Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 3 Sa 540/98
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 09.12.1997
verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen
- 4 Ca 1295/97 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Streitwert: unverändert.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über eine fristgerechte Kündigung, die der Beklagte der Klägerin gegenüber ausgesprochen hat.
3Die Klägerin war seit August 1967 bei dem Beklagten, der in Aachen als Notar niedergelassen war, als Notarfachangestellte beschäftigt. Ihr monatliches Bruttogehalt belief sich zuletzt auf 3.250,-- DM. Mit Schreiben vom 11.04.1997 beantragte der Beklagte bei dem Justizminister des Landes Nordrhein Westfalen, ihn zum 01.12.1997 aus dem Amt des Notars zu entlassen. Mit Erlaß vom 12.05.1997 gab der Minister dem Antrag statt und entließ den Beklagten „mit Ablauf des 30. November 1997“ aus dem Notaramt. Der Beklagte hatte bereits im April sämtlichen Mitarbeitern gegenüber die ordentliche Kündigung ausgesprochen.
4Im August oder September 1997 ernannte der Justizminister zum 01.12.1997 einen neuen Notar, der inzwischen die Räumlichkeiten, in denen der Beklagte seine Notarpraxis betrieben hat, von der Vermieterin angemietet hat; er betreibt dort nach einem Umbau seine Praxis. Der neu ernannte Notar hat - mit Ausnahme der
5Klägerin - die Angestellten des Beklagten eingestellt. Er hat weiterhin von dem Beklagten Gegenstände aus dessen Praxis übernommen.
6Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei gemäß § 613 a BGB unwirksam, da sie aus Anlaß des bevorstehenden Betriebsüberganges ausgesprochen worden sei.
7Die Klägerin hat beantragt,
8festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche
9Kündigung vom 17.04.1997 - zugegangen am 17.04.1997 -
10nicht aufgelöst worden ist.
11Der Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Er hat erwidert, die Kündigung sei aus dringenden betrieblichen Erfordernissen, der Schließung des Betriebes wegen, erfolgt und deshalb sozial gerechtfertigt. Ein Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB habe nicht stattgefunden, da durch die Bestellung des neuen Notars lediglich die Aufgabe von einem Notar auf den anderen verlagert worden seien.
14Das Arbeitsgericht Aachen hat die Klage mit Urteil vom 07.05.1998 abgewiesen. Es hatte einen Betriebsübergang mit der Begründung verneint, daß keine rechtsgeschäftliche Übertragung stattgefunden habe. Vielmehr sei der „Amtsnachfolger“ durch Hoheitsakt bestellt worden; durch eine solche Maßnahme würden auch die Akten, Bücher und Urkunden des entlassenen Notars auf einen anderen Notar übertragen. Auch eine analoge Anwendung von § 613a BGB komme, wie das Arbeitsgericht im einzelnen darlegt, nicht in Betracht.
15Gegen dieses Urteil wendet die Klägerin sich mit der Berufung.
16Sie vertritt auch im zweiten Rechtszug die Auffassung, daß ein Betriebsübergang auch dann gegeben sei, wenn der Übergang nicht auf einem Rechtsgeschäft, sondern auf einem Staatshoheitsakt beruhe. Auch der Umstand, daß der Übergang einen unentgeltlichen Charakter habe, schließe die Anwendung der Vorschrift nicht aus. Wenn das Arbeitsgericht darauf hinweise, daß kein rechtsgeschäftlicher Übergang vorliege, so verkenne es, wie die Klägerin im einzelnen darlegt, den „Wandel der geänderten Rechtssprechung“. Es sei zu berücksichtigen, daß der neue Notar die gleiche Tätigkeit mit dem „Hauptpersonalstamm“ fortsetzte und damit eine „vertragliche“ Übertragung im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG vorliege.
17Die Klägerin beantragt,
18das Urteil des Arbeitsgerichtes Aachen vom 09.12.1997
19- Aktenzeichen 4 Ca 1295/97 - abzuändern:
20Es wird nach Schlußantrag der ersten Instanz erkannt,
21festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordent-
22liche Kündigung vom 17.04.1997 - zugegangen am
2317.04.1997 - nicht aufgelöst worden ist.
