Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 9 Ta 327/08
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 22. April 2008
7 Ca 602/08 wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e
2I. Die Beklagte war bei der Klägerin als Sachbearbeiterin beschäftigt und dabei auch mit Verwaltung der Einnahmen aus der D betraut.
3Die Klägerin fordert mit der vorliegenden Klage, die am 10. Januar 2008 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangen ist, von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von EUR 295.148,12 wegen der Unterschlagung von derartigen Einnahmen in den Jahren 1998 bis 2007. Sie trägt vor, sie habe erst im Frühjahr 2007 das Fehlverhalten der Beklagten festgestellt und das Arbeitsverhältnis im März 2007 fristlos gekündigt. Die Beklagte habe am 9. März 2007 ihr Fehlverhalten zugegeben. Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittle aufgrund der Vorfälle gegen die Beklagte mit dem Vorwurf der Untreue.
4Die Beklagte hat im vorliegenden Verfahren bestritten, ein Geständnis abgelegt zu haben. Der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt, auch soweit es ihre Beteiligung betreffe. Der vorliegende Rechtsstreit sei deshalb bis zum Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen, in dem am 19. Mai 2008 Anklage wegen eines vermeintlich von ihr angerichteten Schadens in Höhe von EUR 155.830,10 erhoben worden sei und von dem wichtige Erkenntnisse auch hinsichtlich der Berechtigung des Schadensersatzverlangens der Klägerin zu erwarten seien. Die Pflicht zum wahrheitsgemäßen und vollständigen Vortrag im vorliegenden Verfahren kollidiere mit ihrem Recht, als Beschuldigte eines Strafverfahrens zu schweigen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ihr Gesundheitszustand derzeit eine Befragung zu den Tatvorwürfen nicht zulasse.
5Die Klägerin hat einer Aussetzung des vorliegenden Verfahrens widersprochen mit der Begründung, eine weitere Verzögerung bei der Durchsetzung ihres Schadensersatzanspruchs sei ihr nicht zuzumuten.
6Das Arbeitsgericht Aachen hat durch Beschluss vom 22. April 2008 den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen und zur Begründung auf die fehlende Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils für die zivilrechtliche Schadensersatzklage hingewiesen.
7Gegen den am 26. Juni 2008 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 1. Juli 2008 sofortige Beschwerde erhoben mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Erkenntnisse des Strafverfahrens für den vorliegenden Rechtsstreit und ihr Schweigerecht im Strafverfahren.
8Das Arbeitsgericht hat es durch Beschluss vom 4. September 2008 abgelehnt, der Beschwerde abzuhelfen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
9II. Die nach §§ 567 Abs. 1 Ziff. 1, 252 ZPO statthafte und gemäß § 569 Abs. 1, 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
10Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, den Rechtsstreit nicht auszusetzen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
11Gemäß § 149 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.
12Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung, die das Beschwerdegericht nur eingeschränkt überprüfen kann. Die Ermessensentscheidung muss sich zum einen an dem Gesetzeszweck der Aussetzung orientieren, durch das Abwarten des Ausgangs eines Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens die unter Umständen besseren Erkenntnismöglichkeiten im Strafverfahren nutzbar zu machen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Andererseits muss das Gericht die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abwägen. Hierbei ist dem für alle arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz nach § 9 Abs. 1 ArbGG Rechnung zu tragen (vgl. dazu auch: LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Mai 2008 9 Ta 87/08 -).
13Das Arbeitsgericht hat bei seiner Ermessensentscheidung diese Grundsätze beachtet und unter Berücksichtigung der relevanten Umstände eine Aussetzung des Verfahrens abgelehnt.
14Die Klägerin hat ein zu beachtendes Interesse an einer alsbaldigen Entscheidung über ihr Begehren. Es betrifft Schadensersatzansprüche in einer ganz beträchtlichen Höhe. Nachdem ihr der Schaden bekannt geworden und durch ihre Innenrevision auch der Höhe nach festgestellt war, hat sie zunächst der Beklagten eine außergerichtliche Einigung mit Schreiben vom 28. März 2007 vorgeschlagen und nach deren Nichtzustandekommen auch staatsanwaltliche Ermittlungen abgewartet, die jedenfalls nunmehr zur Anklageerhebung geführt haben. Wann es zur Verhandlung im Strafverfahren kommt, steht noch nicht fest. Wenn die Beklagte vorträgt, sie könne aufgrund ihres derzeitigen Gesundheitszustandes nicht einmal von ihrem Prozessbevollmächtigen vollständig und umfänglich zu den Tatvorwürfen befragt werden, ist zu erwarten, dass im Strafverfahren zunächst die Frage ihrer Verhandlungsfähigkeit geprüft werden muss. Eine Verzögerung des vorliegenden Rechtsstreits um mehr als ein Jahr kann nicht ausgeschlossen werden, was angesichts der Regelung unter § 149 Abs. 2 ZPO regelmäßig einer Aussetzung entgegensteht (vgl. dazu: Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 149 Rdn. 2). Abgesehen davon kann eine arbeitsrechtliche Haftung der Beklagten für den Schaden unabhängig davon in Frage kommen, ob eine Untreue im strafrechtlichen Sinn vorliegt. Eine Bindungswirkung an das strafgerichtliche Urteil besteht für das Arbeitsgericht ohnehin nicht (§ 14 Abs. 2 S. 1 EGZPO). Es ist zudem nicht ersichtlich, inwiefern die Innenrevision der Klägerin über die Vorgehensweise der Beklagten und das Ausmaß des dadurch entstandenen Schadens keine vollständigen Feststellungen treffen konnte, sondern erst im Strafverfahren eine weitere Aufklärung erfolgen muss. Maßgeblich müssen auch im Strafverfahren die im Besitz der Klägerin befindlichen Unterlagen sein, insbesondere die Kassenabrechnung und das Kassenbuch.
15Auch der Umstand, dass die Beklagte bei einer Fortführung des vorliegenden Verfahrens gezwungen wäre, sich selbst zu belasten, sollte sie tatsächlich eine Untreue im Sinne des § 266 StGB begangen haben, rechtfertigt nicht die Aussetzung.
16Es ist zwar richtig, dass die Beklagte, sollte sie im strafrechtlichen Sinn veruntreut haben, bei einer wahrheitsgemäßen Aussage (§ 138 Abs. 1 ZPO) auch Tatsachen vortragen müsste, die eine strafbare Handlung begründen. Jedoch endet dieser Konflikt nicht mit der Beendigung des Strafverfahrens. Sofern sie im Strafverfahren schweigen sollte und frei gesprochen würde und sich anschließend im Schadensersatzprozess wahrheitsgemäß zur Tat bekennen sollte, könnte dies zu einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu ihren Ungunsten führen (§ 362 Ziff. 4 StPO). Die Beklagte muss selbst entscheiden, wie sie diesen Konflikt löst. Diesem Konflikt kann bei der Ermessensentscheidung über die Aussetzung keine entscheidende Bedeutung zukommen (vgl. dazu: OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. Februar 2001 24 W 5/01 -; Zöller-Greger, ZPO, a.a.O., § 149 Rdn. 2).
17Nach alledem ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen, den Rechtsstreit nicht auszusetzen, nicht zu beanstanden.
18Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Vielmehr sind die entstandenen Kosten Teil der Prozesskosten und ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 252 Rdn. 3).
19Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht. Die Entscheidung ist daher nicht anfechtbar.
20Schwartz
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