Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 9 TaBV 32/20
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 07.07.2020 – 12 BV 92/20 – abgeändert.
Die Anträge werden zurückgewiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Errichtung einer Einigungsstelle im Hinblick auf die Einführung und Nutzung eines sog. OTRS-Ticketsystems.
4Die Arbeitgeberin ist die Servicedienstleisterin des D , einer gemeinnützigen rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Mitglieder die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten und das Zweite Deutsche Fernsehen sind. Die Arbeitgeberin unterhält Betriebe in K und B . Die ARD und das D haben das webbasierte Ticketsystem OTRS (Open Technology Real Services) eingeführt, über das sowohl Aufträge auf Abhilfe technischer Probleme aufgegeben als auch entsprechende Aufträge entgegengenommen werden können. Zur Auftragserfüllung werden an den Standorten B und K jeweils zwei Arbeitnehmer eingesetzt. Der Auftraggeber D kann über das System nachverfolgen, welcher Mitarbeiter welches Ticket wann bearbeitet hat. Der bei der Arbeitgeberin gebildete Gesamtbetriebsrat hatte einer Testphase zur Einführung des Systems und der mehrfachen Verlängerung der Testphase, zuletzt bis zum 31.07.2019, zugestimmt und dabei jeweils darauf hingewiesen, dass die Zustimmung zur Testphase keine grundsätzliche Zustimmung zur Einführung des Systems darstelle.
5Am 22.01.2020 beschloss der Gesamtbetriebsrat, der Einführung und dem Betrieb des OTRS-Ticketsystems nicht zuzustimmen, und in einer weiteren Sitzung vom 13.02.2020 als externen Sachverstand seine jetzigen Verfahrensbevollmächtigten hinzuzuziehen. Am 04.03.2020 beschloss der Gesamtbetriebsrat das Scheitern der Verhandlungen, die Anrufung der Einigungsstelle und für den Fall, dass die Arbeitgeberin sich nicht mit der Einigungsstelle selbst, der vorgeschlagenen Person des Vorsitzenden und der Zahl der Beisitzer einverstanden erkläre, seine jetzigen Verfahrensbevollmächtigten mit der Einleitung und Durchführung des Einsetzungsverfahrens zu beauftragen.
6In seiner am 15.06.2020 bei dem Arbeitsgericht Köln eingereichten Antragsschrift hat der Gesamtbetriebsrat geltend gemacht, dass das Ticketsystem OTRS ohne Rücksicht auf die abgelaufene Befristung der Testphase unternehmensweit eingesetzt werde.
7Die Arbeitgeberin hat entgegnet, der Gesamtbetriebsrat habe auf der Einführung von anonymisierten Funktionsaccounts für die vier Mitarbeiter im OTRS-System bestanden, damit eine Zuordnung der einzelnen Tickets zu ihren Bearbeitern unmöglich sei. Dazu sei das D als Auftraggeber jedoch nicht bereit gewesen und habe deswegen angekündigt, ihr den Auftrag über das Jahresende 2020 hinaus nur noch zu erteilen, wenn sichergestellt sei, dass das Ticketsystem OTRS zum Einsatz komme.
8Vor diesem Hintergrund habe sich der örtliche Betriebsrat B für originär zuständig erklärt und mit ihr eine Betriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung des OTRS-Ticketsystems am Standort B abgeschlossen.
9Sie habe die Nutzung des Ticketsystems am Standort K mit Weisung vom 01.07.2020 ausgesetzt und werde das System bis zum Auslaufen des Auftrags „Studiotechnik“ am 31.12.2020 dort nicht mehr nutzen. Für das Jahr 2021 und die folgenden Jahre werde ihr das D keinen entsprechenden Auftrag mehr erteilen. Am Standort K gebe es daher keinen Mitbestimmungstatbestand mehr.
10Das Arbeitsgericht hat mit einem am 07.07.2020 verkündeten Beschluss dem Antrag des Gesamtbetriebsrats entsprechend eine Einigungsstelle zu dem Regelungsgegenstand „Betriebsvereinbarung zur Einführung und Betrieb des OTRS-Ticketsystems in den Betrieben K und B “ unter dem Vorsitz von Dr. Ch L , B , eingesetzt und die Zahl der Beisitzer auf 3 pro Seite festgelegt.
11Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Zuständigkeit der Einigungsstelle in Betracht komme, da es sich bei dem OTRS-Ticketsystem um eine technische Einrichtung zur Überwachung der Arbeitnehmer handele. Da das System betriebsübergreifend eingeführt werden solle, eine unterschiedliche Ausgestaltung in den einzelnen Betrieben mit der einheitlichen Funktion des Systems nicht vereinbar wäre und der Datentransfer über einen gemeinsamen Server stattfinde, sei eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht offensichtlich ausgeschlossen.