24Der Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Er weist erneut daraufhin, daß das Amt des neu bestellten Notars nicht von dem des entlassenen Notars abhängig sei; der neu bestellte Notar führe nicht den Betrieb oder die Geschäfte des entlassenen Notars fort; er übe vielmehr ein neues Amt aus. Nehme man dennoch einen Betriebsübergang an, so habe sich dieser Übergang jedenfalls nicht durch Rechtsgeschäft im Sinne von § 613a BGB vollzogen.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
28Die Berufung ist unbegründet.
29Die Kündigung, die der Beklagte mit Schreiben vom 17.04. zum 30.11.1997 aussprach, ist nicht wegen eines Betriebsübergangs erfolgt. Sie ist deshalb nicht nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam, sondern nach § 1 Abs. 2 KSchG aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
30Der Beklagte erklärte die Kündigung wegen der Betriebsstillegung, die er durchzuführen beabsichtigte. Betriebsstillegung und Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB setzen das „Aufhörenwollen“ des bisherigen Betriebsinhabers voraus (Ascheid im RGRK, 12. Auflage 1997, Anm. 93 zu § 613a). Ohne den Entschluß
31des bisherigen Betriebsinhabers, sich selbst nicht mehr unter Ausnutzung des Betriebssubstrats betätigen zu wollen, ist für einen Betriebsübergang kein Raum (Ascheid a.a.O.). Insofern stimmen die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Betriebsstillegung mit denen eines Betriebsübergangs überein. Im Streitfall fehlt jedoch das für den Betriebsübergang erforderliche zweite Element, nämlich „das Verwerten des Substrats durch Veräußern unter Zugrundelegung des Willens des bisherigen Betriebsinhabers, selbst das Substrat nicht mehr nutzen zu wollen“ (Ascheid a.a.O. Anm. 95). Denn dem Beklagten ging es nicht um eine solche Veräußerung, sondern darum, den Betrieb endgültig umzustellen. Wird die Kündigung wie hier auf eine Stillegung gestützt, so muß im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung eine vernünftige und betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose gerechtfertigt haben, daß das erwartete Ereignis bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist eintreten werde und der Arbeitnehmer damit entbehrlich sein werde (BAG 23.03.1984 AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Es ist anerkannt, daß die Stillegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen zählt, aus denen sich die soziale Rechtfertigung der Kündigung ergeben kann. Unter Betriebsstillegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, daß der Arbeitgeber, wie dies für den Beklagten zutrifft, die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellen will, den bisherigen Betriebszweck dauernd nicht weiter zu verfolgen (BAG 22.05.1997 EzA § 613 a BGB Nr. 157). Es ist auch unschädlich, daß der Beklagte die Kündigung bereits ausgesprochen hat, bevor die Stillegung durchgeführt war. Denn eine Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung kann wirksam erklärt werden, wenn die betrieblichen Umstände, wie dies hier durch Antrag des Beklagten auf Entlassung aus dem Notaramt geschehen ist, greifbare Formen angenommen haben (BAG 10.10.1996 EzA § 1 KSchG Betreibsbedingte Kündigung Nr. 87).
