Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (4. Kammer) - 4 Sa 274/16
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.4.2016, Az.: 3 Ca 1911/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
- 2
Der am … 1965 geborene Kläger war bei der Beklagten, die mit über 400 Arbeitnehmern ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs betreibt, als Busfahrer beschäftigt.
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Mit Schreiben vom 14.10.2015, welches dem Kläger am 20.10.2015 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2015. Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 06.11.2015 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.
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Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, gegen den Kläger bestehe der Verdacht, dass dieser in der Nacht vom 20.03 auf den 21.03.2015 Dieselkraftstoff aus einem ihrer Busse entwendet habe. Am Tag zuvor habe sie telefonisch einen Hinweis von einem ihrer Fahrer erhalten, der anonym bleiben wolle, dass in der Nacht vom folgenden Freitag auf Samstag ein Dieseldiebstahl an einem Bus in A-Stadt stattfinden solle. Daraufhin habe sie den betreffenden Bus-Abstellplatz in der Zeit von 22:30 Uhr bis 05:00 Uhr durch ihren Sicherheitsservice observieren lassen. Unmittelbar nach Ankunft am Bus habe der Kläger diesen gewendet. Der Detektiv habe sodann den Tankdeckel von seinem Observierungsposten aus nicht mehr einsehen können. Fast zur gleichen Zeit sei ein Klein-Pkw auf den Parkplatz gefahren und habe hinter dem Bus auf der vom Beobachtungsposten abgewandten Seite geparkt. Etwa 20 Minuten später sei der Bus vom Kläger wiederum um 180 Grad gewendet worden und sei sodann zunächst auf dem Parkplatz stehen geblieben. Der Detektiv habe nach Verlassen seines Standortes feststellen können, dass der Kleinwagen ordnungsgemäß in einer der markierten Parkflächen mit der Front in Richtung Ausfahrt und mit geöffnetem Kofferraum eingeparkt gewesen sei. Der Gelenkbus des Klägers habe im 90 Grad Winkel hinter dem Kleinwagen gestanden. Kurze Zeit danach habe der Kleinwagen das Parkplatzgelände verlassen. Nach einem zweiten Wendemanöver sei der Kläger kurze Zeit später um ca. 04:30 Uhr in Richtung des Kurhauses A-Stadt, der ersten Haltestelle seiner dienstplanmäßigen Fahrt, losgefahren. Obwohl der Abstellplatz nicht auf der Route des Klägers gelegen sei, sei der Kläger mit dem Gelenkbus wenige Minuten später, als bereits die vom Detektiv hinzugezogene Polizei angekommen gewesen sei, zum Abstellplatz zurückgefahren und habe im Kreisverkehr gedreht. Zu diesem Zeitpunkt seien Fahrgäste im Bus gewesen. Am nächsten Vormittag sei der Kläger um ca. 10:30 Uhr von zwei Mitarbeitern zu einem Gespräch gebeten und mit dem Diebstahlvorwurf konfrontiert worden. Der Kläger habe den Vorwurf bestritten. Der Umstand, dass bezüglich des Dieselkraftstoffes im Bus keine nachweisbare Fehlmenge habe festgestellt werden könne, sei damit zu erklären, dass der Kläger den Detektiv und die Polizei gesehen habe und unproblematisch an einem anderen Ort die Treibstoffmenge wieder habe auffüllen können.
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Das gegen den Kläger eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 23.09.2015 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 STPO eingestellt.
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Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 21.04.2016 (Bl. 129 - 132 d. A.).
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.10.2015 aufgelöst ist.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 11
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 29.04.2016 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 - 11 dieses Urteils (= Bl. 132 - 138 d. A.) verwiesen.
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Gegen das ihr am 01.06.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.06.2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 28.06.2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 04.10.2016 begründet.
