Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 8 Sa 1210/09
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.09.2009 wird abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.05.2009 nicht beendet wurde sondern zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 09.09.1977 geborene Kläger steht seit dem 01.08.2000 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten. Der Kläger ist verheiratet und für vier Kinder unterhaltspflichtig.
3Das Arbeitsverhältnis des Klägers richtet sich nach dem TVöD (VKA). Der monatliche Lohnanspruch belief sich zuletzt auf durchschnittlich 2.389,59 .
4In der Zeit zwischen dem 01.04.2007 und dem 30.03.2008 nahm der Kläger Elternzeit in Anspruch.
5Mit Schreiben vom 06.02.2006 mahnte die Beklagte den Kläger wegen unentschuldigten Fehlens am 14.12.2005 ab, da er erst ab dem 15.12.2005 eine neue Erstbescheinigung vorgelegt hatte und sich für den 14.12.2005 auch nicht krankgemeldet hatte.
6Am 03.06.2008 wurde der Kläger wegen Verletzung seiner Meldepflicht am 12. und 14.05.2008 abgemahnt.
7Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit seit dem 22.11.2008 bezog der Kläger seit dem 25.11.2008 bis zum 09.01.2009 Krankengeld.
8Nachdem der Kläger wiederum vom 22.01.2009 bis zum 24.02.2009 aufgrund eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig war, erschien er vom 25.02. bis zum 27.02.2009 zur Arbeit.
9Am 28.02.2009 fehlte der Kläger ohne Angabe von Gründen. Am 02.03.2009 erschien der Kläger zu spät zur Arbeit seinen Angaben zufolge um 5 Minuten, nach Angaben der Beklagten um 15 Minuten. Am 03.03.2009 meldete sich der Kläger gegen 05:30 Uhr beim Fahrdienstleiter krank.
10Am 05.03.2009 teilte der Bruder des Klägers telefonisch mit, dass der Kläger bis zum 10.03.2009 krankgeschrieben sei. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei mit der Post unterwegs.
11Nachdem der Kläger am 16.03.2009 telefonisch nachfragte, ob das Attest inzwischen vorliegen würde was nicht der Fall war brachte der Bruder des Klägers am 17.03.2009 eine Erstbescheinigung vom 13.03.2009, die eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 27.03.2009 bescheinigte.
12Tatsächlich war der Kläger am 02.03.2009 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Erlangen wegen Nichterscheinens zu einem Hauptverhandlungstermin am 18.02.2009 festgenommen und in der JVA Nürnberg bis zum nächsten Hauptverhandlungstermin am 11.03.2009 in Haft gehalten worden.
13Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 25.03.2009 durch die Beklagte Gelegenheit erhielt, sich zum Vorwurf des unentschuldigten Fehlens, zum Vorwurf der verspäteten Arbeitsaufnahme sowie der mehrfachen Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall zu äußern, teilte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 22.04.2009 mit, dass er aufgrund psychischer Probleme und der Einnahme von Psychopharmaka am 28.02. durchgeschlafen und deshalb nicht zur Arbeit erschienen sei. Aus demselben Grund sei er am 02.03.2009 zu spät zur Arbeit erschienen. Der Stellungnahme des Bevollmächtigten des Klägers war ein ärztliches Attest des Facharztes der Nervenärztlichen Praxisgemeinschaft Dr. S , Dr. P und Dr. G , unterzeichnet von Dr. G beigefügt, in dem es wie folgt heißt:
14"Herr M befindet sich seit Januar 2007 in kontinuierlicher nervenärztlicher Behandlung. Er stellt sich heute notfallmäßig bei uns vor. In den letzten zehn Tagen ging es Herrn M. psychisch sehr schlecht, so dass er nicht in der Lage war, sich bei uns vorzustellen. Meine fachärztliche Einschätzung ist die, dass er in den letzten Tagen krankheitsbedingt nicht arbeitsfähig war. Von heute an wird er regulär arbeitsunfähig geschrieben."