32Der Beklagte hatte auch nicht die Absicht einer nur vorübergehenden Stillegung, die in der Erwartung stattfand, daß der neu zu ernennende Notar die Räume, die Akten und die Mitarbeiter des Beklagten übernehmen und die Praxis des Beklagten weiterführen werde. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht diesen Notar als
33„Amtsnachfolger“ des Beklagten angesehen. Denn mit der Entlassung aus dem Amt erlischt das Amt des Notars, §§ 48, 47 Nr. 2 BNotO). Eine „Nachfolge“ ist nicht möglich, weil das Amt des Notars als höchstpersönliche Befugnis mit dem Erlöschen endet. Zwar kann der Justizminister bei Entlassung eines Notars zur Aufrechterhaltung der Rechtspflege einen neuen Notar bestellen. Die Entlassung eines Notars führt allerdings nicht zwangsläufig zur Bestellung eines neuen Notars. Da nur soviel Notare bestellt werden dürfen, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht (§ 4 BNotO), kann die Justizverwaltung nur für den Fall eines Bedürfnisses einen neuen Notar bestellen. Das Amt des neu bestellten Notars ist deshalb von dem des entlassenen Notars völlig unabhängig. Eine „Amtsnachfolge“ findet auch nicht im Hinblick auf die Akten, Bücher und Urkunden des entlassenen Notars statt. Diese Gegenstände hat das Amtsgericht in Verwahrung zu nehmen. Allerdings kann die Justizverwaltung diese Gegenstände auch einem anderen Notar zur Verwahrung übertragen, § 51 Abs. 1 BNotO. Die Übertragung erfolgt jedoch durch Verwaltungsakt und nicht einen privatrechtlichen Vertrag. Daraus folgt, daß es sich bei der Maßnahme des Beklagten - dem Antrag auf Entlassung aus dem Amt und der Kündigung der Mitarbeiter - nicht nur um einen Zwischenakt handelt, der zwangsläufig in die Fortführung der Notargeschäfte durch einen „Amtsnachfolger“ einmündete. Einen solchen „Amtsnachfolger“ gibt es - wie ausgeführt - nicht. Kennzeichnend ist insofern, daß die Person des neuen Notars erst im August oder September 1997 bekannt wurde, weil seine Ernennung erst zu diesem Zeitpunkt erfolgte. Der neue Notar war in seiner Entscheidung, ob er die Räume des Beklagten übernahm oder andere Kanzleiräume - möglicherweise auch in einem anderen Stadtbezirk - bezog, frei.
34Darüber hinaus ist das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß eine bloße Funktionsnachfolge im öffentlich-rechtlichen Bereich nicht zu einem Übergang der Arbeitsverhältnisse führt (BAG 20.03.1997 EzA Art. 13 Einigungsvertrag Nr. 18). Das Bundesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Übertragung von Verwaltungsaufgaben einer Behörde oder Dienststelle auf eine andere Behörde ohne besondere normative Regelung keinen Übergang von Arbeitsverhältnisses von einem Träger öffentlicher Verwaltung auf einen anderen bewirkt (a.a.O.). Maßgebend ist insofern, daß es im Rahmen des § 613a BGB darauf ankommt, ob der Übergang der Leitungsmacht auf dem Willen des betroffenen Betriebsinhabers beruht oder ob er sich un-
35abhängig von seinem Willen aufgrund einer Norm oder eines Verwaltungsaktes automatisch vollzieht (BAG 09.02.1994 EzA Nr. 115 zu § 613a BGB). Das Bundesarbeitsgericht läßt Vorgänge nicht ausreichen, bei denen der Übergang kraft Gesetzes oder kraft Hoheitsaktes stattfindet (BAG 27.07.1994 EzA Nr. 123 zu § 613a BGB).
36Zwar hat das Bundesarbeitsgericht (22.5.1997, EzA § 613a BGB Nr. 157)
37- dem EuGH folgend - anerkannt, daß die Übernahme von Personal unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang führen kann. Maßgebend ist dabei die Überlegung, daß die Identität des Betriebes wesentlich durch das dort beschäftigte Personal und weniger durch materielle oder immaterielle Betriebsmittel bestimmt sein kann. Bei einer Notarpraxis trifft diese Voraussetzung indessen nicht zu. Dort sind nicht die Mitarbeiter des Notars der eigentliche Träger des Unternehmens. Die Kanzlei erfüllt, worauf Hanau in seinem Gutachten zu Recht hinweist, nur wichtige Hilfsfunktionen, bildet aber nicht den Kern und eigentlichen Träger des Notariats.
38Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
39Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
40R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
41Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin Revision eingelegt werden. Die Revision muß innerhalb einer Notfrist (eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht
42verlängert werden) von einem Monat nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 3, 34119 Kassel, eingelegt werden. Die Revision ist gleichzeitig oder innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schrift-
43lich zu begründen. Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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