Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 8 Sa 1225/12
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 15.08.2012 – 2 Ca 604/12 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die beiderseits tarifgebundenen Parteien streiten um die zutreffende Berechnung der Arbeitsvergütung für Teilzeitkräfte im Einzelhandel.
3Die Klägerin ist seit dem Jahre 1989 im Warenhaus der Beklagten, und zwar zuletzt als Teilzeitkraft im Umfang von 80 Stunden/Monat gegen eine Vergütung von derzeit 1.081,94 Euro brutto tätig. Diesen Betrag hat die Beklagte auf der Grundlage der Monatsvergütung einer mit 37,5 Stunden/Woche tätigen Vollzeitkraft in Höhe von 2.204,-- Euro errechnet, indem sie unter Rückgriff auf die Regeln der Vergütung für Mehrarbeitsstunden (§ 4 Abs. 4 MTV) und die Vergütungsregeln für Aushilfskräfte (§ 2 Abs. 5 des Gehaltstarifvertrages) die Monatsvergütung durch den Divisor 163 geteilt und mit der Anzahl der monatlichen Arbeitsstunden multipliziert hat. Den sich hieraus ergebenden Stundenlohn von 13,52 Euro hält die Klägerin für unzutreffend und verweist auf die Regelung in § 10 Abs. 5 MTV, welche wie folgt lautet:
4Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf ein monatliches Tarifentgelt, das dem Verhältnis ihrer vereinbarten Arbeitszeit zu der dem tariflichen Entgelt eines Vollbeschäftigten zugrundeliegenden Arbeitszeit entspricht.
5Dementsprechend sei die Vergütung wie folgt zu berechnen:
6Da die monatliche Arbeitszeit einer Vollzeitkraft 37,5 x 4,33 = 162,49 Stunden betrage, belaufe sich der Stundenlohn auf 13,56 Euro brutto. Demgegenüber zahle die Beklagte auf der Grundlage des Divisors 1/163 nur einen Betrag von 13,52/Std. Aus der Differenz von 0,04 € pro Arbeitsstunde ergebe sich eine Vergütungsdifferenz von 3,20 Euro brutto/Monat. Für die zurückliegenden sechs Monate von Juli bis Dezember 2011 macht die Klägerin einen Betrag von 19,20 Euro brutto geltend. Dies ist die Klageforderung.
7Durch Urteil vom 15.08.2012 (Bl. 69 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens an ihrem Standpunkt fest, der von ihr eingeschlagene Weg zur Berechnung der Vergütung einer Teilzeitkraft entspreche unter Berücksichtigung des auch sonst maßgeblichen Divisors 1/163 dem übereinstimmenden Willen der Tarifparteien.
8Die Beklagte beantragt,
9unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 15.08.2012 die Klage vollständig abzuweisen.
10Die Klägerin beantragt
11die Berufung zurückzuweisen.
12Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen.
13Entscheidungsgründe
14Die Berufung der Beklagten ist begründet.
15I. Abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils steht der Klägerin der errechnete Differenzbetrag an Arbeitsvergütung nicht zu.
161. Die Kammer teilt allerdings nicht den Standpunkt der Beklagten, die Berechnung der Vergütung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer habe in Anlehnung an die Regelungen des § 2 Abs. 5 des Gehaltstarifvertrages für Aushilfskräfte und des § 4 Abs. 4 MTV für die Mehrarbeitsvergütung in der Weise zu erfolgen, dass je Arbeitsstunde 1/163 des Monatsentgelts in Ansatz zu bringen sei. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass es der „umständlichen Formulierung" in § 10 Abs. 5 MTV nicht bedurft hätte, wenn sich die Vergütungsberechnung nach denselben Berechnungsgrundsätzen richten sollte, wie sie etwa für Mehrarbeitsstunden mit dem Divisor 1/163 des tariflichen Monatsgehalts maßgeblich ist. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die Tarifparteien zweifellos insgesamt darum bemüht waren, praktikable Berechnungsregeln zur Bestimmung der maßgeblichen Arbeitsvergütung in Sonderfällen wie auch für die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten zu schaffen und theoretisch auch für die letztgenannte Fallgestaltung die generelle Anwendung des Divisors 1/163 in Betracht gekommen wäre, ändert dies nichts daran, dass für die Auslegung des Tarifvertrages vorrangig Wortlaut und Systematik der tariflichen Regelung zu berücksichtigen sind. Haben die Tarifparteien erkennbar unterschiedliche Wege zur Vergütungsermittlung für unterschiedliche Sachverhalte vereinbart, ist dies grundsätzlich maßgeblich, sofern nicht ausnahmsweise aus dem Tarifvertrag selbst Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen oder ein abweichendes Verständnis zu entnehmen sind.
172. Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift des § 10 Abs. 5 MTV haben Teilzeitbeschäftigte
18Anspruch auf ein monatliches Tarifentgelt, das dem Verhältnis ihrer vereinbarten Arbeitszeit zu der dem tariflichen Entgelt eines Vollbeschäftigten zugrundeliegenden Arbeitszeit entspricht.