15Die Beklagte hatte zwischenzeitlich durch Hinweise eines Kollegen des Klägers davon erfahren, dass der Kläger in Untersuchungshaft gewesen ist. Mit Schreiben vom 29.04.2009 erhielt die Beklagte hierzu eine Bestätigung der Justizvollzugsanstalt Nürnberg, wonach der Kläger im Zeitraum 02.03.2009 bis 11.03.2009 in der JVA Nürnberg eingesessen hatte.
16Mit Schreiben vom 29.04.2009 hörte die Beklagte den Personalrat zur beabsichtigten fristlosen Kündigung an.
17Zu den persönlichen Daten ist in der Anhörung gegenüber dem Beklagten lediglich angegeben, dass der Kläger am 09.09.1977 geboren ist und seit dem 01.08.2000 bei der Beklagten beschäftigt ist.
18Die vorgenannten tatsächlichen Umstände einschließlich der zuvor erfolgten Abmahnungen des Klägers wegen Verletzung der Anzeigepflicht im Krankheitsfall bzw. unentschuldigten Fehlens ist im Anhörungsschreiben an den Gesamtpersonalrat im Einzelnen dargestellt.
19Zur Bewertung des Fehlverhaltens führt die Anlage der Personalratsanfrage aus:
20"Allein das unentschuldigte Fehlen am 28.02.2009 und vom 04.03. bis 12.03.2009 sowie die Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall rechtfertigen eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
21Herr M hatte die Gelegenheit, den tatsächlichen Grund seines unentschuldigten Fehlens vom 03.03. bis 12.03.2009 anzugeben. Statt die Untersuchungshaft in der JVA Nürnberg zuzugeben, täuschte er mit seinen Anrufen am 04.03.2009 und am 16.03.2009, mit den Anruf seines Bruders am 05.03.2009 und mit der Vorlage des Attestes der Gemeinschaftspraxis Dr. S pp. eine Erkrankung vor. Im Schreiben des Rechtsanwalts H wird betont, dass Herr M Psychopharmaka in so starker Dosierung genommen habe, dass er mehrere Tage geschlafen habe. Er sei deshalb zu spät zum Dienst gekommen und nicht in der Lage gewesen, seinen Arzt aufzusuchen.
22Die Tatsache jedoch, dass Herr M durch die Vorlage des ärztlichen Attestes, nach dem ihm weder ein Anruf beim Arbeitgeber noch ein Arztbesuch möglich gewesen seien, den Arbeitgeber weiterhin über den tatsächlichen Grund seines unentschuldigten Fehlens, nämlich die Untersuchungshaft, täuschen wollte, hat er das in jedem Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so nachhaltig und erheblich gestört, dass es der Bundesstadt B nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis mit Herrn M auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzuführen. Er ist daher fristlos zu kündigen.
23Der Gesamtbetriebsrat hat mit Schreiben vom 06.05.2009, eingegangen bei der Beklagten am 07.05.2009, der Beklagten mitgeteilt, dass auf eine Stellungnahme verzichtet werde.
24Im Anschreiben an den Gesamtpersonalrat war mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, das Arbeitsverhältnis des beschäftigten Herrn M M außerordentlich zu kündigen. Angekreuzt war, dass gemäß § 74 LPVG zur Stellungnahme Gelegenheit gegeben werden.
25Mit Schreiben vom 07.05.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos.
26Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage vom 26.05.2009, mit welcher er geltend macht, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet worden sei.
27Er behauptet, aufgrund der Inhaftierung psychisch überfordert gewesen zu sein. Er sei arbeitsunfähig gewesen und habe auch in der Haft täglich ärztlich behandelt werden müssen. Daher sei das fachärztliche Attest vom 13.03.2009 richtig. Es habe ihm nicht abverlangt werden können, dass er seine Inhaftierung gegenüber der Beklagten offenbare. Er habe sich einerseits geschämt, andererseits befürchtet, deshalb gekündigt zu werden. Ein wirtschaftlicher Nachteil sei der Beklagten nicht erstanden.
