Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 4 TaBV 61/13
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 26.07.2013– 19 BV 226/13 – wird zurückgewiesen
1
G r ü n d e :
2Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.
3A. Zum Rechtlichen gilt Folgendes:
4I. Das Arbeitsgericht hat unter II.1a. seiner Gründe bereits die nach § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG geltenden Maßstäbe zur Bestellung einer Einigungsstelle und insbesondere zu dem Begriff „offensichtliche Unzuständigkeit“ zutreffend ausgeführt.
5Diesen Maßstäben entspricht es auch, dass „offensichtlich unzuständig“ im Sinne des § 98 Abs. 1 ArbGG eine Einigungsstelle nur dann ist, wenn sich dies bereits aus dem eigenen Tatsachenvorbringen des Antragstellers auf der Grundlage einer gefestigten Rechtsmeinung ergibt, zu der eine Gegenmeinung nicht existiert oder nicht ernsthaft vertretbar erscheint, oder aber – was die zugrundezulegenden Tatsachen anbelangt - dann, wenn die zuständigkeitsbegründende Tatsachengrundlage zwar streitig ist, die Richtigkeit der für die Unzuständigkeit der Einigungsstelle sprechenden Tatsachen dem Gericht im Sinne von § 291 ZPO jedoch offenkundig ist oder offenkundig gemacht wird (vgl. dazu LAG Köln 05.12.2001 – 7 TaBV 71/01 - LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 38).
6II. Zu dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gilt Folgendes:
71. Zur Lohngestaltung gehören auch die Grundsätze für die Verteilung freiwilliger oder zusätzlicher Leistungen, z. B. Grundsätze für die Gewährung von Zulagen oder deren Widerruf (vgl. Fitting, 26. Auflage, § 87 BetrVG, Rn. 430 m. N. zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). Freiwillige Leistungen sind dabei solche, die der tarifgebundene Arbeitgeber erbringt, ohne dazu kraft Gesetzes oder Tarifvertrags verpflichtet zu sein (vgl. Fitting a. a. O., Rn. 444; BAG GS 16.09.1986 AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972). Dieses entspricht dem Grundsatz, dass sich bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht auf die Gestaltung der Entlohnungsgrundsätze im außer- oder übertariflichen Bereich beschränkt. Anwendungsfälle des Mitbestimmungsrechts sind damit gerade freiwilligen Leistungen in dem zuvor definierten Sinne (vgl. Fitting a. a. O., Rn. 438 a).
82. Das Mitbestimmungsrecht erfasst die Einführung solcher freiwilligen über- oder außertariflichen Leistungen und gilt ebenso auch für die Änderung der Grundsätze der Verteilung solcher Leistungen (vgl. Fitting a. a. O. Rn. 439, 449).
93. Das Mitbestimmungsrecht erfasst zwar nicht den sogenannten Dotierungsrahmen (vgl. Fitting a. a. O. Rn. 445), allerdings ist auch der tarifgebundene Arbeitgeber im über- und außertariflichem Bereich bei den notwendigen Aufstellungen von Grundsätzen zur Verteilung der freiwilligen Leistungen auf die einzelnen Arbeitnehmer auf die Mitwirkung des Betriebsrats angewiesen (Fitting a. a. O.). Mitbestimmungsfrei ist dabei die Bestimmung des Leistungszwecks, z. B. der Bindung des Arbeitnehmers an den Betrieb, der Förderung der Leistungsbereitschaft, des Abbaus von Fehlzeiten usw., und auch im Zusammenhang mit einer solchen Zweckbestimmung auch die Festlegung des dadurch begünstigten Personenkreises zusammen (Fitting a. a. O. Rn. 446 m. w. N. zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
10Doch auch bei Berücksichtigung dieser Einschränkungen verbleibt im Bereich der freiwilligen Leistungen des tarifgebundenen Arbeitgebers für das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG noch ein Anwendungsbereich. Entsprechend dem Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechts ist der Betriebsrat z. B. bei der Entscheidung zu beteiligen, wie im Rahmen der mitbestimmungsfreien Vorgaben die einzelnen Leistungen zu berechnen sind und ihre Höhe im Verhältnis zueinander bestimmt werden soll. Die damit verbundenen Festlegungen betreffen nicht die absolute, sondern die relative Höhe der Leistungen im Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander und schaffen auf diese Weise Entlohnungsgrundsätze (Fitting a. a. O. Rn. 447 m. N. zu höchstrichterlichen Rechtsprechung).
