Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 7 Sa 456/12
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 02.03.2012 in Sachen5 Ca 265/12 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Erhöhung der monatlichen Arbeitszeit gemäß § 9 TzBfG mit Wirkung zum 01.11.2011 auf monatlich mindestens 160 Stunden zuzustimmen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 795,96 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins der EZB seit dem 01.02.2012 zu zahlen (Lohndifferenzen für den Zeitraum November 2011 bis Januar 2012).
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um ein auf § 9 TzBfG gestütztes Verlangen der Klägerin, ihre Arbeitszeit auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis aufzustocken.
3Die am 1977 geborene Klägerin steht seit dem 06.04.2009 als Mitarbeiterin in der Flugsicherheitskontrolle am Flughafen K in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Laut Arbeitsvertrag der Parteien ist eine Teilzeitbeschäftigung mit regelmäßig 120 Stunden im Monat vereinbart. Der aktuelle Stundenlohn beträgt 12,31 € brutto.
4Am 02.11.2011 stellte die Klägerin schriftlich und mündlich einen Antrag auf Aufstockung ihrer Arbeitszeit auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit 160 Monatsstunden mit Wirkung ab 01.11.2011. Dieses Verlangen wurde von der Beklagten abgelehnt, weil diese grundsätzlich nur Teilzeitmitarbeiter mit einem Beschäftigungsumfang von höchstens 120 Monatsstunden beschäftigen will.
5In den Monaten November 2011 bis Januar 2012 verdiente die Klägerin insgesamt 795,96 € brutto weniger als dies dem Verdienst einer Vollzeitkraft mit 160 Monatsstunden entsprochen hätte.
6Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
71) die Beklagte zu verurteilen, ihrem Arbeitszeiterhöhungsverlangen gemäß § 9 TzBfG zum 01.11.2011 auf monatlich mindestens 160 Stunden zuzustimmen;
82) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 795,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2012 zu bezahlen (Lohndifferenzen November 2011 bis Januar 2012).
9Die Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte hat den Standpunkt vertreten, dass die Voraussetzungen des § 9 TzBfG nicht vorlägen. Sie stelle ausschließlich neue Mitarbeiter auf der Basis von höchstens 120 Wochenstunden ein und beschäftige im Übrigen– soweit nicht durch Gerichtsurteile Vollzeitbeschäftigungen erzwungenwurden – ausschließlich Teilzeitkräfte.
12Mit Urteil vom 02.03.2012 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Köln die Klage abgewiesen. Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 13.04.2012 zugestellt. Sie hat hiergegen am 04.05.2012 Berufung eingelegt und ihre Berufung am 04.06.2012 begründet.
13Die Klägerin führt aus, die Beklagte verweigere die Aufstockung der Arbeitszeit nur mit der grundsätzlichen Erwägung, dass sie keine Teilzeitkräfte beschäftigen wolle, könne hierfür aber keine stichhaltigen arbeitsplatzbezogenen Gründe benennen. Ob die Personalanforderungen der Bundespolizei mit Vollzeitkräften oder Teilzeitkräften abgedeckt würden, sei organisatorisch unerheblich, zumal die Beklagte sich in einer Betriebsvereinbarung verpflichtet habe, nur Schichten mit mindestens 6 Arbeitsstunden zu fahren. Dass ein Bedarf an Arbeitskraft bestehe, zeigten die von der Beklagten fortlaufend vorgenommenen Neueinstellungen.
14Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
15unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln, Aktenzeichen 5 Ca 265/12 vom 02.03.2012,
161) die Beklagte zu verurteilen, der Erhöhung der monatlichen Arbeitszeit gemäß § 9 TzBfG mit Wirkung zum 01.11.2011 auf monatlich mindestens 160 Stunden zuzustimmen;
172) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 795,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2012 zu bezahlen (Lohndifferenzen für den Zeitraum November 2011 bis Januar 2012).
18Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Die Beklagte bekräftigt ihren Standpunkt, dass sie aus grundsätzlichen Erwägungen nur Teilzeitbeschäftigte mit nicht mehr als 120 Wochenstunden beschäftigen möchte. Dies sei aus organisatorischen Gründen geboten, da die Personalanforderungen durch ihren Vertragspartner, die Bundespolizei, von Stunde zu Stunde und von Monat zu Monat starken Schwankungen unterworfen seien. Dabei sei sie auf Grund entsprechender gerichtlicher Entscheidungen schon jetzt verpflichtet, 101 von 419 Mitarbeitern mit 160 Stunden monatlich einzuplanen. Neueinstellungen würden dementsprechend nur noch in geringem Umfang von circa 10 Mitarbeitern und auf 120 Stundenbasis vorgenommen. Es stehe zu befürchten, dass im November diesen Jahres ein Punkt erreicht werde, an dem auf Grund personeller Überkapazität Kündigungen ausgesprochen werden müssten.
21Wegen des vollständigen Inhalts der Berufungsbegründungsschrift der Klägerin, der Berufungserwiderungsschrift der Beklagten sowie der weiteren Schriftsätze der Klägerin vom 01.08.2012 sowie der Beklagten vom 14.08. und 21.08.2011 wird Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.
24II. Die Berufung musste auch Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Die vom Arbeitsgericht hierfür gegebene Kurzbegründung vermag das Ergebnis nicht zu rechtfertigen.
25Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts einen Anspruch auf Aufstockung ihres Arbeitsvertrages auf eine Vollzeitbeschäftigung im Umfang von (mindestens) 160 Stunden monatlich nach Maßgabe von § 2 Ziffer 1 des Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005.
26Zunächst verweist das Berufungsgericht wegen der rechtlichen Einzelheiten auf die beiden Parteien hinlänglich bekannte Rechtsprechung des Berufungsgerichts in einschlägigen Parallelfällen, insbesondere auf die Entscheidungen der Berufungskammer selbst vom 09.07.2009 in Sachen7 Sa 1386/08, auf die Entscheidung vom 30.09.2010 in Sachen 7 Sa 952/10 sowie auf die Entscheidung vom 21.04.2011 in Sachen 7 Sa 24/11. Hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerden wurden durch das Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen. Die Entscheidungen sind rechtskräftig.
27Von dieser bisherigen Rechtsprechung zu § 9 TzBfG abzuweichen besteht jedenfalls bislang kein ausreichender Grund.
28Konzentriert zusammengefasst gilt das Folgende:
291. Die Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin aus § 9 TzBfG auf Aufstockung ihrer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit 160 Monatsstunden sind vollständig erfüllt.
30a. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin bislang als Teilzeitkraft bei der Beklagten beschäftigt war. Dies dokumentiert auch die arbeitsvertragliche Arbeitszeitvereinbarung, die sich auf regelmäßig 120 Stunden monatlich bezieht.
31b. Die Klägerin hat ihr Aufstockungsbegehren unstreitig am 02.11.2011 schriftlich und mündlich geltend gemacht. Es wurde von der Beklagten abgelehnt.
32c. Es wäre der Beklagten möglich gewesen, der Klägerin zum 02.11.2011 einen entsprechenden Vollzeitarbeitsplatz mit einer Arbeitszeitverpflichtung von 160 Stunden zuzuweisen. Wenn die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Köln demgegenüber die Auffassung vertritt, die Klägerin habe nicht hinreichend dargelegt, dass ein entsprechender freier Vollzeitarbeitsplatz vorhanden gewesen sei, der im Sinne von § 9 TzBfG zur Besetzung angestanden hätte, so verkennt sie die Besonderheiten der vorliegenden Fallkonstellation und die Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, die dieses in seinem Urteil vom 15.08.2006, 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255 ff. entwickelt hat.
33Den Ausführungen der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass zur Zeit und insbesondere im Zeitpunkt des Aufstockungsverlangens der Klägerin im November 2011 nicht genügend Beschäftigungsbedarf für eine entsprechende Vollzeitbeschäftigung zur Verfügung gestanden hätte. Die Beklagte hat zwar angekündigt, dass im November 2012 ein Punkt erreicht werden könnte, in welchem ein Arbeitskräfteüberhang gegeben sei. Gegenwärtig und erst recht im Zeitpunkt des Aufstockungsverlangens der Klägerin in November 2011 war dies, soweit ersichtlich, jedoch noch nicht der Fall. Dagegen spricht auch, was die Beklagte selbst einräumt, nämlich dass zur Zeit weiterhin noch Neueinstellungen vorgenommen werden.
