Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 3 Sa 671/11
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 08.03.2011 – 1 Ca 2809/08 – teilweise abgeändert:
Der Tenor wird wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.651,47 € brutto abzüglich 1.069,84 € netto erhaltenen Kranken-geldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.536,63 € ab 04.02.2010, aus weiteren 2.723,24 € ab 27.04.2010, aus weiteren 919,89 € ab 01.06.2010, aus weiteren 1.492,72 € ab 15.07.2010 und aus weiteren 405,45 € ab 27.09.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 7,13 %, die Beklagte 92,87 %, die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger zu 10,24 %, die Beklagte zu 89,76 %.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für die Dauer eines Prozessbeschäftigungsverhältnisses.
3Der Kläger ist seit dem 26.10.1992 als Produktionsmitarbeiter/Maschinenführer bei der Beklagten beschäftigt.
4Ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Tarifverträge der Steine und Erden-Industrie Hessen und Thüringen e. V. zur Anwendung kommen, ist unter den Parteien strittig.
5Unwidersprochen erhielt der Kläger das jeweilige tarifliche Entgelt. Die Beklagte gewährte Urlaub im tariflichen Umfang, zahlte das zusätzliche tarifliche Urlaubsgelt ebenso wie die Jahressondervergütung und den Arbeitgeberzuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen. Darüber hinaus gewährte die Beklagte Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Mehrarbeitszuschläge im tariflichen Umfang. Auch die regelmäßige Arbeitszeit richtete sich nach den tariflichen Bestimmungen. Schließlich gab die Beklagte, gleichfalls unwidersprochen, Tariferhöhungen jeweils an den Kläger weiter, soweit keine Anrechnung auf übertariflichen Zulagen erfolgte.
6Die Beklagte ist Mitglied des tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes und hat mit der IGBCE einen Anerkennungstarifvertrag dahingehend abgeschlossen, dass die genannten Tarifverträge zur Anwendung kommen.
7Der Kläger seinerseits ist nicht tarifgebunden.
8Unter dem 27.11.2003 legte die Beklagte dem Kläger einen Arbeitsvertrag vor, der die Bestimmungen des Haustarifvertrages zur Anwendung bringen sollte. Der Kläger lehnte eine solche Unterzeichnung jedoch ab. Letztmalig lehnte der Kläger die Unterzeichnung eines solchen Arbeitsvertrages mit der Einbeziehung der Geltung des Tarifvertrages am 19.04.2004 ab.
9Mit Schreiben vom 08.06.2006 teilte die Beklagte dem Kläger hinsichtlich des Abschlusses von Tarifverhandlungen am 15.05.2006 mit, ab Juni 2006 betrage sein Tarifmonatsentgelt statt bisher 1.894,00 € brutto nunmehr 1.956,00 € brutto.
10Mit Schreiben vom 03.12.2008, das dem Kläger unter dem 12.12.2008 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten zum 30.06.2008*.
11Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung wendete sich der Kläger mit Klage vom 22.02.2008*, die der Beklagten unter dem 06.01.2009 zugestellt wurde.
12Mit rechtskräftigem Teilurteil vom 17.08.2010 hat das Arbeitsgericht Hagen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 03.12.2008 nicht aufgelöst ist und die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
13Ab dem 01.07.2009 beschäftigte die Beklagte den Kläger im Rahmen eines Prozessbeschäftigungsverhältnisses.
14Für die Dauer des Prozessbeschäftigungsverhältnisses bis einschließlich des Monats September 2010 vergütete die Beklagte dem Kläger lediglich die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit einem Stundenentgelt in Höhe von 13,99 € brutto. Zuschläge für Nachtarbeit, Sonntagsarbeit und ähnliches wurden nicht gewährt. Gleichfalls vergütete die Beklagte keine Arbeitsunfähigkeitszeiten; Urlaub wurde dem Kläger gewährt, ein Entgelt aber nicht geleistet. Ebenso wenig gewährte die Beklagte für diesen Zeitraum ein tarifliches Urlaubsgeld, eine Verdienstsicherung, eine Erfolgsbeteiligung und einen Arbeitgeberzuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen.
15Krankengeld von der Krankenkasse bezog der Kläger für Arbeitsunfähigkeitszeiten in 2009 und 2010 nunmehr unstreitig in Höhe von 1.069,84 € netto, nachdem im erstinstanzlichen Verfahren der Kläger lediglich von einem Krankengeldbezug in Höhe von 910,68 € netto ausgegangen war und ein weitergehender Bezug streitig war.
16Zahlungsansprüche für den Zeitraum Juli 2009 bis September 2010 macht der Kläger wie folgt geltend:
17- für die Monate Juli 2009 bis Dezember 2009 mit Klageerweiterung vom 01.02.2010, der Beklagten zugestellt am 04.02.2010;
18- für den Zeitraum Januar 2010 bis März 2010 einschließlich einer Restzahlung für Dezember 2009 mit Klageerweiterung vom 21.04.2010, der Beklagten zugestellt unter dem 27.04.2010;
19- für die Monate März und April 2010 mit Klageerweiterung vom 27.05.2010, der Beklagten zugestellt unter dem 01.06.2010;
20- für die Monate Mai und Juni 2010 mit Klageerweiterung vom 12.07.2010, der Beklagten zugestellt unter dem 15.07.2010;
21- für die Monate Juli und August 2010 mit Klageerweiterung vom 22.09.2010, der Beklagten zugestellt unter dem 27.09.2010;
22- für den Monat September 2010 mit Klageerweiterung vom 05.11.2010, der Beklagten zugestellter unter dem 11.11.2010.
23Insgesamt errechnet der Kläger für den der Klage zugrundeliegenden Zeitraum einen Vergütungsanspruch in Höhe von 47.299,83 €. Hierauf lässt er sich geleistete Zahlungen in rechnerisch unstreitiger Höhe von 30.603,85 € anrechnen.
24Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch ergebe sich in der geltend gemachten Höhe aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Zahlungen seien daher unter Einberechnung tariflicher Zuschläge einschließlich einer Jahressonderleistung sowie tariflichen Urlaubsgeldes zu erbringen.
25Soweit die Beklagte von einer Erfolgsbeteiligung in geringerer als der geltend gemachten Höhe ausgehe, habe diese, so hat der Kläger die Auffassung vertreten, erklären müssen, warum sie lediglich von einem geringeren Betrag ausgehe.
26Ein Verfall von Ansprüchen sei dabei nicht gegeben.
27Der von der Beklagten in Bezug genommene Rahmentarifvertrag finde nicht in seiner Gesamtheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Allein die Zahlung von Tariflohn, einer Sonderzahlung und Schichtzulagen führe nicht zur Annahme einer betrieblichen Übung bezüglich der Anwendung des gesamten Tarifwerkes.
28Gerade weil er auch den Abschluss eines Arbeitsvertrages unter Einbeziehung des in Rede stehenden Tarifvertrages abgelehnt habe, komme man nicht zu einer Anwendung der tariflichen Bestimmungen.
29Selbst wenn eine betriebliche Übung insoweit existiere, liege eine wirksame Einbeziehung nicht vor, weil die Beklagte gegen § 2 Abs. 1 NachwG verstoßen habe und sich daher auf die Geltung des Tarifwerks insgesamt nicht berufen könne.
30Im Übrigen, so hatte der Kläger die Auffassung vertreten, würde ihn die Ausschlussfrist des § 8 RTV selbst bei Einbeziehung unangemessen benachteiligen.
31Zudem habe er auch Ansprüche i. S. d. tarifvertraglichen Ausschlussfrist durch die Kündigungsschutzklage ausreichend geltend gemacht.
32Die zweite Stufe der Ausschlussfrist habe dabei allenfalls mit Ablehnung der Ansprüche durch die Beklagte in Gang gesetzt werden können, die erstmals im Schriftsatz vom 16.03.2010 erfolgt sei. Der Antrag auf Klageabweisung bezüglich des Feststellungsantrages könne nicht als Ablehnung angesehen werden, da die Beklagte selbst nicht von einer Geltendmachung durch ihn ausgegangen sei.
33Schließlich hat der Kläger geltend gemacht, es sei ihm ohnehin unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zuzumuten, während des Laufs eines Bestandsschutzverfahrens seine Lohnansprüche gesondert einzuklagen.
34Der Kläger hat beantragt,
35die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.695,98 Euro brutto abzüglich erhaltenen Krankengeldes in Höhe von 910,68 Euro netto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 9.429,99 Euro ab dem 04.02.2010, aus 2.723,23 Euro seit dem 27.04.2010, aus 1.160,25 Euro seit dem 01.06.2010 sowie aus 1.525,44 Euro seit dem 27.09.2010 und aus 405,45 Euro seit dem 27.09.2010 zu zahlen.
36Die Beklagte hat beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Sie hat zum einen geltend gemacht, die Höhe eines möglichen Anspruchs sei falsch berechnet.
39Soweit der Kläger Schichtzulagen geltend mache, betrag eine solche für Arbeiten an Sonntagen in der Nacht lediglich 75 %, der Kläger könne nicht eine Nachtschichtzulage von 15 %, eine Sonntagsnachtschichtzulage von 25 % und eine weitere Sonntagsnachtschichtzulage von 50 % geltend machen. Zum Teil habe der Kläger weniger gearbeitet, als er nach tariflichen Regeln hätte arbeiten müssen. Ein Tag Sonderurlaub im Monat September 2009 habe dem Kläger nicht zugestanden. Erfolgsbeteiligungen seien teilweise nur in geringerer Höhe zu zahlen, als der Kläger diese geltend gemacht habe. Zusätzliches Urlaubsgeld könne nicht neben der Zahlung von 490,80 € noch für einzelne Urlaubstage geltend gemacht werden. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit hat die Beklagte teilweise bestritten. Eine Mehrarbeit im Mai 2010 werde dadurch ausgeglichen, dass der Kläger an einem anderen Tag nicht gearbeitet habe. Vergütung für ausgefallene Arbeit an Feiertagen mache der Kläger darüber hinaus teilweise doppelt geltend.
40Jedenfalls aber, so hat die Beklagte die Auffassung vertreten, seien Ansprüche des Klägers verfallen. Selbst wenn die Kündigungsschutzklage die erste maßgebliche Frist aus § 8 RTV wahre, liege ein Verfall von Ansprüchen vor dem Monat Dezember 2009 vor, da im Klageabweisungsantrag im Bestandsschutzverfahren die Ablehnung von Ansprüchen liege, so dass die 2. Stufe der Verfallfrist habe gewahrt werden müssen.
41Tarifwerke fänden auch insgesamt auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, da sie alle tariflichen Leistungen an den Kläger gewährt habe.
42Die Anwendung der tariflichen Bestimmungen sei dem Kläger auch bekannt gewesen, wie sich aus den Angeboten zum Abschluss eines Arbeitsvertrages unter Einbeziehung der Geltung des Tarifvertrages vom 27.11.2003 und 19.10.2004 ergebe. In Lohnabrechnungen sei der Kläger darüber hinaus davon in Kenntnis gesetzt worden, dass das Tarifentgelt und der Arbeitgeberzuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen geleistet würden. Auch ihr Antrag gegenüber dem Integrationsamt auf Zustimmung zur Kündigung vom 26.02.2009 weise die Geltung der Tarifverträge auf. Schließlich mache ja auch der Kläger selbst Ansprüche aus den Tarifverträgen geltend.
43Eine AGB-Kontrolle der tariflichen Bestimmungen finde entgegen der Auffassung des Klägers nicht statt.
44Schließlich müsse es auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dabei bleiben, dass die 2. Stufe der tariflichen Ausschlussfrist nur durch Klage gewahrt werde. Das gesonderte Einklagen der geltend gemachten Beträge sei dem Kläger auch unter Kostengesichtspunkten nicht unzumutbar gewesen. Im Übrigen müsse insoweit auch berücksichtigt werden, dass es sich nicht um eine einzelvertragliche, sondern um eine tarifvertragliche Verfallklausel handele.
