Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 8 Sa 1204/03
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 02.07.2003 - 1 Ca 311/03 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 974,53 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 24.01.2003 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
1
T a t b e s t a n d
2Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin, welche aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 16 d.A.) seit dem 01.08.1978 als gewerbliche Arbeitnehmerin im Betrieb der Beklagten tätig war und zum 30.11.2002 wegen Erreichens der Altersgrenze aus dem Betrieb der Beklagten ausgeschieden ist, die Zahlung eines anteiligen 13. Monatsgehalts für das Jahr 2002.
3Zur Begründung hat die Klägerin zum einen auf den Inhalt ihres Arbeitsvertrages verwiesen. Dieser sieht neben der Festlegung der Arbeitsvergütung mit einem "Einstell-Lohn von 7,30 DM nach Lohngruppe 2" folgende Regelung vor:
4"...
5Wir behalten uns vor, Ihre Arbeit von einem noch näher zu bestimmenden Zeitpunkt ab in Akkord- oder Prämienlohn zu vergeben. Von diesem Zeitpunkt an fällt der Einstelllohn weg. Es gelten dann die tariflichen Bestimmungen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens, die entsprechenden Betriebsvereinbarungen, evtl. einzelvertragliche Vereinbarungen sowie die Arbeitsordnung der Firma B1xxxx & Co.
6..."
7Zum anderen stützt die Klägerin ihren Anspruch auf die Grundsätze der Betriebsübung und verweist auf die Tatsache, dass die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgänger stets eine entsprechende Leistung gewährt haben.
8Durch Urteil vom 02.07.2003 (Bl. 31 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die im Arbeitsvertrag vorgesehene Verweisung auf die genannten tariflichen Bestimmungen lasse nicht mit der nötigen Eindeutigkeit erkennen, dass hiervon auch der Tarifvertrag zur Absicherung eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW erfasst sei. Ebenso wenig könne die Klägerin ihren Anspruch auf die Grundsätze der Betriebsübung stützen, da in der Vergangenheit Leistungen stets nur unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt seien.
9Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor:
10Entgegen dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils ergebe sich aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag zweifelsfrei, dass hier auf die tariflichen Bestimmungen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW Bezug genommen werde. Da Tarifverträge anderer Organisationen nicht vorlägen, bestehe keinerlei Unklarheit. Soweit die Beklagte geltend mache, die Verweisung auf die tariflichen Bestimmungen der Metallindustrie betreffe allein den Lohntarifvertrag, welcher im Falle des Wechsels zum Akkord- oder Prämienlohn an die Stelle des vereinbarten Zeitlohnes treten solle, überzeuge dies nicht. Zum einen sei umfassend auf "die maßgeblichen tariflichen Bestimmungen" Bezug genommen, nicht hingegen auf den Lohntarifvertrag. Darüber hinaus verweise der Arbeitsvertrag an anderer Stelle auch hinsichtlich der Kündigungsfrist, vermögenswirksamer Leistungen und übertariflicher Lohnbestandteile auf tarifliche Regelungen. Erst recht gebe es keinen Sinn, wenn - wie die Beklagte meine - die vorgesehene Geltung tariflicher Bestimmungen, Betriebsvereinbarungen und der Arbeitsordnung wegen der Verwendung des Wortes "dann" im Arbeitsvertrag an den Wechsel der Lohnart gebunden sein solle.
11Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht im Übrigen einen Anspruch der Klägerin auf der Grundlage einer Betriebsübung verneint. Hierzu trägt die Klägerin unwidersprochen vor, jedenfalls in den ersten Jahren des Arbeitsverhältnisses, insbesondere den Jahren 1979, 1980 und 1981 und nachfolgend sei den Beschäftigten vorbehaltlos ein anteiliges 13. Monatsgehalt gezahlt worden. Erst später, nach mehrfachem Eigentümerwechsel, sei dann in den letzten Jahren ein Freiwilligkeitsvorbehalt nach Maßgabe der vorgelegten Betriebsaushänge vorgesehen worden. Dementsprechend sei zunächst zu Gunsten der Klägerin ein Rechtsanspruch nach den Grundsätzen der Betriebsübung entstanden. Dieser Anspruch sei auch keineswegs durch die nachfolgenden Betriebsaushänge, welche die Beklagte für die Zeit ab dem Jahre 1996 vorgelegt habe, abbedungen worden. Auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. "negativen Betriebsübung" ergebe sich hier nämlich aus dem Aushang selbst, dass ein Eingriff in bestehende vertragliche Ansprüche nicht beabsichtigt gewesen sei. Damit seien auch Ansprüche aus Betriebsübung vom erklärten Freiwilligkeitsvorbehalt ausgenommen.
12Die maßgebliche Passage der im Wesentlichen wortgleichen Aushänge lautet wie folgt:
13"...
14Die Firma B1xxxx zahlt auch in diesem Jahr mit der Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung ... ein Weihnachtsgeld an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn deren Arbeits- bzw. Anstellungsverträge keine abweichenden Vereinbarungen enthalten, gelten die folgenden Bestimmungen:
15Die Zahlung des Weihnachtsgeldes erfolgt freiwillig, ist widerrufbar und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft.
16..."
17Selbst wenn aber die Beklagte aufgrund des zuletzt erklärten Freiwilligkeitsvorbehaltes zum Widerruf bzw. zur Einstellung der als freiwillig bezeichneten Leistung berechtigt gewesen sei, habe die Beklagte gegen die Grundsätze billigen Ermessens gemäß § 315 BGB verstoßen. Insbesondere fehle es an einem sachlichen Grund dafür, dass die Beklagte auch im Jahre 2002 an verschiedene Arbeitnehmer, wenn auch nicht an die Mehrzahl, ein Weihnachtsgeld gezahlt habe. Dementsprechend werde bestritten, dass ein sachlicher Grund gerade dafür vorliege, der Klägerin ein anteiliges 13. Monatsentgelt vorzuenthalten.
18Die Klägerin beantragt,
19das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 02.07.2003 - 1 Ca 311/03 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 974,53 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung als zutreffend und führt aus, die im Arbeitsvertrag vorgesehene Bezugnahme auf tarifliche Bestimmungen könne dem Zusammenhang nach allein auf den maßgeblichen Lohntarifvertrag bezogen werden. Ein Anspruch der Klägerin nach den Grundsätzen der Betriebsübung scheitere jedenfalls daran, dass spätestens seit 1996 durchweg durch Betriebsaushang darauf hingewiesen worden sei, dass die Leistung ohne Rechtsanspruch für die Zukunft gewährt werde. Die im Aushang genannte Einschränkung, dies solle nur für diejenigen Arbeitnehmer gelten, deren Arbeitsverträge keine abweichenden Vereinbarungen enthielten, solle keineswegs bedeuten, dass auch auf die Grundsätze der Betriebsübung gestützte Ansprüche vom Freiwilligkeitsvorbehalt ausgenommen seien. Bei einer solchen einengenden Auslegung verbleibe letztlich für den Freiwilligkeitsvorbehalt kein relevanter Anwendungsbereich. Soweit die Klägerin schließlich vortrage, die Beklagte habe an verschiedene Arbeitnehmer, wenn auch nicht an die Mehrzahl, im Jahre 2002 ein Weihnachtsgeld gezahlt, so könne dies aus Sicht der Beklagten nicht nachvollzogen werden. Insoweit möge die Klägerin diejenigen Arbeitnehmer benennen, von denen sie meine, an diese seien Leistungen geflossen. Zu weiteren Erklärungen - insbesondere zu einem ausdrücklichen Bestreiten oder motivierten Gegenvortrag - sei die Beklagte hingegen nicht verpflichtet, vielmehr handele es sich um einen substanzlosen Vortrag der Klägerin ins Blaue hinein.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
25Sie führt in Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
26I
27Der Klägerin steht der verfolgte Anspruch auf anteiliges Weihnachtsgeld sowohl nach den Grundsätzen der Betriebsübung als auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zu.
