Urteil vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (5. Kammer) - 5 Sa 438/17

Tenor

1. Die wechselseitigen Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn - Kammer Meldorf - vom 14.09.2017, Az. 5 Ca 714 a/17, werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 4/9 und die Beklagte zu 5/9.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien führen einen Kündigungsrechtsstreit. Daneben begehrt der Kläger eine Entschädigung nach dem AGG.

2

Der 33-jährige Kläger ist bei der Beklagten, die zwei Restaurants und einen Pizza-Lieferservice betreibt, seit dem 01.05.2016 als Abteilungsleiter Marketing- und Qualitätsmanagement beschäftigt zu einem Monatsgehalt von 2.550,00 € brutto bei einer monatlichen Arbeitszeit von 170 Stunden. Zum Aufgabenbereich des Klägers zählten im Wesentlichen die Außendarstellung des Unternehmens, die Statistikauswertung zur Analyse der Marktstrategie sowie Preiskalkulationen für die Erstellung von Speise- und Eiskarten. Der Kläger war u. a. eingesetzt in den Bereichen Personalgewinnung und Personaleinsatzplanung sowie im Aufbau einer Warenwirtschaft. Zuletzt arbeitete er seit April 2017 überwiegend als Telefonist im Service-Center in H… . Es ist zwischen den Parteien streitig, ob die Beklagte den Bereich Marketing- und Qualitätsmanagement zum 01.08.2017 outsourcte.

3

Für die Mitarbeiter der Beklagten werden auf arbeitsvertraglicher Grundlage Arbeitszeitkonten geführt. Dies ist für den Kläger in § 4 des Arbeitsvertrages vom 24.05.2016 geregelt (Bl. 5 ff. d. A.). Die Mitarbeiter sind verpflichtet, ihre Arbeitszeiten über ein Computerprogramm festzuhalten. Dafür loggen sich die Mitarbeiter über ein Zeiterfassungssystem am Computer des jeweiligen Einsatzortes selbstständig ein und aus. Der Kläger konnte sich dafür sowohl von dem Computerterminal an seinem Arbeitsplatz im Verwaltungsgebäude der Beklagten in H… als auch von den Computerterminals in den Restaurantfilialen der Beklagten ein- und ausloggen. Es ist zwischen den Parteien streitig, ob sich der Kläger von April bis Anfang Juni 2017 regelmäßig zur Mittagspause erst im Restaurant, welches sich neben dem Verwaltungsgebäude in H… befindet, ausloggte und nach der Mittagspause bereits im Restaurant wieder einloggte, obgleich er nach dem Einloggen dort noch eine Weile blieb.

4

Der Kläger ist homosexuell und hat einen Lebenspartner. Dies war dem Geschäftsführer der Beklagten bei dessen Einstellung bekannt. Am 27.02.2017 stritten sich der Kläger und dessen Kollege B.. Während dieses Streits bezeichnete der Zeuge B. den Kläger u. a. als „Schwuchtel“. Der Kläger beschwerte sich wegen dieser Beleidigung sogleich bei dem Geschäftsführer der Beklagten. Die Beklagte ergriff keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen gegen den Zeugen B.. Während zweier Gespräche Anfang März 2017 und im Mai 2017 fragte der Geschäftsführer den Kläger u.a. nach der Rollenverteilung innerhalb seiner gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Die Diktion dieser Frage und die näheren Umstände des Gesprächs sind streitig.

5

Der Kläger war vom 30.05.2017 bis zum 09.06.2017 arbeitsunfähig krank. Als er sich bei der Verwaltungschefin, der Zeugin W., telefonisch krank meldete, berichtete er dieser, dass sein Freund einen Bluttest habe machen lassen und der Arzt seinen Freund und ihn nun zu einer Besprechung in die Praxis gebeten habe, worüber er sehr beunruhigt sei. Dies erzählte die Zeugin W. dem Geschäftsführer der Beklagten. Die Beklagte forderte den Kläger auf, am 09.06.2017 ins Büro zu kommen. Dort händigte die Zeugin W. dem Kläger die ordentliche Kündigung vom 08.06.2017 zum 31.07.2017 aus. Mit im Gütetermin übergebenen Schreiben vom 23.06.017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, nunmehr fristlos.

