Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 1 Ta 153/12
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 27.03.2012 (3 Ca 1820/11 h) abgeändert.
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Westerath aus Mönchengladbach unter den in dem Beschluss vom 27.03.2012 genannten Voraussetzungen auch hinsichtlich des Mehrwerts des Vergleichs vom 20.09.2011 (3 Ca 1820/11 h) bewilligt.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger beansprucht die Erstreckung der ihm gewährten Prozesskostenhilfe auch auf den Mehrwert des in der Sache geschlossenen Vergleichs.
4Mit Klageschrift vom 11.05.2011, die am 20.05.2011 zugestellt wurde, erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentliche Kündigung vom 06.05.2011 und beantragte mit Schriftsatz vom 22.08.2011 für die Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Im Kammertermin am 20.09.2011 schlossen die Parteien einen Vergleich, der u. a. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vorsah und darüber hinaus regelte, dass Urlaubsansprüche und sonstige "Freizeitguthaben" des Klägers vollständig verbraucht seien. Mit Beschluss vom 28.10.2011 setzte das Arbeitsgericht Aachen den Streitwert für das Verfahren auf 17.050,00 und für den Vergleich auf 31.813,17 fest.
5Nachdem der Kläger auf Hinweis des Gerichts fehlende Unterlagen zu den Akten gereicht hatte, bewilligte das Arbeitsgericht Aachen mit Beschluss vom 27.03.2012 Prozesskostenhilfe mit monatlicher Ratenzahlung und ordnete den Prozessbevollmächtigten des Klägers bei. Im Rahmen der Abrechnung der PKH-Vergütung lehnte das Arbeitsgericht Aachen die Berücksichtigung des höheren Streitwerts für den Mehrwert des Vergleichs ab.
6Mit Schriftsatz vom 26.04.2012 hat der Kläger gegen den Prozesskostenhilfebeschluss vom 27.03.2012 sofortige Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, die Prozesskostenhilfe sei auch auf den Mehrwert des Vergleichs zu erstrecken. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht Aachen mit Nichtabhilfeentscheidung vom 03.05.2012 mit der Begründung abgelehnt, ein ausdrücklicher PKH-Antrag für den Mehrvergleich sei nicht gestellt worden und von einem stillschweigenden Antrag könne nicht ausgegangen werden.
7II.
8Die sofortige Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfebeschluss vom 27.03.2012 ist gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2 u. 3, 569 ZPO, 11 a Abs. 3, 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
9Die dem Kläger gemäß § 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 11 a Abs. 3 ArbGG zu bewilligende Prozesskostenhilfe hat sich auch auf die in dem Vergleich vom 20.09.2011 geregelten, zusätzlichen Streitpunkte zu erstrecken. Die Bewilligungsvoraussetzungen liegen auch insoweit vor. Der angefochtene Beschluss vom 27.3.2012, der nach der eigenen Interpretation des Arbeitsgerichts eine diesbezügliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht enthält, ist insoweit zu erweitern.
101. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für den Mehrvergleich scheitert nicht an einem Antrag des Klägers.
11- Voraussetzung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß §§ 114 Satz 1, 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 11 a Abs. 3 ArbGG ein gesonderter PKH-Antrag. Das Arbeitsgericht Aachen ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass diese Antragsvoraussetzung uneingeschränkt auch für einen Vergleich gilt, der Regelungsgegenstände enthält, die zu einem Mehrwert führen (LAG Köln v. 27.04.2009 7 Ta 102/08 -; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Auflage 2012, § 119 Rn 25). Einen ausdrücklichen Antrag für diejenigen Regelungsgegenstände, die über den Streitgegenstand des Prozesses hinaus gehen, hat der Kläger bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gestellt.