281. Wie zuletzt unstreitig geworden ist, hat die Beklagte jedenfalls in den Jahren 1979, 1980 und 1981 vorbehaltlos den beschäftigten Arbeitnehmern ein anteiliges Weihnachtsgeld nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen gezahlt. Infolge der wiederholten vorbehaltlosen Zahlung entstand ein entsprechender arbeitsvertraglicher Anspruch zu Gunsten der Klägerin nach den Regeln der Betriebsübung.
29Der so begründete Anspruch ist nicht durch eine nachfolgende "negative Betriebsübung" beseitigt worden.
30a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 04.05.1999 - 10 AZR 209/98 - AP § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 55) kann allerdings eine bestehende betriebliche Übung durch eine nachfolgende gegenteilige Betriebsübung beseitigt werden. Bringt der Arbeitgeber durch wiederholten ausdrücklichen Vorbehalt zum Ausdruck, dass er in Abänderung der bestehenden Rechtslage künftig Leistungen nur noch auf freiwilliger Grundlage ohne Rechtsanspruch gewähren will, so kann hierin ein Vertragsangebot an die Beschäftigten gesehen werden, welches stillschweigend durch Entgegennahme der modifizierten Leistung und Weiterarbeit angenommen wird (§ 151 BGB).
31b) Im arbeitsrechtlichen Schrifttum ist diese Rechtsprechung insbesondere unter dem Ge-sichtspunkt auf Kritik gestoßen, dass dem Arbeitnehmer, aus dessen Sicht die aktuelle We-itergewährung der Leistung im Vordergrund steht, das auf Vertragsänderung gerichtete An-
32gebot des Arbeitgebers gar nicht bewusst wird. Dies hat zur Folge, dass mangels ausdrücklicher Ablehnung des Antrages durch unbedachte Fortführung der Arbeit eine Verschlechterung der Vertragsbedingungen bewirkt wird, für welche der Arbeitgeber ansonsten zumindest erhebliche Überzeugungsbemühungen leisten müsste. Wirkt sich der erklärte Vorbehalt erstmals praktisch aus, ist die Vertragsänderung längst bewirkt. Aus diesem Grund spricht viel dafür, vom Arbeitgeber - über den erklärten Vorbehalt hinaus - eine ausdrückliche und eindeutige Erklärung zu verlangen, welche den angestrebten vertragsändernden Charakter der Maßnahme verdeutlicht. Der Leitsatz der zitierten Entscheidung fordert zwar eine entsprechende Klarstellung, die bisherige Übung einer vorbehaltlosen Leistung solle beendet und durch eine Leistung unter Vorbehalt ersetzt werden. Nach dem Inhalt der Entscheidung soll hierzu aber bereits die Formulierung genügen, dass auf die Leistung kein Rechtsanspruch bestehe. Zu erkennen, dass künftig anderes gelten solle als in der Vergangenheit gegolten hat, bleibt damit - abweichend vom Leitsatz - dem kundigen Arbeitnehmer überlassen.
33c) Letztlich bedarf die Frage nach den Anforderungen an eine konkludente Vertragsänderung durch "negative Betriebsübung" jedoch aus den nachfolgenden Gründen keiner abschließenden Klärung. Vorliegend hat die Beklagte nämlich durch die Fassung des Betriebsaushangs ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, der genannte Vorbehalt solle nur für die Arbeitnehmer gelten, deren Arbeitsvertrag keine abweichenden Vereinbarungen enthalte. Ein Eingriff in vertragliche Rechte sollte damit erklärtermaßen nicht stattfinden.
