Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (1. Kammer) - 1 Ta 168/11
Tenor
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27.05.2011 - 5 Ca 884/10 - wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben.
Gründe
I.
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Die beschwerdeführende Beklagte begehrt die Festsetzung eines niedrigeren Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten.
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Der Kläger war bei der Beklagten als Oberarzt tätig. Er machte Ansprüche gegen die Beklagte wegen unerlaubter Handlung aufgrund Verletzung seines Persönlichkeitsrechts und seiner Gesundheit durch Mobbing seines ehemaligen Vorgesetzten geltend. Mit Klage vom 18.05.2010 beantragte er zunächst,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000,- Euro zu zahlen,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn die Differenz zwischen den erhaltenen Krankenbezügen und der regulären Monatsvergütung für den Zeitraum 11.12.2009 – 27.01.2010 zu zahlen und
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festzustellen, dass die Beklagte zum Ersatz sämtlicher materieller Schäden verpflichtet ist, die ihm aufgrund der seit 30.10.2009 eingetretenen Schädigung seiner Gesundheit entstanden sind und noch entstehen.
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Mit Schriftsatz vom 22.02.2011 änderte der Kläger seinen Antrag zu 2. und beantragte die Verurteilung der Beklagten zu einer Zahlung von 9.230,64 Euro netto. Hinsichtlich des Antrags zu 3. hat der Kläger vorgetragen, es sei ein Schaden in Höhe von 350.000,- bis 380.000,- Euro zu erwarten, der sich aus geringeren Beiträgen zur Ärzteversorgung im Jahr 2010 und zur Zusatzrente, seiner dadurch verminderten Altersrente, seinem geringeren Verdienst im neuen Arbeitsverhältnis, seinem Aufwand für Bewerbungen und aus Aufwendungen für seine medizinische Behandlung zusammensetze.
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Die Parteien haben den Rechtsstreit mit Vergleich vom 03.05.2011 beendet.
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Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert mit Beschluss vom 27.05.2011 für das Verfahren ab dem 18.05.2010 auf 25.000 Euro und für das Verfahren ab dem 22.02.2011 sowie für den Vergleich auf 399.230,64 Euro festgesetzt. Bei der Bewertung des Feststellungsantrags (Antrag zu 3.) hat sich das Gericht an den Angaben des Klägers zu dem zu erwartenden Schaden orientiert und den Antrag mit dem Mittel der vom Kläger angegebenen Betragsspanne von 350.000,- bis 380.000,- Euro in Höhe von 365.000,- Euro bewertet.
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Gegen diesen der Beklagten am 03.06.2011 zugestellten Beschluss hat sie mit einem am 16.06.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, bei der Bewertung des Feststellungsantrags (Antrag zu 3.) sei ein Abschlag von 20 Prozent vorzunehmen. Zudem sei der Antrag unter Berücksichtigung der in § 42 Abs. 2 GKG normierten Grundsätze zu bewerten, da sich der auf den Ersatz künftiger Schäden gerichtete Antrag letztlich auf wiederkehrende Leistungen richte. Der Wert des Antrages zu 3. sei daher auf das 36fache des seitens des Klägers als Schaden bezifferten Unterschiedsbetrags zwischen dem Bruttomonatsgehalt des Klägers bei der Beklagten und seinem Gehalt bei seinem neuen Arbeitgeber (3.489,78 Euro) zuzüglich einer Rente (1.016,20 Euro) abzüglich eines Abschlags von 20 Prozent und damit auf 129.772,22 Euro festzusetzen.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 08.08.2011 teilweise abgeholfen und den Wert für den Antrag zu 3. unter Vornahme eines Abschlags von 20 Prozent auf 292.000,- Euro und damit für das Verfahren ab dem 22.02.2011 und den Vergleich auf insgesamt 326.230,64 Euro festgesetzt. Im Übrigen hat es die Anwendung der Grundsätze des § 42 Abs. 2 GKG abgelehnt und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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1. Die Beschwerde ist gem. § 33 Abs. 3 RVG zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 200, 00 Euro.
