Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 7 TaBV 66/94
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrates gegenden Beschluß des Arbeitsgerichts Kölnvom 23.08.1994 - 1 BV 189/93 - wird zu-rückgewiesen.
Auf die Beschwerde des Arbeitgeberswird der Beschluß des Arbeitsgerichtsgeändert. Der Antrag des Betriebsrateswird auch zurückgewiesen, soweit dasArbeitsgericht ihm stattgegeben hat.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
G r ü n d e
2A. Der Arbeitgeber hat bis zum 31.12.1993 eine
3Chemische Fabrik betrieben mit mehreren hundert Ar-beitnehmern (seitdem Handel mit chemischen Produktenmit wenigen Beschäftigten) und ihnen eine betrieblicheAltersversorgung zugesagt, und zwar den bis zum31.12.1973 Beschäftigten zuletzt nach Richtlinien von1958 in der Fassung vom 06.05.1968 (RLAV 1958/1968,Bl. 13 und 177 d. A.). Bei den Angestellten sollte da-nach die Erwerbsunfähigkeits- und Altersrente nach Ab-lauf der Wartezeit monatlich 15 des letzten Grundge-haltes betragen und weiter steigen für jedes nach Er-füllung der Wartezeit abgeleistete anrechnungsfähigeDienstjahr um monatlich 1 des letzten Grundgehaltes(VIII B 1 a Satz 1 RLAV). Dazu war eine Obergrenzevorgesehen für die Summe aus der gesetzlichen Renten-versicherung und der betrieblichen Versorgung (VIII E2 a). Diese lautete:
4"Die Bezüge des Angestellten aus der gesetzlichen Ren-tenversicherung und der betrieblichen Versorgung wer-den durch Kürzung der Betriebsrente wie folgt be-grenzt: Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 65des letzten Grundgehaltes. Für jedes weitere Dienst-jahr erhöht sich dieser Prozentsatz um 0,75 bis zuhöchstens 80 bei 45 Dienstjahren. Bezüge des Ange-stellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, dieauf freiwilliger Höherversicherung oder freiwilligerWeiterversicherung beruhen, bleiben unberücksichtigt".
5Ferner war eine Mindestrente vorgesehen (VIII B2 b). Die diesbezügliche Regelung lautete:
6"unabhängig von der Bestimmung in 2 a) wird die be-triebliche Rente in jedem Falle mit einem Mindestren-tenbetrag in Höhe von 40 der gemäß 1) ermitteltenErwerbsunfähigkeits- oder Altersrente gewährt".
7Später hat der Arbeitgeber diese Regelungen än-dern wollen dahin, daß die Obergrenzen-Regelung derEntwicklung der Nettoarbeitseinkommen angepaßt wurde.Er h~t sich um eine Zustimmung des Betriebsrats be-müht, zuletzt mit Schreiben vom 08.03.1992 (Bl. 20 d.A.). Der Betriebsrat hat die Zustimmung aber nicht er-teilt. Schließlich hat der Arbeitgeber die Einigungs-stelle angerufen. Diese hat am 04.12.1993 folgendenSpruch gefaßt (Bl. 52 d. A.):
8"Die Berechnungsvorschrift in Abschnitt VIII B ziff.2a der "Richtlinien für die Betriebliche Altersversor-gung (Fassung vom 06. Mai 1968) für Arbeiter und Ange-stellte (TA)" wird wie folgt geändert:
92. a)
10Die Bezüge der Angestellten aus der gesetzli-chen Rentenversicherung und der betrieblichenVersorgung werden durch Kürzung der Betriebs~rente wie folgt begrenzt:
11Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 59des letzten Grundgehaltes. Für jedes weitereDienstjahr erhöht sich dieser Prozentsatz um0,6 bis zu höchstens 71 bei 45 Dienstjah-ren. Bezüge der Angestellten aus der gesetzli-chen Rentenversicherung, die auf freiwilligerHöherversicherung oder freiwilliger weiterver-sicherung beruhen, bleiben unberücksichtigt.
12b)Unabhängig von der Bestimmung in 2.a) wird diebetriebliche Rente in jedem Falle mit einemMindestrentenbetrag in Höhe von 40 der gemäß1. ermittelten Erwerbsunfähigkeits- oder Al-tersrente gewährt; sie darf jedoch zusammenmit der Sozialversicherungsrente 100 des pen-
13sionsfähigen Nettoentgelts nicht überschrei-
14ten .