34Soweit die Beklagte gegen diese Auslegung einwendet, hiermit seien ersichtlich nicht Ansprüche aufgrund betrieblicher Übung gemeint, kommt dies in der gewählten Formulierung jedenfalls nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Soweit von "Arbeits- bzw. Anstellungsverträgen" die Rede ist, wäre zwar denkbar, dass hiermit nur schriftliche vertragliche Absprachen gemeint sind. Eine Differenzierung zwischen schriftlichen und mündlichen Verträgen ergibt aber in der Sache keinen Sinn und müsste auch als willkürlich angesehen werden. Ebenso wenig lässt sich die genannte Formulierung dahingehend einschränkend auslegen, gemeint seien - im Gegensatz zu vorformulierten Arbeitsverträgen - nur echte Individualvereinbarungen, wie sie in der Regel allenfalls bei gehobenen Angestellten anzutreffen sind. Schließlich macht es auch keinen Sinn, bei der Auslegung des Aushangs danach zu unterscheiden, ob ein vertraglich begründeter Anspruch im Arbeitsvertrag eigenständig ausformuliert ist oder die Anspruchsvoraussetzung sich aus einer Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung, Arbeitsordnung oder sonst wie förmlich gefasste Regelung ergibt oder ob schließlich - wie vorliegend - eine vertraglich bindende Regelung konkludent durch ständige tatsächliche Übung zustande gekommen ist. Diejenigen Gründe, welche den Arbeitgeber veranlassen, künftig eine Sonderzahlung nur noch unter Einschränkungen zu veranlassen, betreffen gleichermaßen die Verhältnisse der Arbeitnehmer mit schriftlichen und mündlichen Arbeitsverträgen einschließlich derjenigen, deren vertragliche Ansprüche sich auf die Grundsätze der Betriebsübung stützen. Aus dem erklärten Willen des Arbeitgebers, mit dem neu eingeführten Vorbehalt nicht in bestehende vertragliche Rechte einzugreifen, muss unter diesen Umständen gefolgert werden, dass eine Regelung allein insoweit beabsichtigt ist, dass das Entstehen neuer Ansprüche verhindert werden soll.
35Gegen dieses Verständnis des Aushangs kann auch nicht - wie die Beklagte meint - eingewandt werden, ein juristisch nicht beratener Arbeitgeber werde im Zweifel nicht wissen, dass auch Ansprüche aus Betriebsübung zu den arbeitsvertraglichen Ansprüchen zählten, gemeint seien aus diesem Grunde jedenfalls nicht Ansprüche aus Betriebsübung. Für die Frage, wie der Arbeitnehmer als Adressat der Erklärung die Formulierung des Betriebsaushangs zu verstehen hat, kann aber jedenfalls kein strengerer Maßstab als an das Rechtsverständnis des Arbeitgebers angelegt werden. Aus welchem Grund ein Arbeitnehmer, nicht hingegen der Arbeitgeber soll erkennen können, dass die erklärte Ausnahme vom Freiwilligkeitsvorbehalt nicht jede Form des vertraglichen Weihnachtsgeldanspruchs umfassen soll, insbesondere Ansprüche aufgrund betrieblicher Übung nicht erfasst sein sollen, ist nicht ersichtlich.
