Urteil vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (1. Kammer) - 1 Sa 23/18

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 19.12.2017 – 3 Ca 381 e/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.

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Der Kläger ist seit dem 04.11.2006 bei der V. C. S. GmbH (VCS), einer Konzerntochter der Beklagten am Standort R. beschäftigt. Er ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Mit der Bearbeitung der Personalangelegenheiten im Konzern – auch für die VCS – ist die Abteilung HR Business Services der D. T. S. E. GmbH (DTSE) beauftragt. Für die Beklagte gilt eine Konzernrichtlinie (Bl. 114 – 127 d.A.), nach der sämtliche Dokumente – bis auf wenige hier nicht relevante Ausnahmen – mit zwei Unterschriften zu zeichnen sind. Nach § 5 des zwischen der Beklagten und ver.di abgeschlossenen Manteltarifvertrages bedarf der Abschluss eines Arbeitsvertrages der Schriftform.

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Anfang 2016 zeichnete sich ab, dass die VCS im Jahr 2016 ihren Standort in R. schließen werde. Für den Kläger wurde eine andere Beschäftigungsmöglichkeit im Konzern gesucht, um ihn wohnortnah beschäftigen zu können.

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Mit E-Mail vom 28.4.2016 übersandte der Mitarbeiter O. des Bereichs Business Projects (BPR) der Beklagten an den Kläger diverse Willkommensinformationen (Anlage K 2, Bl. 8 – 22 d.A.). In der E-Mail stellte sich Herr O. als zukünftiger Ansprechpartner und „fachliche Führungskraft“ des Klägers vor. Der BPR war auf der Grundlage eines Werkvertrages zwischen der D. T. T. GmbH (DTT) und der Beklagten mit der Durchführung eines Projekts in R. beauftragt. Im Rahmen einer Telefonkonferenz am 11.05.2016 teilte Herr O. unter anderem dem Kläger mit, dass er zum 1.06.2016 zur Beklagten „wechseln“ werde. In einer weiteren Telefonkonferenz am selben Tag bestätigte auch der Personalchef der VCS K., dass ein Wechsel unter anderem des Klägers zur Beklagten abgesprochen worden sei. Ebenfalls am selben Tag übersandte der Kläger die ihm mit den Willkommensinformationen zugeleitete Einverständniserklärung, in der er sich damit einverstanden erklärte, zum 01.06.2016 auf einen Personalposten mit der Bewertung T 5 als Supporter Projektmanagement im Bereich BPR mit Regelarbeitsstätte in R. versetzt zu werden (Anlage K 3, Bl. 23 d.A.) sowie eine Einverständniserklärung zur Datenverarbeitung und eine Vertraulichkeitsverpflichtung (Bl. 24/25 d.A.) an die Beklagte zurück. Die Beklagte bat ihren Betriebsrat um Zustimmung zur Einstellung des Klägers. Der Betriebsrat stimmte zu.

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Mit Schreiben vom 17.05.2016 übersandte die Abteilung HR Business Services dem Kläger einen Auflösungsvertrag für sein Arbeitsverhältnis mit der VCS zum 31.05.2016. Diesen unterzeichnete der Kläger nicht, da er noch keinen schriftlichen Arbeitsvertrag von der Beklagten bekommen hatte. Ab 01.06.2016 war der Kläger entsprechend seinem Einverständnis als Supporter Projektmanagement tätig. Anders als bei der VCS betrug seine wöchentliche Arbeitszeit entsprechend dem Tarif der Beklagten 34 Stunden, nicht mehr 38 Stunden. Mit E-Mail vom 26.08.2016 bat der Kläger um eine Bestätigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Beklagten. In einer Telefonkonferenz am 20.09.2016 wurde dem Kläger und weiteren Mitarbeitern erklärt, es liege ein „Fehler“ vor; der Einsatz des Klägers solle im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung erfolgen. Dem Kläger wurde eine auf den 23.09.2016 datierte, von der VCS bereits unterzeichnete Zusatzvereinbarung zu seinem Anstellungsvertrag mit der VCS übersandt. Diese lautet auszugsweise:

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„§ 1 Konzern-Arbeitnehmerüberlassung, Arbeitszeit

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2. Die Gesellschaft ist berechtigt, Sie im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses ab dem 01.10.2016 befristet bis zum Ablauf des 31.12.2017 im Berufsbild/Tätigkeitsfeld Service Center Agent mit 100 % Ihrer mit der Gesellschaft vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit an Dritte (Entleiher)  … zu überlassen.

