Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 2 Sa 603/15
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.05.2015 – 8 Ca 5343/14 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darum, ob für die Klägerin, die einer Rückgruppierung zugestimmt hat, die Stufenlaufzeit in der neuen Vergütungsgruppe neu zu laufen beginnt oder die bereits in der höheren Vergütungsgruppe zurückgelegte Stufenlaufzeit angerechnet wird.
3Die Klägerin ist seit dem 15.05.2009 Arbeitnehmerin der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis ist der TVöD in der Fassung VKA anwendbar. Die Klägerin war zunächst in die Entgeltgruppe S 14 eingruppiert. Dort begann die Stufenlaufzeit der Stufe 3 am 01.05.2010. Der nächste Stufenaufstieg wäre im Falle der Bewährung in der Arbeitsaufgabe zum 01.05.2014 erfolgt.
4Zum 15.04.2013 wurde die Klägerin einvernehmlich zum Gesundheitsamt versetzt. Nach Neubewertung erhält sie auf dieser Stelle Vergütung nach der Entgeltgruppe S 12. Die Beklagte berechnete die Stufenlaufzeit der Stufe 3 ab dem 15.04.2013. Die Klägerin ist der Ansicht, sie müsse zum 01.05.2014 die Stufe 4 der Entgeltgruppe S 12 erreichen.
5Zur Rückgruppierung sieht § 17 Abs. 4 TVöD VKA lediglich vor, dass die in einer höheren Entgeltgruppe erreichte Stufe beibehalten wird. Für die Tarifbeschäftigten des Bundes ist in § 17 Abs. 5 S. 4 TVöD BUND ausdrücklich geregelt, dass die zurückgelegte Stufenlaufzeit aus der höheren Entgeltgruppe in der niedrigeren Entgeltgruppe angerechnet wird.
6Die Klägerin legt die Regelungen des TVöD dahingehend aus, dass auch für Beschäftigte kommunaler Arbeitgeber die zurückgelegte Stufenlaufzeit bei einer Rückgruppierung erhalten bleiben muss.
7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass§ 16 Abs. 3 TVöD VKA die Grundentscheidung zum jeweiligen Neubeginn der Stufenlaufzeit enthalte. Damit fange im Falle der Rückgruppierung die Stufenlaufzeit mit der neuen Eingruppierung neu an zu laufen. Dass dies bei der Rückgruppierung anders als bei der Höhergruppierung nicht ausdrücklich noch einmal erwähnt wurde, sei unschädlich.
8Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.
9Sie beantragt,
10das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.05.2015- Az. 18 Ca 5343/14 - abzuändern und,
11- 12
1. festzustellen dass die Klägerin ab dem 1. Mai 2014 in die Entgeltgruppe S 12 Stufe 4 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst einzugruppieren ist,
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2. die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin 235,50 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2014 zu zahlen,
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3. die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin 235,50 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2014 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie verweist unter anderem darauf, dass die Stufenlaufzeitanrechnung aus den Regelungen für die Beschäftigten des Bundes gerade nicht auf die Beschäftigten der Arbeitgeber des VKA übertragen werden könne.
20Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der zur Tarifauslegung geäußerten Rechtsansichten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22Die Berufung der Klägerin ist fristgerecht und zulässig, aber sie ist nicht begründet.
23Die Auslegung von § 16 TVöD VKA sowie § 17 Abs. 4 TVöD ergibt, dass die Stufenlaufzeit in der Stufe 3 für die Klägerin nach ihrer Rückgruppierung in die Entgeltgruppe S 12 mit dem 15.04.2013 neu zu laufen begonnen hat.
24Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 21. März 2001 - 10 AZR 41/00 -AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 75 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 43).
25Ausgehend vom Wortlaut kann zunächst festgestellt werden, dass es für eine Anrechnung der bisher zurückgelegten Stufenlaufzeit keine ausdrückliche Regelung im Tarifvertrag gibt. § 17 Abs. 5 S. 4 gilt ausschließlich für die Beschäftigten des Bundes. Hieraus kann allerdings im Rückschluss geschlossen werden, dass die Beschäftigten des VKA anders behandelt werden sollten. Denn bei der Einfügung der Regelung für die Beschäftigten des Bundes wurde der vorher einheitliche Tarifvertragstext in einen solchen für die Beschäftigten des VKA einen solchen für die Beschäftigten des Bundes aufgespalten. Die Änderung des Gesamtwortlauts setzte damit voraus, dass auch die Arbeitgeber des VKA in den Tarifverhandlungen repräsentiert waren, hierbei aber gerade keine Regelung wie für die Beschäftigten des Bundes zu Stande kam.
26Zudem kann die Regelung für die Beschäftigten des Bundes als Ausnahmetatbestand gewertet werden, da in allen anderen Fällen die Stufenlaufzeit mit der Neueingruppierung stets neu zu laufen beginnt. Ausnahmeregelungen sind in der Regel aber gerade nicht analogiefähig.
