Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 19 Sa 853/98
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 25.03.1998 - 3 (7) Ca 3176/97 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung der britischen Streitkräfte beendet ist.
3Der am 05.09.1958 geborene, verheiratete, gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 01.08.1989 als ziviler Wachmann mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.900,-- DM bei den britischen Streitkräften in B............ tätig.
4Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 30.09.1993 zugrunde, wegen dessen Einzelheiten auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.12.1997 vorgelegte Kopie (Bl. 24 - 26 d.A.) Bezug genommen wird. Unter Ziffer 41 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV AL II) in der jeweils gültigen Fassung. Der Kläger unterzeichnete weiterhin eine Stellenbeschreibung für bewaffnete Wachleute, wegen deren Einzelheiten auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.12.1997 vorgelegte Kopie (Bl. 27, 28 d.A.) verwiesen wird. Gemäß Ziffer 4 c) muß alljährlich ein von den Streitkräften bestimmter Arzt den für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen guten allgemeinen Gesundheitszustand bestätigen.
5In Teil IV - Einstellungen - 1.041 ärztliche Untersuchungen der Staatsdienstordnung für die Britische Armee in Deutschland ist folgendes geregelt:
6„...
7Für die Einstellung folgender Personengruppen ist eine vorherige ärztliche Untersuchung Voraussetzung:
8...
9f. Beschäftigte, die zur Selbstverteidigung Waffen tragen müssen (bewaffnete zivile Wachleute und bewaffnete Hundeführer) - die Untersuchung wird vom TÜV durchgeführt und ist in jährlichem Abstand zu wiederholen.
10Jeglicher Einspruch gegen die TÜV-Entscheidung, der sich aus weiteren Untersuchungen durch den Hausarzt des Betroffenen ergibt, ist durch einen TÜV Arbeitsmediziner abzuklären. Das Ergebnis dieser wiederholten ärztlichen Untersuchung wird von UKSC (G) akzeptiert.
11...“
12§ 4 Ziffer 4 TV AL II i.V.m. Anlage Z zu § 4 Ziff. 4 enthält zur Gesundheitsuntersuchung folgende Bestimmung:
13Der Gesundheitszustand der Arbeitnehmer kann durch ärztliche Untersuchungen überwacht werden. Die Kosten trägt die Beschäftigungsdienststelle.
14Die britischen Streitkräfte haben den Technischen Überwachungsverein Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. mit der medizinisch-psychologischen Untersuchung der bewaffneten Wachleute beauftragt. Der Kläger stellte sich dort seit Beginn des Arbeitsverhältnisses jährlich zu einer Gesundheitsuntersuchung vor. Diese wurde ohne Blutentnahme durchgeführt. Die medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle des TÜV sprach jeweils eine uneingeschränkte Empfehlung für den Einsatz des Klägers als bewaffneter Wachmann aus.
15Im Juni 1996 entschied die Oberste Dienstbehörde der Streitkräfte, die bisherige ärztliche Untersuchung um eine Überprüfung auf Alkohol- und Drogenabhängigkeit zu erweitern, und wies entsprechend den Technischen Überwachungsverein an. Die geforderte ärztliche Zusatzbegutachtung ist nur unter Entnahme einer Blutprobe möglich.
16Mit Schreiben vom 19.06.1996 unterrichtete die Zivilpersonalverwaltung der britischen Streitkräfte die Hauptbetriebsvertretung über die Erweiterung der jährlichen Gesundheitsuntersuchung um eine Blutuntersuchung zur Diagnose möglichen Alkohol- und Drogenmißbrauches. Die Betriebsvertretungen aller Ebenen lehnten diese generelle Untersuchung aller bewaffneten Wachleute ab.
17Am 28.04.1997 stellte sich der Kläger der jährlichen medizinisch-psychologischen Untersuchung. Er verweigerte die Entnahme von Blut. Mit Schreiben vom 28.04.1997 informierte der Technische Überwachungsverein Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. die Arbeitgeberin von dem Abbruch der Untersuchung.
18Am 05.05.1997 wies der Dienststellenleiter, Major S.. W..............., den Kläger in einem persönlichen Gespräch auf die Unerläßlichkeit der Eignungsuntersuchung hin und riet ihm an, sich erneut beim TÜV zur Untersuchung vorzustellen. Der Kläger lehnte ab.
