Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 5 Sa 1122/82
Tenor
Die Berufung der beklagten B gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.9.1982 -3 Ca 2145/82 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Streitwert: unverändert.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Urlaubsabgeltung für 6 Urlaubstage (346,48 DM brutto), während der die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt war und die nach der Vorstellung der Klägerin nicht als Krankheitstage auf den Urlaub nach § 47 BAT angerechnet werden sollen
3Die Ende 1982 aus den Diensten der Beklagten ausgeschiedene Klägerin befand sich in der Zeit vom 3. bis 25. 6. 1982 in genehmigtem Erholungsurlaub in Griechenland. Dort erkrankte die Klägerin unwidersprochen in der Zeit vom 8. bis 17. 6. 1982 bettlägerig laut ärztlicher Bescheinigung eines griechischen Arztes aus dem Ort Skiathos vom 14. 6. 1982 (Bl. 3 d.A.). Nach Wiederantritt ihrer Arbeit beantragte die Klägerin unter Vorlage dieser ärztlichen Bescheinigung die Nichtanrechnung der Krankheitszeit auf den Urlaub, was die Beklagte mit der Begründung ablehnte, die Klägerin habe ihre Erkrankung nicht unverzüglich im Sinne des § 47 Abs. 6 BAT mitgeteilt.
4Wegen des weiteren unstreitigen Tatbestandes, der von beiden Parteien in erster Instanz vorgetragenen und der von ihnen gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 29. 9. 1982 verwiesen, §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 543 ZPO.
5Durch das erwähnte Urteil hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 346,48 DM brutto verurteilt und im übrigen die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, bei der Auslegung des Begriffs "unverzüglich" in § 47 BAT sei nicht von der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB auszugehen, sondern
6es sei auf Sinn und Zweck der Tarifbestimmung des § 4? BAT abzustellen und das Interesse des Arbeitgebers an einer unverzüglichen Mitteilung der Erkrankung während des Urlaubs auszuloten. Danach solle die tariflich vorgesehene Sanktion der Nichtanrechnung der Krankheitstage dann nicht durchgreifen, wenn sich die Erkrankung auf den Wiederantritt der Arbeit nicht auswirke, weil etwa der Arbeitnehmer rechtzeitig bei Urlaubsende wieder die Arbeit antrete.
7Gegen dieses der Beklagten am 4. 11. 1982 zugestellte Urteil ist mit einer am 2. 12. 1982 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt und diese mit einem weiteren am 3. 1. 1983 beim LAG eingegangenen Schriftsatz begründet worden.
8Mit der Berufung macht die Beklagte zunächst geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei der Begriff "unverzüglich" in Anlehnung an die Legaldefinition in § 121 BGB auszulegen. Demnach müsse die Klägerin "ohne schuldhaftes Zögern" ihre Arbeitsunfähigkeit mitteilen, wie dies hier nicht geschehen sei. Der Sinn des § 47 Abs. 6 BAT erschöpfe sich auch nicht darin, als Arbeitgeber gegebenenfalls andere Dispositionen treffen zu können, sondern der Arbeitgeber solle so früh als möglich über die Krankheit des Arbeitnehmers Bescheid wissen. Genau dies sei hier nicht der Fall gewesen, denn die Klägerin habe ohne weiteres telefonisch oder telegrafisch von ihrer Erkrankung Mitteilung machen können. Da sie dies nicht getan habe, habe sie auch keinen Anspruch auf Abgeltung der den Krankheitstagen entsprechenden Urlaubstage.
9Die Beklagte beantragt,
10unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.
11Die Klägerin beantragt,
12die Berufung zurückzuweisen.
13Sie verteidigt die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und meint, es sei eine Überforderung, einen telefonischen oder telegrafischen Anruf aus Anlaß einer Erkrankung zu fordern, die sich auf den Wiederantritt der Arbeit nicht auswirke. Ein solches Begehren sei z.B. bei Fernreisen nicht möglich; so habe sie zunächst Schwierigkeiten gehabt, von dem behandelnden Arzt ein Attest zu erlangen, das sie im übrigen unmittelbar nach Wiederantritt der Arbeit dem Arbeitgeber vorgelegt habe.
14Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze ebenso verwiesen wie auf die zu den Akten gereichten Urkunden und Fotokopien.
15Entscheidungsgründe
16Die Berufung der Beklagten ist an sich kraft Zulassung durch das Arbeitsgericht statthaft; sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, damit zulässig. In der Sache selbst konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
17Das Berufungsgericht tritt der Rechtsfindung des Arbeitsgerichts im Ergebnis bei; allerdings ist der Beklagten darin Recht zu geben, daß für den in § 47 Abs. 6 BAT verwendeten Begriff "unverzüglich" die Legaldefinition in § 121 BGB gilt.Das Gesetz bestimmt in dieser Anfechtungsvorschrift den Begriff "unverzüglich" als Klammerzusatz
18dahin, daß er für "ohne schuldhaftes Zögern" steht. Diese Legaldefinition gilt für das gesamte bürgerliche und öffentliche Recht, wie die Vorschriften der §§ 377 Abs. 1 und Abs. 3 HGB, 92 Abs. 1 AktG, 216 Abs. 2 ZPO, 68b Abs. I Nr. 8 StGB und 23 Abs. 21 1,3 VwVfG zeigen. Es ist anerkannt (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB-Komm., 42. Aufl., Anm. 2 zu § 121), daß diese Legaldefinition im Zweifel auch dann maßgeblich ist, wenn der Begriff in einem anderen rechtsgeschäftlichen Zusammenhang verwandt wird. Das muß nach Auffassung der Berufungskammer auch für die tarifliche Vorschrift des § 47 Abs. 6 BAT gelten, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil dessen Tarifpartner dem öffentlichen Dienst nahestehen und deshalb davon auszugehen ist, daß sie die allgemein bekannte Legaldefinition des § 121 BGB kannten. So legt auch die einschlägige BAT-Kommentar-Literatur diese Legaldefinition zugrunde (vgl. u.a. Clemens-Scheuring-Steingen, BAT, Bd. l, Anm. 9b zu § 47). Demgemäß ist auch das LAG Nürnberg in einem Urteil vom 31. 8. 1981 - 6 Sa 67/79 -gleichsam als selbstverständlich davon ausgegangen, daß der Begriff "unverzüglich" im Sinne des § 47 Abs. 6 BAT in Anlehnung an die Legaldefinition des § 121 BGB auszulegen ist. Dem tritt das erkennende Gericht bei.