45Mit Urteil vom 08.03.2011 hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 15.753,54 € brutto abzüglich erhaltenen Krankengeldes in Höhe von 910,68 € netto nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.
46Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei, soweit nicht bereits durch Teilurteil über sie entschieden sei, überwiegend begründet.
47Ansprüche des Klägers aus der Zeit von Juni 2009, sodann ab Juli 2009 bis einschließlich September 2010 seien nicht auf der Grundlage des § 8 RTV verfallen. Der Kläger habe nämlich die ihm zustehenden Ansprüche rechtzeitig i. S. d. § 8 RTV gerichtlich geltend gemacht. Zwar habe er die Zahlungsklage betreffend die Monate Juli bis November 2010 einschließlich restlichen Urlaubsgeldes aus Juli 2010 mit Eingang bei Gericht am 02.02.2010 möglicherweise außerhalb der tariflichen 2-Monats-Frist nach Ablehnung gerichtlich geltend gemacht, wenn man mit der Beklagten davon ausgehe, sie habe Ansprüche des Klägers i. S. d. § 8 RTV abgelehnt; der Kläger habe jedoch mit Erhebung der Kündigungsschutzklage alle Ansprüche, die vom Ausgang der Kündigungsschutzklage abhingen, sowohl schriftlich, als auch gerichtlich geltend gemacht. Die tarifliche Formulierung in § 8 RTV bedürfe in Ansehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01.12.2010 der Auslegung in der Form, dass auch die Kündigungsschutzklage eine solche gerichtliche Geltendmachung darstelle. Im Sinne der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durch tarifliche Ausschlussfristen sei der Beklagten nach Erhebung der Kündigungsschutzklage zweifelsohne klar gewesen, welche Ansprüche sie im Falle des Obsiegens des Klägers betreffend die Kündigung würde erfüllen müssen. Wolle man dem Kläger die Pflicht zur Zahlungsklage auferlegen, würde ihm genau das mit einem enormen Kostenrisiko im Prozess belasten, habe er doch mit einem Unterliegen im Kündigungsschutzprozess auch rechnen müssen.
48Der Höhe nach seinen die Ansprüche des Klägers im Wesentlichen unstreitig. Soweit die Beklagte allerdings einzelnen Ansprüchen mit dem Argument entgegengetreten sei, in Anwendung tariflicher Regelungen seien bestimmte geleistete Arbeitszeiten in ein Arbeitszeitkonto eingepflegt worden, könne sie hiermit nicht durchdringen, da sie für den streitgegenständlichen Zeitraum ein Arbeitszeitkonto nicht geführt habe. Ebenso wenig könne die Beklagte mit dem Einwand durchdringen, der Kläger habe für zwei Arbeitsunfähigkeitstage im August die Arbeitsunfähigkeit zwar nachgewiesen, es fehle aber an einem Beweiswert der Bescheinigungen. Für einen geringfügigen Teil griffen allerdings die von der Beklagten erhobenen Einwendungen gegen die Berechnungen des Klägers durch. So stehe ihm ein von ihm so bezeichnetes weiteres Urlaubsgeld in Höhe von 295,87 €, 32,72 € und 16,36 € nicht zu. Insoweit sei der Kläger seiner erforderlichen Darlegungslast nicht nachgekommen. Gleiches gelte für die Zahlung einer Erfolgsbeteiligung, die nach Bestreiten durch die Beklagte für den Monat November 2009 in Höhe von 45,51 € unschlüssig sei. Ebenso wenig sei der Kläger dem Vorbringen der Beklagten entgegengetreten, dass für Sonntagsnachtschichten die von ihm geltend gemachte Zulage von 15 % nicht geschuldet werde, da jeweils nur der höhere Stundenzuschlag gezahlt werde. Insoweit handele es sich um Schichtzulagen aus den Monaten August 2009 in Höhe von 33,60 €, aus September 2009 in Höhe von 17,12 € und aus Oktober 2009 in Höhe von 34,24 €. Ferner könne der Kläger Vergütung für einen von ihm so bezeichneten Urlaubstag Sonderurlaub in Höhe von 112,39 € nicht verlangen, da die Geburt des Kindes streitlos an einem Sonntag gewesen sei, weshalb Arbeitszeit nicht ausgefallen sei. Ebenso entfalle ein Anspruch auf eine Schichtzulage für Juli 2009 im Umfang von 16 Stunden mit einem Betrag von 33,60 €. Im September habe der Kläger Mehrarbeit nicht geleistet, so dass ein weiterer Betrag von 160,20 € entfalle. Im Monat August 2009 sei nach der vorgelegten Zeiterfassung von einem Stundenumfang von 22,81 Mehrarbeitsstunden auszugehen und nicht nach dem Vorbringen des Klägers von 32 Stunden. Der Anspruch des Klägers reduziere sich daher um weitere 128,66 € und um 32,17 €. Unter Berücksichtigung dieser unschlüssigen Entgeltbestandteile errechne sich ein Gesamtbruttobetrag von 15.753,54 €.
49Gegen das unter dem 22.03.2011 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im Übrigen Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter dem 26.04.2011, dem Dienstag nach Ostern, Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.06.2011 unter dem 22.06.2011 begründet.
50Sie ist nunmehr der Auffassung, aus der nicht durch Ausschlussfristen verfallenen Zeit von Dezember 2009 bis September 2010 lediglich 24.546,09 € unter Berücksichtigung eines Monatslohns von jeweils 2.337,00 €, einer Besitzstandszulage von jeweils 98,15 € und einer Erfolgsbeteiligung für die Monate Januar 2010, April 2010, Juni 2010 und August 2010 in Höhe von insgesamt 194,59 € zahlen zu müssen.
