Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 9 TaBV 5/21
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 14.01.2021 – 3 BV 65/20 – wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Errichtung einer Einigungsstelle zur Bestimmung von Arbeiten, die unter erheblichen Erschwernissen ausgeübt werden.
4Die Arbeitgeberin beschäftigt insgesamt ca. 215 Arbeitnehmer, darunter 75 Arbeitnehmer in ihrer Stahlgießerei. Sie ist auf Grund ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie gebunden.
5Arbeitnehmer in Gießereien erhielten nach § 6 des Lohnrahmenabkommens für die Metallindustrie vom 29.06.1967/15.04.1970 (LRA) bislang einen sog. Gießereizuschlag auf ihren Stundenlohn. Für Arbeiten, die unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, sowie für gesundheitsschädliche und gefährliche Arbeiten sieht § 11 Nr. 1 des Entgeltrahmenabkommens in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (ERA) nunmehr nur einen Zuschlag iHv. 6 % des Stundengrundentgelts der Entgeltgruppe EG 7 vor. Die Anwendung der bislang geltenden Sonderregelung für Gießereien soll gemäß der Protokollnotiz Nr. 2 zu § 11 Nr. 1 ERA zehn Jahre nach der betrieblichen ERA-Einführung entfallen.
6Nach Ansicht der Arbeitgeberin führt dies dazu, dass ein Zuschlag für 30 Arbeitnehmer entfällt und sich für die übrigen Arbeitnehmer verringert.
7Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass ihm bei der Festlegung der zuschlagspflichtigen Tätigkeiten ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1Nr. 10 BetrVG zustehe, und hat, nachdem die Arbeitgeberin Verhandlungen darüber abgelehnt hatte, die Einigungsstelle angerufen.
8Der Betriebsrat hat beantragt,
91. Herrn Richter am ArbG B , Dr. F zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Betriebsvereinbarung zur Regelung, welche Arbeiten gefährlich sind und/ oder unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, auszuführen sind“, zu bestellen;
102. die Anzahl der von jeder Seite für die Einigungsstelle zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.
11Die Arbeitgeberin hat beantragt,
12die Anträge abzuweisen.
13Das Arbeitsgericht Aachen hat die Anträge mit einem am 14.01.2021 verkündeten Beschluss abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei, da § 11 ERA eine abschließende Regelung der Zuschläge enthalte.
14Der Beschluss ist dem Betriebsrat am 25.01.2021 zugestellt worden. Seine dagegen gerichtete Beschwerde ist nebst Begründung am 04.02.2021 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.
15Der Betriebsrat ist der Ansicht, dass § 11 ERA lediglich die Höhe des Erschwerniszuschlags regele, nicht aber für welche Arbeiten der Zuschlag konkret anfalle. Die Bestimmung, auf welchen Arbeitsplätzen im Betrieb besondere Erschwernisse bestünden, sei einer betrieblichen Regelung zugänglich.
16Der Betriebsrat beantragt,
171. den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen - 3 BV 65/20 - vom 14.01.2021 abzuändern,
182. Herrn Richter am ArbG B Dr. F zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Betriebsvereinbarung zur Regelung, welche Arbeiten gefährlich sind und/ oder unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, auszuführen sind“, zu bestellen,
193. die Anzahl der von jeder Seite für die Einigungsstelle zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.
20Die Arbeitgeberin beantragt,
21die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.
22Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Vertiefung ihres Sachvortrags.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
24II.
25Die Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat seine Anträge zu Recht abgewiesen. Die Einigungsstelle ist zur Bestimmung derjenigen Arbeiten, die unter erheblichen Erschwernissen ausgeübt werden und der tariflichen Zuschlagspflicht unterliegen, offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Denn das vom Betriebsrat reklamierte und einzig in Betracht kommende Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.
261.) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat zwar bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht ist im Betrieb eines gemäß § 3 Abs. 1 TVG tarifgebundenen Arbeitgebers wie der Arbeitgeberin jedoch durch § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG ausgeschlossen, wenn die Tarifvertragsparteien die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit bereits selbst zwingend und abschließend inhaltlich geregelt haben (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 5 AZR 731/12 –, Rn. 33, juris). Denn der durch die Mitbestimmung angestrebte Schutz ist dann bereits substantiell verwirklicht; eine zusätzliche betriebliche Regelung ist nicht mehr erforderlich (GK/ Wiese, 11. Aufl. 2018, § 87 BetrVG, Rn. 73).
272.) Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Tatbestand des Erschwerniszuschlags ist in § 11 ERA abschließend so geregelt, dass die Arbeitgeberin die Tarifnorm nur zu vollziehen und nichts mehr mit dem Betriebsrat zu regeln hat.