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3. Ihr Einsatz erfolgt beim Entleiher D. T., Betrieb T. P. S. für die Tätigkeit als Supporter Projektmanagement.

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…“

11

Wegen des weiteren Inhalts der Zusatzvereinbarung wird auf die Anlage K 8 (Bl. 34 – 37 d.A.) verwiesen. Der Kläger unterzeichnete diesen Vertrag zunächst unter Vorbehalt, dann im Oktober 2016 – auf Drängen der VCS – vorbehaltlos. Tatsächlich schloss die VCS den Standort R. zum 30.09.2016. Sein Gehalt erhielt der Kläger über den 31.05.2016 hinaus durchgehend von der VCS.

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Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien seit dem 01.06.2016 ein Arbeitsverhältnis besteht.

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Hierzu hat er vorgetragen: Durch das Vorgehen der Beklagten ab dem 01.06.2016 sei zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. So stehe der Auflösungsvertrag mit der VCS im unmittelbaren Zusammenhang mit der Neubegründung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten. Interne Vorgaben der Beklagten zur Schriftform seien belanglos; im Übrigen würden schriftliche Verträge häufig erst nach der Arbeitsaufnahme geschlossen. Er sei – unstreitig – auch im Personalsystem der Beklagten eingetragen. Dort fänden sich seine Vertragsdaten und persönliche Informationen wie seine Kontoverbindung. Er sei auch nicht im Wege der Arbeitnehmerüberlassung tätig gewesen. So weise die Willkommensmappe aus, dass er sich bei der Beklagten krank melden und dort seinen Urlaub anmelden müsse. Das sei bei Leiharbeit anders. Die Beklagte verstoße auch gegen die Vorschriften des AÜG, auf das Konzernprivileg könne sie sich nicht berufen.

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Der Kläger hat beantragt

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festzustellen, dass seit dem 01.06.2016 zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat vorgetragen: Herr O. sei – unstreitig – nicht zum Abschluss von Arbeitsverträgen bevollmächtigt, ebenso wenig Herr K. als Personalchef eines anderen Unternehmens. Äußerungen im Rahmen einer Telefonkonferenz hätten auch nicht die Qualität eines Vertragsangebots. Den erforderlichen schriftlichen Vertragsschluss gebe es nicht. Der Kläger sei bereits ab 01.06.2016 im Wege der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt gewesen. Insoweit benötige die VCS wegen des Konzernprivilegs keine Genehmigung, die sie im Übrigen aber auch besitze. Aus diesem Grund seien ihm auch die Willkommensunterlagen übersandt worden. Er habe den Auflösungsvertrag mit der VCS nicht unterzeichnet und in dem Zusatzvertrag das Bestehen des Arbeitsverhältnisses mit der VCS bestätigt.

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Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Parteien hätten einen Arbeitsvertrag zum 01.06.2016 geschlossen. Ein entsprechendes Angebot sei von Herrn O. am 11.05.2016 abgegeben und von der Beklagten in der Folgezeit durch schlüssiges Verhalten genehmigt worden. Dieses Angebot habe der Kläger durch die Arbeitsaufnahme ab 01.06.2016 angenommen. Interne Vorschriften und Beschränkungen bei der Beklagten müsse der Kläger nicht gegen sich gelten lassen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

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Gegen das am 08.01.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.02.2018 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 09.04.2018 am 06.04.2018 begründet.

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Sie ergänzt ihren erstinstanzlichen Vortrag wie folgt: Bei der Abwicklung des Einsatzes des Klägers im Bereich BPR sei sie zunächst fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger noch bei ihr beschäftigt sei, weil er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die VCS im Jahr 2007 widersprochen habe.