51Anzurechnen sei des Weiteren ein Krankengeld in Höhe von 1.220,18 €, da der Kläger hingegen der Darstellung im erstinstanzlichen Verfahren auch in der Zeit vom 29.06. bis zum 02.07.2010 Krankengeld erhalten habe, und zwar in Höhe von 181,56 € brutto.
52Über diesen Betrag hinaus habe das Arbeitsgericht zu Unrecht den Anträgen des Klägers stattgegeben, da entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts der Kläger mit Erhebung der Kündigungsschutzklage die 2. Stufe der tariflichen Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung nicht erfüllt habe.
53Es entspreche jahrzehntelanger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass es im Falle des Erfordernisses einer gerichtlichen Geltendmachung einer separaten Zahlungsklage bedürfe, um sich eventuelle Annahmeverzugsansprüche zu sichern. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass sie sich angeblich recht einfach über den Stand möglicher Annahmeverzugsansprüche habe informieren können.
54An diesem Erfordernis ändere sich aber ihrer Meinung nach auch nichts durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01.12.2010. Schon der Wortlaut dieser Entscheidung trage nicht die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts, dass nun der Begriff der gerichtlichen Geltendmachung anders auszulegen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe das Verfahren gerade zurückverwiesen mit der Auflage, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob die separate Zahlungsklage möglich und zumutbar sei. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben.
55Der vom Bundesverfassungsgericht bemühte Begriff der Zumutbarkeit sei, so ist die Beklagte des Weiteren der Auffassung, im Übrigen individuell zu ermitteln. Ohnehin könne die Frage der Zumutbarkeit hier sogar dahinstehen, da der Kläger alle seine Ansprüche bis einschließlich August 2010 im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens geltend gemacht habe, noch bevor das Teilurteil am 03.10.2010 rechtskräftig geworden sei.
56Zudem hätten die Tarifvertragsparteien bei der Formulierung ihrer Ausschlussfristen genau differenziert zwischen schriftlicher und gerichtlicher Geltendmachung. Sie hätten dabei gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gerade gewollt, dass zur gerichtlichen Geltendmachung von Zahlungsansprüchen eine Leistungsklage erforderlich sei.
57Bezüglich bestimmter Beträge habe das Gericht zudem ohne nähere Begründung Ansprüche zugesprochen, obwohl sie streitig seien.
58Für Juni 2010 habe das Arbeitsgericht eine Erfolgsbeteiligung in Höhe von 120,00 € zugesprochen, obwohl diese lediglich 63,77 € betragen habe. Unberücksichtigt sei auch geblieben, dass die Erfolgsbeteiligung für August 2010 statt 70,00 € lediglich 59,96 € betragen habe. Für September 2010 sei eine Erfolgsbeteiligung nicht angefallen, gleichwohl seien 45,00 € zugesprochen worden.
59Für die Monate April, Mai und Juni 2010 habe das Arbeitsgericht ferner für insgesamt fünf Feiertage die Feiertagsvergütung zugesprochen, obwohl der Kläger im Übrigen seine gesamte Monatsvergütung eingeklagt habe.
60Warum für die Dezember 2009 die volle Monatsvergütung zustehen solle, obwohl der Kläger nur 9 Tage gearbeitet habe, hätten weder er noch das Gericht begründet.
61Ein Anspruch auf Zuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von jeweils 26,59 € bestehe nicht. Die Beklagte bestreitet hierzu, dass der Kläger im gesamten Zeitraum vermögenswirksame Leistungen abgeführt hat.
62Auch ein Monatsentgelt in Höhe von 2.389,00 € statt 2.337,00 € für September 2010 sei nicht zu zahlen.
63Die Beklagte beantragt,
64das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 08.03.2011 (Az.: 1 Ca 2809/08) insoweit abzuändern, als sie zu einer Zahlung von mehr als 3.914,31 € brutto verurteilt worden ist und im Übrigen die Klage abzuweisen.
65Der Kläger beantragt,
66die Berufung zurückzuweisen.
67Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil dahingehend, dieses habe die tarifliche Ausschlussfrist nunmehr zutreffend dahingehend ausgelegt, dass die Kündigungsschutzklage Ansprüche aus Annahmeverzug wahre. Dabei sei es seiner Meinung nach nicht maßgeblich, ob er rechtsschutzversichert sei und wie eine Kostenbelastung sich habe reduzieren lassen. Es sei nicht darauf abzustellen, ob und inwieweit sich Kosten konkret erhöhten.
68Selbst wenn man davon ausgehe, dass mit Erheben der Kündigungsschutzklage nicht eine Geltendmachung von Ansprüchen vorliege, sondern vielmehr eine Hemmung der Verfallfrist eintreten werde, seien seine Ansprüche nicht verfallen, da jedenfalls vor Ablauf von zwei Monaten nach Rechtskraft des Bestandsschutzteilurteils vom 17.08.2011 die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht worden seien.
69Zutreffend sei, dass er für den Zeitraum 29.06. bis 02.07.2010 für vier Tage Krankengeld in Höhe von 181,56 € brutto = 159,16 € netto erhalten habe.
70Soweit die Beklagte eine Erfolgsbeteiligung für den September 2010 in Abrede stelle, sei der Vortrag der Beklagten als verspätet zurückzuweisen.
71Zu Recht habe das Arbeitsgericht erkannt, dass ihm für den Monat Dezember 2009 die volle Monatsvergütung zustehe, da er eine weitergehende Arbeitsleistung nicht habe erbringen können, weil die Beklagte das Werk über die Weihnachtstage geschlossen habe. Da die Beklagte ein Arbeitszeitkonto nicht für ihn geführt habe, seien die nicht gearbeiteten Zeiten auch nicht über ein Arbeitszeitkonto abzuwickeln gewesen.
72Einen Anspruch auf Arbeitgeberzuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen sei gegeben, da die Beklagte während der Prozessbeschäftigung selbst 40,00 € netto jeweils abgezogen und abgeführt habe.