6

Der Kläger hat am 09.06.2017 gegen die ordentliche Kündigung vom 08.06.2017 vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben und sodann am 23.06.2017 die Klage um den Kündigungsfeststellungsantrag betreffend die fristlosen Kündigung vom 23.06.2017 erweitert. Mit Schriftsatz vom 26.06.2017 hat der Kläger die Klage wegen behaupteter Entschädigungsansprüche nach dem AGG erweitert. Die Beklagte habe die streitgegenständlichen Kündigungen zumindest auch wegen seiner Homosexualität ausgesprochen.

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Wegen des weiteren, insbesondere streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie dessen Inbezugnahmen verwiesen.

8

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.09.2017 den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Für den Ausspruch der fristlosen Kündigung fehle es an einem wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB. Die Beklagte könne sich nicht auf einen vorsätzlichen Missbrauch des Zeiterfassungssystems und damit Arbeitszeitbetrug berufen. Die Beklagte habe bereits nicht dargelegt, an welchen konkreten Tagen der Kläger seine Arbeits- und Pausenzeiten zur Mittagszeit falsch erfasst habe. Ein konkreter Vortrag zu den behaupteten Vorwürfen des zu späten Ausloggens und zu frühen Einloggens vor und nach der Mittagspause sei ihr angesichts der im Zeiterfassungssystem gespeicherten Daten jedoch möglich gewesen. Auf den unsubstatiierten Vortrag der Beklagten habe sich der Kläger nicht einlassen können, sodass auch nicht beurteilt werden könne, ob das gerügte Verhalten des Klägers zuvor hätte abgemahnt werden müssen. Wegen des unzureichenden Tatsachenvortrags der Beklagten könne die unwirksame fristlose Kündigung auch nicht in eine ordentliche Kündigung gemäß § 140 BGB umgedeutet werden.

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Die ordentliche Kündigung vom 08.06.2017 sei gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht sozial gerechtfertigt. Die Beklagte habe nicht darzulegen vermocht, dass der Arbeitsplatz des Klägers weggefallen sei. Dem Sachvortrag der Beklagten sei nicht zu entnehmen, welche Aufgaben des Klägers als Leiter der Abteilung Marketing- und Qualitätsmanagement auf welchen externen Dienstleister übertragen werden sollen. Die Beklagte hätte ein nachvollziehbares Konzept darlegen müssen, das auch erkläre, wie solch unterschiedliche Aufgaben wie zum Beispiel die Personaleinsatzplanung der Fahrer in H… und der Mitarbeiter im Service-Center sowie des Telefondienstes im Servicecenter überhaupt von einem Dritten hätten durchgeführt werden können. Ferner habe die Beklagte nicht dargelegt, dass bei Ausspruch der Kündigung die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung, den Bereich Marketing- und Qualitätsmanagement outzusourcen, bereits greifbare Formen angenommen hatte.

10

Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG sei indessen unbegründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stellten die beiden Kündigungen keine Benachteiligung des Klägers wegen dessen sexueller Identität i. S. v. § 1 AGG dar.

11

Gegen dieses ihr am 20.10.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.11.2017 bei dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 22.01.2018 am 22.01.2018 begründet. Der Kläger seinerseits hat gegen das ihm am 23.10.2017 zugestellte Urteil beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein am 21.11.2017 Berufung eingelegt und diese am 08.12.2017 begründet.

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Die Beklagte trägt vor,

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der Kläger habe von April 2017 bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung seine Arbeitszeiten fortlaufend unrichtig erfasst, indem er sich in das computergestützte Zeiterfassungssystem zu spät für die Mittagspause ausgeloggt und hernach zu früh, d. h. noch während der Mittagspause, wieder als arbeitend eingeloggt habe. Dies könne die im Restaurant arbeitende Zeugin H. bestätigen. Hierfür könne sie konkret zwei Tage benennen: den 18.04.2017 und den 28.04.2017. Am 28.04.2017 habe der Kläger ausweislich des Bons erst um 13:59 Uhr im Restaurant bezahlt (Bl. 123 d. A.) und habe sich aber bereits um 13:10 Uhr wieder ins Zeiterfassungssystem eingeloggt. Durch den begangenen Arbeitszeitbetrug des Klägers sei ihr ein Schaden entstanden. Die ordentliche Kündigung sei ebenfalls als wirksam anzusehen. Sie, die Beklagte, habe die Hierarchieebene des Abteilungsleiters Marketing- und Qualitätsmanagement abgeschafft. Die vom Kläger ausgeführten Tätigkeiten seien einer Drittfirma übertragen worden. Zu Recht habe das Arbeitsgericht jedoch die vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsansprüche abgewiesen. Es seien keine Indizien bewiesen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gemäß § 22 AGG vermuten ließen. Die angeblichen Äußerungen der Zeugin W. bei Übergabe der Kündigung hab es nicht gegeben. Ihr Geschäftsführer habe auch keine verächtlichen Nachfragen zur homosexuellen Beziehung des Klägers gestellt, sondern ordentlich und mit aufgeschlossenem Interesse gefragt, ob es bei gleichgeschlechtlichen Paaren eine entsprechende Rollenverteilung gebe. Es widerspräche auch der Logik, wenn ihr Geschäftsführer den Kläger in Kenntnis des Umstandes der Homosexualität einstellt, um ihn sodann aus diesem Grund wieder zu entlassen.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 14.09.2017, Az. 5 Ca 714 a/17, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