22

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei zwischen den Parteien nicht stillschweigend ein Arbeitsvertrag geschlossen worden. Herr O. sei zur Abgabe eines Vertragsangebots unstreitig nicht bevollmächtigt gewesen. Ihre Mitarbeiter gäben auch erkennbar keine bindenden (Arbeitsvertrags-) Angebote in Telefonkonferenzen ab. Die vom Arbeitsgericht herangezogene Entscheidung des BAG sei nicht vergleichbar. Es fehle an der tariflich vorgeschriebenen Schriftform. Die Arbeitsaufnahme durch den Kläger und die Entgegennahme von Leistungen durch die Beklagte seien auf Grundlage eines offenen Dissenses über die rechtliche Grundlage erfolgt. Für die Annahme einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht fehle es an belastbaren Tatsachen. Die Annahme eines faktischen Arbeitsverhältnisses scheide ebenfalls aus.

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Das AÜG finde auf die Überlassung des Klägers keine Anwendung; im Übrigen sei die VCS im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 19.12.2017 – 3 Ca 381 e/17 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er erwidert: Bereits im Oktober 2014 seien die Mitarbeiter des Standortes R. von dessen Schließung informiert worden. Den Mitarbeitern des Standortes R. sei stets mitgeteilt worden, es sei ein Wechsel zur Beklagten vorgesehen. Die Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag sei unter Druck geschlossen worden, sie könne sich nicht auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten auswirken. Er bestreite vorsorglich, dass die VCS zum 01.06.2016 im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gewesen sei und dass er ab 01.06.2016 auf Basis eines Werkvertrags eingesetzt gewesen sei. Herr O. sei sein regelmäßiger Ansprechpartner gewesen, einen eigentlichen Ansprechpartner bei der VCS habe er nicht mehr gehabt. Auch sei der Betriebsrat der Beklagten zu einer Einstellung angehört worden, er beantrage die Vorlage des Anhörungsformulars. Dass bei der Beklagten ein Missverständnis über seine vertragliche Zuordnung bestanden habe, sei nicht nachvollziehbar und werde ebenfalls bestritten. Hier solle ein „Fehler“ im Nachhinein plausibel gemacht werden. Herr K. habe den Wechsel zur Beklagten mitgeteilt, weil er sich zuvor mit dem Verantwortlichen der Beklagten K. abgesprochen habe. Das tarifliche Schriftformerfordernis für Arbeitsverträge sei ihm nicht bekannt, ein Verstoß hiergegen führe auch nicht zur Unwirksamkeit eines mündlich geschlossenen Vertrags. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass ein Arbeitsvertrag zustande gekommen und von der Beklagten über Monate geduldet worden sei.

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Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c. ArbGG statthafte form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Sie ist als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet. Zwischen den Parteien besteht seit dem 01.06.2016 ein Arbeitsverhältnis.

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I. Ein solcher Arbeitsvertrag ist zwischen den Parteien zum 01.06.2016 nach den Grundsätzen des Allgemeinen Teils des BGB zustande gekommen.

32

1. Ein Arbeitsvertrag wird nach Maßgabe der §§ 145 ff BGB durch Antrag und Annahme geschlossen. Die aufeinander bezogenen Willenserklärungen können mündlich, schriftlich ausdrücklich oder konkludent durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden (Schaub-Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Auflage, § 32, Rn. 3 m.w.N.). Schlüssig kann ein Arbeitsvertrag etwa zustande kommen durch eine Realofferte und deren konkludente Annahme. Entscheidend ist, ob durch ein bestimmtes Verhalten der Parteien ihr übereinstimmender Wille zum Ausdruck kommt, einander zu den tatsächlich erbrachten Leistungen arbeitsvertraglich verbunden zu sein (vgl. BAG vom 17.04.2013 – 10 AZR 272/12).

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2. Danach ist zwischen den Parteien ein Arbeitsvertrag durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen.

34

a) Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hat die Beklagte den Abschluss eines Arbeitsvertrags nicht durch ein – zunächst vollmachtloses – Angebot durch Herrn O. im Rahmen einer Telefonkonferenz am 11.05.2016 unterbreitet. Dies folgt aus einer Auslegung der Erklärung gemäß den §§ 133, 157 BGB auf der Grundlage des Empfängerhorizonts. Diese ergibt, dass Herr O. eine „Wissenserklärung“, keine Willenserklärung abgegeben hat.