73Die Erhöhung des Grundgehaltes für September 2010 ergebe sich schließlich aus einer Tariferhöhung im April 2010, die bei der Beklagten durchgeführt worden sei.
74Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
75Entscheidungsgründe
76Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet.
77A. Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.
78Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b) ArbGG.
79Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.
80B. Die Berufung der Beklagten ist jedoch nur zu einem Teil begründet.
81Von den durch das Arbeitsgericht ausgeurteilten Beträgen waren teilweise weitere Abzüge vorzunehmen.
82Demgegenüber ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine tarifliche Ausschlussfrist jedenfalls durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage ausreichend gewahrt worden ist.
83I. Unter den Parteien besteht kein Streit darüber, dass dem Kläger für die Monate Juli 2009 bis September 2010 Vergütung teilweise aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach §§ 615, 611 BGB, für Verhinderung an der Arbeitsleistung infolge Krankheit aus § 3 Abs. 1 EFZG und ausgefallene Arbeitszeit infolge eines gesetzlichen Feiertages aus § 2 Abs. 1 EFZG zur Seite steht.
84II. Der Höhe nach ergeben sich Ansprüche des Klägers für den der Klage zugrundeliegenden Zeitraum in Höhe von insgesamt 14.651,47 € unter Berücksichtigung der von der Beklagten für diesen Zeitraum geleisteten Zahlungen.
851. Für die Berechnung der Höhe des Vergütungsanspruchs des Klägers ist nach alle genannten Vorschriften maßgeblich das sogenannte Lohnausfallprinzip.
86Danach hat der Kläger die Vergütung zu beanspruchen, die er erzielt hätte, wenn er zu den arbeitsvertraglich maßgeblichen Bedingungen tatsächlich gearbeitet hätte.
872. Unter Berücksichtigung dieses Prinzips ergeben sich Forderungen des Klägers grundsätzlich wie folgt:
88a) Für den gesamten Zeitraum ist von einem Bruttomonatslohn in Höhe von 2.337,00 € auszugehen.
89Die Höhe des Bruttomonatslohns ist auch mit Ausnahme des Lohns für den Monat September 2010 unter den Parteien nicht streitig.
90Soweit der Kläger für den Monat September 2010 eine Erhöhung geltend macht, ist seinem Vorbringen nicht in ausreichender Weise zu entnehmen, woraus sich ein dahingehender Anspruch auf Weitergabe einer Tariflohnerhöhung ergeben soll. Allein der Umstand, dass im Betrieb der Beklagten eine Tariflohnerhöhung stattgefunden hat, macht nicht ersichtlich, woraus der Kläger einen Anspruch für sich darauf herleitet, ob dies aufgrund einer ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarung aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz hergeleitet werden soll.
91b) Die Höhe der monatlichen Besitzstandszulage steht unter den Parteien nicht im Streit.
92c) Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch auf monatliche Gewährung eines Arbeitgeberzuschusses zu den vermögenswirksamen Leistungen.
93Über die grundsätzliche Zahlungsverpflichtung der Beklagten aufgrund jedenfalls konkludenter Abrede besteht unter den Parteien kein Streit.
94Soweit die Beklagte das Bestehen eines entsprechenden Vertrages für den der Klage zugrundeliegenden Zeitraum bestreitet, ist dieses unerheblich, da die Beklagte nach ihren eigenen Abrechnungen jeweils 40,00 € vom Nettolohn des Klägers abgezogen und überwiesen hat.
95d) Dem Kläger steht darüber hinaus für den Monat Dezember 2009 eine Vergütung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges in Höhe des vollen Bruttomonatslohns zu.
96Soweit die Beklagte geltend macht, der Kläger habe tatsächlich nur an neun Tagen gearbeitet, steht dies einem Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nicht entgegen, da unwidersprochen geblieben ist, dass es Aufgabe der Beklagten infolge Schließung des Werkes über die Feiertage gewesen wäre, dem Kläger einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
97Eine Abwicklung über ein Arbeitszeitkonto, wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, konnte nicht erfolgen, da nicht ersichtlich ist, dass ein solches für den Kläger geführt worden ist. Die entsprechenden Ausführungen des Arbeitsgerichts sind von der Beklagten auch insoweit nicht konkret angegriffen worden.
98e) Soweit der Kläger Schichtzulagen geltend macht, handelt es sich bei den zugrundeliegenden Zeiten unangegriffen um solche, die der Kläger auch abgeleistet hätte, wenn er nicht im Rahmen eines Prozessrechtsverhältnisses beschäftigt worden wäre.
99Die Höhe der Zuschläge und die Berechnung sind unter den Parteien mit Ausnahme der Monate, für die der Kläger zusätzlich einen Zuschlag von 15 % für Sonntagsnachtschichten begehrt, nicht im Streit.
100f) Soweit vom Kläger Erfolgsbeteiligungen geltend gemacht werden, konnten diese nur in Höhe der Beträge zugesprochen werden, die die Beklagte selbst zugesteht.
101Eine substantiierte Darlegung, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Berechnungen die Erfolgsbeteiligung höher auszufallen hat, ist nicht gegeben.
102Die fehlende Darlegung muss insoweit zu Lasten des Klägers gehen.
103g) Abzusetzen waren vom eingeklagten Betrag geltend gemachte Vergütungen für vier Feiertage in den Monaten April, Mai und Juni 2010.
104Da der Kläger ohnehin die volle Monatsbruttovergütung geltend gemacht hat, kann er nicht zusätzlich für ausgefallene Arbeitstage infolge eines Feiertages Vergütung begehren.
105h) Ein Anspruch auf die Gewährung zusätzlichen Urlaubsgeldes für einzelne Arbeitstage besteht neben dem Anspruch auf Gewährung des insoweit kompletten Betrages, zahlbar mit der Abrechnung für Juni eines Jahres, unangegriffen nicht.
106i) Auch nicht zu gewähren war darüber hinaus die Vergütung für einen Tag „Sonderurlaub" im September 2009. Auch insoweit sind die Ausführungen des Arbeitsgerichts unangegriffen geblieben.