19Mit Schreiben vom 12.05.1997 leitete der Dienststellenleiter das Mitwirkungsverfahren der Betriebsvertretung ein, mit dem Ziel, das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.1997 zu kündigen. Wegen der Einzelheiten der Mitteilung wird auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.12.1997 vorgelegte Kopie (Bl. 50 - 52 d.A.) verwiesen.
20Mit Schreiben vom 14.05.1997/15.05.1997 lehnte die Betriebsvertretung die Kündigung ab und begehrte eine erneute Erörterung, die am 26.05.1997 stattfand. Am 02.06.1997 stellte die Betriebsvertretung einen Antrag auf Entscheidung durch die Mittelbehörde. Diese teilte der Betriebsvertretung mit Schreiben vom 02.06.1997 mit, sie habe entschieden, daß die Kündigung auszusprechen sei.
21Auf Antrag der Betriebsvertretung erörterten der Leiter der Obersten Dienstbehörde und die Hauptbetriebsvertretung am 18.09.1997 die beabsichtigte Kündigung. Im Anschluß an die Sitzung wurde die Hauptbetriebsvertretung informiert, daß der Kläger ohne Blutuntersuchung nicht für den Dienst unter Waffen eingesetzt werden könne.
22Wegen der Einzelheiten des Verfahrens wird auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.12.1997 vorgelegten Kopien des Schriftwechsels (Bl. 54 - 77 d.A.) Bezug genommen.
23Der Kläger war vom 18.08.1997 bis zum 28.09.1997 arbeitsunfähig krank.
24Am 26.09.1997 wurde er telefonisch befragt, ob er nunmehr bereit sei, sich einer Gesundheitsuntersuchung unter Einbeziehung eines Alkohol- und Drogenscreenings zu unterziehen. Er lehnte diese Untersuchung erneut ab.
25Mit Schreiben vom 29.09.1997 kündigten die Streitkräfte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.01.1998. Der Kläger wurde ab sofort von der Arbeit freigestellt.
26Mit seiner am 14.10.1997 bei dem Arbeitsgericht Bielefeld eingegangenen Klage wendet er sich gegen die ihm am 29.09.1997 zugegangene Kündigung.
27Er hat die Auffassung vertreten:
28Eine Blutentnahme erfordere eine gesetzliche Grundlage oder seine Einwilligung. Die einseitige Arbeitgeberweisung, die Gesundheitsuntersuchung auf ein Alkohol- und Drogenscreening zu erweitern, sei mitbestimmungs- bzw. mitwirkungswidrig zustandegekommen. Er habe sie deshalb nicht befolgen müssen.
29Der Kläger hat beantragt
30festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29.09.1997 nicht aufgelöst worden ist.
31Die Beklagte hat beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie behauptet:
34Verschiedene Vorfälle der jüngsten Vergangenheit hätten die Gefahr verdeutlicht, die von alkohol- bzw. drogengefährdeten Personen ausgehe, wenn sie Zugang zu Waffen hätten. Aus diesem Grunde sei die Dienstanweisung aus Juni 1996 ergangen. Seit dem Spätsommer 1996 sei die Alkohol- und Drogenuntersuchung fester Bestandteil der Gesundheitsbegutachtungen für den Dienst unter Waffen.
35Die Verwaltungsanordnung sei unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Hauptbetriebsvertretung erstellt worden.
36Mit Urteil vom 25.03.1998 hat das Arbeitsgericht Bielefeld festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.09.1997 nicht aufgelöst worden ist. Es hat die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 12.700,-- DM festgesetzt.
37Es hat ausgeführt:
38Die streitbefangene Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Streitlos finde das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.
39Es könne dahingestellt bleiben, ob die Weigerung des Klägers, seine fortbestehende Eignung zur Ausübung einer Tätigkeit als ziviler bewaffneter Wachmann durch den Technischen Überwachungsverein untersuchen zu lassen, einen personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstelle. Jedenfalls sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen, sich der erweiterten Untersuchung zu unterziehen.
40Grundsätzlich sei in Übereinstimmung mit den Streitkräften davon auszugehen, daß ein Arbeitgeber gegenüber eigenen Beschäftigten und Dritten eine gesteigerte Verantwortung habe, wenn er im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Arbeitnehmer unter Einsatz von Schußwaffen beschäftige. Einer solchen Verantwortung entspreche es, wenn er Arbeitnehmer nur so lange unter Einsatz von Schußwaffen einsetze, wie er Gewißheit haben könne, daß diese den Anforderungen an den Umgang mit Schußwaffen gerecht würden.