114. Das Mitbestimmungsrecht bei der Gewährung von freiwilligen Leistungen wird aber nicht dadurch eingeschränkt, dass der tarifgebundene Arbeitgeber bereits vor der Beteiligung des Betriebsrats über- oder außertarifliche Leistungen leistet, die er nicht zurückfordern kann. Kommt es später zu einer abweichenden Einigung oder zum Spruch einer Einigungsstelle über eine andere Verteilung, können Mehrkosten entstehen, weil der Arbeitgeber die mitbestimmungswidrig gezahlte Leistung aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht mehr zurückfordern kann. Dadurch kann der von ihm ins Auge gefasste Dotierungsrahmen überschritten werden. Die Folge des mitbestimmungswidrigen Verhaltens führt nicht zu einer Beschränkung des Mitbestimmungsrechts. Insoweit wird der Grundsatz der mitbestimmungsfreien Entscheidung über den Dotierungsrahmen in einem begrenzten Rahmen durchbrochen (vgl. insbesondere BAG 14.06.1994 - 1 ABR 63/93 - AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung - und juris, dort insbesondere Rn. 18, 19; Fitting a. a. O. Rn. 448 m. N. zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
125. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG setzt allerdings nur ein, wenn es um die Festlegung allgemeiner (kollektiver, genereller) Regelungen geht (vgl. BAG GS 03.12.1991 - GS 2/90 – Rn. 78). Bei dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richtet sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltung zu kollektivem Tatbestand danach, ob es um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Hierbei kann die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, dass ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Das ist deshalb von Bedeutung, weil es dem Zweck des Mitbestimmungsrechts widerspräche, wenn der Arbeitgeber es dadurch ausschließen könnte, dass er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils „individuelle“ Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft und sich hierbei nicht selbst binden und keine allgemeine Regelung aufstellen will. Mit einer solchen Vorgabe, nur individuell entscheiden zu wollen, könnte sonst jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden. Bei der Änderung der Verteilungsgrundsätze für über/außertarifliche Zulagen geht es stets um die Strukturformen des Entgelts. Deshalb liegt hier stets ein kollektiver Tatbestand vor (vgl. BAG GS a. a. O. Rn. 82).
13Daraus folgt, dass es dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegensteht, dass der Arbeitgeber über- oder außertarifliche Entgeltbestandteile einzelvertraglich mit den Arbeitnehmern vereinbart hat oder in Zukunft mit den Arbeitnehmern vereinbaren will.
14Ein kollektiver Tatbestand fehlt nur dann, wenn bei der Festlegung der Zulagenhöhe die besonderen Umstände des einzelnen Arbeitnehmers eine Rolle spielen und dabei kein innerer Zusammenhang zur Leistung anderer Arbeitnehmer besteht (vgl. Fitting a. a. O. Rn. 420; BAG GS 03.12.1991 AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Das ist etwa dann der Fall, wenn für die Lohnbemessung der Wunsch des einzelnen Arbeitnehmers maßgebend ist, persönliche steuerliche Nachteile zu vermeiden, oder wenn z. B. bei einem einzelnen Arbeitnehmer eine Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage angerechnet wird, weil dieser allein aus einem ganz individuellen Grund auf einem tariflich niedriger zu bewertenden Arbeitsplatz unverändert die bisherige höhere Vergütung bezieht (vgl. Fitting a. a. O. Rn. 424 mit jeweils jeweiligen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
15Ein kollektiver Tatbestand liegt dagegen vor, wenn Grund und Höhe der Zahlungen von allgemeinen Merkmalen abhängig sind, insbesondere von Leistungsmerkmalen oder Verantwortungsmerkmalen auf dem jeweiligen Arbeitsplatz (vgl. Fitting a. a. O. Rn. 422).