28Der Kläger hat beantragt,
29festzustellen, dass das Beschäftigungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigungserklärung der Beklagten vom 07.05.2009 beendet worden sei, sondern zu bisherigen Bedingungen fortbesteht.
30Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe mit seinen Täuschungsversuchen um den tatsächlichen Grund seines Fehlens das Vertrauensverhältnis zu seinem Arbeitgeber so nachhaltig gestört, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei. Es sei auch nicht zutreffend, dass der Beklagten kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden sei, da der Kläger bis zur 39. Krankheitswoche einen Krankengeldzuschuss erhalte und diese Frist zudem ausschlaggebend für die Zahlung der Umlage an die Zusatzversorgungskasse und für die Zahlung der Jahressonderzahlung sei.
33In der Interessenabwägung sei zudem zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis durch die einschlägigen Abmahnungen vom 06.02.2006 und 30.06.2008 bereits belastet gewesen sei.
34Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und im Verhalten des Klägers einen ausreichenden Grund für die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses gesehen.
35Die Kündigung erweise sich als fristlose Kündigung als verhältnismäßig. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der Kläger durch die Schreiben der Beklagten vom 06.02.2006 und 30.06.2008 einschlägig abgemahnt gewesen sei.
36Einer Abmahnung dahingehend, dass im Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeitszeiten kein unvollständiger und damit falscher Sachverhalt mitgeteilt werden dürfe, der die Vorstellung einer Zahlungsverpflichtung für den betreffenden Zeitraum beim Arbeitgeber erwecke, habe es nicht bedurft. Es müsse jedem Arbeitnehmer klar sein, dass ein diesbezüglicher Betrugsversuch von einem Arbeitgeber nicht hingenommen werde, sondern zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Auch die konkreten Umstände des Einzelfalles sprächen gegen den Kläger. Dem Kläger möge zugestanden werden, dass er in der Phase der Inhaftierung und kurz danach psychisch angeschlagen gewesen sei. Dem Kläger sei jedoch anzulasten, dass er die Aufforderungen zur Stellungnahme durch die Beklagte vom 25.03.2009 gerade nicht zum Anlass genommen habe, den Sachverhalt vollständig und korrekt aufzuklären.
37Stattdessen habe er die Beklagte bewusst getäuscht.
38Ergänzend wird auf die Begründung des Urteils erster Instanz Bl. 61 65 d. GA. Bezug genommen.
39Gegen dieses dem Kläger am 07.10.2009 zugestellte Urteil erster Instanz hat der Kläger am 23.10.2009 Berufung eingelegt und seine Berufung sodann am 02.12.2009 mit Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim Landesarbeitsgericht begründet.
40Der Kläger macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine außerordentliche fristlose Kündigung durch das Fehlverhalten des Klägers nicht als gesetzt angesehen werden könnten. Der Wille des Klägers sei ausschließlich darauf gerichtet gewesen, die von ihm wie nachvollziehbar sei als äußerst peinlich empfundene Inhaftierung vor seinem Arbeitgeber und letztlich auch vor seinen Kollegen geheim zu halten, nicht mehr und nicht weniger. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts und der Einschätzung der Beklagten habe der Kläger damit keinerlei materielle Ziele verfolgt. Das Arbeitsgericht unterstelle dem Kläger, er habe durch das Verschweigen der Inhaftierung es auf den Krankengeldzuschuss abgesehen. Hierum sei es dem Kläger nicht gegangen. Der Kläger habe allein durch sein Verhalten erreichen wollen, dass seine Inhaftierung dem Arbeitgeber und seinen Kollegen nicht bekannt werde.
41Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Kläger seine behandelnden Ärzte aufgefordert habe, ihm die durchgehende Erkrankung auch während der Zeit der Inhaftierung zu attestieren.
42Gegen die fristlose Kündigung sprächen im Übrigen die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers sowie seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und gegenüber vier Kindern.
43Der Kläger beantragt,
44das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.09.2009 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.05.2009 nicht beendet wurde, sondern zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht.
