Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 11 Sa 181/11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 30.11.2010 - 2 Ca 1081/10 lev - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
1
T A T B E S T A N D:
2Der Kläger nimmt die Beklagte als Betriebserwerberin auf tatsächliche Weiterbeschäftigung sowie auf Zahlung von Arbeitsentgelt in Anspruch.
3Der Kläger, am 11.5.1970 geboren, ledig, trat am 23.10.1990 als Chemiefachwerker in die Dienste der U. GmbH M., Rechtsvorgängerin der U. G. GmbH. Gemäß Überleitungsvertrag vom 08.08.2007 ging das Arbeitsverhältnis auf die U. G. Services GmbH über. Die U. G. Services GmbH ist innerhalb der U. G. Gruppe, die Bremsbeläge für Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge herstellt, im Wesentlichen mit dem Vertrieb der Produkte im Ersatzteilmarkt befasst und nimmt für die Gruppe die Aufgaben der Forschung und Entwicklung wahr. Der Kläger war seit dem Jahr 1997 als Versuchsfahrer in der Abteilung S.&E. Vehicle Testing (Fahrversuch) im Bereich Passenger Cars tätig.
4Am 01.03.2009 wurde über das Vermögen der U. G. Services GmbH (= Schuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt Dr. L. zum Insolvenzverwalter bestellt. Am gleichen Tag schlossen der Insolvenzverwalter der Schuldnerin und deren Betriebsrat einen Sozialplan, aufgrund dessen 38 Arbeitnehmer mittels eines Aufhebungsvertrages bei der Schuldnerin ausschieden und in die errichtete Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) eintraten. Der Kläger lehnte den Eintritt in die BQG ab und wurde daraufhin ab dem 01.03.2009 von der Arbeit freigestellt.
5Am 11.03.2009 erklärte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Kläger die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2009. Der gegen die Kündigung des Insolvenzverwalters vom 11.03.2009 vom Kläger am 01.04.2010 beim Arbeitsgericht Solingen eingereichten Kündigungsschutzklage - 1 Ca 649/09 lev - gab dieses Gericht durch Urteil vom 24.06.2010 statt. Die dagegen von dem Insolvenzverwalter eingereichte Berufung wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf durch Urteil vom 10.11.2010 - 12 Sa 1321/10 - zurück. Die hiergegen von dem Insolvenzverwalter beim Bundesarbeitsgericht eingereichte Revision ist dort unter dem Aktenzeichen 6 AZR 780/10 anhängig.
6Nach Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage veräußerte der Insolvenzverwalter den Betrieb der Schuldnerin an die neugegründete Beklagte, auf die er zum 22.04.2009 gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB überging. Nach Umbenennung der Schuldnerin in "T. 4 GmbH" nahm die Beklagte ihrerseits den Namen "U. G. Services GmbH" an.
7Der Kläger erhielt bei der Schuldnerin zuletzt eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von durchschnittlich 3.338,76 €. Im Zeitraum vom 01.03.2009 bis 28.02.2010 bezog er Arbeitslosengeld in Höhe von 41,32 € täglich, monatlich also 1.239,60 € netto. Die Zahlungen erfolgten jeweils am 30. eines Monats. Für die Monate März 2010 bis einschließlich August 2010 erhielt der Kläger jeweils von der ARGE Rhein-Sieg monatlich 1.085,45 € netto und im September 1.004,09 € netto. Aufgrund der zunächst vom Arbeitsgericht Solingen durch Urteil vom 14.09.2010 - 2 Ga 40/10 lev - erlassenen einstweiligen Verfügung auf vorläufige Weiterbeschäftigung war der Kläger im Oktober 2010 kurzzeitig für die Beklagte tätig. Er erhielt von ihr für diesen Monat eine Bruttovergütung von insgesamt 1.655,07 €.