19Demnach ist die unverzügliche Anzeige der Erkrankung notwendige Voraussetzung für die Rechtsfolge, daß die nachgewiesenen Krankheitstage nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gericht hier Jedoch der Auffassung, daß die Klägerin ihre Erkrankung "ohne schuldhaftes Zögern" mitgeteilt hat. In dem erwähnten Fall des LAG Nürnberg lagen zwischen der Erkrankung der dortigen Klägerin ab 21. 9. 1978 und der entsprechenden Mitteilung hierüber an den Arbeitgeber am 27. 11. 1978 mehr als zwei Monate. Damit ist der vorliegende Fall nicht zu vergleichen: Die Klägerin ist -
20wie unstreitig ist - am 8. 6. 1982 erkrankt, hat hierüber am 14. 6. 1982 ein Attest ausgestellt erhalten und hat dieses unmittelbar nach Antritt der Arbeit bei Beendigung des Urlaubs am 25. 6. 1982 dem Arbeitgeber vorgelegt. Es kann hier nach Auffassung des Gerichts unerörtert bleiben, ob die Zeitspanne seit dem ersten Tag der Erkrankung (8. 6. 1982) oder seit Vorliegen des Attestes (14. 6. 1982) bis zur Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit maßgebend ist. Denn die verzögerliche Mitteilung muß nach dem Inhalt der Legaldefinition schuldhaft sein. Davon geht das Gericht im vorliegenden Fall nicht aus, weil dem Anfechtungsberechtigten in Anwendung der Legaldefinition eine angemessene Überlegungsfrist zusteht, zumal unverzüglich nicht gleichbedeutend mit "sofort" ist (vgl. Palandt-Heinrichs, Anm. 2 aaO.). Bei der Fristberechnung sind allerdings die Interessen des Gegners (Arbeitgebers) zu berücksichtigen. Diese bestehen nach Auffassung des Gerichts nicht nur darin, daß der Arbeitgeber im Hinblick auf die Mitteilung über die Erkrankung soll disponieren können, sondern es wäre auch denkbar, daß der Arbeitgeber Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit hat und wegen deren Nachprüfung rechtliehezulässige Schritte unternehmen will. Hier spricht zunächst einiges dafür, daß die Klägerin die rechtzeitige Mitteilung ihrer Erkrankung verzögert hat, denn die Klägerin hat während dieser Zeit auch eine Eigenkündigung zum 31. 8. 1982 ausgesprochen, wobei allerdings mangels näherer Angaben der Prozeßbevollmächtigten nicht aufzuklären war, wann genau und von welchem Ort aus diese Kündigung schriftlich ausgesprochen worden ist. Das Gericht hält aber der Klägerin eine Verzögerung wegen der Krankheitsmitteilung wegen eines Irrtums darüber zugute, daß sie ihre Erkrankung nicht vom Urlaubsort aus der Beklagten mitgeteilt hat, sondern davon ausging, dies genüge bei Wiederantritt der Arbeit nach Ablauf des genehmigten Urlaubs.
21Einen solchen Irrtum hält das Gericht jedenfalls dann für entschuldbar, wenn diese Mitteilung so kurzfristig - wie hier - nach Ablauf der Erkrankung erfolgt. Die Klägerin war hier bis zum 17. 6. 1982 bettlägerig krankgeschrieben - dies hat die Beklagte nicht bestritten -, so daß sie unmittelbar nach Beendigung des Urlaubs am 25. 6. 1982, also eine knappe Woche später, ihre Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt hat. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist auch der Irrtum der Klägerin darüber entschuldbar, daBQsie eine Absendung des Attestes von Skiathos/ Griechenland aus für nicht so sicher wie die eigene Überbringung des Attestes hielt. Angesichts der knappen Zeitdifferenz mag der Klägerin ein entsprechender Irrtum in diesem Falle als entschuldbar zugute gehalten werden. Deshalb geht das Gericht nicht von einem schuldhaften Zögern aus. Demnach durften die nachgewiesenen Krankheitstage nicht auf den Urlaub angerechnet werden.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO; der Streitwert ist unverändert geblieben (§69 Abs. 2 ArbGG). Die Voraussetzungen fUr eine Zulassung der Revision (§72 ArbGG) lagen nach Auffassung der Kammer nicht vor, weil das Gericht von der anerkannten Legaldefinition des § 121 BGB ausgeht und daran anknüpfend nur eine Einzelfallentscheidung getroffen hat.
23Rechtsmittelbelehrung: Die Revision wurde nicht zugelassen weil die Voraussetzungen hierfür (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nach Auffassung der Kammer nicht vorliegen. Deshalb ist ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht gegeben (§ 9 Abs. 5 ArbGG). Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach §§ 72, 72a ArbGG als Rechtsbehelf wird hingewiesen.
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