Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 1 Sa 1240/03
Tenor
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Bonn vom 18.09.2003 - 3 Ca 478/03 -
wird zurückgewiesen.
2) Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3) Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger war laut Anstellungsvertrag vom 06.07.1999 bis zum 31.12.2002 bei der Beklagten als Mitarbeiter in der Rechts- und Steuerabteilung tätig. Er war, wie von § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrages gefordert, als Rechtsanwalt zugelassen und nach § 8 Nr. 1 des Vertrages berechtigt, neben seiner Beschäftigung bei der Beklagten die anwaltliche Tätigkeit selbständig auszuüben.
3In § 10 des Arbeitsvertrages hatten die Parteien eine Wettbewerbsklausel vereinbart. Diese lautet u.a. wie folgt:
4"1. Herr D verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf dem Gebiet der Steuerberatung in selbständiger oder unselbständiger Form tätig zu werden. Der örtliche Geltungsbereich des Verbots erstreckt sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
52. Für die Dauer des Verbots zahlt die E GmbH Herrn D als Entschädigung 50 % der zuletzt gewährten vertragsgemäßen Leistungen".
6Seit Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwirbt der Kläger durch ein Studium an der Universität von A /N die Zusatzqualifikation "Master of Law". Nach vergeblicher Aufforderung, die Karenzentschädigung von monatlich 2.464,58 EUR zu zahlen, hat er die Beklagte verklagt
7mit den Anträgen, an ihn
81. 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.02.2003 zu zahlen,
92. weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.03 sowie weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.04.03 zu zahlen,
103. weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.05.03 sowie weitere 2.464,58 EUR brutto nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 01.06.03 zu zahlen.
11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger habe böswillig unterlassen, als Rechtsanwalt tätig zu sein, weil das Wettbewerbsverbot nur auf das Gebiet der Steuerberatung beschränkt sei. Er entziehe sich durch seinen Auslandsaufenthalt dem Geltungsbereich des Wettbewerbsverbots und stehe dem deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Im Übrigen erwerbe der Kläger nur eine nicht notwendige Zusatzqualifikation. Diese mache deutlich, dass er später nicht vorrangig auf dem Gebiet der Steuerberatung, sondern als Rechtsanwalt tätig sein wolle.
12Das Arbeitsgericht hat die Klage bis auf einen Teil der Zinshöhe zugesprochen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Bl. 70 ff d.A. Bezug genommen.
13Gegen das ihr am 14.02.2003 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 10.11.2003 Berufung eingelegt, die am 11.12.2003 begründet worden ist. Unter Wiederholung früheren Vortrags meint sie weiterhin, der Kläger könne als Fachanwalt für Steuerrecht tätig sein. Er sei bereits ausreichend qualifiziert und betreibe kein berufsförderndes Studium. Die angestrebte Zusatzqualifikation habe für die Steuerberatung keine Bedeutung. Halte der Kläger sich nicht in Deutschland auf, fänden die §§ 74 ff HGB nach dem Territorialitätsprinzip keine Anwendung. Diese Vorschriften setzten voraus, dass der Kläger in Deutschland studiere und sich nicht dem deutschen Arbeitsmarkt entziehe.
14Die Beklagte beantragt,
15unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
16Der Kläger beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Er verteidigt das angefochtene Urteil und hält die Rechtsauffassung der Beklagten für unzutreffend.
19Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf ihre im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
211. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
222. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Mit Recht hat das Arbeitsgericht der Klage auf Zahlung der Karenzentschädigung wegen des von den Parteien vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots stattgegeben. Das Berufungsgericht schließt sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG an und beschränkt sich auf die folgenden Ergänzungen.
23a) Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten ist der Kläger nicht verpflichtet, sich um eine Tätigkeit als Rechtsanwalt zu bemühen. Das ergibt sich weder aus der Beschränkung des Wettbewerbsverbots in § 10 Nr. 1 des Arbeitsvertrages auf das Gebiet der Steuerberatung noch daraus, dass sich der Kläger nach § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen muss, was er durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft zu erwerben böswillig unterlässt. Beide Gesichtspunkte - einerseits Beschränkung des Wettbewerbsverbots, andererseits böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs - können nicht getrennt voneinander gesehen werden. In beiden Fällen kommt es darauf an, was dem Kläger an sonstiger Tätigkeit zugemutet werden kann. Bei der Prüfung des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs liegt dies auf der Hand. Aber auch bei der Erörterung des Umfangs eines Wettbewerbsverbots kann dies nicht anders sein. Jedes Wettbewerbsverbot lässt, will es wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nicht verfassungswidrig sein, irgendwelche Beschäftigungsmöglichkeiten offen. Wäre allein die darauf gegründete "Verweisungsmöglichkeit" ausschlaggebend, würde gerade bei Juristen angesichts ihrer breiten Berufspalette die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots kaum noch Sinn machen. Entscheidend ist vielmehr, ob das Wettbewerbsverbot so beschränkt ist, dass der davon betroffene Arbeitnehmer seine Arbeitskraft angesichts seiner bisherigen Tätigkeit auf anderen Berufsfeldern noch in zumutbarer Weise verwerten kann.