15Von diesem Spruch wurden nach Angaben des Ar-beitgebers 86 Mitarbeiter und ehemalige Mitarbeiterbetroffen (Bl. 4 ff. d. A.).
16Der Betriebsrat hat diesen Spruch beim Arbeits-gericht angefochten und beantragt,
17festzustellen, daß der Spruch der Eingungs-stelle vom 04.12.1993 zur Neuregelung der"Richtlinien für die Betriebliche Altersver-sorgung für Arbeiter und Angestellte" rechts-unwirksam ist.
18seine Begründung ergibt sich aus seiner Anfech-tungsschrift vom 22.12.1993 und seinen weiterenSchriftsätzen.
19Der Arbeitgeber beantragt,
20den Antrag zurückzuweisen.
21Seine Erwiderung ergibt sich aus seinemSchriftsatz vom 02.03.1994 und seinen weiterenSchriftsätzen.
22Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebs-rats zurückgewiesen, soweit er die Regelung der Eini-gungsstelle zu VIII B 2 ader RLAV betrifft, und imübrigen festgestellt, daß der Spruch der Einigungs-stelle zur Änderung der Berechnungsvorschrift unterVIII B 2 b der RLAV in der Fassung vom 06.05.1968 un-wirksam ist. Auf die Begründung des Arbeitsgerichtswird Bezug genommen (Bl. 551 ff. d. A.).
23Gegen diesen Beschluß haben der Betriebsrat undder Arbeitgeber Beschwerde eingelegt.
24Der Betriebsrat beantragt,
25den Beschluß des Arbeitsgerichts in soweit ab-zuändern, als der Antrag des Betriebsrats zu-rückgewiesen wurde und festzustellen, daß derSpruch der Einigungsstelle vom 04.12.1993 zurNeuregelung der "Richtlinien für die betrieb-liche Altersversorgung für Arbeiter und Ange-stellte" insgesamt unwirksam ist.
26Seine Begründung ergibt sich aus seinemSchriftsatz vom 22.12.1994.
27Der Arbeitgeber beantragt,
28den Beschluß des Arbeitsgerichts abzuändern undden Antrag des Betriebsrats auch insoweit zu-rückzuweisen, wie das Arbeitsgericht ihm statt-gegeben hat.
29Seine Begründung ergibt sich aus seinenSchriftsätzen vom 05.12.1994 und 28.02.1995.
30B. I. Die Beschwerde des Betriebsrats ist statthaft(§ 87 ArbGG) und in der gesetzlichen Form und Fristeingelegt worden (siehe Verhandlungsprotokoll vom08.03.1995), aber nicht begründet. Der Betriebsrat istzwar gern. § 76 BetrVG zur Anfechtung des Spruchs derEinigungsstelle berechtigt und hat die Anfechtung auchinnerhalb der dortigen Frist erklärt. Die Anfechtungist jedoch nicht begründet. Der Spruch der Einigungs-stelle vom 04.12.1993 zu VIII B 2 ader RLAV 1958/1968ist nicht rechtsunwirksam.
311. Die Einigungsstelle war zu der Regelung berech-
32tigt aufgrund von § 87 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Danachentscheidet die Einigungsstelle, wenn über eine Ange-legenheit nach Absatz 1 eine Einigung zwischen Arbeit-geber und Betriebsrat nicht zustande kommt. Die hiervom Arbeitgeber unter anderem mit dem Schreiben an denBetriebsrat vom 08.09.1992 gewünschte Änderung der Be-stimmung VIII B 2 ader RLAV 1958/1968 war eine Ange-legenheit in diesem Sinne, nämlich eine Angelegenheitnach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Diese Bestimmung zählt
33unter anderem die betriebliche Lohngestaltung auf. DieBetriebliche Altersversorgung ist Teil der betriebli-chen Lohngestaltung, vgl. z. B. BAG, Urteil vom09.07.1985 - 3 AZR 546/82 - Die vom Arbeitgeber ge-wünschte Einigung mit dem Betriebsrat war nicht zu-stande gekommen.
342. Die Einigungsstelle hat angenommen, daß bei der
35bisherigen Regelung VIII B 2 ader RLAV 1958/1968 dieGeschäftsgrundlage entfallen war. Diese Annahme trifft
36zu.