36Gegen die hier vertretene Auslegung kann schließlich auch nicht - wie die Beklagte meint - eingewandt werden, damit verbleibe für den erklärten Freiwilligkeitsvorbehalt kein Anwendungsbereich. Vielmehr ist zu beachten, dass jedenfalls für neu eintretende Arbeitnehmer mit Hilfe des Betriebsaushangs das Entstehen von Ansprüchen nach den Regeln der Betriebsübung vermieden wird. Mit Rücksicht darauf, dass Ansprüche aufgrund Betriebsübung nicht voraussetzen, dass der betreffende Arbeitnehmer bereits selbst dreimal in den Genuss der vorbehaltlos gewährten Leistung gekommen ist, vielmehr der Arbeitnehmer, der in einen Betrieb mit vorhandener Betriebsübung eintritt, hiervon ohne weiteres erfasst wird (BAG AP § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 32; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Aufl., § 111 Rz. 6), ist allerdings richtig, dass die anspruchsbeschränkende Wirkung des erklärten Freiwilligkeitsvorbehalts sich auf diejenigen Personen beschränkt, welche zeitlich nach dem Betriebsaushang in den Betrieb eingetreten sind. Auch wenn sich hieraus erst eine sukzessive Beseitigung der bestehenden Betriebsübung ergibt, verliert der Betriebsaushang auch mit dem hier ausgelegten Inhalt keineswegs jedwede Bedeutung. Hätte die Beklagte demgegenüber durch ihr Änderungsangebot nach Maßgabe des Betriebsaushangs auf sämtliche vertragliche Regelungen oder speziell auf die durch Betriebsübung begründeten vertraglichen Ansprüche einwirken wollen, so hätte sie diese weitergehende Zielsetzung deutlicher zum Ausdruck bringen müssen, als sie dies durch die einschränkende Formulierung des Freiwilligkeitsvorbehalts zum Ausdruck gebracht hat.
372. Aber auch wenn man der Auffassung der Beklagten folgt, sie habe mit der gewählten Formulierung auch die durch Betriebsübung begründeten Ansprüche abändern und von ihrem Änderungsangebot nur sonstige vertragliche Ansprüche ausnehmen wollen, bringt dies den verfolgten Anspruch nicht zu Fall.
38Für diesen Fall muss nämlich von einem Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ausgegangen werden, da es an einem sachlichen Grund dafür fehlt, bei der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen allein auf die durch Betriebsübung begründeten vertraglichen Ansprüche zuzugreifen - dazu im Folgenden unter a). Ein weiterer Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz muss daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte den Vortrag der Klägerin zur Ungleichbehandlung von Beschäftigten bei der Gewährung des Weihnachtsgeldes nicht wirksam bestritten hat mit der Folge, dass das tatsächliche Vorbringen der Klägerin gem. § 138 III ZPO als zugestanden gilt - dazu im Folgenden unter b).
39a) Legt man die Formulierung im Betriebsaushang entsprechend dem Verständnis der Beklagten dahingehend aus, dass die Beseitigung des Rechtsanspruchs auf Zahlung von Weihnachtsgeld die durch Betriebsübung begründeten Ansprüche - im Gegensatz zu den sonstwie vertraglich begründeten Ansprüchen - erfassen soll, so liegt hierin eine Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen, welche der sachlichen Rechtfertigung bedarf. Bei der Frage, an welchen Personenkreis der Arbeitgeber mit dem Ziel der Veränderung der Arbeitsbedingungen herantritt, handelt es sich - und zwar sowohl beim Angebot einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen (wie z.B bei einer Lohnerhöhung) wie auch im Fall der angestrebten Verschlechterung der Vertragsbedingungen (z.B. in Form des Abbaus von Sonderleistungen) - der Durchführungsform nach um Fragen der Vertragsgestaltung, so dass - nicht anders als bei der Einstellung von Arbeitnehmern und dem Aushandeln der Vertragsbedingungen - die individuelle Gestaltung des Arbeitsverhältnisses nicht aus Gründen des Gleichbehandlungsgrundsatzes eingeschränkt ist. Richtet allerdings der Arbeitgeber sein Handeln an generellen Maßstäben aus und werden dementsprechend verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedlich "behandelt", so unterliegt sein Handeln der Kontrolle nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
