außendienst, insbesondere Schichtführer im Revierdienst" wesentlich näher gelegen.
73(3)Eine Kontrollschaffnerin ist nicht in Lohngruppe 2.0.18. eingruppiert. Sie wird weder zur Bewachung eingesetzt (vgl. insoweit die Ausführungen des BAG im Urteil vom 25.02.2009 - 4 AZR 41/08, juris Rdz. 21 ff.), noch wird sie bei Messen und Veranstaltungen tätig. Der Einschätzung des BAG im vorbezeichneten Urteil, diese Lohngruppe sei "offensichtlich nicht einschlägig" (dort Rdz. 31), ist nichts hinzuzufügen.
74C.
75Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
76Die Kammer hat der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bei Auslegung des LTV grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
77R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
78Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
79R E V I S I O N
80eingelegt werden.
81Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
82Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
83Bundesarbeitsgericht
84Hugo-Preuß-Platz 1
8599084 Erfurt
86Fax: 0361 2636 2000
87eingelegt werden.
88Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
89Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
901.Rechtsanwälte,
912.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
923.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
93In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
94Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
95* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
96gez.: Schneidergez.: Briefsgez.: Curdt
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Referenzen
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