41Die Kammer teile gleichfalls im Grundsatz die Auffassung der Streitkräfte, daß Alkohol- und Drogenmißbrauch Umstände darstellten, die einer Eignung des Arbeitnehmers zum Führen von Waffen entgegenstünden.
42Gleichwohl könne eine Verpflichtung des Klägers, sich einer Blutentnahme zu unterziehen, um die vorgesehene Untersuchung auf Alkohol- und Drogenmißbrauchs zu ermöglichen, nicht angenommen werden.
43Regelmäßig werde auch eine wiederholte Weigerung lediglich dann zu kündigungsrechtlichen Maßnahmen führen können, wenn hierdurch unmittelbare und aktuelle Auswirkungen auf den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers gegeben seien. Mit Keller („Die ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses“, NZA 1988, 561 f.) sei davon auszugehen, daß dies dann der Fall sein könne, wenn der Arbeitgeber ohne ärztliche Beurteilung nicht mehr in der Lage sei, den Arbeitnehmer an seinem bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen, weil er gegebenenfalls mit der Gefährdung anderer Arbeitnehmer oder sonstiger Personen oder eigener Rechtsgüter rechnen müsse. Dies sei der Fall.
44Neben der Auswirkung auf den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers sei jedoch zu fordern, daß konkrete Tatsachen gegeben seien, aufgrund derer der Arbeitgeber davon ausgehen könne, eine entsprechende Eignung des Arbeitnehmers sei nicht mehr gegeben. Es müßten Zweifel an der Eignung gegeben sein. Soweit ersichtlich stelle die Rechtsprechung auf solche begründeten Zweifel ab, wenn es um die Frage gehe, ob eine Eignung des Arbeitnehmers für die vertraglich vorgesehene Tätigkeit noch gegeben sei.
45Ob anders zu befinden sei, wenn eine solche Untersuchung einzelvertraglich oder tarifvertraglich geregelt sei, könne ebenso wie die Frage dahingestellt bleiben, ob durch Dienstvereinbarung eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitnehmers geregelt werden könne. Entsprechende einzelvertragliche oder tarifvertragliche Vereinbarungen bzw. eine Dienstvereinbarung lägen nicht vor.
46Gegen das ihr am 31.03.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.04.1998 bei dem Landesarbeitsgericht Hamm eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.06.1998 am 22.06.1998 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend begründet.
47Sie vertritt die Auffassung, die geforderte Routineuntersuchung sei auch ohne konkreten Mißbrauchsanlaß zulässig, da den Streitkräften nicht zugemutet werden könne, etwa auf eine offensichtliche Trunkenheit eines bewaffneten Arbeitnehmers während des Dienstes und einer daraus folgenden Gefahr des Waffenmißbrauches zu warten. Die notwendige Güterabwägung müsse dazu führen, daß das Recht des Klägers, einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit abzulehnen, gegenüber dem Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit und der körperlichen Unversehrtheit unbeteiligter Dritter zurücktreten müsse.
48Sie behauptet:
49Eine Mitwirkung der Hauptbetriebsvertretung bei Anlaß der Verwaltungsanordnung habe stattgefunden.
50Die Streitkräfte hätten keine andere Möglichkeit zur Beschäftigung des Klägers.
51Die Beklagte beantragt,
52in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
53Der Kläger beantragt,
54die Berufung zurückzuweisen.
55Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er vertritt die Auffassung, die geforderte Blut- und Urinuntersuchung sei erst dann anzuordnen, wenn die allgemeine medizinische und psychologische Untersuchung Anzeichen für eine Abhängigkeit ergebe.
56E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
57Die gemäß §§ 64 Abs. 2, Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
58Die gegen die Kündigung vom 29.09.1997 gerichtete Kündigungsschutzklage ist zulässig. Gemäß Art. 56 Abs. 8 GG ist die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben und die Beklagte zutreffend als Prozeßstandschafterin Großbritanniens, des Entsendestaates der britischen Streitkräfte, verklagt worden.
59Das Arbeitsgericht Bielefeld hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben.
60Die Kündigung ist nicht durch Gründe sozial gerechtfertigt, die in der Person oder in dem Verhalten des Klägers liegen.
61Weder ist der Kläger ungeeignet, seine Arbeit als bewaffneter Wachmann bei den britischen Streitkräften vertragsgemäß zu verrichten, noch hat er mit seiner Weigerung, einer Blutentnahme durch den von den Streitkräften mit der jährlichen Gesundheitsprüfung beauftragten Technischen Überwachungsverein Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. zuzustimmen, gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen.