16

Der Kläger beantragt,

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1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

18

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 14.09.2017, Az. 5 Ca 714 a/17, soweit seine Klage abgewiesen wurde, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 10.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 5.100,00 ab dem 09.06.2017 und auf einen weiteren Betrag von 5.100,00 € ab dem 23.06.2017 zu zahlen.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

21

Der Kläger trägt vor,

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das Arbeitsgericht habe unter Außerachtlassung des § 22 AGG seine Entschädigungsansprüche abgewiesen. Er habe ausreichend Indizien für eine Benachteiligung wegen sexueller Identität vorgetragen. Unstreitig habe der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger im Beisein anderer Mitarbeiter der Lächerlichkeit preisgegeben, in dem dieser ihn fragte, wer in einer homosexuellen Beziehung die Frau sei. Damit habe der Geschäftsführer zugleich unterstellt, dass ein Partner stets die Rolle der Frau einnehme. Ihm, dem Kläger, sei das sehr peinlich gewesen. Ein weiteres Indiz sei, dass der Geschäftsführer der Beklagten den Mitarbeiter B. wegen der beleidigenden Äußerung „Schwuchtel“ nicht sanktioniert habe. Er habe - neben der für ihn durch die HIV-Erkrankung seines Lebenspartners notwendig gewordenen Blutuntersuchungen - genügend Indizien vorgetragen, welche es vermuten lassen, das die Beklagte ihm einzig und allein wegen seiner sexuellen Identität gekündigt habe. Vor diesem Hintergrund sei die Beklagte verpflichtet, vollumfänglich Beweis dafür zu erbringen, dass kein AGG-Verstoß vorgelegen habe.

23

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt ihrer wechselseitigen Berufungsschriftsätze sowie der Sitzungsniederschrift vom 12.04.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die selbstständigen Berufungen beider Parteien sind zulässig. Sie sind nach § 64 Abs. 2 lit. b) und c) ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

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In der Sache selbst haben beide Berufungen keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsfeststellungsanträgen des Klägers zu Recht stattgegeben (A.) und dessen Entschädigungsklage zu Recht abgewiesen (B.).

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A. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

27

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde weder durch die fristlose Kündigung zum 23.06.2017 (I.) noch durch die ordentliche Kündigung zum 31.07.2017 beendet (II.).

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I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht infolge der fristlosen Kündigung mit Ablauf des 23.06.2017.

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1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, Urt. v. 23.10. 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, juris; BAG, Urt. v. 22.10.2015 - 2 AZR 569/14 -, Rn. 21 -, juris).

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2. Die Beklagte stützt die fristlose Kündigung auf den Vorwurf, der Kläger habe von April 2017 bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung, d. h. bis Anfang Juni 2017, fortlaufend unter Ausnutzung des Zeiterfassungssystems einen Arbeitszeitbetrug begangen.

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a) Die wissentlich und vorsätzlich falsche Erfassung der täglichen Arbeitszeiten, um damit Vergütung für nicht erbrachte Arbeitsleistungen zu erhalten, ist grundsätzlich „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme, § 241 Abs. 2 BGB (BAG, Urt. v. 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 -, Rn. 14, juris; LAG Rheinland Pfalz, Urt. v. 03.02.2016 - 7 TaBV 20/15 -, Rn. 72, juris; Hessisches LAG, Urt. v. 17.02.2014 - 16 Sa 1299/13 -. Rn. 22, juris).