45Die Beklagte beantragt,
46die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
47Die Beklagte verteidigt unter Vertiefung ihres Sachvortrags erster Instanz das Urteil des Arbeitsgerichts. Der Kläger habe es von Anfang an darauf abgesehen, die Beklagte zu täuschen. Er habe weder gegenüber seinem damaligen Bevollmächtigten noch gegenüber den ihn behandelnden Ärzte die korrekte Geschichte mit seiner Inhaftierung erzählt. Sein gesamtes Verhalten sei von der Hinhalte- und Täuschungstaktik im Zusammenhang mit dieser Inhaftierung geprägt.
48Die Beklagte halte an ihrer Auffassung fest, dass das Attest des behandelnden Ärzte vom 13.03.2008 nur als "Gefälligkeitsattest" gewertet werden könne.
49Dem Kläger sei auch bekannt, dass er nach Ablauf des Zeitraums der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für krankheitsbedingte Ausfallzeiten einen Krankengeldzuschuss erhalte. Dieser belaufe sich auf 0,50 pro Tag. Die Aussage des Klägers, er habe niemals einen solchen Krankengeldzuschuss von der Beklagten erhalten, sei schlichtweg falsch.
50Nach den Verhaltensweisen des Klägers sei davon auszugehen, dass dieser bewusst es darauf angelegt habe, bei der Beklagten den Eindruck zu erwecken, dass er durchgehend krankgeschrieben sei. So sei es der Kläger gewesen, der selbst am 03.03.2009 sich telefonisch krankgemeldet habe. Am 05.03.2009 habe sodann sein Bruder auf die Erkrankung hingewiesen. Der Bruder des Klägers habe dabei eine Erkrankung bis zum 10.03. angegeben und mitgeteilt, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgeschickt sei. Am 16.03.2009 habe sich der Kläger gemeldet, um nachzufragen, ob die Bescheinigung inzwischen eingetroffen sei. Am 17.03. sei dann die Vorlage des Attestes vom 13.03.2009 erfolgt. Diese gesamte Verhaltensweise lasse nur den Schluss zu, dass er die Beklagte mit seinen Hinweisen auf die angebliche Erkrankung habe täuschen wollen. Der vom Kläger vorgebrachte Grund, er habe aus Scham seine Inhaftierung verschweigen wollen, sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger habe während seiner Beschäftigung keinen Hinweis dafür geliefert, dass ihm an einem unbelasteten Arbeitsverhältnis gelegen sei. Durch Hinweisschreiben, Ermahnungen und Abmahnungen sei er immer wieder auf seine Arbeitspflichten hingewiesen worden. Auch sein außerdienstliches Verhalten, über das der Arbeitgeber von Seiten zahlreicher Gläubiger und der Staatsanwaltschaft informiert worden sei, sei nicht geeignet, den Kläger als den angepassten und stets redlichen aber unverstandenen Mitarbeiter darzustellen. Gegen den Kläger sei vielmehr bereits am 14.07.2008 ein Haftbefehl ergangen, nachdem er 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe hätte verbüßen müssen. Durch Zahlung der Geldbuße sei er seinerzeit der Inhaftierung entgangen.
51Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles könne daher auch eine Interessenabwägung nicht zu Gunsten der Person des Klägers ausfallen. Das Arbeitsvertragsverhältnis der Parteien sei zudem durch die zuvor ausgesprochen gewesenen Abmahnungen bereits belastet gewesen.
52Wegen des sonstigen Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten sowie die gewechselten Schriftsätze beider Instanzen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
53E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
54I. Die Berufung ist zulässig.
55Der Kläger hat gegen das ihm am 07.10.2009 zugestellte Urteil erster Instanz fristwahrend am 23.10.2009 Berufung eingelegt und seine Berufung sodann mit der am 02.10.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufungsbegründungsschrift fristwahrend begründet.
56Die Berufungsbegründung des Klägers setzt sich im Einzelnen mit dem Urteil des Arbeitsgerichts auseinander und erweist sich damit als ein ordnungsgemäß eingelegtes und begründetes Rechtsmittel.