16B. Danach gilt für den vorliegenden Fall Folgendes:
17I. Das Mitbestimmungsrecht ergibt sich bereits aus der tatsächlichen – auch nach Vorbringen der Antragsgegnerin gegebenen – Zahlung von übertariflichen Zulagen in der Vergangenheit aufgrund des von ihr in der Vergangenheit angewendeten Grading-Systems, bei dem das Mitbestimmungsrecht nicht gewahrt wurde.
181. Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 23.07.2013 (Bl. 18/19 d. A.) selbst vorgetragen, dass sie aufgrund individualrechtlicher Zusagen verpflichtet sei, ihren Mitarbeitern bestimmte Löhne bzw. Gehälter zu zahlen. Sie zahle ihren Mitarbeitern unterschiedliche außertarifliche Zulagen. Die Zulagen seien freiwillig, aber die Antragsgegnerin sei zu diesen Zahlungen individualrechtlich durch entsprechende Regelungen in den Arbeitsverträgen nach der entsprechenden Verhandlung und Gewährung verpflichtet. Bei der Gewährung und Verhandlung dieser Zulagen habe sie sich in der Vergangenheit an einem bei F bekannten und in der E-Region verwandten Entgeltsystem orientiert.
192. Es wurde bereits unter A. II. 5. unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, dass es dem Mitbestimmungsrecht grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn der Arbeitgeber individuelle freiwillige Leistungen vereinbart. Es steht auch dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber sich durch individualvertragliche Regelungen gebunden hat, diese Leistungen nicht mehr kürzen kann – worauf sich die Antragsgegnerin mit ihrem Hinweis darauf, die Zulagen seien nicht widerruflich, offenbar beruft. Wie bereits oben (A. II. 5.) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Großen Senats des BAG ausgeführt wurde, verdrängt eine solche vertragliche Festlegung des Arbeitgebers das Mitbestimmungsrecht nicht.
20Es ist mithin nach wie vor das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei den bereits gezahlten übertarifliche, nach Darlegung der Antragsgegnerin individualvertraglich vereinbarten Zulagen nicht erfüllt worden, so dass es weiterhin besteht (s. oben A. II. 4.).
21II. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht darüber hinaus auch – und gerade – insoweit, als die Antragsgegnerin sich darauf beruft, sie habe sich entschlossen, das bisher zur Bestimmung der Zulagenhöhe angewendete E -Entgeltsystem nicht mehr anzuwenden, vielmehr, sofern Zulagen für neu eingetretene Arbeitnehmer gezahlt würden, diese individuell zu verhandeln und „kein entsprechendes kollektivrechtliches System einzuführen“ (Schriftsatz vom 23.07.2013, Bl. 20 d. A.).
221. Denn wie bereits oben (A. II. 2.) ausgeführt, betrifft das Mitbestimmungsrecht gerade auch die Änderung von Entgeltsystemen.
232. Soweit die Antragsgegnerin auch hier offenbar meint, dass aufgrund der individuellen Vereinbarung kein kollektiver Tatbestand mehr vorliege, so ist auf das bereits oben (A. II. 5.) zur Rechtsprechung des Großen Senats des BAG Gesagte zu verweisen. Die individuelle Vereinbarung besagt nicht, dass nicht ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Wie bereits ebenfalls dort anhand von Beispielen ausgeführt wurde, sind die Fälle, in denen ein kollektiver Tatbestand nicht besteht, auf die enge Fallgestaltungen beschränkt, in denen besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers eine Rolle spielen und bei denen kein innerer Zusammenhang z. B. zur Leistung oder Verantwortung anderer Arbeitnehmer besteht. Geht es um Leistung, Verantwortung und ähnliche Kriterien, so handelt es sich um typischerweise kollektive Merkmale.
24C. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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