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Das folgt zunächst schon aus dem Wortlaut der Erklärung selbst. Herr O. hat nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien erklärt, der Kläger – und etwaige Kollegen – würden zur Beklagten wechseln. Damit nimmt er erkennbar Bezug auf einen anderweitigen Vorgang, unterbreitet damit aber selbst noch nicht das Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags.

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Ferner sprechen gegen die Annahme eines rechtsverbindlichen Vertragsangebots durch Herrn O. die Umstände der Erklärung. Vertragsangebote an Arbeitnehmer werden typischerweise nicht in einer Telefonkonferenz abgegeben. Das ist nicht nur bei der Beklagten, sondern im Erwerbsleben überhaupt gänzlich ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass Herr O. als Projektleiter ganz offensichtlich nicht bevollmächtigt war, die Beklagte durch den Abschluss von Arbeitsverträgen zu verpflichten. Der Kläger hatte auch keinen Anlass anzunehmen, Herr O. wolle als vollmachtloser Vertreter handeln. Es ist nicht ersichtlich, warum er ein entsprechendes Risiko hätte eingehen wollen. Diese Umstände waren auch für den Kläger ersichtlich, da sich Herr O. ihm gegenüber ausdrücklich als „fachliche“ Führungskraft vorgestellt hatte, nicht als Personalvorgesetzter.

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Auch dass Herr O. zusammen mit der E-Mail, mit der er sich vorgestellt hat, die „Willkommensinformationen“ übersandt hatte, lässt nicht den Schluss zu, er unterbreite auch ein rechtsverbindliches Angebot für die Beklagte. Vielmehr durfte der Kläger nur darauf vertrauen, dass von der Beklagten noch ein entsprechendes Angebot abgegeben werden würde, nicht aber, dass dieses durch Herrn O. abgegeben werden sollte.

38

Letztlich belegt wird diese Einschätzung dadurch, dass auch in der weiteren Telefonkonferenz am selben Tag der Personalchef der VCS K. mit dem Kläger über die Absprache eines Wechsels von der VCS zur Beklagten gesprochen hat. Dies stellte ebenfalls erkennbar allein eine Information des Klägers dar, ohne die vertragliche Grundlage eines Wechsels für den Kläger begründen zu sollen. Am 11.05.2016 sollte der Kläger damit sowohl vom alten als auch vom neuen Vertragspartner darüber informiert werden, dass die Absicht bestand, ihm einen Arbeitsvertrag bei der Beklagten anzubieten.

39

Weitere ausdrückliche Erklärungen der Beklagten, die als Angebot eines Arbeitsverhältnisses angesehen werden könnten, sind von den Parteien nicht dargetan.

40

b) Die Parteien haben ihren Arbeitsvertrag aber durch schlüssiges Verhalten begründet.

41

aa) Mit Aufnahme der Arbeit ab 01.06.2016 hat der Kläger gegenüber der Beklagten ein konkludentes Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abgegeben. Diese durfte sein Handeln nur dahin verstehen, dass es auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der Beklagten gerichtet war.

42

Der Kläger war ab dem 01.06.2016 im Bereich BPR der Beklagten in R. als Supporter Projektmanagement tatsächlich tätig. Das entsprach der Tätigkeit, die dem Kläger zusammen mit den Willkommensinformationen bestätigt worden war und unterschied sich von der Tätigkeit, die der Kläger bis zum 31.05.2016 für die VCS ausgeübt hatte. Ab diesem Zeitpunkt nahm der Kläger auch Weisungen durch den fachlich vorgesetzten Mitarbeiter der Beklagten O. entgegen. Er arbeitete nach Maßgabe der für die Beklagte maßgeblichen Arbeitszeit von 34 Wochenstunden, statt wie bisher bei der VCS von 38 Wochenstunden.