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Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und macht darüber hinaus im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts bestünden gegen den Kläger hinreichende Verdachtsmomente bezüglich der Entwendung von Dieselkraftstoff. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger im Rahmen seiner ersten Anhörung den Diebstahl lediglich bestritten, jedoch keinerlei weitere Angaben gemacht habe. Zu bewerten sei auch der Umstand, dass der Kläger seine vorgesehene Dienstroute anweisungswidrig verlassen habe und nochmals zu dem Halteplatz zurückgefahren sei. Dem Kläger, der wohl eine Entdeckung seiner Tat befürchtet habe, sei es auch durchaus möglich gewesen, das Fahrzeug nachzubetanken, damit eine Fehlmenge habe nicht mehr festgestellt werden können. Dies ergebe sich aus dem Tätigkeitsprotokoll des Klägers für den betreffenden Bus während des vorliegend maßgeblichen Zeitraums, welches mehrere "unklare" Zeiten enthalte, in denen ein Nachtanken habe durchgeführt werden können. Weitere Verdachtsmomente gegen den Kläger ergäben sich aus der schriftlichen Erklärung ihres Mitarbeiters Jung gegenüber der Polizei vom 02.06.2015 (Bl. 55 - 57 d. A.).
- 14
Zur Darstellung aller weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 04.10.2016 (Bl. 174 - 185 d. A.) Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 20.12.2016 (Bl. 209 - 216 d. A.), auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
I.
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Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung stattgegeben.
II.
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Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die streitbefangene ordentliche Kündigung aufgelöst worden. Die Kündigung ist nicht durch Gründe i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt und daher sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1, 2 KSchG).
- 22
Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Das Berufungsvorbringen bietet lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Klarstellungen:
1.
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Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen. Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche Kündigung daher sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11 - AP Nr. 53 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).
- 24
Der eine Kündigung rechtfertigende Verdacht, der Arbeitnehmer habe eine strafbare Handlung oder schuldhafte Pflichtverletzung begangen, muss objektiv durch Tatsachen begründet sein, die so geschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss darüber hinaus dringend sein, d. h. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Straftat oder die Pflichtverletzung begangen hat (BAG v. 12.08.1999 - 2 AZR 923/98 - AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).
2.
- 25
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die streitbefangene Verdachtskündigung als unwirksam. Dabei kann zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass wohl Umstände gegeben sind, die geeignet sind, gegen den Kläger den Verdacht zu begründen, dieser sei an der Entwendung von Dieselkraftstoff aus einem Bus der Beklagten in der Nacht vom 20.03 auf den 21.03.2015 zumindest beteiligt gewesen. Solche Verdachtsmomente können durchaus aus dem von der Beklagen behaupteten auffälligen bzw. merkwürdigen Verhalten des Klägers am Bus-Abstellplatz in der betreffenden Nacht sowie daraus resultieren, dass der Kläger - nach Behauptung der Beklagten - nach Beginn der Fahrt und möglicherweise sogar mit Fahrgästen nochmals am Abstellplatz vorbeifuhr, nachdem er zuvor bemerkt hatte, dass die Polizei dorthin unterwegs war. Dieser Verdacht ist jedoch keineswegs dringend, d. h. es besteht keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger die Straftat tatsächlich begangen hat. Gegen die Dringlichkeit eines solchen Verdachts spricht entscheidend der Umstand, dass - wie die Beklagte in der Berufungsverhandlung ausdrücklich eingeräumt hat - eine Fehlmenge beim Kraftstoff des betreffenden Busses nicht festgestellt werden konnte. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass überhaupt eine Entwendung von Kraftstoff stattgefunden hat. Soweit die Beklagte diesbezüglich vorgetragen hat, der Kläger habe, wohl um eine Entdeckung seiner Tat zu verhindern, später eine Nachbetankung durchgeführt, wozu er auch die Gelegenheit gehabt hätte, so beruht dieses Vorbringen auf bloßen Mutmaßungen. Aus den von einem ihrer Mitarbeiter gegenüber der Ermittlungsbehörde abgegebenen Erklärungen vom 02.06.2015 (u. a. aufwändiger Lebensstil des Klägers; enge Freundschaft des Klägers mit einem früheren Mitarbeiter, der im Jahr 2014 wegen Dieseldiebstahl entlassen wurde; Äußerungen anderer Mitarbeiter "unter vorgehaltener Hand") auf die sich die Beklagte berufen hat, lassen sich ebenfalls keine konkreten Verdachtsmomente bezüglich der Vorkommnisse in der Nacht vom 20.03. auf den 21.03.2015 herleiten.
III.
- 26
Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
- 27
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.
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