8Mit seiner beim Arbeitsgericht Solingen am 23.07.2010 eingereichten und der Beklagten am 06.08.2010 zugestellten Klage macht der Kläger nunmehr einen Weiterbeschäftigungsanspruch sowie Arbeitsentgelt für den Zeitraum von März 2009 bis einschließlich Oktober 2010 geltend. Hierzu gehört auch eine für November 2009 beanspruchte restliche Jahressonderzahlung für 2009 in Höhe von 2.606,35 € brutto und ein für Juli 2010 beanspruchtes Urlaubsgeld für 2010 in Höhe von 613,50 € brutto.
9Der Kläger hat zuletzt beantragt,
101)die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens L. ./. RA Dr. L. als Insolvenzverwalter T. 4 GmbH, Az.: 1 Ca 649/09 lev, als Versuchsfahrer zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigten;
112)die Beklagte zu verurteilen, an ihn Arbeitsentgelt wie folgt zu zahlen:
12a)für März 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. März 2009 gezahlter € 1.239,60 netto und abzgl. Fahrtkosten in Höhe von € 407,88 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2009;
13b)für April 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. April 2009 gezahlter € 1.239,60 netto und abzgl. Fahrtkosten in Höhe von € 407,88 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2009;
14c)für Mai 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. Mai 2009 gezahlter € 1.239,60 netto und abzgl. Fahrtkosten in Höhe von € 407,88 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juni 2009;
15d)für Juni 2009 € 3.850,01 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. Juni 2009 gezahlter € 1.239,60 netto und abzgl. Fahrtkosten in Höhe von € 407,88 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juli 2009;
16e)für Juli 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. Juli 2009 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2009;
17f)für August 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. August 2009 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. September 2009;
18g)für September 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. September 2009 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Oktober 2009;
19h)für Oktober 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. Oktober 2009 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2009;
20i)für November 2009 € 5.945,11 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. November 2009 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2009;
21j)für Dezember 2009 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. Dezember 2009 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2010;
22k)für Januar 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 30. Januar 2010 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2010;
23l)für Februar 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Bundesagentur für Arbeit am 28. Februar 2010 gezahlter € 1.239,60 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. März 2010;
24m)für März 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. März 2010 gezahlter € 1.085,45 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2010;
25n)für April 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. April 2010 gezahlter € 1.085,45 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2010;
26o)für Mai 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. Mai 2010 gezahlter € 1.085,45 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juni 2010;
27p)für Juni 2010 € 3.952,26 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. Juni 2010 gezahlter € 1.085,45 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juli 2010;
28q)für Juli 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. Juli 2010 gezahlter € 1.085,45 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2010;
29r)für August 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. August 2010 gezahlter € 1.085,45 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. September 2010;
30s)für September 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der ARGE Rhein-Sieg am 30. September 2010 gezahlter € 1.004,09 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Oktober 2010;
31t)für Oktober 2010 € 3.338,76 brutto abzgl. von der Beklagten am 15.11.2010 gezahlter € 1.655,07 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2010.
32Die Beklagte hat beantragt,
33die Klage abzuweisen.
34Die Beklagte hat vor allem geltend gemacht:
35Sie gehe weiterhin von der Rechtmäßigkeit der Kündigung des Insolvenzverwalters vom 11.03.2009 aus. Im Hinblick auf den Verzugslohn für die Monate März bis Juni 2009 habe der Kläger seine Entgeltansprüche im Hinblick auf die zur Anwendung kommenden tarifvertraglichen Ausschlussfristen nicht rechtzeitig geltend gemacht.
36Mit seinem am 30.11.2010 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage bezüglich der vom Kläger geltend gemachten Entgeltansprüche für März bis einschließlich Juni 2009 abgewiesen und ihr im Übrigen stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht, soweit für diese Instanz von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
37Die Beklagte sei zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers nach den Grundsätzen, wie sie der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 27.02.1985 (- GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) entwickelt habe, verpflichtet. Da die Beklagte den Betrieb vom Insolvenzverwalter nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB übernommen habe, sei auch das (nicht wirksam gekündigte) Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte übergegangen. Der gegen die Kündigung des Insolvenzverwalters vom 11.03.2009 seitens des Klägers erhobenen Kündigungsschutzklage sei in erster und zweiter Instanz stattgegeben worden. Die Zahlungsansprüche für die Monate Juli 2009 bis einschließlich Oktober 2010 würden nach Maßgabe des § 615 Satz 1 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag und den §§ 5 und 10 des Tarifvertrages über Einmalzahlungen und Altersversorge in der Chemischen Industrie bestehen.