43

Dieses Tätigwerden des Klägers konnte von der Beklagten nur als Realofferte zum Abschluss eines Arbeitsvertrags verstanden werden. Dem Kläger war ein Aufhebungsvertrag zum 31.05.2016 übersandt worden, was die Beklagte wusste. Ihm war ein Wechsel zur Beklagten ausdrücklich in Aussicht gestellt worden. Einen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger in Form der Arbeitnehmerüberlassung für die Beklagte tätig sein sollte, hatte dieser nicht. Auch das war der Beklagten bekannt. Vor dem 01.06.2016 war der Kläger zu keinem Zeitpunkt im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei anderen eingesetzt worden. Das haben die Beklagtenvertreter im Berufungstermin noch einmal ausdrücklich ausgeführt. Der Kläger hatte also überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass er ab dem 01.06.2016 nicht zur Beklagten wechseln sollte, sondern im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei dieser tätig sein sollte. Etwas anderes war für den Kläger auch aus den „Willkommensunterlagen“ an keiner Stelle ersichtlich. Vielmehr spricht die dort getroffene Regelung zur Krankmeldung und Urlaubseinreichung für einen Einsatz als Arbeitnehmer.

44

bb) Das vom Kläger schlüssig abgegebene Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den ihm bereits mitgeteilten Bedingungen als Supporter Projektmanagement mit der Bewertung T 5 hat die Beklagte dadurch angenommen, dass sie die Arbeitsleistungen des Klägers ab dem 01.06.2016 widerspruchslos entgegengenommen hat. Dies konnte vom maßgeblichen Empfängerhorizont des Klägers nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrags einverstanden war. Insoweit liegt auch entgegen der Auffassung der Beklagten kein offener Dissens zwischen den Parteien vor. Die Beklagte hat vor dem 01.06.2016 und bis in den September 2016 hinein zu keiner Zeit gegenüber dem Kläger kommuniziert, es solle eine Arbeitnehmerüberlassung stattfinden. Alle ihre Erklärungen waren auf die Beschäftigung als Arbeitnehmer gerichtet. Dies war auch der Wille des Klägers, so dass ein Dissens gerade nicht vorliegt.

45

Ob die Beklagte irrtümlich davon ausging, bereits ein Arbeitsverhältnis begründet zu haben und sich nicht bewusst war, selbst konkludente Erklärungen abzugeben, ist unerheblich. Ein etwaig fehlendes Bewusstsein, dass ein schlüssiges Verhalten vom Erklärungsempfänger als Willenserklärung beurteilt wird, berechtigt den Erklärenden nicht zur Anfechtung (Palandt, 75. Auflage, Einführung vor § 116 Rn. 17).

46

Der Annahme, die Beklagte habe das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags angenommen, steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Kläger sein Gehalt weiter durch die VCS erhielt. Hieraus musste der Kläger nicht schließen, dass die Beklagte sein Vertragsangebot nicht annehmen wollte. Der Kläger hatte den Aufhebungsvertrag mit der VCS gerade nicht unterzeichnet. Diese war weiterhin sein Arbeitgeber neben der Beklagten, wobei es nach dem Vortrag der Parteien auch unstreitig ist, dass der fehlende schriftliche Arbeitsvertrag von der Abteilung HR Business Services mit einer Überlastung im Personalbereich begründet worden war. Der Kläger konnte also davon ausgehen, dass mit Unterzeichnung des zu erwartenden Arbeitsvertragsformulars der Beklagten diese dann auch die Gehaltszahlungen übernehmen und zwischenzeitlich eine Verrechnung zwischen der Beklagten und der VCS erfolgen würde.

47

3. Der Inhalt der Einigung war schließlich auch hinreichend bestimmt. Die Vertragsparteien standen fest. Die Tätigkeit und die dafür bezahlte Vergütung waren dem Kläger mitgeteilt. Weiterer Einzelheiten bedurfte es nicht, zumal zwischen den Parteien aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Beklagten Anwendung finden.

48

II. Der danach zwischen den Parteien zustande gekommene Arbeitsvertrag ist auch nicht wegen fehlender Schriftform gemäß § 125 Satz 1 BGB i. V. m. § 5 MTV unwirksam.

