Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 539/13
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 18.10.2013 – 1 Ca 1553/12 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die (vorzeitige) Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses.
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Die Klägerin war seit 15.05.2012 bei der Beklagten, die ein Pflegeheim in M betreibt, als Hauswirtschaftskraft/Köchin beschäftigt. Die Rechtsbeziehungen der Parteien bestimmten sich nach dem Arbeitsvertrag vom 15.05.2012 (Bl. 11 – 17 d.A.), der eine befristete Beschäftigung der Klägerin für den Zeitraum vom 15.05.2012 bis 14.05.2013 vorsah.
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Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 14.11.2012 (Bl. 21 d.A.), der Klägerin am selben Tage zugegangen, das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgemäß zum 29.11.2012.
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Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin – wie zwischen den Parteien nach Vorlage des Mutterpasses in Kopie (Bl. 42 d.A.) unstreitig geworden ist – schwanger.
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Die Klägerin hatte hierüber die leitende Pflegekraft, Frau L im Zusammenhang mit Gewährung von Urlaub während der Weihnachtstage am 13.11.2012 informiert. Eine Information des Geschäftsführers der Komplementär GmbH der Beklagten (im Folgenden Geschäftsführer) über die bestehende Schwangerschaft erfolgte seitens der Klägerin jedoch nicht.
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Nach der Stellenbeschreibung (Bl. 54 – 60 d.A.) ist die leitende Pflegekraft Frau L personalverantwortlich für den Pflegebereich, nicht jedoch für den Bereich Hauswirtschaft. Der Geschäftsführer selbst hat sich nicht täglich in der Einrichtung in M aufgehalten.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Kündigung komme wegen Verstoßes gegen § 9 MuSchG keine Rechtswirksamkeit zu.
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Der Geschäftsführer sei – so hat die Klägerin behauptet – durch Frau L über das Bestehen der Schwangerschaft vor Ausspruch der Kündigung informiert worden. Im Übrigen sei auch eine Information der Frau L ausreichend gewesen, da diese bei Abwesenheit des Geschäftsführers faktisch die Arbeitgeberfunktion auch gegenüber der Klägerin ausgeübt habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die Kündigung vom 14.11.2012 zum 29.11.2012 beendet wurde.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Kündigung komme Rechtswirksamkeit zu. Der Klägerin stehe kein Sonderkündigungsschutz nach § 9 MuSchG zu, weil sie ihre Schwangerschaft nicht gegenüber der Beklagten mitgeteilt habe. Eine beiläufige Information der Frau L sei hierzu nicht ausreichend gewesen, weil dieser keine Arbeitgeberbefugnisse gegenüber der Klägerin zugestanden haben.
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Das Arbeitsgericht hat über die Behauptung der Klägerin, Frau L habe den Geschäftsführer über das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Klägerin informiert, Beweis erhoben durch Vernehmung der Frau L als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 18.10.2013 (Bl. 88 – 91 d.A.) verwiesen.
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Im Anschluss daran hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom selben Tage festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kündigung komme wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 MuSchG keine Rechtswirksamkeit zu. Die Voraussetzungen dieser Norm seien gegeben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Kammer davon überzeugt, dass der Geschäftsführer jedenfalls kurz nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung durch Frau L über das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Klägerin informiert worden sei. Mithin könne im Ergebnis dahinstehen, ob Frau L selbst zur Entgegennahme derartiger Informationen befugt war. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 101 – 110 d.A. verwiesen.
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Gegen dieses, ihr am 12.11.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.12.2013 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.02.2014 am 11.02.2014 begründet.
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Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihren Klagabweisungsantrag weiter. Sie vertritt die Rechtsauffassung, auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussage der Frau L seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht gegeben. Die Weitergabe der Information betreffend die Schwangerschaft der Klägerin durch diese Mitarbeiterin stelle keine Mitteilung i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG dar, weil die Zeugin weiter bekundet habe, sie habe keine Personalverantwortung für das Hauswirtschaftspersonal gehabt und habe die Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen, sie müsse den Geschäftsführer selbst über das Bestehen ihrer Schwangerschaft informieren.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 18.10.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
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Die an sich statthafte (§§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG) und auch im Übrigen zulässige (§ 66 Abs. 1 ArbGG) Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben.
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Die streitige Kündigung vom 14.11.2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Sie ist gemäß §§ 134 BGB, 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nichtig. Nach der letztgenannten Vorschrift ist – u.a. – eine Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unwirksam, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
I.
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Die Klägerin war – wie nach Vorlage einer Kopie ihres Mutterpasses unstreitig geworden ist – zum Zeitpunkt der vorliegenden Kündigung schwanger.
II.
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Dahinstehen kann, ob der Beklagten dieser Umstand schon zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt war. Ihr ist die Schwangerschaft jedenfalls innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden.