57II. Die Berufung ist begründet.
58Die Kündigung der Beklagten vom 07.05.2009 ist nicht geeignet, das Arbeitsvertragsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos zu beenden.
59Die Kündigung erweist sich bereits unter Berücksichtigung des durchgeführten Anhörungsverfahrens gegenüber dem Gesamtbetriebsrat vor Ausspruch der Kündigung als fehlerhaft. Die Kündigung ist auch materiell-rechtlich nicht wirksam, weil es an einem für die Kündigung ausreichenden außerordentlichen Kündigungsgrund fehlt; jedenfalls hat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ausnahmsweise die Kündigung bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zurückzutreten.
601. Das gegenüber dem Gesamtbetriebsrat durchgeführte Anhörungsverfahren vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung ist zu beanstanden. Die fehlerhafte Anhörung des Gesamtbetriebsrats führt zur Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung.
61Die Beklagte hat zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung das Anhörungsverfahren gegenüber dem Gesamtbetriebsrat der Beklagten mit Schreiben vom 29.04.2009 eingeleitet und in der Anlage zur Personalratsanfrage die erforderlichen genauen Sozialdaten des Klägers nicht angegeben.
62In der Anlage zur Personalratsanfrage vom 29.04.2009 ist lediglich aufgeführt, dass der Kläger am 09.09.1977 geboren und seit dem 01.08.2000 für die Beklagte tätig ist. Angaben zum Familienstand und insbesondere zu den Unterhaltspflichten für die vier minderjährigen Kinder des Klägers gehen aus der Anlage zur Personalratsanfrage vom 29.04.2009 nicht hervor.
63Die danach unterbliebenen Mitteilung zum Familienstand und den Unterhaltspflichten des Klägers führt zur Unwirksamkeit der Personalratsanhörung.
64Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, den Betriebsrat bzw. den Personalrat über den Familienstand und die Unterhaltspflichten des zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers zu unterrichten, weil diese Gesichtspunkte bei personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen regelmäßig im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG bzw. § 626 Abs. 1 BGB notwendigen Interessenabwägung Berücksichtigung finden können (BAG, Urteil vom 26.09.2002 2 AZR 424/01, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37; BAG, Urteil vom 23.04.2009 6 AZR 516/08, NZA 2009, 960). Der Arbeitgeber braucht ausnahmsweise nur dann den Betriebsrat bzw. den Personalrat über diese Sozialdaten nicht zu informieren, wenn und soweit diese Gesichtspunkte für den Betriebsrat erkennbar für seinen Kündigungsentschluss völlig unmaßgeblich gewesen sind. Dies nimmt das Bundesarbeitsgericht beispielsweise im Falle einer Betriebsstilllegung oder bei Kündigungen während der Wartezeit an. Gleiches soll bei verhaltensbedingten Kündigungen gelten, wenn es dem Arbeitgeber wegen der besonderen Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Sozialdaten ersichtlich nicht ankommt, sofern der Betriebsrat bzw. der Personalrat die ungefähren Daten kennt (BAG, Urteil vom 23.04.1999 6 AZR 516/08, a. a. O.).
65Weder kann im Streitfall von einer derartigen besonderen Schwere der Kündigungsvorwürfe ausgegangen werden noch sind Anhaltspunkte ersichtlich, die erkennen ließen, dass dem Betriebsrat wenigstens die ungefähren Sozialdaten des betroffenen Arbeitnehmers bekannt gewesen wären. Dass die Sozialdaten des Klägers erheblich ins Gewicht fallen, wenn durch eine Kündigung der Arbeitsplatz verloren geht, ist im Streitfall nicht in Zweifel zu ziehen. Der Kläger ist verheiratet, Alleinverdiener und für vier minderjährige Kinder unterhaltspflichtig. Hiernach ist auch für den Beklagten als Arbeitgeber bei den Vorwürfen, um die es im Streitfall geht, jedenfalls eine Interessenabwägung geboten, so dass nicht angenommen werden kann, dass es dem Arbeitgeber auf soziale Gesichtspunkte gar nicht angekommen sei. Nochmals sei wiederholt, dass nichts dafür dargetan ist, dass dem Gesamtpersonalrat jedenfalls die ungefähren Sozialdaten des Klägers bekannt gewesen wären.