27Entgegen der Ansicht der Klägerin spricht auch nicht der Sinnzusammenhang des Tarifvertrages dafür, dass eine einmal erreichte Stufenlaufzeit erhalten bleibt. Dies gilt zum einen für eine Stufenlaufzeit in der Stufe 3 bereits deshalb, weil eine solche Stufenlaufzeit nach den Regelungen für die Beschäftigten des VKA nicht automatisch abläuft. Vielmehr erfolgt die Zuordnung zur nächsten Stufe abhängig von der Leistung, die eine Leistungsbeurteilung voraussetzt. Eine Veränderung der Entgeltgruppe setzt damit auch voraus, dass eine Leistungsbeurteilung gerade für Tätigkeiten in dieser Entgeltgruppe erfolgt ist. Sind die Leistungen herausragend, was gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung der Leistungen in der zuvor innegehabten Vergütungsgruppe festgestellt werden kann, kann die Stufenlaufzeit abgekürzt werden. Dies spricht dagegen, dass im Falle einer Herabgruppierung eine automatische Anrechnung der Stufenlaufzeit aus der höheren Vergütungsgruppe von den Tarifvertragsparteien gewollt war. Denn aus Stufe 3 erfolgt bereits keine Höherstufung auf Grund bloßen Zeitablaufs mehr.
28Es ist auch nicht zwingend, dass die Herabstufung dazu führt, dass Berufserfahrungen oder hervorragende Leistungen aus der zuvor innegehabten höheren Vergütungsgruppe für die Leistungen in der niedrigeren Vergütungsgruppe verwertbar sind. Zum einen ist es denkbar, dass die Herabgruppierung darauf beruhte, dass die Leistungen in der höheren Vergütungsgruppe unbefriedigend waren und deshalb einvernehmlich eine einfachere Tätigkeit vereinbart wurde. Denkbar ist aber auch, dass ein Vergütungsgruppenwechsel gegeben ist, bei dem die Tätigkeiten nicht aufeinander aufbauen, wenn beispielsweise eine Sozialarbeiterin, die zuvor mit der Inobhutnahme von Kindern beschäftigt war in eine Stelle als Kindergärtnerin wechselt. Allenfalls bei einer Rückgruppierung aus Aufbauvergütungsgruppen in eine Grundvergütungsgruppe sind die neuen Tätigkeiten in den bisherigen Tätigkeiten enthalten gewesen. Gute Leistungen in der höheren Vergütungsgruppe könnten dann gleichartige Leistungen in der niedrigeren vergütungsgruppe indizieren. Die Tarifvertragsparteien haben aber ersichtlich nicht zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Rückgruppierung unterschieden, sondern lediglich den Erhalt der Stufeneinordnung als solcher geregelt. Dies spricht ebenfalls dafür, dass die Stufenlaufzeit im Falle einer Rückgruppierung neu beginnt. Anrechenbare Leistungen aus der bisherigen Stufenlaufzeit der höheren Gruppe können damit durch Verkürzung der Stufenlaufzeit im Einzelfall ausreichend Berücksichtigung finden.
29Auch die Tatsache, dass der Neubeginn der Stufenlaufzeit ausdrücklich für den Fall der Höhergruppierung im Tarifvertrag geregelt ist, spricht nicht dafür, dass im Umkehrschluss bei Rückgruppierung die Stufenlaufzeit erhalten bleibt. Vielmehr kann sich die Höhergruppierung eines Mitarbeiters, der kurz vor Ablauf seiner Stufenlaufzeit steht und der dadurch einen größeren Vergütungsvorteil erhalten hätte, als er durch die Höhergruppierung erhalten hat, dahin auswirken, dass durch die Höhergruppierung über mehrere Jahre weniger Vergütung gezahlt wird, bis die nächste Vergütungsstufe erreicht wird. Dies klarzustellen dient § 17 Abs. 4 S. 4 TVöD VKA. Dass im Falle der Rückgruppierung eine Besserstellung der Mitarbeiter gegenüber den nach Eignung und Leistung beförderten Mitarbeitern geregelt sein soll, erscheint systemwidrig.
30Damit ergibt sich, dass die mangelnde Einigung mit den Arbeitgebern des VKA über die Anrechnung von Stufenlaufzeiten im Falle einer Rückgruppierung nicht durch Auslegung dahin ersetzt werden kann, die Anrechnung sei ohnehin schon Bestandteil des TVöD VKA. Es bleibt vielmehr bei der Grundregel, dass mit jeder neuen Eingruppierung Stufenlaufzeiten grundsätzlich neu beginnen.
31Der Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Klägerin hat mit Ausnahme eines einzigen Falles nichts dafür dargelegt, dass die Beklagte den Erhalt der Stufenlaufzeit als allgemeine Regel zusagt.
32Die Ansprüche folgen auch nicht aus einem möglicherweise nicht beachteten Mitbestimmungsrecht des Personalrats. Der Personalrat hat der Eingruppierung der Klägerin nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Stufenlaufzeit erhalten bleibt. Selbst wenn man diese Erklärung als Ablehnung der vorgesehenen Eingruppierung auslegen wollte, führt dies nicht zur Anspruchsentstehung. Denn die richtige Eingruppierung unterliegt nur der Mitbeurteilung des Personalrats. Fehlt diese, ist aber die gefundene Eingruppierung ansonsten, so wie hier, richtig, können daraus keine Ansprüche entstehen (BAG vom 05.05.2015, 1 AZR 435/13). Fehlerhafte Mitbestimmung führt nicht zur Entstehung von Ansprüchen, die im Übrigen nicht bestehen.
33Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung nach § 97 ZPO.
34RECHTSMITTELBELEHRUNG
35Gegen dieses Urteil kann vonder klagenden Partei
36R E V I S I O N
37eingelegt werden.
38Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
39Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
40Bundesarbeitsgericht
41Hugo-Preuß-Platz 1
4299084 Erfurt
43Fax: 0361-2636 2000
44eingelegt werden.
45Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
46Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1. Rechtsanwälte,
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2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
52Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
53Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Revision wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
54* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Referenzen
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