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b) Vorliegend hat die Beklagte indessen die dem Kläger zur Last gelegte fortlaufende Manipulation des Aus- und wieder Einloggens zur und nach der Mittagspause auch in der Berufungsbegründung nicht substantiiert dargelegt.

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aa) Sie behauptet weiterhin lediglich pauschal und damit prozessual nicht einlassungsfähig und unbeachtlich, dass der Kläger „fortwährend und immer wieder“ „zwischen April 2018 und dem 08.06.2018“ das Arbeitszeitsystem ausgenutzt habe, um einen Arbeitszeitbetrug zu ihren Lasten zu begehen. Die Beklagte hat die einzelnen Pflichtverstöße weder zeitlich konkretisiert (Datum) noch den hierdurch verursachten Umfang des Arbeitszeitbetrugs substantiiert dargelegt (Einloggen nach der Mittagspause und nachträgliche Verweildauer im Restaurant bzw. Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme). Hierzu wäre sie indessen verpflichtet gewesen, um überhaupt einen Rückschluss auf das systematische und damit vorsätzliche Vorgehen des Klägers im Hinblick auf die Arbeitszeitmanipulation feststellen zu können. An welchen Tagen genau hat die benannte Zeugin H. den Kläger beim vorzeitigen Einloggen im Restaurant beobachtet? Es kann nicht einmal festgestellt werden, ob im streitgegenständlichen Zeitraum die Arbeitstage der Zeugin H. mit denjenigen des Klägers übereinstimmen. Die Vernehmung der Zeugin H. liefe auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

34

bb) Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Beklagte in der Berufungsinstanz nunmehr auf zwei konkrete Tage (18.04.2017 und 28.04.2017) beruft. Für den 18.04.2017 trägt sie noch nicht einmal vor, wann sich der Kläger an diesem Tag an dem Rechner im Restaurant als arbeitend wieder eingeloggt habe und wie lange er danach noch im Restaurant geblieben sei.

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(1) Allein der Umstand, dass sich der Kläger bereits beim Verlassen des Restaurants im dortigen Computerterminal einloggte, belegt noch keinen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger grundsätzlich verpflichtet ist, sich erst bei Ankunft an seinem Arbeitsplatz bzw. im Verwaltungsgebäude über den dortigen Rechner wieder im Zeiterfassungssystem einzuloggen. Indessen kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beklagte erst die Möglichkeit geschaffen hat, dass sich ihre Arbeitnehmer an allen Computerterminals ein- und ausloggen können. Zudem befindet sich das Verwaltungsgebäude unmittelbar neben dem betreffenden Restaurant, sodass die Wegezeit als gering erachtet werden kann. Vor diesem Hintergrund kann ohne vorherige Abmahnung nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass der Kläger, sollte er sich beim Verlassen des Restaurants dort bereits eingeloggt haben, einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug begangen hat.

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(2) Lediglich für den 28.04.2017 trägt die Beklagte einen Pflichtverstoß bei der Arbeitszeiterfassung substantiierter vor. Danach hat sich der Kläger an diesem Tag nach der Mittagspause im Restaurant um 13:50 Uhr eingeloggt und hat erst nach weiteren neun Minuten um 13:59 Uhr seine Getränke und Speisen bezahlt (streitig), um dann erst wieder das anliegende Verwaltungsgebäude aufzusuchen. Aber auch aufgrund dieser substantiiert dargelegten Pflichtverletzung (fehlerhafte Zeiterfassung) kann vorliegend ohne vorherige Abmahnung nicht notwendigerweise auf einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug geschlossen werden. Im Falle eines einzelnen Vorfalles fehlerhafter Arbeitszeiterfassung in eher geringem Umfang (hier: neun Minuten) muss der Arbeitgeber die näheren Umstände vortragen, die einen Rückschluss auf einen vorsätzlich begangenen Arbeitszeitbetrug ermöglichen und damit ein Versehen ausschließen. So stellt sich die Frage, ob der Kläger am 28.04.2017 um 13:50 Uhr eigens vom Tisch aufgestanden ist, um sich am Computer einzuloggen, um danach noch einen Kaffee am Tisch zu trinken oder ist er nach dem Einloggen noch in ein Gespräch mit der Zeugin oder anderen Gästen verwickelt worden und hat erst dann bezahlt und das Restaurant verlassen? In der ersten Variante könnte auch ohne vorherige Abmahnung auf Vorsatz geschlossen werden.