38Gegen das ihr am 14.01.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem bei Gericht am 07.02.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem hier am 14.03.2011 eingereichten Schriftsatz begründet.
39Die Beklagte hat unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend gemacht:
40Der Kläger habe ihr gegenüber keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des mit dem Insolvenzverwalter geführten Kündigungsrechtsstreits. Der Ausgang dieses Rechtsstreits sei völlig ungewiss. Hinzu komme, dass der Arbeitsplatz des Klägers im Zuge des Sanierungskonzeptes weggefallen sei. Die Nachfrage nach originären Fahrversuchen sei stark gesunken. Auch nach dem auf sie erfolgten Betriebsübergang hätten drei weitere Mitarbeiter den Fahrversuch verlassen, um in anderen Bereichen eingesetzt zu werden. Zwar werde der Kläger augenblicklich im Bereich Fahrversuch beschäftigt, doch komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen darüber, wie er vertragsgemäß zu beschäftigen sei. Aufgrund der Rechtmäßigkeit der betriebsbedingten Kündigung durch den Insolvenzverwalter vom 11.03.2009 zum 30.06.2009 stehe dem Kläger kein Entgeltanspruch aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu. Nachdem sie nach Androhung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil die Zahlung der tenorierten Beträge vorgenommen habe, sei der Rechtsstreit bezüglich der Zahlungsansprüche nach § 148 ZPO auszusetzen.
41Die Beklagte beantragt zuletzt,
42das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 30.11.2010 - 2 Ca 1081/10 lev - abzuändern und die Klage abzuweisen.
43Der Kläger beantragt,
44die Berufung abzuweisen.
45Der Kläger verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und macht unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend:
46Die Beklagte habe ihm erst am 14.01.2011 wieder einen Arbeitsplatz zugewiesen. Sie beschäftige ihn jedoch nicht, wie tenoriert, als Versuchsfahrer, sondern damit, abgefahrene Bremsscheiben maschinell abzudrehen. Die Behauptung der Beklagten, eine Einsatzmöglichkeit für ihn im Fahrversuch bestehe nicht mehr, sei nicht zutreffend. Es sei genügend Arbeit im Fahrversuch vorhanden. Ihm sei bekannt, dass die Beklagte seit Anfang Februar 2011 einen "Leihfahrer" engagiert habe, der mit einem Dauerlauf im Odenwald beschäftigt sei. Nachdem die Beklagte erstinstanzlich im tenorierten Umfang zur Zahlung von Annahmeverzugslohn verurteilt worden sei, stelle sich die Frage, was mit einer Aussetzung des Rechtsstreits bezüglich der noch streitigen Entgeltansprüche überhaupt erreicht werden solle.
47Wegen des sonstigen Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.
48E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
49A.
50Die Berufung der Beklagten, gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist unbegründet.
51I.
52Zu Recht hat die Vorinstanz dem Kläger den von ihm geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum tenorierten Zeitpunkt zugesprochen.
531.Dieser Anspruch ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend: Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) aus §§ 611 Abs. 1, 613 Abs. 1 BGB i. V. m. § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG). Dies gilt auch dann, wenn ein Betriebsübergang nach § 613 Abs. 1 Satz 1 BGB erfolgt ist und der Betriebserwerber nicht Partei des Kündigungsschutzrechtsstreits war. Der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung richtet sich dann gegen den Betriebserwerber, hier gegen die Beklagte (vgl. LAG Hamm 09.06.2006 - 19 Sa 879/06 - Rz. 33 ff. juris; LAG Düsseldorf 27.04.2011 - 12 Sa 75/11 - Rz. 34 juris).