1073. Für die einzelnen Monate ergeben sich danach folgende Ansprüche.
108Für den Monat Juni 2009 waren von den geltend gemachten 2.813,32 € 33,60 € als zu viel geltend gemachte Schichtzulage abzusetzen, so dass sich ein Betrag von 2.779,72 € ergab.
109Für den Monat August 2009 waren von den geltend gemachten 3.366,14 € 33,60 € zu viel geltend gemachte Schichtzulage sowie weitere vom Arbeitsgericht abgezogene Beträge von 128,66 € und 32,17 € abzusetzen, so dass sich ein Betrag von 3.171,71 € ergab. Soweit das Arbeitsgericht Abzüge vorgenommen hat, sind diese vom Kläger nicht angegriffen worden.
110Für den Monat September 2009 waren vom geltend gemachten Betrag 17,12 € Schichtzulage, 112,39 € für einen Tag Sonderurlaub und 160,20 € wegen fehlender Mehrarbeit abzusetzen, so dass sich ein Betrag von 2.520,39 € ergab. Auch diese Abzüge sind vom Kläger nicht angegriffen worden.
111Unter Abzug einer nicht angegriffenen Schichtzulage von 34,24 € ergab sich für den Monat Oktober 2009 ein Betrag von 3.386,76 €.
112Für den Monat November 2009 waren vom geltend gemachten Betrag von 5.208,67 € brutto 45,51 € einer zu viel geltend gemachten Ergebnisbeteiligung abzuziehen, so dass sich 5.163,16 € ergaben.
113Für Monat Dezember 2009 errechnete sich aufgrund der unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers ein Betrag von 2.612,94 €.
114Die Monate Januar und Februar 2010 mit 2.999,62 € und 2.862,64 € waren nicht mit Einwendungen der Beklagten belegt.
115Für den Monat März 2010 ergab sich aus unangegriffenen Beträgen von 2.461,74 € und weiteren 359,10 € Beträge von 2.820,84 €.
116Für den Monat April 2010 waren 16,36 € Urlaubsgeld und ein Betrag von 224,00 € für die Doppeltgeltendmachung von Lohnausfall an Feiertagen abzuziehen, so dass sich 2.845,92 € ergaben.
117Unter Abzug von 112,00 € für einen Feiertag im Monat Mai 2010 ergab sich ein einzusetzender Betrag von 2.887,85 €.
118Vom geltend gemachten Betrag von Juni 2010 waren 112,00 € für einen doppelt geltend gemachten Feiertag sowie 56,23 € zu viel geltend gemachter Ergebnisbeteiligung abzuziehen, so dass sich 2.689,31 € errechneten.
119Der Julibetrag mit 2.812,94 € ist mit erheblichen Einwendungen der Beklagten nicht belegt.
120Der geltend gemachte Betrag für August 2010 war um 10,04 € zu viel geltend gemachter Ergebnisbeteiligung zu reduzieren, so dass sich ein Betrag von 2.667,93 € ergab.
121Der geltend gemachte Betrag für September 2010 schließlich war um 45,00 € Ergebnisbeteiligung und 52,00 € wegen eines fehlenden Anspruchs auf Erhöhung des Tarifentgeltes zu kürzen, so dass sich 2.788,19 € ergaben.
122Unter Einrechnung eines Urlaubsgeldanspruchs von einmal 490,80 € und weiteren 245,40 € ergab sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 45.255,32 €.
123Gezahlt hat die Beklagte einen Betrag in Höhe von 30.603,85 €, so dass sich der Restbetrag von 14.651,47 € ergab.
124Hierauf muss sich der Kläger das Nettokrankengeld in Höhe von nunmehr unstreitig 1.069,84 € anrechnen lassen.
1254. Über die Wahrung tariflicher Ausschlussfristen für die Monate Dezember 2009 bis September 2010 besteht unter den Parteien kein Streit.
126Aber auch für die Monate Juli 2009 bis November 2009 ist ein Verfall aufgrund tariflicher Ausschlussfristen nicht gegeben.
1271) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die tariflichen Bestimmungen des Rahmentarifvertrages für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen vom 27.04.2005 (künftig: RTV) Anwendung.
128Dieser sieht in § 8 vor, dass alle nicht in Nr. 1 genannten beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden; werden die Ansprüche abgelehnt, verfallen sie gemäß Nr. 3, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.
129a) Eine Anwendung der Bestimmungen des RTV kraft beiderseitiger Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG kam nicht in Betracht, da der Kläger unwidersprochen nicht tarifgebunden ist.
130Eine Geltung tariflichen Bestimmungen aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung der Parteien ist gleichfalls nicht gegeben, da der Kläger die ihm angebotenen Arbeitsverträge unter Einbeziehung der Geltung tariflicher Bestimmungen gerade nicht unterzeichnet und damit ein entsprechendes Angebot der Beklagten nicht angenommen hat.
131Die Anwendung tariflicher Bestimmungen konnte daher nur aufgrund stillschweigender Bezugnahme gegeben sein.
132Tarifliche Bestimmungen können grundsätzlich aufgrund stillschweigender Bezugnahme auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden sein (BAG, 19.01.1999, EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 10).
133Allerdings kann allein aus der Gewährung bestimmter Leistungen nach den tariflichen Bestimmungen noch nicht in jedem Fall darauf geschlossen werden, die tariflichen Bestimmungen fänden insgesamt auf das Arbeitsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien Anwendung; ist allerdings ein Arbeitgeber tarifgebunden, kann aus der Gewährung wesentlicher tariflicher Bestimmungen, insbesondere aus der Gewährung des Tariflohns geschlossen werden, dass Arbeitsverhältnis solle insgesamt den tariflichen Bestimmungen unterliegen, es sei denn, es seien besonderen Umstände gegeben, die gegen eine solche Anwendung sprechen (BAG, 19.01.1999, a.a.O.).