37

Ungeachtet dessen hat der Kläger bestritten, dass es sich bei der zur Akte gereichten Anlage B1 (Bl. 123 d. A.) um seinen Kassenbon handelte. Eine Personalnummer ist auf der Kassenquittung nicht registriert (z. B. zum Zwecke eines gewährten Personalrabatts). Zudem hat der Kläger eingewandt, dass solche Kassenbons auch nach dem Bezahlvorgang und damit später ausgedruckt werden könnten. Ferner seien die Uhrzeiten des Kassensystems und des Computerterminals im Restaurant nicht synchronisiert gewesen seien. Diesen Einwänden des Klägers ist die Beklagte nicht entgegen getreten, sodass sie als unstreitig angesehen werden können.

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3. Dementsprechend fehlt es an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung vom 23.06.2017. Die Beklagte hat nicht schlüssig dargelegt, dass überhaupt und in welchem konkreten Umfang der Kläger einen Arbeitszeitbetrug durch fehlerhafte Erfassung seiner Arbeitszeiten begangen hat.

39

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien, auf das unstreitig das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, endete nicht aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 08.06.2017 zum 31.07.2017. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt.

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1. Dringende betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein. Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, ist gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr gefordert ist. Dabei kommt es de lege lata nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische (Organisations-)Entscheidung ihrerseits - etwa aus wirtschaftlichen Gründen - „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre. In diesem Sinne ist die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht dabei die Vermutung, dass sie aus sachlichen - nicht zuletzt wirtschaftlichen - Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (BAG, Urt. v. 31.07.2014 - 2 AZR 422/13 -, Rn. 31 juris).

41

Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von einer solchen unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen - soweit die Kündigung ihren Grund in einer Änderung der betrieblichen Organisation hat - zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Andernfalls lässt sich im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung - auf den es dafür unverzichtbar ankommt - nicht hinreichend sicher prognostizieren, es werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs kommen (BAG, Urt. v. 31.07.2014 - 2 AZR 422/13 - Rn. 34, juris; BAG, Urt. v. 20.112014 - 2 AZR 512/13 -, Rn. 16, juris).

42

2. Diese Voraussetzungen hat die nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht schlüssig vorgetragen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gesellschafter der Beklagten tatsächlich am 01.06.2017 die Unternehmerentscheidung getroffen haben, die Abteilung Marketing und Qualitätsmanagement zu schließen und die diesbezüglichen Aufgaben an eine Drittfirma zu übertragen. Denn die Beklagte hat weder schlüssig dargelegt, dass der Arbeitsplatz des Klägers infolge der Fremdvergabe des Marketing- und Qualitätsmanagements (a) noch durch Streichung einer Hierarchieebene (b) spätestens zum 31.07.2017 in Wegfall geraten ist.

43

a) Der Arbeitsplatz des Klägers ist nicht durch Outsourcing weggefallen.

44

aa) Der Kläger hatte einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Beschäftigung als Abteilungsleiter für Marketing und Qualitätsmanagement. Zum Aufgabenbereich des Klägers zählten auch nach dem Vortrag der Beklagten die Standardisierung der Serviceleistungen, Erstellung eines strategischen Marketingkonzepts, Planung, Durchführung und Auswertung von Gewinnspielen, Aufbau eines K.Clubs, Marktanalyse und Standortanalyse für neue Filialen, Pflege des kompletten Social Media Bereichs und Beschwerdemanagement. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger möglicherweise diese Aufgaben überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß erledigt hat. Die Nichterfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten bedingt nicht eine betriebsbedingte Kündigung, sondern allenfalls eine verhaltensbedingte oder personenbedingte Kündigung.

45

bb) Der so definierte Aufgabenbereich des Klägers ist entgegen der Behauptung der Beklagten nicht durch Outsourcing entfallen. Die Beklagte hat nicht im Ansatz schlüssig vorgetragen, dass überhaupt jemals beabsichtigt war, die Aufgabenbereiche Marketing und Qualitätsmanagement auf eine Drittfirma zu übertragen. Mit welchen Drittfirmen stand sie zum Zeitpunkt des Ausspruchs der ordentlichen Kündigung bereits in Verhandlungen und welcher Firma sind letztlich diese Aufgabenbereiche wann übertragen worden? Hierzu fehlt jeglicher Vortrag. Die Kammer geht mithin davon aus, dass die Beklagte den Aufgabenbereich Marketing und Qualitätsmanagement nicht fremdvergeben hat.