19Maßgeblich ist danach nicht ein aus dem monatlichen Tarifentgelt für Vollzeitbeschäftigte unter Anwendung des Divisors 1/163 – so die Beklagte – oder eines Divisors 1/162,49 – so die Klägerin - ermittelter Stundenlohn, welcher alsdann der Berechnung der Vergütungshöhe eines Teilzeitbeschäftigten zugrunde zu legen ist. Ebenso wenig entspricht die vom Arbeitsgericht gewählte Berechnung, nach welcher der in 12 Monaten erzielte Jahresarbeitsverdienst durch die Anzahl der in 52 Wochen geleisteten Arbeitsstunden zu teilen ist, der tariflichen Berechnungsregel. Vielmehr ist das monatliche Tarifentgelt – hier 2.204,-- € – im Verhältnis der Arbeitszeit des Teilzeitbeschäftigten zur Arbeitszeit des Vollbeschäftigten zu kürzen. Die maßgebliche Berechnungsformel lautet danach:
203. Bei der Bestimmung des maßgeblichen Quotienten ergibt sich allerdings die Notwendigkeit, die arbeitsvertraglich nach Monatsstunden vereinbarte Arbeitszeit der Klägerin als Teilzeitkraft und die tarifliche Wochenarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten in eine einheitliche Rechengröße zu überführen. Diese lässt sich ohne Weiteres in der Jahresarbeitszeit finden. Auf der Grundlage der Formel
2112 Monate x 80 Std. = 960 Std.
2252 Wochen x 37,5 Std = 1950 Std.
23ergibt sich – unter Beachtung der Regeln kaufmännischer Rundung – ein Wert von 0,49.
244. Durch Multiplikation mit dem Betrag der Vergütung einer Vollzeitkraft (2204 €) ergibt sich damit bei einer Monatsarbeitszeit von 80 Stunden ein anteiliger Vergütungsanspruch in Höhe von knapp 1.080,-- €. Das von der Beklagten gezahlte Monatsentgelt von 1.081,94 € brutto weicht – trotz abweichenden Berechnungsweges mit dem Divisor 1/163 je Arbeitsstunde - hiervon nur geringfügig, und zwar zugunsten der Klägerin, ab.
255. Demgegenüber entspricht der von der Klägerin für zutreffend erachtete Berechnungsweg, welcher mittels Umrechnung der wöchentlichen in eine monatlichen Arbeitszeit aus dem Monatsentgelt der Vollzeitbeschäftigten von 2.204,-- € zu einem Stundenlohn von 13,56 € und so zu einer höheren als der tatsächlich gezahlten Vergütung gelangt, nicht zu einem zutreffenden Ergebnis. Stellt man auf den Jahresarbeitsverdienst von 12 x 2.204 = 26.448,-- € und 1950 Jahresarbeitsstunden einer Vollzeitkraft ab, bleibt zum einen unberücksichtigt, dass mit 52 Wochen allein ein Zeitraum von 364 Tagen erfasst ist, die monatliche Vergütung sich jedoch auf mindestens 365 Kalendertage bezieht. Zum anderen führt die Umrechnung der wöchentlichen Arbeitszeit auf eine Monatsarbeitszeit mit dem Faktor 4,33 zu einer weiteren Ungenauigkeit. Geht man davon aus, dass auch den Tarifparteien die Auswirkungen der kaufmännischen Rundungsregeln auf das exakte Rechenergebnis bewusst gewesen sein muss, weswegen der gewählte Rechenweg für das Ergebnis nicht ohne Belang ist, so spricht dies für den hier vertretenen Standpunkt, dass der im Tarifvertrag vorgesehene Rechenweg strikt zu beachten ist und nicht durch eine abweichende Berechnungsmethode ersetzt werden kann. Der Gesichtspunkt rechnerischer Ungenauigkeiten infolge Auf- und Abrundung beschränkt sich auch nicht allein auf die fehlende Vereinbarung einer Wochenarbeitszeit bei Teilzeitkräften und die Notwendigkeit der Umrechnung in eine einheitliche Zeiteinheit, sondern beruht letztlich darauf, dass die tariflichen Regelungen von einer (verstetigten) Monatsvergütung auf der Grundlage einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ausgehen und allein für Sonderfälle wie Mehrarbeit und stundenweise tätige Aushilfskräfte einen Abrechnung auf Stundenbasis mit einem tariflich bestimmten Teil des Monatsentgelts vorsehen.
266. Für die Maßgeblichkeit des hier eingeschlagenen Berechnungsweges spricht im Übrigen auch der Umstand, dass hiermit das Ergebnis vermieden wird, dass die nach § 4 Abs. 4 MTV zu zahlende Mehrarbeitsvergütung einer Vollzeitkraft in Höhe von 1/163 des Monatsverdienstes (2204 € : 163 = 13,52 €/Std) nicht hinter dem klägerseits ermittelten regulären Stundenlohn einer Teilzeitkraft von 13,56 € zurückbleibt, welcher sich bei Umrechnung der Wochenarbeitszeit in eine monatliche Arbeitszeit mit dem Faktor 4,33 ergäbe. Dass die Mehrarbeit einer Vollzeitkraft tariflich schlechter bezahlt werden soll als die reguläre Arbeit einer Teilzeitkraft erscheint derart ungewöhnlich, dass sich Zweifel am Berechnungsweg aufdrängen müssen. Auch wenn also - abweichend vom Standpunkt der Beklagten – die Vergütung einer Teilzeitkraft nicht nach der für die Berechnung von Überstundenvergütung maßgeblichen Regel mit 1/163, sondern nach der eigenständigen Regelung in § 10 Abs. 5 MTV berechnet wird, führt die strikte Einhaltung des vorgesehenen Berechnungsweges im Ergebnis zu einer entsprechenden Harmonisierung. Dies dürfte im Zweifel auch dem Willen der Tarifparteien entsprechen.
277. Nach alledem steht der Klägerin die geltend gemachte Vergütungsdifferenz von 0,04 € je Arbeitsstunde nicht zu, weswegen das Klagebegehren erfolglos bleiben muss.
28II. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Klägerin zu tragen.
29III. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.
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