24b) Die Beschränkung des Wettbewerbsverbots auf die Steuerberatung lässt insoweit nicht genügend Spielraum. Der Kläger war bei der Beklagten nach § 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrages als Mitarbeiter in der "Rechts- und Steuerabteilung" beschäftigt. Schon das zeigt deutlich die Vermischung von Rechts- und Steuerberatung, wobei, da es sich bei der Beklagten um eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handelt, das Schwergewicht auf der steuerlichen bzw. steuerrechtlichen Beratung lag. Der Kläger war von seinem Tätigkeitsfeld her Steuerexperte im umfassenden Sinn. Ihm war nicht zuzumuten, sich auf dem Arbeitsmarkt für Rechtsanwälte, der gerade nach den Aussagen der organisierten Anwaltschaft überfüllt sein soll, eine ungewisse anwaltliche Tätigkeit außerhalb seines Fachgebiets zu suchen oder bei jeder anwaltlichen Beratung die kaum zu lösende Differenzierung zwischen (unerlaubter) "Steuerberatung" und (erlaubter) "Steuerrechtsberatung" vorzunehmen.
25c) Der Kläger hat durch das Ergreifen eines Zweitstudiums bzw. den Erwerb einer Zusatzqualifikation - dazwischen wie die Beklagte zu unterscheiden, ist ein nicht nachvollziehbarer Streit um Worte - nicht böswillig im Sinne des § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB unterlassen, seine Arbeitskraft anderweitig zu verwerten. Ihm kann nicht vorgeworfen werden, er habe wegen dieses Studiums von zumutbarem Erwerb von Arbeitseinkommen abgesehen.
26Zwar ist richtig, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung bei der Prüfung, ob die Aufnahme eines Studiums während der Karenzzeit "böswillig" ist, auf den Einzelfall abstellt. Es hat allerdings - was die Beklagte übersieht - offen gelassen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist oder ob nicht bei einem Studium die Einwendung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich a u s s c h e i d e t (Urteil vom 13.02.1996 - 9 AZR 931/04 -, EzA § 74 HGB Nr. 58, unter III 1 und 2 der Gründe). Selbst wenn man aber an der bisherigen Rechtsprechung festhält, ist daraus nichts zugunsten der Beklagten herzuleiten. Die Entscheidung aus dem Jahre 1996 nimmt ausdrücklich Bezug auf frühere Urteile, wonach ein berufsförderndes Studium in der Regel kein böswilliges Auslassen anderweitigen Erwerbs im Sinne des § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB darstellt. Schädlich sei insoweit lediglich, wenn ein schulisch Minderbegabter studiere oder ein studium generale oder ein sinn- und planloses Studium betreibe (BAG vom 08.02.1974 - 3 AZR 519/73 - und 09.08.1974 - 3 AZR 350/73 -, EzA § 74 c HGB Nr. 12 und 14). Selbst ein Studium für einen Berufswechsel (Betriebswirt studiert im Zweitstudium Politologie, Philosophie und Geschichte) hat das Bundesarbeitsgericht nicht von vornherein für schädlich gehalten (BAG vom 13.02.1996, aaO). Nach alledem kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass der Erwerb des "Master of Law", der für einen Juristen - wie allseits bekannt ist - eine sinnvolle Ausbildungsergänzung darstellt, nicht als böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs anzusehen ist. Dabei ist entgegen der Auffassung der Beklagten unmaßgeblich, ob die Zusatzausbildung "notwendig" ist. Weder stellt das Gesetz oder die Rechtsprechung darauf ab noch ist es "böswillig", ein sinnvolles, aber nicht unbedingt notwendiges Studium zu ergreifen.
27d) Die sonstigen Einwände der Beklagten sind ebenfalls unzutreffend. Die von ihr selbst aufgestellte Prämisse, der Kläger müsse dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen oder er dürfe nicht im Ausland studieren, ergibt sich an keiner Stelle aus dem Gesetz. Voraussetzung für die Karenzentschädigung ist allein, dass der Angestellte keine Konkurrenz betreibt. Dem Arbeitgeber hat gleichgültig zu sein, aus welchem Grund sich der Arbeitnehmer sich der Konkurrenz enthält (ständ. Rspr., BAG vom 13.02.1996, aaO). Der Anspruch auf Karenzentschädigung entfällt sogar nicht dadurch, dass sich ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis mit Vollendung des 63. Lebensjahres endet, aus Altersgründen aus dem Arbeitsleben zurückzieht (BAG vom 03.07.1990 - 3 AZR 96/89 -, EzA § 74 c HGB Nr. 29). Gerade der letzte Fall zeigt, dass erst recht der Kläger, der nach berufsfördernder Zusatzausbildung ins Arbeitsleben zurückkehren will, den Anspruch auf Karenzentschädigung behält.
28Was die Beklagte darüber hinaus mit dem Berufen auf das "Territorialitätsprinzip" zur Sachentscheidung beitragen will, ist nicht erkennbar. Der Kläger darf der Beklagten lediglich im "Territorium" der Bundesrepublik Deutschland keine Konkurrenz machen. Daran hält er sich.
29e) Abschließend ist der Beklagten entgegenzuhalten, dass sie nichts zur weiteren Voraussetzung der §§ 74 c Abs. 1 Satz 1, 2 HGB vorgetragen hat, nämlich dass die Karenzentschädigung unter Hinzuziehung des unterlassenen Verdienstes die zuletzt vom Kläger bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel, bei Wohnsitzwechsel um mehr als ein Viertel übersteigen würde (vgl. dazu BAG vom 13.02.1996 unter III 2 der Gründe). Bei dem angeblich gesättigten Arbeitsmarkt für Rechtsanwälte, deren Berufsfeld wie beim Kläger zudem eingeschränkt ist, kann von den geforderten Einkünften nicht ohne weiteres ausgegangen werden.
303. Da die Beklagte das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss sie nach §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 ZPO die Kosten der Berufung tragen.
31Die Revision war nicht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und die angesprochenen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.
32R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
33Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird verwiesen.
34(Dr. Isenhardt) (Willner) (Paffrath)
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