46

b) Die Beklagte hat aber auch nicht schlüssig dargelegt, dass sie lediglich eine Hierarchieebene, d. h. die Position des Abteilungsleiters, gestrichen habe.

47

aa) Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus, verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d. h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG, Urt. v. 24.05.2012 - 2 AZR 124/11 -, Rn. 23, juris; BAG, Urt. 23.02.2012 - 2 AZR 548/10 -, Rn. 18, juris).

48

bb) Diesen Darlegungsanforderungen hat die Beklagte nicht entsprochen. Sie hat schlicht behauptet, dass die Stelle des Abteilungsleiters gestrichen bzw. die Abteilung stillgelegt worden sei. Diese Behauptung ersetzt indessen keinen substantiierten Vortrag zum Wegfall des klägerischen Arbeitsplatzes. Sofern die Aufgaben der Marketing- und Qualitätsmanagementabteilung nicht auf eine Drittfirma übertragen wurden, bleibt völlig offen, welcher Mitarbeiter der Beklagten mit welchem zeitlichen Anteil diese betrieblich notwendigen Aufgaben jetzt erledigt. Dies gilt umso mehr, als dass die Abteilung Marketing und Qualitätsmanagement nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nur aus dem Kläger bestand.

49

3. Dementsprechend endete das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die streitgegenständliche ordentliche Kündigung zum 31.07.2016. Soziale Rechtfertigungsgründe gemäß § 1 Abs. 2 KSchG hat die Beklagte nicht darzulegen vermocht.

50

III. Nach alledem war die Berufung der Beklagten insgesamt zurückzuweisen.

51

B. Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

52

I. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von insgesamt 10.200,00 €. Das Arbeitsgericht hat die Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der insoweit darlegungspflichtige Kläger hat keine ausreichenden Indizien i. S. v. § 22 AGG vorgetragen und bewiesen, die mit hinreichender Sicherheit vermuten lassen, dass die Beklagte ihm zumindest auch wegen seiner sexuellen Identität ordentlich und hernach fristlos gekündigt hat.

53

1. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Demgegenüber liegt nach § 3 Abs. 2 AGG eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - was auch eine Benachteiligung wegen mehrerer der in § 1 AGG genannten Gründe einschließt - gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

54

a) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Soweit es um eine unmittelbare Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund i. S. v. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund i. S. v. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG, Urt. v. 15.12.2016 - 8 AZR 454/15 - Rn. 20, juris). Geht es hingegen um eine mittelbare Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 2 AGG, ist der Kausalzusammenhang dann gegeben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG erfüllt sind, ohne dass es einer direkten Anknüpfung an einen Grund i. S. v. § 1 AGG oder eines darauf bezogenen Motivs bedarf.

55

b) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (EuGH, Urt. v. 25.04.2013 - C-81/12 - [Asociaƫia ACCEPT], Rn. 50, juris; BAG, Urt. v. 23.11.2017 - 8 AZR 372/16 -, Rn. 19 ff., juris)

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2. Hieran gemessen steht dem Kläger keine Entschädigung nach dem AGG zu. Denn er hat keine Indizien i. S. v. § 22 AGG vorgetragen und bewiesen, die für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau aller Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung (Kündigungen) und seiner sexuellen Identität der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand. Er wurde zwar durch die ordentliche Kündigung vom 08.06.2017 als auch durch die außerordentliche Kündigung vom 23.06.2017 i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG gegenüber den nicht gekündigten Arbeitnehmern benachteiligt. Der Kläger hat jedoch nicht dargetan, dass er die unmittelbare Benachteiligung wegen seiner Homosexualität erfahren hat. Er hat keine Indizien i. S. v. § 22 AGG vorgetragen und bewiesen, die für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau aller Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem Grund i. S. v. § 1 AGG der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand.