28a) Denn das ERA macht nicht nur Vorgaben zur Höhe des Zuschlags, sondern legt die den Zuschlag auslösenden Tätigkeiten unter § 11 Nr. 1 ERA für jene Arbeiten fest, die unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, ausgeführt werden, oder die gesundheitsschädlich und gefährlich sind. Bei der Frage, welche Arbeiten diese Voraussetzungen erfüllen, geht es nicht um eine von den Tarifvertragsparteien offen gelassene Regelung, sondern um die Auslegung von § 11 Nr. 1 ERA und damit um eine Rechtsfrage.
29aa) Dass § 11 Nr. 1 ERA auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreift, anstatt konkret festzulegen, welche einzelnen Tätigkeiten genau den Erschwerniszuschlag auslösen, steht dem abschließenden Charakter der tariflichen Regelung nicht entgegen. Denn mit Rücksicht auf den vom Gesetzgeber gewollten Vorrang des Tarifvertrages entfaltet jede tarifliche Regelung, die nicht ohne Weiteres als unvollständig erkennbar ist, eine Sperrwirkung, die eine betriebliche Regelung ausschließt (BAG, Beschluss vom 04. August 1981– 1 ABR 54/78 –, Rn. 56, juris). Es entspricht dem Wesen von Tarifverträgen als Normenverträgen für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen, dass ihnen eine gewisse Unschärfe immanent ist (BAG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19 –, Rn. 38, juris; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, 4. Aufl. 2017, § 1, Rn. 991). Das Bestehen rechtlicher Zweifelsfragen über die Bedeutung und Auslegung einer Tarifvorschrift rechtfertigt aber nicht die Annahme einer gewollten, von den Betriebspartnern zu schließenden Regelungslücke (BAG, Beschluss vom 04. August 1981 – 1 ABR 54/78 –, Rn. 61, juris). Ebenso wenig sind die Betriebspartner zu einer verbindlichen Interpretation der tariflichen Vorschriften und der in ihnen verwendeten Rechtsbegriffe berufen.
30bb) Dass eine Tarifnorm wie § 11 Nr. 1 ERA trotz ihres hohen Abstraktionsgrades auslegungsfähig ist und keiner ergänzenden Regelung oder verbindlichen Interpretation durch die Betriebspartner bedarf, hat das Bundesarbeitsgericht für eine entsprechende Tarifregelung bereits festgestellt. Denn § 11 Nr. 1 ERA entspricht seinem Wortlaut nach weitgehend § 5 LRA, wonach für Arbeiten unter hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen, die über die normalen Erschwernisse erheblich hinausgehen, ein – nicht akkordfähiger – Zuschlag in Höhe von 6 % des Ecklohnes des Lohntarifvertrages vorgesehen war. Auch § 5 LRA erläuterte nicht, von welchem Bezugspunkt bei der Bestimmung der normalen Erschwernisse auszugehen war. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch im Wege der Auslegung ermittelt, dass nur solche zusätzlichen Erschwernisse besondere weitere Lohnansprüche auslösen sollten, die nicht bereits mit dem Akkord oder dem Tariflohn von vornherein abgegolten und deshalb als normal anzusehen waren, etwa weil sie Schutzmaßnahmen (z. B. Tragen von Schallschutzhelmen, Gehörschutzkapseln, Schallschutzwatte usw.) erforderlich machten (näher dazu BAG, Urteil vom 11. April 1979 – 4 AZR 639/77 –, Rn. 23, juris).
31b) Entgegen der im Anhörungstermin vom 15.03.2021 geäußerten Ansicht des Betriebsrats ist es daher nicht so, dass die Arbeitgeberin auf Grund des nicht bestehenden Mitbestimmungsrechts einseitig den Kreis der Tätigkeiten bestimmen kann, bei denen der Zuschlag anfällt. Dazu ist sie nicht befugt. Wenn die Arbeitgeberin die Rechtsauffassung vertritt, dass (nur) bestimmte Tätigkeiten in ihrem Betrieb den Zuschlag auslösen und dementsprechend für andere Tätigkeiten keinen Zuschlag zahlt, nimmt sie keine Leistungsbestimmung mit Gestaltungswirkung vor. Der nicht in den Genuss des Zuschlags kommende Arbeitnehmer kann die Richtigkeit der von der Arbeitgeberin vorgenommenen Auslegung gerichtlich im Rahmen einer Zahlungsklage überprüfen lassen. Der vom Betriebsrat angestrebte bindende Spruch der Einigungsstelle wäre hingegen nicht nur gemäß § 87 Abs. 2 Satz 2 BetrVG für die Betriebspartner verbindlich, sondern würde eine normative Regelung darstellen, die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirkt und damit deren Inhalt gestaltet. Nur die von der Einigungsstelle festgelegten Arbeiten wären dann zuschlagspflichtig. Arbeitnehmer, die andere Tätigkeiten ausüben, erhielten keine Zuschläge. Sie könnten wegen der bindenden Festlegung der Einigungsstelle nicht mit Erfolg geltend machen, dass auch sie Arbeiten iSd. § 11 Nr. 1 ERA verrichten.