542.Der vorgenannte Beschäftigungsanspruch besteht für jeden Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob er höher- oder geringwertige Arbeiten verrichtet, ob er für seine Arbeit eine spezielle Vor- oder Ausbildung benötigt oder nicht. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer durch die Nichtbeschäftigung einen konkreten Schaden erleidet. Da der allgemeine Beschäftigungsanspruch aus einer sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Pflicht des Arbeitgebers folgt, muss er zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Hierzu bedarf es einer Interessenabwägung. Das gilt bereits im ungestört bestehenden Arbeitsverhältnis. Wird das Arbeitsverhältnis, wie im Streitfall, seitens des Arbeitgebers gekündigt und erhebt der Arbeitnehmer, wie hier der Kläger, Kündigungsschutzklage, verändert sich die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien. Das beiderseitige Risiko des ungewissen Prozessausgangs kann bei der Prüfung des Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht außer Betracht gelassen werden. Dies führt dazu, dass zunächst das berechtigte und schutzwerte Interesse des Arbeitgebers wegen des für ihn damit verbundenen hohen Risikos, den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses nicht zu beschäftigen, stärker und dringender erscheint. Diese Interessenlage ändert sich jedoch, wenn im Kündigungsschutzprozess ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, das die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellt. Ist dies der Fall, müssen zu der Ungewissheit des Prozessausgangs zusätzliche Umstände hinzukommen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Zu denken ist hierbei etwa an solche Umstände, die auch in streitlos bestehenden Arbeitsverhältnissen den Arbeitgeber zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigen. Besteht z. B. gegen den Arbeitnehmer der Verdacht des Verrats von Betriebsgeheimnissen, kann der Arbeitgeber die Beschäftigung dieses Arbeitnehmers schon während des bestehenden Arbeitsverhältnisses verweigern, um das Ausspionieren weiteren betrieblichen Geschehens zu verhindern. Aber auch aus der Stellung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb und der Art seines Arbeitsbereichs kann sich ein überwiegendes schutzwertes Interesse des Arbeitgebers ergeben, den betreffenden Arbeitnehmer wegen der Ungewissheit des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses von seinem Arbeitsplatz fernzuhalten (BAG 27.02.1985 - GS 1/84 - a. a. O., zu C. II. 3 c der Gründe; Hess. LAG 15.12.2006 - 3 Sa 283/06 - NZA-RR 2007, 192, 193). Derartige Umstände, aus denen sich vorliegend ein überwiegendes schutzwertes Interesse der Beklagten ergibt, den Kläger wegen der Ungewissheit wegen des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses von seinem Arbeitsplatz fernzuhalten, sind nicht gegeben.
553.Allerdings können überwiegende Interessen des Arbeitgebers der Weiterbeschäftigung auch im Falle der Unmöglichkeit entgegenstehen. Setzt die vom Arbeitnehmer beanspruchte Weiterbeschäftigung das Vorliegen bestimmter Gegebenheiten oder deren dem Arbeitgeber zumutbare Schaffung voraus, etwa das Vorhandensein eines Betriebes oder einer konkreten Funktion, und sind diese Gegebenheiten dauerhaft entfallen, kann die Weiterbeschäftigung nicht mehr gewährleistet werden. Sie ist dann i. S. des § 275 Abs. 1 BGB unmöglich (vgl. BAG 04.09.1985 - 5 AZR 90/84 - juris Rz. 20; LAG Düsseldorf 27.04.2011 - 12 Sa 75/11 - Rz. 35 juris).