57

a) Der Kläger hat zwar behauptet, dass die Zeugin W. ihm bei Aushändigung der ordentlichen Kündigung auf dessen Nachfrage bezüglich des Grundes gesagt habe, dass der Geschäftsführer ihn, den Kläger, wegen der zurückliegenden Arbeitsunfähigkeit durch die notwendige Blutuntersuchung im Zusammenhang mit der bestehenden Homosexualität auf den „Kieker“ habe und sich deshalb von ihm trennen wolle. Der Geschäftsführer der Beklagten komme mit der Homosexualität des Klägers nicht klar. Diese Behauptung könnte zwar ein tragfähiges Indiz dafür sein, dass zwischen der bestehenden Homosexualität des Klägers und der ordentlichen Kündigung ein Ursachenzusammenhang bestand, indessen hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger nicht den Beweis für das Vorliegen dieser Indiz-Tatsache erbracht.

58

Die Zeugin W. hat in sich plausibel und auch auf mehrfache Nachfrage ausgesagt, dass die Homosexualität des Klägers während des Personalgesprächs überhaupt kein Thema gewesen sei. Da ihr die Kündigungsgründe nicht bekannt gewesen seien, habe sie gegenüber dem Kläger auch keine genannt. Die Aussage der Zeugin W. ist auch deshalb glaubhaft, weil sie von sich aus ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Thema Homosexualität geschildert und aussagt hat, dass sie über die Behauptung des Klägers sehr echauffiert gewesen sei. Zudem steht die Aussage der Zeugin W. in Einklang mit der unstreitigen Tatsache, dass der Geschäftsführer der Beklagten bereits vor der der Einstellung des Klägers Kenntnis von dessen Homosexualität hatte. Es wäre widersprüchlich wissentlich einen homosexuellen Bewerber einzustellen, um ihn dann jedoch aufgrund seiner Homosexualität zu kündigen. Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin W. sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht vorgetragen.

59

Die Aussage der Zeugin W. deckt sich im Übrigen auch mit der Aussage der Zeugin R. Auch diese hat ausgesagt, dass über die Homosexualität des Klägers bei Übergabe der Kündigung nicht gesprochen worden sei. Vielmehr sei es von ihrer Seite aus vornehmlich darum gegangen, dass der Kläger den Empfang der Kündigung quittieren sollte. Auch sie hat geschildert, dass für sie Homosexualität schon deshalb kein Thema sei, weil ihr Sohn mit einem Mann verheiratet sei. Kündigungsgründe seien auch ihr nicht bekannt gewesen und solche seien dem Kläger auch nicht mitgeteilt worden. Über die Behauptung des Klägers sei sie empört, sauer und zutiefst enttäuscht gewesen. Die Aussage der Zeugin ist glaubhaft. Zweifel an der Glaubwürdigkeit sind nicht ersichtlich.

60

b) Aber auch die zwei Äußerungen des Geschäftsführers der Beklagten von Ende Februar März und Anfang Mai 2017 über die Rollenverteilung innerhalb der gleichgeschlechtlichen Beziehung des Klägers sind kein ausreichendes Indiz für die Kausalität zwischen der Homosexualität des Klägers und dem Ausspruch der ordentlichen Kündigung. Die Frage, wer in einer homosexuellen Partnerschaft die Rolle der Frau einnimmt, ist zwar übergriffig und hat im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nichts zu suchen, indessen handelt es sich nicht um ein Indiz, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Hiergegen spricht vorliegend zum einen der fehlende zeitliche Zusammenhang zwischen den strittigen Äußerungen und dem Ausspruch der Kündigung als auch der Umstand, dass der Geschäftsführer den Kläger eingestellt hat, obgleich er Kenntnis von dessen Homosexualität hatte. Das Gleiche gilt dafür, dass der Geschäftsführer der Beklagten die Beschwerde des Klägers über die Beleidigung seines Kollegen von Ende Februar 2017 (Schwuchtel) nicht zum Anlass arbeitsrechtlicher Konsequenzen genommen hat.

61

c) Schließlich ist auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von der ärztlich angeordneten Blutuntersuchung des Klägers sowie der HIV-Infektion des Lebenspartners des Klägers (Ende Mai 2017) und dem Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 08.06.2017 kein ausreichendes Indiz für die nach §§ 1, 15 Abs. 2 AGG geforderte Kausalität zwischen der nach § 1 AGG geschützten Eigenschaft und der erlittenen Benachteiligung. Hiergegen spricht wiederum der Umstand, dass der Geschäftsführer schon bei der Einstellung des Klägers von dessen Homosexualität Kenntnis hatte. Selbst wenn der Geschäftsführer der Beklagten die HIV-Infektion des Freundes des Klägers und damit die Möglichkeit einer Infektion des Klägers über denselben zum Anlass der Kündigung des Klägers genommen haben sollte, führt dies nicht zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Denn dann wäre das Motiv für die Kündigung gerade nicht die sexuelle Ausrichtung des Klägers, sondern die drohende HIV-Infektion des Klägers mit möglicherweise nachfolgender Aidserkrankung sowie drohende Arbeitsunfähigkeitszeiten. Eine HIV-Infektion und/oder Aids-Erkrankung fallen sie nicht unter den Katalog der geschützten Eigenschaften nach § 1 AGG.