12Der Beschluss ist der Arbeitgeberin am 14.07.2020 zugestellt worden. Ihre dagegen gerichtete Beschwerde ist nebst Begründung am 28.07.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.
13Die Arbeitgeberin macht geltend, mit einer E-Mail vom 24.07.2020 an alle ihre Mitarbeiter des K Betriebs die Nutzung des Ticketsystems OTRS vollständig untersagt zu haben. Durch die vollständige Untersagung der Nutzung des Systems, sei eine Überwachung der Mitarbeiter ausgeschlossen.
14Die Arbeitgeberin beantragt,
15den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln, Az. 12 BV 92/20, vom 07.07.2020 aufzuheben und die Anträge zurückzuweisen.
16Der Gesamtbetriebsrat beantragt,
17die Beschwerde zurückzuweisen.
18Er bestreitet, dass das OTRS-System am Standort K nicht mehr genutzt werde. Zwei Mitarbeiter hätten noch nach dem 24.07.2020 mit dem System gearbeitet. Eine vermeintliche Konzeptänderung ändere – so seine Auffassung – nichts an seiner Zuständigkeit. Es sei Aufgabe der Einigungsstelle, über die Relevanz von Konzeptänderungen zu befinden.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
20II.
21Die sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Denn eine Einigungsstelle unter Beteiligung des Gesamtbetriebsrats ist für den Regelungsgegenstand „Betriebsvereinbarung zur Einführung und Betrieb des OTRS-Ticketsystems“ iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG offensichtlich nicht zuständig, nachdem die Arbeitgeberin ihr Vorhaben, das OTRS-Ticketsystem auch in dem K Betrieb einzuführen, nicht weiter verfolgt. Denn damit entfällt die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zur Regelung der Angelegenheit.
221.) Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1Satz 1 BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Erforderlich ist, dass es sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und zum anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Das Vorliegen eines zwingenden Erfordernisses bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands, der einer zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens und der einzelnen Betriebe (BAG, Beschluss vom 18. Juli 2017 – 1 ABR 59/15 –, BAGE 159, 360-367, Rn. 19; BAG, Beschluss vom 17. März 2015 – 1 ABR 48/13 –, BAGE 151, 117-130, Rn. 33).
232.) Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, unterliegt die Einführung des OTRS-Ticketsystems der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Die Annahme einer technischen Einrichtung setzt nicht voraus, dass Daten über das Verhalten oder die Leistung des einzelnen Arbeitnehmers durch die technische Einrichtung selbst und „automatisch“ generiert werden (BAG, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 1 ABR 13/17 –, Rn. 27, juris) und dass der Arbeitgeber die erfassten und festgehaltenen Verhaltens- oder Leistungsdaten tatsächlich verarbeiten oder für Reaktionen auf festgestellte Verhaltens- oder Leistungsweisen verwenden will. Denn „Überwachung“ iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist nicht erst das Auswerten oder die weitere Verarbeitung bereits vorliegender Informationen, sondern auch ihr Sammeln (BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 –, BAGE 157, 220-229, Rn. 40). Da über das OTRS-Ticketsystem nachverfolgt werden kann, welcher Mitarbeiter welches Ticket wann bearbeitet hat, handelt es sich bei ihm um eine technische Einrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
243.) Inhalt und Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfordern nicht mehr die Beteiligung des Gesamtbetriebsrats, nachdem die Arbeitgeberin im Laufe des vorliegenden Verfahrens die Entscheidung getroffen hat, das System nicht in ihrem K Betrieb einzusetzen, und eine entsprechende Anordnung an die Arbeitnehmer erteilt hat, es nicht zu nutzen. Damit ist zugleich die in einem älteren Lernvideo enthalte Anweisung zur Nutzung des Ticketsystems, auf die der Gesamtbetriebsrat in seinem nach Schluss des Anhörungstermins eingereichten Schriftsatz vom 10.09.2020 verweist, überholt. Bei der Einführung und Anwendung des OTRS-Systems handelt es sich nach der Untersagung der Nutzung im Kölner Betrieb offensichtlich nicht mehr um eine überbetriebliche Angelegenheit iSd. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
25a) Für die Frage, ob eine Angelegenheit mehrere Betriebe betrifft, sind der räumliche, persönliche und sachliche Geltungsbereich der geplanten Maßnahme entscheidend. Dieser Geltungsbereich bestimmt sich nach dem Willen des Initiators einer Maßnahme (GK/-Kreutz/Franzen, 11. Aufl. 2018, § 50 BetrVG, Rn. 25). Zwar hatte die Arbeitgeberin ursprünglich beabsichtigt, das Ticketsystem dem Wunsch ihrer Auftraggeber gemäß sowohl in B als auch in K einzuführen. Dementsprechend hat die Arbeitgeberin zunächst den Gesamtbetriebsrat beteiligt, was allein schon deswegen geboten war, um einer divergierenden Interessenverfolgung durch die örtlichen Betriebsräte in dieser überbetrieblichen Angelegenheit entgegen zu wirken (dazu Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 03. Mai 2002 – 8 TaBV 38/01 –, Rn. 26, juris).
