Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 11 Sa 510/13
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.05.2013 – 9 Ca 3010/13 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 11.676,60 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.04.2013 zu zahlen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Zahlung einer Sozialplanabfindung.
3Der Kläger war als Bezirksleiter im Außendienst in der Feldorganisation der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2013 wegen beabsichtigter Schließung der Abteilung des Klägers zum 01.01.2013. Mit Schreiben vom 14.12.2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er sein Arbeitsverhältnis vorbehaltlich einer Zustimmung der Beklagten zum 31.12.2012 mit den in § 6 Abs. 2 geregelten Folgen des Rahmensozialplans (RSP) beenden möchte.
4§ 6 des RSP lautet auszugsweise wie folgt:
5„ § 6 Vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses
61. Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis gekündigt ist, können mit Zustimmung des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis jederzeit mit einer Ankündigungsfrist von 14 Tagen beenden, ohne dass ihr Abfindungsanspruch dadurch berührt wird. Soweit es mit dem Betriebsablauf vereinbar ist, erfolgt die Freistellung auch früher.
72. Erfolgt das vorzeitige Ausscheiden gem. Ziffer 1 nach Schließung der jeweiligen Abteilung, erhalten die Beschäftigten das ersparte Bruttoentgelt als zusätzliche Abfindung.
8(…)“
9Wegen der weiteren Einzelheiten des RSP wird auf Bl. 5 ff. d. A. verwiesen.
10Der Kläger schied im Einvernehmen mit der Beklagten mit dem 31.12.2012 aus den Diensten der Beklagten aus.
11Das Arbeitsgericht hat die am 22.04.2013 der Beklagten zugestellte Klage, mit der der Kläger die Zahlung von drei Monatsverdiensten als zusätzliche Abfindung begehrt, mit Urteil vom 14.05.2013 (Bl. 32 ff. d. A.) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht im Sinne des § 6 Abs. 2 RSP nach der Schließung, sondern zeitgleich mit der Schließung seiner Betriebsabteilung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
12Gegen das ihm am 06.06.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.07.2013 Berufung eingelegt und diese am 26.07.2013 begründet.
13Der Kläger behauptet, dass der Betrieb tatsächlich mit dem 28.12.2012 geschlossen worden sei. An diesem Tag habe er seinen Dienstwagen zurückgegeben.
14Der Kläger beantragt,
15unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Kläger und Berufungskläger wegen vorzeitigen Ausscheidens einen Betrag von brutto 11.676,60 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Klagezustellung zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Die Beklagte meint, der Kläger sei nicht nach der Schließung der Betriebsabteilung am 31.12.2012 ausgeschieden, so dass er keinen Anspruch auf die zusätzliche Abfindung wegen des vorzeitigen Ausscheidens habe.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 25.07.2013 und 02.09.2013 sowie die Sitzungsniederschrift vom 27.11.2013 und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist nach§ 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
22II. Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 11.676,60 € brutto aus § 6 Abs. 2 RSP. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
23Es kann dahin stehen, ob die Betriebsabteilung des Klägers bereits vor dem 31.12.2012 im Sinne des § 6 Abs. 2 RSP geschlossen war. Selbst unter Zugrundlegung des Beklagtenvortrags des gleichzeitigen Ausscheidens des Klägers mit der Schließung der Betriebsabteilung ist der Anspruch des Klägers aus § 6 Abs. 2 RSP gerechtfertigt. Dies folgt aus der gebotenen Auslegung der Bestimmung der genannten Bestimmung des RSP.
241. Die Auslegung eines Sozialplans richtet sich wegen der normativen Wirkung seiner Regelungen nach den Grundsätzen der Tarif- und Gesetzesauslegung. Auszugehen ist vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der betrieblichen Regelungen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelung, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Betriebsparteien liefern kann. Bleiben im Einzelfall gleichwohl Zweifel, können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, etwa auf die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urt. v. 19.06.2007– 1 AZR 541/06 – m.w.N.)
252. Die Regelung des § 6 Abs. 2 RSP verhält sich nach seinem Wortsinne nicht ausdrücklich zu dem Fall, dass das Ausscheiden des Mitarbeiters zeitlich einhergeht mit der Schließung der Betriebsabteilung. Lediglich das vorzeitige Ausscheiden „vor“ Schließung der Betriebsabteilung ist durch die Verwendung des Begriffs „nach“ ausgeschlossen. Ob auch das Ausscheiden „mit“ Schließung der Betriebsabteilung erfasst wird, richtet sich im Wesentlichen nach dem Zweck, den die Betriebsparteien mit der Regelung verfolgt haben. Bei der streitigen Regelung, die die Beklagte selbst als „Sprinterprämie“ bezeichnet, handelt es sich um eine Bestimmung, die zum einen für den Arbeitnehmer einen finanziellen Anreiz zum vorzeitigen Ausscheiden verschaffen soll. Der Arbeitnehmer erhält bei vorzeitigem Ausscheiden den Geldwert des ersparten Bruttoentgelts steuerbegünstigt (§§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG). Der Arbeitgeber wiederum kann seine zusätzliche wirtschaftliche Belastung, die durch ein Auseinanderfallen zwischen Schließungstermin und Kündigungstermin entsteht, durch ersparte Sozialversicherungsbeträge reduzieren. Anders als im Falle des Ausscheidens vor Schließung der Betriebsabteilung hat er für die Arbeitskraft des Arbeitnehmers regelmäßig keine Verwendung mehr. Desto länger die zeitliche Differenz zwischen Schließung der Betriebsabteilung und Kündigungstermin ist, desto größer ist jedenfalls das Interesse des Arbeitgebers an einem vorzeitigen Ausscheiden des Mitarbeiters. Scheidet ein Mitarbeiter zeitgleich mit der Schließung der Betriebsabteilung aus, wird der mit der Regelung verfolgte Zweck in geradezu idealtypischer Weise verwirklicht. Aufgrund dieses Regelungszweckes ist es gerechtfertigt, das Ausscheiden „mit“ der Schließung dem Ausscheiden „nach“ Schließung der Betriebsabteilung gleichzustellen. Ein abweichendes Verständnis würde auch dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG nicht gerecht. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck (vgl. z.B.: BAG, Urteil vom 18.05.2010 – 1 AZR 187/09 – m.w.N.). Es ist selbst bei Einräumung eines erheblichen Ermessensspielraum der Betriebsparteien kein sich am vorliegenden Sachverhalt orientierender, sachlich vertretbarer Grund vorgetragen oder ersichtlich, der eine Ungleichbehandlung zwischen denjenigen, die mit und denjenigen, die nach Schließung der Abteilung ausscheiden, rechtfertigen könnte. Es ist daher aus Sicht der Berufungskammer aus sachlichen Gründen nicht vertretbar, wenn die Beklagte – wie von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27.11.2013 auf Befragen des Gerichts geschildert – einerseits dem Kläger die zusätzliche Abfindung verweigert, aber andererseits den Mitarbeitern, die mit dem 01.01.2013 ausgeschieden sind, zum einen für einen Tag Feiertagsvergütung zahlt und zum anderen die ersparte Vergütung für die Dauer der restlichen Kündigungsfrist als zusätzliche Abfindung nach § 6 Abs. 2 RSP zuwendet.
26III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
27IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Entscheidung auf den Besonderheiten des Einzelfalles beruht und eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht Gegenstand der Entscheidung war.
28R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
29Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
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Referenzen
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