62Eine Blutentnahme erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB. Sie ist nur dann nicht rechtswidrig, wenn die Person, deren Blut untersucht werden soll, der Entnahme zustimmt oder der Eingriff auf gesetzlichen Grundlagen beruht.
631. Gesetzliche Anordnungen, bewaffnete Wachleute regelmäßig durch Blutentnahme auf Drogen- und Alkoholmißbrauch zu untersuchen, bestehen nicht.
642. Der Kläger ist auch nicht verpflichet, dieser Untersuchung zuzustimmen.
65a) Sie ist nicht tariflich geregelt. Gemäß § 4 Ziffer 4 i.V.m. Anlage Z zu § 4 Ziffer 4 des Tarifvertrages für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften (TV AL II) kann der Gesundheitszustand der Arbeitnehmer zwar ärztlich überwacht werden. Dieser Untersuchung hat sich der Kläger auch jährlich seit Beginn des Arbeitsverhältnisses mit dem Ergebnis unterzogen, daß seine Eignung festgestellt wurde, Wachdienste mit Waffen zu leisten. Der Umfang sowie die Art und Weise der Untersuchung sind jedoch nicht festgelegt.
66b) Ziffer 4 c) der von den Parteien vereinbarten Stellenbeschreibung enthält ebenfalls nur eine generelle Regelung der jährlichen Gesundheitsüberprüfung durch einen von den Streitkräften bestimmten Arzt. Der Vereinbarung entspricht Teil IV Ziffer 1041.f der Stabsdienstordnung.
67c) Der Kläger muß der Blutuntersuchung auch nicht aufgrund einer Betriebsvereinbarung zustimmen. Die Beklagte hat zwar vorgetragen, die Streitkräfte hätten die Betriebsvertretung beteiligt. Sie hat den Abschluß einer förmlichen Dienstvereinbarung jedoch nicht behauptet.
68d) Die Streitkräfte haben die Überprüfung auf Suchtgefahren einseitig im Sommer 1996 angeordnet und dadurch ihr Direktionsrecht ausgeübt (vgl. zum Direktionsrecht im Rahmen ärztlicher Untersuchungen Keller, Die ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, NZA 1988, 561, 564 f.).
69Unter Direktionsrecht ist das Recht des Arbeitgebers zu verstehen, die Einzelheiten der zu erbringenden Arbeitsleistung durch Anordnungen und Anweisungen einseitig zu regeln. Die Direktionsmaßnahme ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung und unterliegt der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 31 VI 1 a, b).
70aa) Zweifelhaft ist, ob die Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich im Rahmen einer Gesundheitsprüfung einer Blutuntersuchung zu unterziehen, durch einseitiges Anordnungsrecht des Arbeitgebers begründet werden kann (so LAG Bremen, Urteil vom 28.03.1956- Sa 10/56 -, AP Nr. 17 zu § 626 BGB; BAG, Urteil vom 13.02.1964 - 2 AZR 286/63 -, AP Nr. 1 zu Art. 1 GG). Die ärztliche Untersuchung berührt das in Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit (vgl. auch Keller, aaO. S. 564). Die Einschränkung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit bedarf gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eines Gesetzes im Sinne des Art. 19 Abs. 1 GG. Diese Erwägung könnte dazu führen, daß dem Arbeitnehmer grundsätzlich eine ärztliche Untersuchung nur auf gesetzlicher Grundlage abgefordert werden kann (so Paulsen, Die Pflicht des Arbeitnehmers, sich ärztlich untersuchen zu lassen, AuR 1961, 206, 208).
71bb) Die Kammer brauchte dieser Frage jedoch nicht nachzugehen, da die Anordnung der britischen Streitkräfte jedenfalls unbillig ist.
72Was dem billigen Ermessen entspricht, ist unter Abwägung der Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien festzustellen. Die Weisung ist billig, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt sind (vgl. Henke HwB AR 750, Direktionsrecht, Rdnr. 15).
73Die Anordnung der britischen Streitkräfte, jeden bewaffneten Wachmann routinemäßig ohne jeden individuellen Anlaß auf Mißbrauch von Alkohol oder Drogen ärztlich begutachten zu lassen, berücksichtigt nicht angemessen die Interessen des Klägers.