564.Eine derartige Unmöglichkeit hat die insoweit darlegungspflichtige Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Sie hat zwar behauptet, dass sich auch nach dem Betriebsübergang auf sie die Auslastung im Fahrversuch weiter reduziert habe und aufgrund der in ihrer Berufungsbegründung (Seite 7 unten) geschilderten Umstände die Nachfrage nach originären Fahrversuchen stark gesunken sei, weshalb nach Betriebsübergang auf sie drei weitere Mitarbeiter den Fahrversuch hätten verlassen müssen, um in anderen Bereichen eingesetzt zu werden. Mit dieser Behauptung steht aber nicht zugleich fest, dass für den Kläger überhaupt keine Beschäftigung mehr im Fahrversuch besteht. Dagegen spricht auch nicht das für die Beklagte in zweiter Instanz erfolgreiche einstweilige Verfügungsverfahren. Der Kläger hatte vor dem Arbeitsgericht Solingen durch Urteil vom 14.09.2010 - 2 Ga 40/10 lev - die Beschäftigung als Versuchsfahrer alternativ im Prüfstand Technik bis zum Abschluss des Hauptverfahrens - 2 Ca 1082/10 lev - erreicht. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat durch Urteil vom 17.11.2010 - 12 SaGa 19/10 - dieses Urteil abgeändert und den Antrag des Klägers auf Weiterbeschäftigung zurückgewiesen. Dies geschah jedoch nicht wegen Fehlens einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Klägers als Versuchsfahrer, also nicht wegen Fehlens eines Verfügungsanspruchs, sondern wegen Fehlens eines Verfügungsgrundes (vgl. §§ 935, 940 ZPO). Im Übrigen hat die Beklagte selbst in ihrer Berufungsbegründung angegeben, der Kläger würde "augenblicklich" im Bereich Fahrversuch beschäftigt, wobei es allerdings immer wieder zu Auseinandersetzungen darüber komme, wie er vertragsgemäß zu beschäftigen sei.
57II.
58Zu Recht hat die Vorinstanz dem Kläger auch die von ihm für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis zum 31.10.2010 geltend gemachten Zahlungsansprüche zugesprochen.
591.Die von der Beklagten angeregte Aussetzung des Berufungsverfahrens gemäß § 148 ZPO, soweit es die vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche betrifft, kam nicht in Betracht. Zum einen kann auch im Berufungsverfahren von der Aussetzung der vom Ausgang eines vorgreiflichen Kündigungsschutzrechtsstreits abhängigen Zahlungsklage betr. Annahmeverzugsentgelt (vgl. § 615 Satz 1 BGB) Abstand genommen werden, um die rechtskräftige Erledigung des Rechtsstreits über die Zahlungsansprüche, gegebenenfalls in der Revisionsinstanz, zu beschleunigen (vgl. auch LAG Düsseldorf 27.04.2011 - 12 Sa 75/11 -). Zum anderen kann der mit § 148 ZPO verfolgte Zweck, nämlich die doppelte Prüfung derselben Streitfrage in verschiedenen Prozessen zu vermeiden und divergierende Entscheidungen zu verhindern (vgl. nur LAG Düsseldorf 01.10.2008 - 6 Ta 535/09 - n. v.) nicht mehr unbedingt erreicht werden, wenn nach zweitinstanzlicher Stattgabe der vorgreiflichen Kündigungsschutzklage die von dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängigen Zahlungsansprüche erstinstanzlich der klagenden Partei zugesprochen worden sind.
602.Der Kläger kann für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis zum 31.10.2010 von der Beklagten die Zahlung eines zwischen den Parteien nicht streitigen monatlichen Arbeitsentgelts in Höhe von 3.338,76 € brutto abzüglich der von ihm angegebenen bezogenen Leistungen von Sozialversicherungsträgern (vgl. hierzu § 11 Nr. 3 KSchG bzw. § 115 Abs. 1 SGB X) gem. § 615 Abs. 1 i. V. m. § 615 Satz 1 BGB verlangen.