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1. Der Geschäftsführer der Komplementär GmbH der Beklagten als letztendlich vertretungsberechtigtes Organ (§§ 35 GmbHG; 125, 161 Abs. 2, 170 HGB) hat jedenfalls am 14.11.2013 – dem Tag des Zugangs der Kündigung – von der bestehenden Schwangerschaft der Klägerin Kenntnis erlangt. Die hierzu von dem Arbeitsgericht vernommene Zeugin L hat bekundet, sie habe den Geschäftsführer, nachdem dieser ihr von dem Ausspruch der Probezeitkündigung gegenüber der Klägerin berichtet habe, gefragt, ob die Klägerin ihn über die Schwangerschaft informiert habe, worauf der Geschäftsführer dies verneint und seine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht habe, dass die Klägerin noch soviel rauche. Nach dem Inhalt der Berufungsbegründung ist dieser Geschehensablauf als zwischen den Parteien unstreitig (geworden) anzusehen. Die Beklagte stellt auf Seite 4 der Berufungsbegründung diesen Umstand „unstreitig“. Im Übrigen ist aber auch zur Überzeugung der Berufungskammer nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung jener Geschehensablauf als bewiesen anzusehen.
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2. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht einer Mitteilung der Schwangerschaft ihr gegenüber nicht entgegen, dass die Klägerin nicht unmittelbar den Geschäftsführer ihrer Komplementär GmbH informiert hat, sondern die Beklagte die Kenntnis durch einen Hinweis der leitenden Pflegekraft erhalten hat.
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Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, Frau L sei hinsichtlich der Entgegennahme derartiger Erklärungen von Arbeitnehmerinnen aus dem Bereich „Hauswirtschaft/Küche“ weder rechtsgeschäftlich bestellte Vertreterin noch Empfangsbotin der Beklagten gewesen, mithin ihre Kenntnis über die Schwangerschaft der Klägerin als solche nicht ausreicht, um auch die Beklagte im Rechtssinne in Kenntnis zu setzen. Der Frau L kommt im vorliegenden Fall jedenfalls die Funktion einer Erklärungsbotin der Klägerin zu. Im Unterschied zu einem Empfangsboten geht eine Willenserklärung und in entsprechender Anwendung eine rechtsgeschäftsähnliche Erklärung, um die es sich bei der Mitteilung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG handelt, bei Einschaltung einer von dem Erklärenden mit der Weitergabe betrauten Person nicht bereits mit Übermittlung an diese (zuzüglich der für die Weitergabe üblichen Fristen), sondern erst bei tatsächlicher Weitergabe an den Empfänger selbst oder seinen Vertreter bzw. Empfangsboten zu (Palandt/Ellenberger BGB 73. Aufl. § 130 Rn. 9).
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a. Dem steht auch nicht entgegen, dass Frau L nach ihrer Stellenbeschreibung keine Personalbefugnisse für das hauswirtschaftliche Personal zukamen. Die Stellung als Erklärungsbote hängt im Unterschied zu der des Empfangsboten nicht davon ab, dass der Erklärungsempfänger die Person zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt hat. Es reicht vielmehr die Beauftragung durch den Erklärenden, eine bestimmte Erklärung weiterzugeben, aus. Allerdings trägt der Erklärende das Risiko, dass der von ihm beauftragte Bote die Erklärung nicht weitergibt (MünchKommBGB/Schramm 6. Aufl. Vor § 164 Rn. 58).
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b. Von einer Beauftragung der Frau L in diesem Sinne seitens der Klägerin ist auszugehen. Sie hat im Zusammenhang mit einem Urlaubsantrag für einen Zeitraum nach Ablauf der Probezeit (Weihnachtstage) über den – so die glaubhafte Aussage die Zeugin L – sie entscheidungsbefugt war, ihre Schwangerschaft offenbart. Auch wenn dies „beiläufig“ erfolgt sein mag, so wird doch aus dem Gesamtzusammenhang deutlich, dass die Information „dienstlichen Charakter“ haben sollte. Zwar hat die Zeugin die Klägerin hinsichtlich der Information über die Schwangerschaft an den Geschäftsführer verwiesen. Hierdurch entfällt aber nicht ihre Stellung als Erklärungsbotin. Nach dem sich bietenden Sachvortrag, einschließlich der glaubhaften Aussage der Zeugin kann nicht angenommen werden, die Klägerin habe eine Weitergabe der besagten Information durch die Zeugin nicht gewollt.
III.
- 33
Nach alledem konnte das Rechtsmittel der Beklagten keinen Erfolg haben.
B.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
C.
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Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt.
- 36
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Kammer weicht mit ihrer Entscheidung auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.
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Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.
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Referenzen
- HGB § 125 1x
- §§ 134 BGB, 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 8 Gang des Verfahrens 1x
- HGB § 161 1x
- ArbGG § 72a Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- HGB § 35 (weggefallen) 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 1x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- HGB § 170 1x
- 1 Ca 1553/12 1x (nicht zugeordnet)
- MuSchG § 9 Kündigungsverbot 7x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x