26b) An diese Entscheidung ist die Arbeitgeberin jedoch nicht gebunden. Denn der Gesamtbetriebsrat hatte der betriebsübergreifenden Einführung des OTRS-Ticketsystems nur für zeitlich begrenzte Testphasen zugestimmt und dabei jeweils betont, dass seine Zustimmung zur Testphase keine grundsätzliche Zustimmung zur Einführung des Systems darstelle. Am 22.01.2020 hat er sogar ausdrücklich beschlossen, der Einführung und dem Betrieb des OTRS-Ticketsystems nicht zuzustimmen. Es bestand daher für die Arbeitgeberin keine Veranlassung mehr, an ihrem ursprünglichen Vorhaben weiter festzuhalten.
27c) Dass das OTRS-Ticketsystem, wie der Gesamtbetriebsrat in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.09.2020 vorträgt, weiterhin im Kölner Betrieb genutzt werden kann und (anweisungswidrig) von Kölner Arbeitnehmern genutzt wird, stellt nicht die Einführung oder Anwendung einer Überwachungseinrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in diesem Betrieb dar. Zwar fallen unter den Begriff der „Einführung“ alle Maßnahmen zur Vorbereitung einer geplanten Anwendung der technischen Einrichtung (Fitting, 30. Aufl. 2020, § 87 BetrVG, Rn. 248). Zu einer für die Auslösung des Mitbestimmungsrechts maßgeblichen Einführung und Anwendung seitens der Arbeitgeberin kommt es jedoch dann nicht (mehr), wenn die Nutzung des Systems durch sie untersagt wurde. Denn weder stellt die bloße Nutzungsmöglichkeit eines Systems, das ausdrücklich nicht genutzt werden darf, eine Einführungsmaßnahme der Arbeitgeberin dar, noch handelt es sich bei der weisungswidrigen Nutzung durch einzelne Arbeitnehmer um eine von der Arbeitgeberin beabsichtigte Anwendung eines Überwachungssystems. Unerheblich ist insoweit auch, ob die Arbeitgeberin einen Zugriff auf die vom System generierten Daten hat. Denn solange Kölner Arbeitnehmer das System nicht nutzen dürfen, können sie in dem System auf Veranlassung der Arbeitgeberin keine Daten generieren, die zu Überwachungszwecken genutzt werden könnten. Mehr als die Untersagung der Nutzung in ihrem Kölner Betrieb kann die Arbeitgeberin auch nicht unternehmen, da es sich um ein von ihrer Auftraggeberin vorgegebenes Ticketsystem handelt. Soweit Daten bereits in der vorangegangenen mitbestimmten Testphase generiert worden sind, kann das zuständige Betriebsratsgremium nach § 80 BetrVG seine entsprechenden Überwachungsrechte ausüben.
28c) Ob die auf den B Betrieb beschränkte Einführung des Ticketsystems, sinnvoll und praktikabel ist, unterliegt weder der Kontrolle des Gesamtbetriebsrats noch einer gerichtlichen Überprüfung. Es ist auch nicht die Aufgabe der Einigungsstelle, nachträglich über die Relevanz dieser unternehmerischen Konzeptänderung zu befinden, nachdem die Arbeitgeberin mit der E-Mail vom 24.07.2020 allen Arbeitnehmern des K Betriebs die Nutzung des Ticketsystems OTRS vollständig untersagt hatte. Dass einzelne Arbeitnehmer des Kölner Betriebs gleichwohl weisungswidrig mit dem System gearbeitet haben sollen, ändert an der Konzeptänderung der Arbeitgeberin nichts und rechtfertigt nicht die Annahme, dass das OTRS-Ticketsystem eine überbetriebliche Angelegenheit ist.
29d) Die Einführung des OTRS-Ticketsystems in B begründet schließlich nicht deswegen die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, weil der Datentransfer über einen gemeinsamen Server stattfindet. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass, wie der Gesamtbetriebsrat dargelegt hat, ein betriebs- und unternehmensübergreifender E-Mail-Austausch erfolgt. Denn maßgeblich für den hier in Streit stehenden Regelungsgegenstand ist, ob dieser Datenaustausch über das OTRS-Ticketsystem erfolgt. Das ist auf Grund der E-Mail der Geschäftsführung vom 24.07.2020 nicht mehr der Fall. Durch diese vollständige Untersagung der Nutzung des Systems ist eine Überwachung der K Arbeitnehmer mittels des OTRS-Systems, deren Möglichkeit die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslöst, ausgeschlossen.
30III.
31Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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Referenzen
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