40Folgt man also dem Standpunkt der Beklagten, nach dem Inhalt des Betriebsaushangs solle der Weihnachtsgeldanspruch der Gruppe von Arbeitnehmern unangetastet bleiben, welche nach dem ausdrücklichen Inhalt ihrer Arbeitsverträge einen Anspruch auf Weihnachtsgeld besitzen, und stellt man dieser Personengruppe die Gruppe derjenigen Beschäftigten gegenüber, welchen ein Rechtsanspruch auf Weihnachtsgeld nach den Regeln der Betriebsübung zustand, so stellt sich die Frage, aus welchem Grunde die Beklagte allein die durch Betriebsübung begründeten Weihnachtsgeldansprüche durch nachträgliche Vertragsänderung beseitigen wollte (und dies mangels Widerspruchs der Betroffenen auch erreicht hat). Geht man davon aus, dass die Beseitigung des Rechtsanspruchs auf Sonderzahlung nicht ohne sachlichen Grund erfolgt ist, sondern im Interesse einer gesunden wirtschaftlichen Lage des Betriebes geboten oder jedenfalls sinnvoll war, so hätte nahegelegen, dass die Beklagte einen entsprechenden Wunsch zur Entlastung von den bestehenden Zahlungsverpflichtungen gleichermaßen an sämtliche Beschäftigte herangetragen und folgerichtig das Angebot zur Vertragsänderung auch an diejenigen Beschäftigten gerichtet hätte, deren (schriftlicher) Arbeitsvertrag ausdrücklich den Anspruch auf Weihnachtsgeld regelte. Allein der Umstand, dass dieser Personenkreis möglicherweise der angetragenen Vertragsänderung wachsamer begegnet und sich eventuell nicht ohne weiteres hierauf eingelassen hätte, kann nicht begründen, dass von vornherein nur ein bestimmter Personenkreis - nämlich die Arbeitnehmer mit Ansprüchen auf betriebsübliche Leistungen - zu einem "Sonderopfer" herangezogen werden sollen. Die Tatsache, dass die aufgrund einer Betriebsübung gewährten Leistungen vor ihrer "rechtlichen Verfestigung" auf freiwilliger Basis erbracht wurden, rechtfertigt es nicht, auch nach dem Eintritt der vertraglichen Bindungswirkung die so begründeten Rechtsansprüche als solche "minderen Rechts" zu behandeln und bei beabsichtigten Leistungskürzungen auf den ursprünglich freiwilligen Charakter der Leistung abzustellen. Ob der Gleichbehandlungsgrundsatz darüber hinaus verlangt, gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die der angetragenen Vertragsänderung widersprechen, eine - im Zweifel nur schwer durchsetzbare - Änderungskündigung auszusprechen, um so zu einer Anpassung der Verträge an das Niveau der "willigen" Beschäftigten zu gelangen und ob im Falle einer Änderungskündigung möglicherweise für Ansprüche aus Betriebsübung ein weniger strenger Prüfungsmaßstab zu gelten hat, als dies etwa für individuell ausgehandelte Ansprüche zutrifft, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Vielmehr geht es allein darum, dass der Arbeitgeber auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes gehalten ist, an sämtliche Beschäftigte gleichermaßen und nicht allein an eine bestimmte Gruppe der Belegschaft mit dem Anliegen einer nachteiligen Änderung ihrer Vertragsbedingungen heranzutreten. Allein der Umstand, dass jeder Arbeitnehmer sich individuell für die Annahme oder Ablehnung des Änderungsangebots entscheiden kann, ändert am kollektiven Charakter des arbeitgeberseitigen Ansinnens und der Unzulässigkeit der gewählten Gruppenbildung nichts.