62

d) Der Kläger kann sich aber auch nicht mit Erfolg auf eine mittelbare Benachteiligung aufgrund seiner Homosexualität berufen.

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aa) Eine mittelbare Diskriminierung setzt nach der Definition in § 3 Abs. 2 AGG das Vorliegen dem Anschein nach neutraler Vorschriften, Kriterien oder Verhaltensweisen voraus. Neutral sind dabei solche Vorschriften oder Kriterien dann, wenn sie nicht an ein verpöntes Merkmal unmittelbar oder verdeckt zwingend anknüpfen (LAG Hamm (Westfalen), Urt. v. 16.05.2012 - 3 Sa 1420/11 -, Rn. 81, juris). Eine Benachteiligung ist danach mittelbar merkmalsbedingt, wenn als Differenzierungskriterium, das die nachteiligen Folgen herbeiführt, zwar nicht unmittelbar die Zugehörigkeit zur geschützten Gruppe dient, wohl aber solche Merkmale, die von Gruppenmitgliedern erheblich häufiger als von anderen Personen erfüllt werden.

64

bb) Es kann vorliegend dahingestellt werden, ob sich typischer Weise oder vornehmlich Homosexuelle mit dem HIV-Virus infizieren. Denn der Kläger selbst zählt gerade nicht zu der Gruppe der HIV-Infizierten. Aber selbst dann, wenn der Geschäftsführer der Beklagten davon ausgegangen sein sollte, dass der Kläger selbst aufgrund der HIV-Infektion seines Lebenspartners einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sein sollte, kann aufgrund der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vorliegend keine mittelbare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung des Klägers festgestellt werden. Die Darlegung, dass ein mit dem HIV-Virus infizierter Arbeitnehmer gerade wegen seiner Homosexualität gegenüber heterosexuellen Arbeitnehmern gemäß § 3 Abs. 2 AGG „in besonderer Weise“ benachteiligt worden ist, obliegt dem auf Entschädigung klagenden Arbeitnehmer. Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen. Es sind aber auch sonst keine mittelbaren Anhaltspunkte ersichtlich, die den Rückschluss rechtfertigen, dass die Beklagte dem Kläger wegen seiner Homosexualität gekündigt hat. Eine HIV-Infektion, von der unstreitig auch Heterosexuelle betroffen sein können, kann ungeachtet der sexuellen Identität nach wie vor diffuse Ängste vor eigener Ansteckung auslösen und geht häufig mit einer Stigmatisierung der Betroffenen einher.

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Allein die Kenntniserlangung von einer HIV-Infektion und eine damit in zeitlichem Zusammenhang ausgesprochene Kündigung ist mithin kein ausreichendes Indiz für eine mittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Identität eines Arbeitnehmers. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber unstreitig bereits zum Zeitpunkt der Einstellung des Arbeitnehmers von dessen Homosexualität Kenntnis hatte.

66

e) Dementsprechend hat der Kläger keine tragfähigen Indizien vorgetragen und bewiesen, die den Rückschluss zulassen, dass die Beklagte ihm wegen seiner Homosexualität fristgerecht zum 31.07.2017 gekündigt bzw. ihn wegen seiner Homosexualität diskriminiert hat. Die Beklagte ist mithin nicht verpflichtet, an den Kläger wegen des Ausspruchs der ordentlichen Kündigung vom 08.06.2017 eine Entschädigung in Höhe von 5.100,00 € zu zahlen.

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3. Aus den gleichen vorgenannten Gründen steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen des Ausspruchs der fristlosen Kündigung vom 23.06.2017 zu. Er hat keine Indizien vorgetragen und bewiesen, aufgrund derer die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Beklagte ihm wegen seiner Homosexualität ordentlich gekündigt hat.

68

II. Nach alledem war die Berufung des Klägers insgesamt zurückzuweisen.

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C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

70

Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Revision lag nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.


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