134b) Vorliegend hat die tarifgebundene Beklagte dem Kläger wesentliche Bedingungen tariflicher Art gewährt.
135So hat die Beklagte nicht nur das jeweilige tarifliche Entgelt gewährt, sondern auch Urlaub einschließlich der Vergütung, Zuschläge für Mehrarbeit, Schichtzuschläge, eine Jahressondervergütung, einen Arbeitgeberzuschuss zu den vermögenswirksamen Leistungen und des Weiteren sich hinsichtlich der regelmäßigen Arbeitszeit nach den tariflichen Bestimmungen gerichtet.
136Damit hat die Beklagte jedenfalls wesentliche tarifliche Bedingungen dem Kläger gewährt, ohne dass besondere Anhaltspunkte ersichtlich wären, die gegen eine solche Anwendbarkeit des Tarifvertrages und der tariflichen Bedingungen insgesamt sprächen.
137Allein der Umstand, dass der Kläger das Angebot des Abschlusses eines Arbeitsvertrages unter ausdrücklicher Nennung in Bezugnahme eines Tarifvertrages abgelehnt hat, kann nicht geschlossen werden, es habe nicht ohnehin schon eine konkludente Vereinbarung der Geltung tariflicher Bestimmungen bestanden.
1382) Die tariflichen Ausschlussfristen sind auch nicht wegen unangemessener Benachteiligung des Klägers unwirksam.
139Tarifliche Ausschlussfristen unterliegen auch dann nicht der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB, wenn sie auf das Arbeitsverhältnis kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag Anwendung finden (BAG, 26.04.2006, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 185).
140Eine Inhaltskontrolle erfolgt nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur dann, wenn Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen von Rechtsvorschriften abweichen. Tarifverträge stehen aber gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften gleich.
1413) Nach Auffassung der Kammer hat der Kläger mit der Kündigungsschutzklage die tarifliche Ausschlussfrist gewahrt, weil die in Rede stehende Ausschlussfrist nunmehr entsprechend verfassungskonformer Auslegung so zu verstehen ist, dass eine Kündigungsschutzklage auch das Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung wahrt.
142a) Der Beklagten ist zuzugestehen, dass das Bundesarbeitsgericht nach ständiger Rechtsprechung für Ausschlussfristen der vorliegenden Art davon ausgegangen ist, eine Kündigungsschutzklage sei grundsätzlich geeignet, die vorgesehene schriftliche Geltendmachung zu erfüllen, soweit Ansprüche betroffen sind, die vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abhängen, so dass die Kündigungsschutzklage die erste Stufe der Geltendmachung wahrte, wohingegen die 2. Stufe der gerichtlichen Geltendmachung nach Ablehnung nur durch eine gesonderte Zahlungsklage gewahrt werden konnte, nicht hingegen allein durch die Kündigungsschutzklage, wenngleich das Gesamtziel der Kündigungsschutzklage sich nicht auf den Erhalt des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern zugleich auch auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet ist, die vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig sind (BAG, 10.07.2003, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 168; BAG, 26.04.2006, a.a.O.).
143Eine ausreichende Ablehnung der Ansprüche sollte dabei in dem angekündigten Klageabweisungsantrag im Kündigungsschutzverfahren liegen (BAG, 26.04.2006, a.a.O.).
144Danach wäre die gerichtliche Klage vom 01.02.2010 mit Zustellung am 04.02.2010 nicht mehr ausreichend für die Monate vor Dezember 2009, die die 2. Stufe der Ausschlussfristen wahren, nachdem die Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 07.01.2009 die Abweisung der Klage im Kündigungsschutzverfahren begehrt hatte.
145b) An diesem Verständnis des Erfordernisses einer gerichtlichen Zahlungsklage kann nach Auffassung der Kammer nunmehr bei verfassungskonformer Auslegung nicht mehr festgehalten werde.
146aa) Ist auch in dem Fall, in dem die Arbeitsvertragsparteien über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses und die Wirksamkeit einer Kündigung streiten, ein Arbeitnehmer gezwungen, auch weitere Ansprüche rechtshängig zu machen, erhöht sich hierdurch der Streitwert, in welcher Höhe auch immer. Dadurch erhöht sich zugleich das Prozesskostenrisiko des klagenden Arbeitnehmers im Hinblick auf Gerichts- und im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt in Form von Anwaltskosten. Denn die Abweisung der Bestandsschutzklage führt in aller Regel dazu, dass solche Ansprüche, die vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängen, allein deswegen nicht mehr gegeben sind.
147Vor diesem Hintergrund, ein solches zusätzliches Kostenrisiko tragen zu müssen, ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 01.12.2010 (1 BvR 1682/07) zu berücksichtigen, dass Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip den Parteien im Zivilprozess effektiven Rechtschutz gewährleistet. Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Auch die Festsetzung der Verfahrenskosten darf nicht in einer Weise erfolgen, die dem Betroffenen die Anrufung des Gerichts praktisch unmöglich macht. Eine derartige rechtsschutzhemmende Wirkung liegt aber nicht nur vor, wenn das Kostenrisiko die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt. Vielmehr wird die Beschreitung des Rechtswegs oder die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeit auch dann praktisch vereitelt, wenn das Kostenrisiko zudem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht, so dass die Inanspruchnahme der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint. Der Gesetzgeber erkennt durch § 4 Abs. 1 KSchG und § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG an, dass dem Bürger der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht durch Kostenbarrieren abgeschnitten werden darf, indem diese Vorschriften den Streitwert bei Bestandsschutzstreitigkeiten auf drei Monatsgehälter begrenzen und den Arbeitnehmer lediglich dazu zwingen, die Bestandsschutzstreitigkeiten binnen drei Wochen rechtshängig zu machen, nicht aber die mit ihr im Zusammenhang stehenden Entgeltansprüche. Dies ist Teil einer vom Gesetzgeber verfolgten Gesamtkonzeption, dem Arbeitnehmer insbesondere beim Streit über den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses den Weg zu den Gerichten für Arbeitssachen zu ebnen und nicht durch Kostenbarrieren zu versperren. Die Vorschriften sind damit als Ausprägung des Grundrechts auf effektiven Rechtschutz aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG bei der Auslegung und Anwendung von Regelungen tariflicher Ausschlussfristen zu berücksichtigen. Dabei muss auch der Richter die Tragweite des Grundrechts auf einen effektiven Rechtschutz beachten, er hat das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass er mit diesen Grundsätzen nicht in Widerspruch gerät.
148Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist das Erfordernis der „gerichtlichen Geltendmachung" Nr. 3 des § 8 RTV verfassungskonform so zu verstehen, dass allein mit der Kündigungsschutzklage das Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung gewahrt wird.
149Mit einer Kündigungsschutzklage stellt der Arbeitnehmer klar, dass er nicht nur den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen möchte; richtig ist, dass ein Arbeitnehmer damit auch Ansprüche wahren will, die vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängen, da ihm der bloße Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ansonsten seine Lebenshaltungsgrundlage nicht gewährt.
150Aufgrund des bestehenden Lohnausfallprinzips für die Berechnung von Leistungen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ist auch für den Arbeitgeber, der von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeht, überschaubar, in welcher Höhe Ansprüche auf ihn zukommen. Es mag zwar im Einzelfall und hinsichtlich einzelner Berechnungsgrundlage streitig sein, aber das Prinzip und die ungefähre Höhe der Forderungen sind damit jedoch für ihn klargestellt.
151Allein mit Erhebung der Kündigungsschutzklage ist das Ziel, Klarheit über Ansprüche und deren Bestehen zu schaffen, bereits gewahrt.
152Will man dem Arbeitnehmer im Falle einer Kündigungsschutzklage oder einer sonstigen Klage auf Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses auferlegen, bürdet man ihm ein erhebliches Kostenrisiko durch Erhöhung des Streitwerts und den zusätzlichen Anfall von Gerichtskosten und gegebenenfalls Anwaltskosten auf, ohne dass er bereits jetzt ersehen kann, ob seine vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängige Forderung überhaupt Aufsicht auf Erfolg hat.
153Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob und in welcher Höhe zusätzliche Kostenrisiken auf den Arbeitnehmer im Einzelnen zukommen, denn eine tarifliche Ausschlussfrist kann nur nach den insoweit typischen Gegebenheiten beurteilt werden und nicht nach der Zumutbarkeit einer Kostenauferlegung im Einzelfall.
154Wäre damit das Grundrecht auf effektiven Rechtschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG für den Arbeitnehmer nicht mehr gewährt, drängt man ihn nach Ankündigung eines Klageabweisungsantrags im Bestandsschutzverfahren zwingend, rechtliche Klage hinsichtlich solcher Ansprüche zu erheben, die vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängen, muss die in Rede stehende tarifliche Bestimmung nunmehr künftig entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben dahingehend verstanden werden, dass als „gerichtliche Geltendmachung" auch bereits die Kündigungsschutzklage als eine ausreichende Klage anzusehen ist. Nur unter einem solchen Verständnis wäre den Anforderungen auf Gewährung effektiven Rechtschutzes gedient. Auch wenn die Tarifvertragspartei bislang im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung vom Erfordernis einer Zahlungsklage ausgegangen sind und dies mit der Fassung ihrer Ausschlussfristen zum Ausdruck bringen wollten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien eine nicht verfassungskonforme Regelung im Tarifvertrag treffen wollten.
155Entsprechend hat das Bundesarbeitsgerichts auch zu einer einzelvertraglichen Abrede schon die Auslegung vertreten, eine Klausel, Ansprüche müssten „eingeklagt" werden, sei so zu verstehen, dass jede prozessuale Auseinandersetzung über den Anspruch diese Obliegenheit erfülle (BAG, 19.03.2008, EzA BGB 2002, § 307 Nr. 34).
1564) Für die Entscheidung des Rechtsstreits konnte es daher dahingestellt bleiben, ob Ansprüche des Klägers für die Monate, für die die Beklagte von einem Verfall ausgeht, auch als Schadensersatzansprüche gerechtfertigt sind, weil die Beklagte ihrer Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 NachwG nicht nachgekommen ist.
157C. Die Kosten des Rechtsstreits waren unterschiedlich nach den Instanzen gemäß § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen zu verteilen.
158Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahren war von einem Streitwert in Höhe von 30.915,30 € auszugehen, dabei waren fünf Monatseinkommen für den Bestandsschutzantrag und den Weiterbeschäftigungsantrag insgesamt anzusetzen, im Übrigen entsprach der Streitwert dem geltend gemachten Zahlungsbetrag. Insoweit obsiegt der Kläger endgültig hinsichtlich der Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses und des Weiterbeschäftigungsbegehrens. Hinsichtlich des Zahlungsantrages obsiegt der Kläger endgültig rechnerisch mit einem Betrag von 13.581,63 €. Das Verhältnis des Obsiegens entspricht der vorgenommenen Kostenverteilung.
159Für das Berufungsverfahren war lediglich ein Streitwert von 10.769,39 € zugrundezulegen, der sich aus dem streitigen Teil der Vergütungsansprüche ergibt.
160Insoweit obsiegt der Kläger zu einem weit überwiegenden Teil, der die vorgenommene Kostenteilung nach sich zieht.
161Im Hinblick auf die Auslegung der in Rede stehenden tariflichen Ausschlussfrist war die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.
162Landesarbeitsgericht Hamm
163Berichtigungsbeschluss
164In Sachen
165wird das Urteil vom 28.09.2011 wegen Schreibfehlern nach § 319 ZPO dahin gehend berichtigt, dass auf Seite 3 im 3. Absatz das Datum 30.06.2008 durch das Datum *30.06.2009 und
166das Datum 22.02.2008 durch das Datum *22.12.2008 ersetzt werden.
167Hamm, den 15.02.2012
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