66Damit führt bereits das nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörungsverfahren gegenüber dem Gesamtpersonalrat dazu, dass die Kündigung der Beklagten vom 07.05.2009 das Vertragsverhältnis der Parteien nicht hat beenden können.
672. Die Kündigung erweist sich zudem auch materiell-rechtlich nicht als gerechtfertigt.
68Die Beklagte macht geltend, dass der Kläger die Beklagte durch seine unvollständigen Informationen im Zusammenhang mit seinem Nichterscheinen am Arbeitsplatz im Zeitraum 02.03.2009 bis zu den eigentlichen Gründen seines Nichterscheinens am Arbeitsplatz ab dem 03.03.2009 die Beklagte getäuscht habe und durch diese Täuschung die Vertrauensbasis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses endgültig zerstört habe.
69Hinzu komme, dass der Kläger mit diesem seinem Verhalten es auch jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, dass die Beklagte sich als verpflichtet hätte ansehen können, an den Kläger wegen angeblicher Erkrankung ein Krankengeldzuschuss zu zahlen, der dem Kläger wegen der Tatsache der Inhaftierung keinesfalls zugestanden hätte.
70Die Beklagte wirft dem Kläger zu Recht vor, dass er durch die von ihm gemachten Angaben die Beklagte getäuscht hat. Eine Täuschungshandlung, die zudem auch noch geeignet ist, Vermögensinteressen des Arbeitgebers wenn auch im geringfügigen Umfang zu beeinträchtigten, stellen grundsätzlich ein Fehlverhalten dar, das an sich geeignet sein kann, einen wichtigen Grund auch zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu setzen. Dennoch bestehen diesbezüglich im Streitfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles Bedenken. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Beklagte gegenüber dem Gesamtpersonalrat in dessen Anhörung für die Kündigung nicht auf die Gefährdung der Vermögensinteressen durch die unkorrekten und verschleiernden Angaben des Klägers zum eigentlichen Grund seines Fehlens der Inhaftierung hingewiesen hat. Hieraus leiten Bedenken ab, ob für den Ausspruch der Kündigung die Gefährdung der Vermögensinteressen der Beklagten Berücksichtigung finden kann, weil zu diesem Teil der Kündigungsbegründung es an einer ordnungsgemäßen Information des Gesamtpersonalrats fehlte. Selbst wenn diese formalen Bedenken allerdings nicht zu Buche schlagen, erscheint unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der gegen den Kläger erhobene Vorwurf nicht ausreichend, um hieraus einen Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung des Klägers abzuleiten. Dies ergibt sich aus den nicht widerlegbaren Einlassungen des Klägers zu den Gründen für sein Verhalten. Es ist nachvollziehbar, wenn der Kläger in dem ohnehin belasteten Arbeitsverhältnis mit seiner Inhaftierung und der Offenlegung dieses Umstandes keine Gründe setzen wollte, bei denen er den Verlust des Arbeitsplatzes befürchtete. Dass der Kläger gemeint hat weil er sich durchgehend psychisch erkrankt wähnte mit dem ärztlichen Attest der ihn behandelnden Ärzte vom 13.03.2009 eine ausreichende weitere Erklärung für sein Nichterscheinen am Arbeitsplatz angeben zu können und somit seine Inhaftierung nicht angeben zu müssen, ist dem Kläger nicht ohne Weiteres und uneingeschränkt vorwerfbar. Jedenfalls ist es nicht widerleglich, dass der Kläger sich wegen seiner Inhaftierung geschämt hat und dass dies der eigentliche Grund dafür war, die Inhaftierung gegenüber dem Arbeitgeber und seinen Arbeitskollegen nicht offen zu legen. War dies aber der Fall und dies ist dem Kläger nicht zu widerlegen so weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass es ihm jedenfalls nicht um eine Vermögensschädigung im Umfang des Krankengeldzuschusses von 0,50 pro Tag gegangen ist.