34d. Die wesentliche Rechtsverteidigung der Beklagten will vielmehr darauf hinaus, dass § 9 TzBfG grundsätzlich nicht zur Anwendung kommen könnte; denn sie, die Beklagte, habe die freie unternehmerische Entscheidung getroffen, in ihrem Betrieb ausschließlich Teilzeitkräfte zu beschäftigen.
35aa. Zwar obliegt die Gestaltung der Arbeitsorganisation eines Betriebes der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers. Dazu gehört grundsätzlich auch die Entscheidung, in welchem Umfang der vorhandene Arbeitsbedarf durch Vollzeitkräfte und Teilzeitkräfte abgedeckt werden soll.
36bb. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber jedoch durch die Einführung der §§ 8 und 9 TzBfG die Freiheit der unternehmerischen Entscheidung, einen Arbeitnehmer auf einem Teilzeitarbeitsplatz oder auf einem Vollzeitarbeitsplatz zu beschäftigen, eingeschränkt. Die gesetzgeberische Entscheidung, den Arbeitnehmern die Rechte aus § 8 TzBfG und – spiegelbildlich – aus § 9 TzBfG zuzubilligen, liefe jedoch leer, wenn der Arbeitgeber sich gegenüber der Geltendmachung solcher Rechte uneingeschränkt darauf berufen könnte, er habe die freie, nur auf Willkür zu hinterfragende unternehmerische Entscheidung getroffen, er wolle in seinem Unternehmen eben nur Vollzeitkräfte oder – wie hier – nur Teilzeitkräfte beschäftigen.
37cc. Dem Rechnung tragend hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 15.08.2006 den Grundsatz aufgestellt, dass es eben nicht einer freien, allenfalls auf Willkür hin zu überprüfenden unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers überlassen ist, generell nur Teilzeitstellen oder nur Vollzeitstellen einzurichten. Vielmehr kann der Arbeitgeber einem Aufstockungsverlangen nach § 9 TzBfG nur dann die Entscheidung entgegen halten, er wolle in dem entsprechenden Arbeitsbereich generell nur Teilzeitstellen vorhalten, wenn dies durch arbeitsplatzbezogene Gründe gerechtfertigt werden kann (BAG, a. a. O.).
38dd. Das Gericht kann anhand der Darlegungen der Beklagten in der Berufungsbegründung zwar nachvollziehen, dass sich die Beklagte ihrem Vertragspartner Bundespolizei gegenüber offenbar Regularien unterworfen hat, die zu starken Schwankungen in den Personalanforderungen führen, deren Bewältigung einen hohen organisatorischen Aufwand erfordert. Warum die Organisation des Personaleinsatzes aber nur mit Teilzeitkräften möglich sein soll, hat die Beklagte nach wie vor nicht ausreichend verdeutlichen können. Dies gilt umso mehr, als sie sich in einer Betriebsvereinbarung dazu verpflichtet hat, einzelne Schichten nur mit mindestens 6 Arbeitsstunden zu fahren. Zudem hat die Beklagte in der Vergangenheit, wie aus den zahlreichen früheren Parallelverfahren gerichtsbekannt ist, in einer Vielzahl von Fällen Mitarbeiter über lange Zeitstrecken in einem Umfang von – teilweise weit – mehr als 160 Monatsstunden eingesetzt, ohne durch gerichtliche Vorgaben hierzu gezwungen gewesen zu sein. Da nicht ersichtlich nicht, dass zwischen der Beklagten und ihrem Auftraggeber Bundespolizei in der Vergangenheit andere Regeln geherrscht haben als heute, widerlegt dieser Umstand gerade die Behauptung der Beklagten, die Gestaltung des Arbeitseinsatzes sei auf Grund der arbeitsplatzbezogenen Besonderheiten nur mit Teilzeitkräften möglich.
392. Hätte die Beklagte dem Aufstockungsbegehren der Klägerin somit bereits im November 2011 stattgeben können, so ist sie auch unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges, hilfsweise des Schadensersatzes, zur Zahlung der Differenzvergütung zwischen den tatsächlich gezahlten Löhnen und der sich auf 160 Monatsstunden beziehenden Vergütung verpflichtet. Rechnerisch sind die Forderungen der Klägerin nicht zu beanstanden.
40III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
41Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.
42RECHTSMITTELBELEHRUNG
43Gegen dieses Urteil ist ein weiteres Rechtsmittel nicht zugelassen.
44Auf § 72 a ArbGG wird Bezug genommen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.