32c) Von der Möglichkeit, die nähere Festlegung der zuschlagspflichtigen Arbeiten auf Grund einer Öffnungsklausel den Betriebspartnern zu überlassen, haben die Tarifvertragsparteien keinen Gebrauch gemacht.
33aa) Eine solche Befugnis zur Konkretisierung tariflicher Bestimmungen durch Dritte müsste aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nach Adressat und Umfang hinreichend deutlich sein (BAG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19 –, Rn. 48, juris). Das ist hier nicht der Fall: Dem Wortlaut des § 11 Nr. 1 ERA lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Befugnis der Betriebspartner zur Konkretisierung entnehmen. Die Betriebspartner werden in § 11 Nr. 1 ERA überhaupt nicht erwähnt. Eine Öffnungsklausel für freiwillige Betriebsvereinbarungen enthält lediglich § 11 Nr. 2 ERA hinsichtlich der Vereinbarung eines Zeitausgleich anstelle des Zuschlags. Wenn sich die Tarifvertragsparteien aber entschließen, nur einen einzelnen Punkt des Regelungskomplex für eine Regelung durch die Betriebsparteien zu öffnen, spricht dies deutlich für den abschließenden Charakter der tariflichen Regelung im Übrigen.
34bb) Eine Befugnis zur Konkretisierung tariflicher Bestimmungen durch die beteiligten Betriebsparteien oder die Einigungsstelle ergibt sich auch nicht aus der Natur des Regelungsgegenstandes, etwa weil der Tarifvertrag Erschwerniszuschläge vorsehen würde und die Höhe der Zuschläge vom Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt werden müsste (vgl. BAG, Beschluss vom 09. Mai 1995 – 1 ABR 56/94 –, BAGE 80, 104-116, Rn. 4). Eine solche Tarifregelung würde ein zwingendes Beteiligungsrecht des Betriebsrats auch bei der Festlegung der entsprechenden Tätigkeiten begründen, weil die festzulegende Höhe der Zulage eine Konkretisierung der Tätigkeiten nach objektiven Kriterien erfordert (BAG, Beschluss vom 09. Mai 1995 – 1 ABR 56/94 –, BAGE 80, 104-116, Rn. 21-22). § 11 Nr. 1 ERA legt jedoch die Höhe des Zuschlags mit 6 % des Stundengrundentgelts der Entgeltgruppe EG 7 selbst fest, wie es auch § 5 LRA für den Erschwerniszuschlag und § 6 LRA bezüglich des Gießereizuschlags getan haben.
353.) Schließlich lassen sich aus den von dem Betriebsrat zitierten Entscheidungen keine tragfähigen Gesichtspunkte herleiten, die für eine Regelungsbefugnis der beteiligten Betriebsparteien sprächen und eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle in Frage stellen könnten. Der dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22.12.1981 (BAG, Beschluss vom 22. Dezember 1981 – 1 ABR 38/79 –) zu Grunde liegende Tarifvertrag wies die nähere Ausgestaltung der Erschwerniszuschläge den Betriebspartnern im Tarifvertrag ausdrücklich zu. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.05.1995 (BAG, Beschluss vom 09. Mai 1995 – 1 ABR 56/94 -) ging es um einen Tarifvertrag, der lediglich allgemeine Vorgaben zur Art der Zulage, aber keine Angaben zu Voraussetzungen und Höhe des Zuschlags enthielt, so dass die Tarifvertragsparteien – wie bereits dargelegt und anders als bei § 11 Nr. 1 ERA – eine betriebliche Regelung ersichtlich erwarteten. Genau so wenig ist der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 04.07.1989 (BAG, Beschluss vom 04. Juli 1989 – 1 ABR 40/88 –) auf die streitgegenständliche Konstellation übertragbar. Dieser Entscheidung lag ein Tarifvertrag zu Grunde, der die Höhe des Zuschlags ebenfalls ausdrücklich den Betriebspartnern zur Regelung zugewiesen hatte.
36III.
37Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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