71Damit hat der Kläger eine nicht zu widerlegende Erklärung für sein Fehlverhalten gegeben, die jedenfalls die Gewichtung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in einem anderen Licht erscheinen lässt.
72Die Beklagte ist allerdings als kündigende Partei darlegungs- und beweispflichtig für die gesamten Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein sollen, die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
73Damit trifft den Kündigenden auch die Darlegungs- und Beweislast für die Entkräftung derjenigen tatsächlichen Umstände, die entlastende Gesichtspunkte beim Fehlverhalten ausschließen (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 06.09.2007 2 AZR 264/06, AP BGB § 626 Nr. 208).
74Unter Berücksichtigung der nicht widerleglichen Einlassung des Klägers zu den Gründen seines Verhaltens erweist sich das Fehlverhalten des Klägers insgesamt als ein solches, welches auf eine Abmahnung nicht verzichten lässt, zumal dieses Fehlverhalten mit zuvor abgemahnten Vorwürfen gegen den Kläger nicht vergleichbar ist.
75Demzufolge ist das Fehlverhalten des Klägers insgesamt nicht geeignet, um unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Kündigung der Beklagten vom 07.05.2009 rechtfertigen zu können.
763. Aus den vorgenannten Erwägungen erweist sich jedenfalls unter Berücksichtigung all dieser Umstände des Einzelfalles nach der gebotenen umfassenden Interessenabwägung die streitbefangene Kündigung als unwirksam. Wenn nämlich ein an sich geeigneter Grund zur Rechtfertigung einer Kündigung vorliegt, kann eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gleichwohl nur dann den Arbeitsvertrag beenden, wenn es sich bei einer umfassenden Interessenabwägung ergibt, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Verhältnis zu dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG, Urteil vom 27.04.2006 2 AZR 415/05, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Die bei der Interessenabwägung dabei zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt es auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreien Bestand an. Darüber hinaus sind die Unterhaltspflichten und das Lebensalter des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Weiter sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkung der Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Jedenfalls der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist nicht als so gewichtig anzusehen. Gründe für eine Wiederholungsgefahr im Sinne der Vertuschung einer neuerlichen Inhaftierung des Klägers sind eher auszuschließen. Dass der Kläger sich zu seinen Fehlverhaltensweisen deshalb entschlossen hat, weil er seine Inhaftierung nicht hat offenlegen wollen und sich deshalb geschämt hat, ist wie dargelegt nicht widerleglich. Die bestehenden Unterhaltsverpflichtungen des Klägers gegenüber der Ehefrau und den vier minderjährigen Kindern als Alleinverdiener ist beträchtlich. Hiernach hat(ist?) auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich das Arbeitsverhältnis insgesamt nicht als unbelastet darstellt, bezogen auf den Einzelfall ein vorrangiges Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bejahen, so dass das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers zurückzutreten hat.
774. Nach alledem vermag das Urteil des Arbeitsgerichts nicht bestätigt zu werden. Die Kündigung der Beklagten vom 07.05.2009 hat das Arbeitsvertragsverhältnis der Parteien nicht beendet.
78Dies war unter Abänderung des Urteils erster Instanz auf die Berufung des Klägers hin festzustellen.
79III. Die Beklagte ist im Rechtsstreit unterlegen und hat daher die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 ZPO.
80IV. Die Entscheidung des Rechtsstreits beruht auf den Umständen des Einzelfalles. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Kammer hat aus diesen Gründen die Revision nicht zugelassen.
81R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
82Gegen dieses Urteil ist für die Partei ein Rechtsmittel nicht gegeben.
83Gegen dieses Urteil ist für mangels ausdrücklicher Zulassung die Revision nicht statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde beim
84Bundesarbeitsgericht
85Hugo-Preuß-Platz 1
8699084 Erfurt
87Fax: (0361) 2636 - 2000
88anzufechten auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.
89Jüngst Bönders Hagedorn
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