37a) Ziel der Regelung in VIII B 2 ader RLAV
381958/1968 war eine Versorgungsobergrenze, und zwar in
39Höhe eines bestimmten Teils des Nettoarbeitseinkommen
40je nach Dienstjahren bis zum vollen Nettoarbeitsein-kommen bei 45 Dienstjahren. Das ergibt sich daraus,daß danach bei 45 Dienstjahren die Obergrenze bei 80%
41des letzten Grundgehaltes liegen sollte. Damit war dasBruttogehalt gemeint. Die Abzüge auf das Arbeitsein-kommen betrugen im Jahre 1958 rund 20 , so daß sei-nerzeit 80 des Bruttogehalts das Nettogehalt aus-machten.
42Bis zum Jahre 1991 hatte sich jedoch der Anteildes Nettogehalts am Bruttogehalt infolge Steigerungder Abgaben auf das Arbeitseinkommen auf 68 verrin-gert, wie das Arbeitsgericht unwidersprochen festge-stellt hat, vgl. auch BAG, Urteil vom 23.10.1990
43- 3 AZR 260/89 - und 11 2 c der Gründe. Das aber be-deutete, daß das Ziel der Regelung VIII B 2 ader RLAVmit der dortigen Formel nicht mehr erreicht werdenkonnte, sondern die Formel zu überschließenden Ergeb-nissen führen mußte.
44b) Für die Behauptung des Betriebsrates, daß der
45Arbeitgeber bei der Regelung VIII B 2 ader RLAV über-schießende Ergebnisse im Nettovergleich in Kauf genom-men habe, gibt es keine Anhaltspunkte.
46aa) Daß es schon im Jahre 1958 aufgrund von VIII B
472 ader RLAV in Einzelfällen zu "Überversorgungen" ge-kommen war, kann unterstellt werden. Daraus kann nichtgeschlossen werden, daß bei der Regelung "Überversor-gungen" generell in Kauf genommen wurden, vgl. BAG,Urteil vom 09.04.1991 - 3 AZR 598/89 - unter 11 3~ (1)der Gründe. Die tatsächliche Belastung mit Steuern undAbgaben kann bei den einzelnen Arbeitnehmern sehr un-terschiedlich sein.
48bb) Daß bei der Neufassung der RLAV am 06.05.1968die Regelung VIII B 2 a nicht an den aktuellen Standder Belastung der Bruttoarbeitseinkommen mit Steuern-und Abgaben angepaßt wurde, besagt ebenfalls nicht,daß mit der Regelung, eine überschließende Wirkung imNettovergleich in Kauf genommen wurde. Im Zeitraum von1958 bis 1968 war die Veränderung der Belastung derArbeitseinkommen mit Steuern und Abgaben noch nichtderart groß, daß von einem Wegfall der Geschäftsgrund-lage hätte gesprochen werden können, so daß eine Ände-rung der Regelung VIII B 2 a rechtlich damals noch garnicht möglich gewesen wäre.
49cc) Daß auch später der Arbeitgeber sich nicht
50intensiver um eine Änderung der Bestimmung VIII B 2 ader RLAV bemüht hat, kann ebenfalls andere Ursachenhaben, wie z. B. den Widerstand des Betriebsrats oderdie damalige Unklarheit der Rechtslage, und muß des-halb nicht darauf beruhen, daß der Arbeitgeber mit derBestimmung Überschüsse im Nettovergleich bei Aufstel-
51lung der Regelung hat in Kauf nehmen wollen.
52c) Auf die Difinition des Begriffs der Überversor-
53gung kommt es hier rechtlich nicht an, sondern spe-ziell auf das Ziel der bisherigen Regelung VIII B 2 ader hiesigen RLAV 1958/1968. Dieses spezielle Ziel warmit der dortigen Formel nicht mehr erreichbar, sieheoben.
54d) Die Behauptung, daß bei der Vergleichsberech-nung auch das 13. Gehalt der aktiven Arbeitnehmer zuberücksichtigen sei, trifft nicht zu. Bei der Prüfung,ob für eine Regelung die Geschäftsgrundlage entfallenist oder nicht, ist von deren Inhalt auszugehen. Nachden RLAV 1958/1968 des Arbeitgebers (VIII B 1 a) soll-te das Weihnachtsgeld bei der Rentenberechnung vonvornherein nicht berücksichtigt werden, so daß - in-so-weit von vornherein eine Schlechterstellung der Rent-ner Inhalt der Regelung war (vgl. auch BAG, Urteil vom09.04.1951 - 3 AZR 598/89 - unter 11 3b (3) der Grün-de).