41Als Rechtsfolge des so begründeten Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten, die nach den Regeln der "negativen Betriebs-übung" durchgesetzte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen rückgängig zu machen. Zwar liegt die beanstandete Ungleichbehandlung zunächst allein darin, dass die Beklagte die Beschäftigten mit originär-vertraglichen Rechtsansprüchen - im Gegensatz zu den Be-schäftigten mit Ansprüchen aus Betriebsübung - von einem Vertragsantrag zur Beseitigung des Rechtsanspruchs auf Weihnachtsgeld verschont hat, so dass zur Gleichbehandlung die Nachholung eines entsprechenden Angebots an die bislang bevorzugte Beschäftigtengruppe genügen würde. Da indessen schon aus Gründen des Zeitablaufs eine einvernehmliche rückwirkende Vertragsänderung hinsichtlich des bislang bevorzugten Personenkreises - ggfls mit Rückzahlungsverpflichtung empfangenen Weihnachtsgeldes - als unrealistisch erscheint, kann die geforderte Gleichbehandlung allein dadurch hergestellt werden, dass die unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bewirkten Rechtsfolgen der "negativen Betriebsübung" rückgängig gemacht werden.
42Damit erweist sich aber der Hinweis der Klägerin auf die Vorschrift des § 315 BGB bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz als begründet, dass die Beklagte zu Unrecht verschiedenen Arbeitnehmern - womöglich auf der Grundlage schriftlicher Arbeitsverträge - ein Weihnachtsgeld zahlt, hingegen die Gruppe der übrigen Beschäftigten von derartigen Zahlungen allein deshalb ausgenommen hat, weil es an einer schriftlichen Fixierung des Weihnachtsgeldanspruchs fehlt.
43b) Ein weiterer Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich aus dem von der Beklagten nicht wirksam bestrittenen Vortrag der Klägerin, die Beklagte habe auch im Jahre 2002 ein Weihnachtsgeld an verschiedene Arbeitnehmer, wenn auch nicht an die Mehrzahl, gezahlt; hierin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz billigen Ermessens, welches der Arbeitgeber bei der Ausübung von Gestaltungsrechten zu beachten habe.
44Die Beklagte hat auf den entsprechenden Vortrag der Klägerin sich dahingehend eingelassen, dieser Vortrag könne "diesseits nicht nachvollzogen werden." Die Klägerin möge diejenigen Arbeitnehmer benennen, von denen sie meint, an diese seien Leistungen geflossen. Auf Befragen hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2003 hierzu erklärt, sowohl wegen unzureichender Informationen als auch aus rechtlichen Erwägungen könne und wolle er den Vortrag der Klägerin nicht bestreiten, vielmehr handele es sich um unsubstantiierten und nicht einlassungsfähigen Vortrag der Klägerin "ins Blaue hinein".
45Der letztgenannten Auffassung kann nicht gefolgt werden. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 12.11.1991 -3 AZR 489/90 - AP § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 17; Urteil vom 16.03.1993 - 3 AZR 350/92 - n.v.; Urteil vom 13.06.1996 - 6 AZR 858/94 - AP §§ 22, 23 BAT Lehrer Nr. 45; speziell zur Gratifikation Urteil vom 07.08.2002 - 10 AZR 709/01 - DB 2002, 2384) genügt der Arbeitnehmer, welcher Ansprüche auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützt, seiner Darlegungslast zunächst mit dem Vortrag, der Arbeitgeber gewähre in seinem Betrieb bestimmte Sozialleistungen bzw. verfahre bei der Gestaltung der Arbeitsbedingen (z.B. Eingruppierung) nach abstrakten Regeln . Hierauf ist es Sache des Arbeitgebers darzulegen, wie sich der begünstigte Personenkreis zusammensetzt und warum der klagende Arbeitnehmer keine Leistungen erhält. Erst auf dieses substantiierte Bestreiten des Arbeitgebers hin hat der Arbeitnehmer durch konkreten Tatsachenvortrag einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darzulegen.