49

1. § 5 MTV lautet:

50

Formvorschriften bei Abschluss und Beendigung des Arbeitsverhältnisses

51

Der Schriftform bedürfen

52
- der Abschluss und die Änderung des Arbeitsvertrages,
53
- die Vereinbarung von Nebenabreden,
54
- der Abschluss eines Auflösungsvertrages,
55
- die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

56

2. Tarifverträge können für die Begründung, den Inhalt oder die Beendigung des Arbeitsvertrags oder auch für einzelne besonders wichtig erachtete Regelungen des Arbeitsverhältnisses Formvorschriften vereinbaren. Diese können daher insoweit Abschluss-, Inhalts- oder Beendigungsnormen sein. Dabei handelt es sich dann um gesetzliche Vorschriften nach § 125 BGB. Allerdings wird nicht stets die in § 125 BGB vorgeschriebene Nichtigkeitsfolge ausgelöst, sondern nur dann, wenn die Formvorschrift konstitutive Wirkung hat, nicht aber bei nur deklaratorischen Formvorschriften. Wie die jeweilige tarifliche Formvorschrift aufzufassen ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Im Allgemeinen werden für die Begründung des Arbeitsverhältnisses keine konstitutiven Vorschriften vereinbart, weil dies bei deren Verletzung zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags führen würde. Anders ist dies bei Nebenabreden (ErfK-Franzen, 16. Auflage, § 1 TVG, Rn. 65 m.w.N. zur Rspr. d. BAG).

57

3. Danach führt die fehlende Schriftform des Arbeitsvertrags hier nicht zu dessen Unwirksamkeit.

58

a) Der MTV ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund beiderseitiger Tarifbindung anwendbar.

59

b) § 5 MTV enthält für den Abschluss von Arbeitsverträgen kein konstitutives Schriftformerfordernis. Dies ergibt eine Auslegung des Tarifvertrags unter Berücksichtigung der vom BAG aufgestellten Grundsätze.

60

§ 5 MTV wiederholt teilweise gesetzliche Formvorschriften (§ 623 BGB), indem es den Abschluss eines Auflösungsvertrags und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Schriftform unterwirft. Insoweit besteht für die Annahme einer konstitutiven Formvorschrift kein Anlass. § 5 MTV regelt auch nicht ausdrücklich, dass ein Verstoß gegen die Schriftform zur Unwirksamkeit eines nur mündlich geschlossenen Arbeitsvertrags führt. Hierzu hätte angesichts der langjährigen Rechtsprechung des BAG, wonach ein tarifliches Schriftformgebot für den Abschluss eines Arbeitsvertrags regelmäßig nur deklaratorische Wirkung hat, Anlass bestanden. Ohne eine Regelung zur konstitutiven Bedeutung der tariflichen Schriftform bleibt es daher bei der vom BAG aufgestellten Regel. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Abschluss mündlicher Arbeitsverträge nicht als wirksam gelten lassen wollten.

61

Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung auf eine Entscheidung des LAG Düsseldorf (12 Sa 415/10) abstellt, ist der dort liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Dort hat im Rahmen der Auslegung eines Verhaltens das LAG Düsseldorf darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, typischerweise nur schriftliche Arbeitsverträge schließt. Das mag zutreffen, spielt aber für die hier in Rede stehende Frage keine Rolle.

62

III. Schließlich ist der Arbeitsvertrag der Parteien auch nicht nachträglich dadurch aufgehoben worden, dass der Kläger in einer Zusatzvereinbarung mit der VCS vereinbart hat, er könne zukünftig an die Beklagte überlassen werden. Ob hierin überhaupt die stillschweigende Erklärung des Klägers liegt, er hebe das bereits begründete Arbeitsverhältnis mit der Beklagten wieder auf, was wegen des von dem Kläger zuvor erklärten Vorbehalts jedenfalls zweifelhaft ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls fehlt es für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beklagten an einem schriftlichen Aufhebungsvertrag (§ 623 BGB). An der Zusatzvereinbarung zwischen dem Kläger und der VCS ist die Beklagte nicht beteiligt. Die Unterschriften unter dem Vertrag stammen auf Arbeitgeberseite nur von der VCS. Wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, steht der Kläger damit derzeit in zwei Arbeitsverhältnissen, was ihm rechtlich ohne weiteres möglich ist.

63

IV. Die von den Parteien auch im Berufungstermin erörterten offenen Fragen zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses nach den Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes stellen sich damit nicht.

64

V. Die Beklagte trägt gemäß § 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung. Gründe für die Zulassung der Revision liegen ersichtlich nicht vor.


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