55e) Der zeitliche Zusammenhang zwischen Einleitung
56'des Eingungsstellenverfahrens und der Entscheidung derObergesellschaften des Arbeitgebers, den Produktions-betrieb einzustellen, ist rechtlich unerheblich. Erändert nichts daran, daß infolge der Steigerung derAbgaben auf Arbeitseinkommen für die Regelung VIII B 2ader RLAV 1958/1968 die Geschäftsgrundlage entfallenwar.
57f) Der Wegfall der Geschäftsgrundlagen ist auch
58unabhängig davon, ob es um Vollrenten geht oder um dieBerechnung der Anwartschaft nach § 2 Abs. 1 BetrAVG,vgl. BAG, Urteil vom 23.10.1973 - 3 AZR 260/89 - unter11 2 und 3 der Gründe.
59g) Ob einvernehmliche Versorgungsordnungen
60zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu beurteilensind, oder der Spruch einer Einigungsstelle, ist
61rechtlich unerheblich. Die Rechtsgrundsätze über denWegfall der Geschäftsgrundlage gelten in beiden Fäl-len.
62h) Ebenso ist hierfür rechtlich unerheblich, obder Betrieb noch ein werbender ist oder schon ein
63"sterbender".
643. a) Inhaltlich hält sich die von der Einigungsstel-le getroffene Neuregelung der Bestimmung unter VIII I B2 ader RLAV im Rahmen des ihr durch § 76 BetrVG ein-geräumten billigen Ermessens. Jedenfalls ist dieses
65I
66Ermessen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer überschrit-
67ten.
68b) Der Schaffung eines Härteausgleichs für
69rentennahe Jahrgänge bedurfte es nicht, vgl. BAG, Ur-teil vom 23.10.1990 - 3 AZR 260/89 - unter IV derGründe.
70c) Der Spruch der Einigungsstelle verletzt auch
71nicht den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund-satz. Der Spruch gilt für alle Betroffenen und nimmtkeine einzelnen Arbeitnehmer. oder Arbeitnehmergruppenaus. Soweit aus Rechtsgründen die Neuregelung aufRentner nicht anwendbar sein sollte, würde das aufeben diesen Rechtsgründen beruhen, nicht auf demSpruch der Einigungsstelle.
72111. Die Beschwerde des Arbeitgebers ist ebenfallsstatthaft (§ 87 ArbGG) und in der gesetzlichen Formund Frist eingelegt und begründet worden (siehe Ver-handlungsprotokoll vom 08.03.1995). Sie ist auch be-gründet. Der Spruch der Einigungsstelle zu VIII B 2 bder RLAV 1958/1968 ist ebenfalls nicht rechtsunwirk-
73sam.
741. Die Regelungsbefugnis der Einigungsstelle
75bestand auch insoweit aufgrund von § 87 Abs. 2 Satz 1
76BetrVG.
772. Auch insoweit war aufgrund der Steigerung der
78Abgaben auf das Arbeitseinkommen die Geschäftsgrundla-ge für die Regelung entfallen. Denn infolgedessekonnte es bei der Summierung der Sozialversicherungs-rente und betrieblichen Mindestrente geschehen, daßdie Gesamtversorgung das gewollte Nettoarbeitseinkom-men überstieg und damit über das gewollte Ziel hinaus-
79ging.
803. Die Behauptung des Arbeitsgerichts, der Spruch
81der Einigungsstelle verletze insoweit das Übermaßver-bot, trifft nicht zu. Die Begrenzung der Summe der So-,zialversicherungsrente und der Betriebsrente auf 100%des pensionsfähigen Nettoentgelts entspricht dem Zie1der Versorungsordnung und kann daher nicht als übermä-ßig angesehen werden. Mit welchem Betrag die Sozial- .versicherungsrente zu berücksichtigen ist, brutto odernetto, ist im Spruch der Einigungsstelle nicht gere-gelt. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Arbeitge-bers erfolgt die Berücksichtigung der Sozialversiche-rungsrente in seiner Praxis mit dem Nettobetrag.
82111. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf
83den §§ 72 Abs. 2 Nr. I, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.
84R e c h t s mit tel bel ehr u n g
85Der Betriebsrat kann gegen diesen Beschlußdurch einen Rechtsanwalt Beschwerde beim Bundesar-beitsgericht einlegen (Graf-Bernadott-Platz 3, 34119Kassel. E1ne.Beschwerde ist schriftlich einzulegen.Die Frist beginnt mit der Zustellung dieses Beschlus-
86ses und beträgt einen Monat. Die Frist zur Begründungder Beschwerde beträgt ebenfalls einen Monat.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.