- Es entspricht allerdings ganz überwiegender Auffassung, dass auch im Prozesskostenhilfeverfahren eine konkludente Antragstellung möglich ist (BAG v. 16.02.2012 3 AZB 34/11 - [obiter dictum ]; LAG Köln, v. 08.03.2012 5 Ta 129/11 -; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Auflage 2012, § 114 Rn 14; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 6. Auflage 2012, Rn 79). Die Möglichkeit konkludenter Antragstellung ergibt sich daraus, dass ein PKH-Antrag i.S.v. § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Prozesshandlung darstellt. Prozesshandlungen sind ebenso wie private Willenserklärungen der Auslegung zugänglich, wobei gerade im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein großzügiger Maßstab anzulegen ist, auch dann, wenn die Partei anwaltlich vertreten ist (BAG v. 13.12.2007 2 AZR 818/06 NZA 2008, 589; LAG Köln v. 22.09.2010 1 Ta 240/10 -; vgl. auch LAG Köln v. 08.03.2012 5 Ta 129/11 -). Mangels besonderer Anhaltspunkte ist danach in der Regel davon auszugehen, dass eine Partei, die einen PKH-Antrag gestellt hat, diesen auch auf den Mehrwert eines im weiteren Verlauf des Prozesses geschlossenen Vergleichs erstreckt wissen will, von dem weitere Gegenstände erfasst werden, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Streitgegenstand stehen. Denn die ausdrückliche Erstreckung des PKH-Antrags ist in diesen Fällen regelmäßig nur vergessen worden (LAG Köln v. 18.04.1996 4 Ta 265/95 LAGE § 127 ZPO Nr. 25; LAG Baden-Württemberg v. 01.10.2010 18 Ta 3/10 bei juris; LAG Düsseldorf v. 12.01.2010 3 Ta 581/09 -, OLG Zweibrücken v. 10.08.2006 5 WF 99/06 NJW RR 2007, 7; LAG Köln v. 08.03.2012 5 Ta 129/11 -; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, a.a.O. Rn 511 u. Rn 80 Fn 19; Tiedemann ArbRB 2012, 193 ff (195)). Sollten im Einzelfall für das Gericht Zweifel bleiben, hat das Gericht gemäß § 139 ZPO für Klarstellung zu sorgen (LAG Köln v. 08.03.2012 5 Ta 129/11 -; Tiedemann ArbRB 2012, 193, 195).
- Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist davon auszugehen, dass sich vorliegend der ursprüngliche Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten auch auf die im Termin am 20.09.2011 über den eigentlichen Streitgegenstand des Prozesses hinausgehenden Fragen von Urlaubsabgeltung und Überstundenvergütung bzw. Freizeitausgleich erstrecken sollte. Besondere Umstände, die einer solchen Auslegung des PKH-Antrages des Klägers entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil. Auf Grund der Interessenlage des Klägers spricht alles dafür, dass er auch für die zusätzlich geregelten Vergleichsgegenstände, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der vereinbarten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses standen, keine Kosten übernehmen wollte und davon ausging, dass die zusätzlichen Streitpunkte von dem erst einen Monat zuvor gestellten PKH-Antrag abgedeckt waren.
2. Der Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Mehrvergleich steht vorliegend auch nicht entgegen, dass mit der Bestandskraft des Vergleichs die Instanz beendet war. Die konkludente Antragstellung ist vor Beendigung der Instanz erfolgt. Überdies hatte das Gericht Fristen zur Beibringung von fehlenden Unterlagen gesetzt und selbst erst nachträglich über die Prozesskostenhilfe entschieden. In einem solchen Fall ist anerkannt, dass auch nach Abschluss der Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann ( BAG v. 3.12.2003 2 AZB 19/03 MDR 2004, 415; LAG Köln v. 13.3.2009 4 Ta 76/09 LAGE § 118 ZPO 2002, Nr. 2).
153. Hinsichtlich der zusätzlich in den Vergleich einbezogenen Streitpunkte waren auch die Bewilligungsvoraussetzungen des § 114 Satz 1 ZPO erfüllt. Wird Prozesskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs beantragt, so kommt es für die erforderliche Erfolgsaussicht nicht darauf an, ob der Prozesspartei - wäre über den zusätzlich in den Vergleich einbezogenen Gegenstand ein Prozess geführt worden - Erfolgsaussichten zur Seite stünden. Die Erfolgsaussicht ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Vergleich zustande gekommen ist (BAG v. 16.02.2012 3 AZB 34/11 Rn 21; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, a.a.O., Rn 160). Die Einbeziehung der außerhalb des Rechtsstreits liegenden Gegenstände in die vergleichsweise Regelung war auch nicht mutwillig i.S.v. § 114 ZPO. Im Hinblick darauf, dass Urlaubsabgeltung und Überstundenvergütung außergerichtlich vom Kläger eingefordert worden sind, war es naheliegend, diese Streitpunkte in den gerichtlichen Vergleich einzubeziehen.
16III.
17Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
18Dr. vom Stein
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