74Gegeneinander abzuwägen sind sein Interesse an körperlicher Unversehrtheit und das Interesse der Streitkräfte, nur Arbeitnehmer unter Waffen zu beschäftigen, deren Eignung umfassend geprüft ist und uneingeschränkt feststeht. Zutreffend weist das Arbeitsgericht Bielefeld darauf hin, daß ein Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer bewaffnet, gegenüber seinen Beschäftigten und Dritten eine gesteigerte Verantwortung trägt. Dem erstinstanzlichen Gericht ist auch zuzustimmen, wenn es ausführt, Alkohol- und Drogenmißbrauch stellten für die Eignung eines bewaffneten Wachmannes ausschließende Umstände dar. Diese Auffassung wird bestätigt durch Bestimmungen des Waffengesetzes, das allgemein die Befugnis zum Führen von Waffen regelt. Gemäß § 5 Abs. 2 WaffenG besitzen in der Regel die erforderliche Zuverlässigkeit nicht Personen, die trunk- oder rauschmittelsüchtig sind.
75Dennoch rechtfertigen diese Sicherheits- und Zuverlässigkeitserwägungen keinen routinemäßigen Eingriff in individuelle Grundrechtspositionen.
76In seinem Urteil vom 13.02.1964 (2 AZR 286/63 aaO.) hat das Bundesarbeitsgericht zu der Änderungskündigung eines Omnibusfahrers ausgeführt, mit der Führung eines mit Personen besetzten Omnibusses sei ständig die ernsthafte Gefahr eines schweren Unglücks für die beförderten Personen und andere Verkehrsteilnehmer verbunden. Deshalb könne der Halter seiner Verantwortung nur gerecht werden, wenn er den Arbeitnehmer nur so lange als Omnibusfahrer beschäftige, wie er die Gewißheit haben könne, daß dieser den Anforderungen voll gerecht werde. Trotz der Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit hat es in einer vom Arbeitgeber angeordneten psychologischen Untersuchung deshalb keinen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG gesehen, weil in dem konkreten Fall frühere Verkehrsverstöße zu begründeten Zweifeln an der Eignung des Arbeitnehmers Anlaß gaben und deshalb die Untersuchung sachlich rechtfertigten.
77Auch das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom 07.05.1982 (11 Sa 858/81) gefordert, daß für die Anordnung einer vertrauensärztlichen Untersuchung ein besonderer rechtfertigender Anlaß vorliegen muß, in dem Fall Bedenken des Personalarztes in Bezug auf das psychische Verhalten des in einer Kurklinik als Arzt angestellten Arbeitnehmers.
78Das Arbeitsgericht Frankfurt (Urteil vom 28.06.1988 - 8 Ca 617/87 -, Arbeitsrecht im Betrieb 1998, 17) führt nicht nur aus, daß die arbeitgeberseitige Anordnung der Untersuchung durch einen Vertrauensarzt einer Rechtsgrundlage bedarf, sondern diese die Untersuchung auch nur in besonders begründeten Fällen zur Pflicht machen darf.
79Im Anschluß an die dargestellte Rechtsprechung ist die Kammer der Auffassung, daß der Arbeitgeber eine ärztliche Untersuchung mit Blutentnahme zur Kontrolle auf etwaige Suchtmittelabhängigkeit nur dann einseitig anordnen darf, wenn Tatsachen vorliegen, die Zweifel an der Eignung begründen. Die Untersuchung muß notwendig erscheinen, um den Zweck des konkreten Arbeitsverhältnisses zu erreichen (so Keller, aaO., S. 564). Nur unter dieser Voraussetzung wird dem Grundrecht des Arbeitnehmers ausreichend Rechnung getragen.
80Entgegen der Auffassung der Beklagten führt die Unzulässigkeit einer generellen Blutuntersuchung nicht dazu, daß die Streitkräfte ein unzumutbar hohes Risiko tragen müssen und letztlich erst einschreiten dürfen, wenn ein Unglück passiert ist. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers, Hinweise auf einen Drogen- oder Alkoholmißbrauch können sich bereits aus der jährlichen psychologischen Begutachtung ergeben, die der Kläger nicht verweigert hat. Sie ergeben sich häufig auch aus der Beobachtung des Arbeitnehmers in der Ausführung seiner dienstlichen Aufgaben. Derartige Anhaltspunkte für eine Suchtgefährdung des Klägers, die einen Einsatz auf den bisherigen Arbeitsplatz ausschließen, sind nicht vorgetragen.
81II
82Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.
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Referenzen
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