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2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
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Die Bewertung des Antrages zu 3. im maßgeblichen Beschluss vom 08.08.2011 mit 292.000,- Euro durch das Arbeitsgericht ist nicht als zu hoch zu beanstanden.
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Zu Recht hat sich das Arbeitsgericht bei der Bewertung des Antrags gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 3 ZPO an den Angaben des Klägers zu dem zu erwartenden Schaden orientiert, ohne die einschränkende Sonderregelung des § 42 Abs. 2 GKG anzuwenden. Diese beschränkt den Streitwert eines Verfahrens aus sozialen Gründen bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen auf den dreifachen Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistung. Bei Streitigkeiten, in denen es regelmäßig um die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Arbeitnehmers geht, sollen die Kosten eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegenüber denen eines allgemeinen Zivilprozesses geringer sein (vgl. BAG NZA 2003, 456; BAG v. 30.11.1984 AP ArbGG 1979 § 12 Nr. 9).Sinn und Zweck der Norm zielen somit auf typische in einem Arbeitsverhältnis wiederkehrende Leistungen wie Arbeitsentgelt, Prämien, Ruhegelder und Betriebsrenten ab (vgl. Schwab/Weth – Vollstädt, ArbGG, 3. Aufl. 2010, § 12, Rn. 174).
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Schadensersatzansprüche, die erst künftig entstehen, sind jedoch keine aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zwangsläufig regelmäßig in bestimmten Zeitabschnitten entstehenden Ansprüche und somit keine wiederkehrenden Leistungen i.S.d. § 42 Abs. 2 GKG oder diesen vergleichbar. Im vorliegenden Fall ergibt sich lediglich die Besonderheit, dass der Kläger, und dies auch nur teilweise, Schadensersatz für durch die Verletzungshandlung fortfallende wiederkehrende Leistungen fordert, nicht jedoch die wiederkehrenden Leistungen selbst. Diese sind lediglich Schadensbemessungsfaktoren für den entstehenden Schadensersatzanspruch. Hierauf ist § 42 Abs. 2 GKG jedoch nach seinem Wortlaut nicht anwendbar (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 27.04.1992 – 11 W 22/92). Eine Ausnahme soll lediglich dann in Betracht kommen, wenn Schadensersatz wegen Verletzung der Gesundheit eines Menschen durch Zahlung einer Geldrente verlangt wird (vgl. Binz - Dörndorfer, GKG, 2. Aufl. 2009, § 42, Rn. 8). Dies ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben.
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Auch eine analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 GKG ist vorliegend nicht geboten, da der Schutzzweck dieser Norm, Streitigkeiten um die wirtschaftliche Lebensgrundlage eines Arbeitnehmers günstig zu halten, Streitigkeiten um Schäden aus einem Arbeitsverhältnis nicht erfasst und die Interessenlage der Gebührenverpflichteten auch nicht vergleichbar ist. Eine planwidrige Regelungslücke ist insoweit nicht erkennbar. Zudem handelt es sich bei § 42 Abs. 2 GKG um eine die allgemeinen Wertbestimmungen nach §§ 3 ff. ZPO einschränkende Sondernorm und damit um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift.
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Das Arbeitsgericht hielt sich mit der Heranziehung der in der Klagebegründung angegebenen Bezifferung des künftig zu erwartenden Schadens auch im Rahmen seines Ermessens (vgl. Zöller - Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 3, Rn.16, "Schadensersatz").
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Die unbegründete Beschwerde der Beschwerdeführerin war damit zurückzuweisen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin nach § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis).
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Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nach § 33 Abs. 4 RVG nicht gegeben.
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Referenzen
- RVG § 23 Allgemeine Wertvorschrift 1x
- § 42 Abs. 2 GKG 7x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 3 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Ca 884/10 1x (nicht zugeordnet)
- 11 W 22/92 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
- RVG § 33 Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren 2x
- ZPO § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen 1x