61a)Da § 615 Satz 1 BGB dem Arbeitnehmer trotz fehlender Arbeitsleistung "die vereinbarte Vergütung" sichern, ihm also lediglich den originären Vergütungsanspruch aus § 611 Abs. 1 BGB aufrecht erhalten will (BAG 28.04.1993 - 4 AZR 329/92 - EzA § 611 BGB Croupier Nr. 2; BAG 05.09.2002 - 8 AZR 702/01 - EzA § 615 BGB Nr. 109), ist erste Voraussetzungen für einen auf diese Norm gestützten Zahlungsanspruch ein bestehendes Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten (vgl. auch BVerfG 20.01.1990 - 1 BvR 42/82 - DB 1990, 1042). Hiervon ist für die Zeit vom 01.07.2009 bis zum 31.10.2010 auszugehen. Die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat - wenn auch bisher nicht rechtskräftig - durch Urteil vom 10.11.2010 - 12 Sa 1321/10 - die Berufung des Insolvenzverwalters gegen die erstinstanzliche Stattgabe der Kündigungsschutzklage des Klägers durch Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 24.06.2010 - 1 Ca 649/09 lev - zurückgewiesen. Damit steht zurzeit, wenn auch nicht rechtskräftig, gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB fest, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der Schuldnerin ein Arbeitsverhältnis seit dem Übergang des Betriebs der Schuldnerin auf die Beklagte besteht (vgl. auch BAG 22.10.2009 - 8 AZR 766/08 - Rz. 18 AP Nr. 16 zu § 115 SGB X).
62b)Auch die zweite Voraussetzung für den auf § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 615 Satz 1 BGB gestützten Vergütungsanspruch des Klägers für den vorgenannten Zeitraum, nämlich der Annahmeverzug der Beklagten, ist erfüllt.
63aa)Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB. Danach muss der Schuldner in der Regel die geschuldete Leistung tatsächlich (§ 294 BGB) oder wörtlich (§ 295 Satz 1 BGB) anbieten. Ist allerdings für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es ausnahmsweise überhaupt keines Angebots, wenn der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt (§ 296 Satz 1 BGB).
64bb)Im Streitfall bedurfte es aufgrund der Regelung in § 296 Satz 1 BGB weder eines tatsächlichen noch eines wörtlichen Angebots seitens des Klägers, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung für die Zeit vom 01.07.2009 bis zum 31.10.2010 zu erbringen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers darin zu sehen, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm die laut Arbeitsvertrag geschuldete Betätigung zuzuweisen ( BAG 24.11.1994 - 2 AZR 179/94 - EzA § 615 BGB Nr. 83; BAG 06.12.2001 - 2 AZR 422/00 - EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 9; BAG 11.01.2006 - 5 AZR 98/05 - EzA § 615 BGB 2002 Nr. 11). Dem ist die Beklagte nach dem Betriebsübergang in dem Zeitraum vom 01.07. 2009 bis zum 31.10.2010 nicht nachgekommen.
65III.
66Für November 2009 und für Juli 2010 stehen dem Kläger gem. § 611 Abs. 1 BGB i.V. mit §§ 5, 6 und § 10 des Tarifvertrages über Einmalzahlungen und Altersversorge in der chemischen Industrie vom 18.09.2001 i. d. F. vom 09.06.2008, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, noch in der Höhe unstreitige 2.606,35 € brutto (restliche Jahressonderzahlung 2009) sowie 613,50 € brutto (Urlaubsgeld 2010) zu.
67IV.
68Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. § 284 Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 614 Satz 1 BGB.
69B.
70Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
71Die Kammer hat wegen der Erheblichkeit der beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Kündigungsrechtsstreits - 6 AZR 780/10 - für die streitgegenständlichen Ansprüche und wegen des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör zum Ausgang des vorgenannten Rechtsstreits gem. § 72 Abs. 2 ArbGG die Revision zugelassen.
72S. E C H T S M I T T E L B E L E H S. U N G :
73Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
74S. E V I S I O N
75eingelegt werden.
76Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
77Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
78Bundesarbeitsgericht
79Hugo-Preuß-Platz 1
8099084 Erfurt
81Fax: 0361-2636 2000
82eingelegt werden.
83Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
84Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
851.Rechtsanwälte,
862.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
873.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
88In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
89Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
90* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
91gez. Prof. Dr. Vossen gez. Lescanne gez. Baumeister
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Referenzen
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