46Entgegen der Auffassung der Beklagten behauptet die Klägerin hier keineswegs "ins Blaue hinein" und ohne jeden Anhaltspunkt einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Vielmehr ergibt sich schon aus dem Inhalt der vorgelegten Betriebsaushänge, dass die Beklagte ersichtlich Weihnachtsgeldzahlungen an verschiedene Arbeitnehmergruppen auf verschiedener Grundlage vornimmt. Ob sich die Beklagte tatsächlich bei ihrer Entscheidung über die Gewährung von Weihnachtsgeld allein an diesem Maßstab orientiert, kann die Klägerin aus eigener Anschauung nicht beurteilen. Unter diesen Umständen kann für einen substantiierten Sachvortrag der Klägerin nicht mehr verlangt werden, als dass sie zunächst in allgemeiner Form den ihr bekannt gewordenen Sachverhalt vorträgt, an einzelne Arbeitnehmer sei ein Weihnachtsgeld gezahlt worden. Im Zuge der sekundären Behauptungslast gemäß § 138 Abs. 2 BGB ist es sodann Sache des Arbeitgebers zu erklären, ob er den Vortrag insgesamt als unrichtig bestreiten, also geltend machen will, es werde an keinen Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld gezahlt, oder ob er motiviert mit Gegentatsachen vorträgt, aus welchem Grunde - etwa auf vertraglicher Grundlage - Leistungen erbracht werden. Auch wenn die Beweislast beim Arbeitnehmer als Anspruchsteller liegt, dass der Arbeitgeber Leistungen nicht allein in Erfüllung vertraglicher Pflichten gewährt, sondern die Beschäftigten auf der Grundlage einer generellen Ordnung "behandelt", muss doch vom Arbeitgeber im Rahmen substantiierten Bestreitens eine Offenlegung der bestehenden Praxis verlangt werden. Auch wenn weder die ZPO noch das materielle Recht einen allgemeinen Auskunftsanspruch kennen, sondern zur Begründung der sekundären Behauptungslast der nicht beweisverpflichteten Partei auf die konkrete Rechtsbeziehung der Prozessparteien zurückgegriffen werden muss (Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 138 ZPO Rz. 22, 22 a m.w.N.; weitergehend jetzt BGH Urt. v. 30.09.2003 - X ZR 114/00) ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen Sonderbeziehung der Parteien und dem Schutzzweck des Gleichbehandlungsgebots, dass der Arbeitgeber die von ihm bestimmten Maßstäbe der Leistungsgewährung auf Verlangen bzw. im Prozess auf das (einfache) Bestreiten des Arbeitnehmers hin offen legen muss. Andernfalls liefe der genannte Rechtsgrundsatz ins Leere.
47Durch eine so begründete sekundäre Behauptungslast wird dem Arbeitgeber auch nichts Unzumutbares abverlangt, insbesondere braucht der Arbeitgeber von sich aus keine Namen oder Daten über die Leistungsgewährung im einzelnen preiszugeben. Bestreitet er ohne Einschränkung, überhaupt entsprechende Leistungen an bestimmte Arbeitnehmer oder -gruppen zu gewähren, so genügt er hiermit seiner Bestreitenslast. Gewährt er Leistungen nach bestimmten Grundsätzen - z.B. wegen entsprechender Vertragsansprüche - genügt dieser Hinweis hierauf, um substantiiert dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz entgegenzutreten, da in der Erfüllung von Rechtsansprüchen keine unzulässige Ungleichbehandlung liegt. Demgegenüber geht es nicht an, aus prozesstaktischen Erwägungen jedweder rechtlichen Nachprüfung dadurch auszuweichen, dass eine konkrete inhaltliche Stellungnahme im vorstehenden Sinne vermieden wird.
48Nach alledem kann die Klägerin ihren Anspruch auch unter diesem Gesichtspunkt auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Der Vortrag der Klägerin gilt mangels konkreten Bestreitens durch die Beklagte als zugestanden.
493. Über die Berechnung der Forderung besteht kein Streit. Zinsen stehen der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verzuges zu.
50II
51Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist.
52III
53Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil zugelassen.
54
| Dr. Dudenbostel | Schreiber | Huhn |
55
En.
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