Urteil vom Landgericht Aachen - 7 S 200/85
Tenor
Die Berufung des Beklagten und Widerklägers gegen das am 17. Mai 1985 verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen - 15 C 81/85 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte und Widerkläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Absatz 1 ZPO abgesehen.
2E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
3Die Berufung des Beklagten und Widerklägers ist zulässig. Sie ist an sich statthaft sowie form-- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache selbst hat sie jedoch keinen Erfolg.
4Das Amtsgericht hat die Widerklage des Beklagten zu Recht abgewiesen, mit der dieser Ersatz des Schadens geltend gemacht hat und im Berufungsrechtszug weiterhin geltend macht, der ihm durch den Verkehrsunfall vom 27. Mai 1984 um 2.25 Uhr auf der L Straße in B in Höhe des Hauses Nr. ## entstanden ist.
5Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der §§ 7 Straßenverkehrsgesetz - StVG -, 3 Pflichtversicherungsgesetz für eine Haftung der Widerbeklagten gegeben sind oder ob der Unfall sich für sie als unabwendbar darstellt, so dass eine Haftung bereits nach § 7 Absatz 2 StVG ausscheidet. Jedenfalls folgt aus § 17 StVG, dass der Beklagte seinen Schaden allein zu tragen hat, weil er ihn so überwiegend verschuldet hat, dass daneben die von den Widerbeklagten zu vertretenden Unfallursachen ohne Gewicht sind.
6Dem Beklagten ist ein Verstoß gegen § 10 Satz 1 Straßenverkehrsordnung - StVO- anzulasten, wonach derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Bereits die bloße Tatsache des Zusammenstoßes rechtfertigt hier nach den Regeln des Anscheinsbeweises (vergleiche hierzu Jagusch-Henschel, Straßenverkehrsrecht, Einleitung, Randnummer 157 a mit weiteren Nachweisen) die Annahme, dass der Beklagte und Widerkläger seiner Verpflichtung, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung - und erst recht eine Schädigung - anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war, nicht nachgekommen ist. Der Anscheinsbeweis ist auch nicht erschüttert.
7Die Widerbeklagte zu 2), welche als Teil des fließenden Verkehrs die L Straße befuhr, war gegenüber dem Beklagten bevorrechtigt und durfte darauf vertrauen, dass der Beklagte diesen Vorrang beachten werde (vergleiche BGH, Beschluss vom 06.12.1978, VRs 56 Seite 202 f., Randnummer 96 mit weiteren Nachweisen). Allerdings weist der Beklagte in der Berufungsbegründung zutreffend daraufhin, dass der Bundesgerichtshof in der angeführten Entscheidung auch darauf hingewiesen hat, dass der fließende Verkehr trotz seines Vorrangs auf einen Anfahrenden Rücksicht nehmen muss, seine ungehinderte Weiterfahrt nicht erzwingen darf und gegebenenfalls das Ein- oder Anfahren durch Verringern seiner Geschwindigkeit erleichtern muss, da sonst im Straßenverkehr jedes Ein- oder Anfahren zum Erliegen komme. Im vorliegenden Falle
8gebot die Rücksichtnahme auf das durch Blinkzeichen angekündigte Vorhaben des Beklagten, auf die L Straße auszuparken, jedoch kein Abbremsen oder Ausweichen der Widerbeklagten zu 2), vielmehr konnte der Beklagte die Widerbeklagte zu 2) vorbeifahren lassen und sich danach in den fließenden Verkehr begeben, denn zu der Nachtzeit, zu der der Unfall sich ereignete, ist auf der L Straße nur wenig Verkehr.
9Der Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, die Widerbeklagte zu 2) sei zunächst auf der linken Fahrspur der L Straße gefahren und ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als er in die rechte Fahrspur einfuhr, in diese hinübergewechselt. Ein solcher Fahrspurwechsel ist, wie sich insbesondere dem Inhalt der beigezogenen Akten 56 OW 63 Js 1543/84 370/84 des Amtsgerichts Aachen ergibt - von der Widerbeklagten zu 2 ) stets nachdrücklich bestritten und nicht bewiesen worden. Es wird hierzu auch kein Beweisantritt von dem beweispflichtigen Beklagten gebracht.
10Den Widerbeklagten kann der Alkoholgenuss der Widerbeklagten zu 2) nicht angelastet werden, obwohl er recht erheblich gewesen ist. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Alkoholgenuss der Widerbeklagten zu 2) für den Unfall ursächlich gewesen sei. Ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein Unfall eines unter Alkoholeinfluss stehenden Kraftfahrers auf der Beeinflussung durch Alkohol beruht, kommt nur dann in Betracht, wenn der Unfall sich in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet hat, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können, (vergleiche BGH, Urteil vom 20.10.1964, Versicherungsrecht 1965, Seite 81 f. mit weiteren Nachweisen; BGH Urteil vom 04.11.1966, Versicherungsrecht 1967, Seite 82 mit weiteren Nachweisen). Die genannten Voraussetzungen für die Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten der Widerbeklagten liegen nicht vor. Die Kammer teilt nicht die in der Berufungsbegründung geäußerte Auffassung des Beklagten.
11Wäre die Widerbeklagte zu 2) nüchtern gewesen, so hätte sie rechtzeitig das Blinkzeichen des Beklagten erkannt und entsprechend reagiert, sie habe also in einer Lage versagt, die ein nüchterner Fahrer gemeistert hätte. Auch ein nüchterner Fahrer hätte nach Auffassung der Kammer darauf vertrauen dürfen, (vergleiche BGH, Beschluss vom 06.12.1978, a.a.O.) und wohl auch darauf vertraut, der Beklagte werde ihm auf der schnellen L Straße den Vorrang lassen und erst anfahren, wenn ein
12fließender Verkehr mehr behindert oder gefährdet werden könne. Auch ein nüchterner Fahrer hätte möglicherweise den Zusammenstoß durch ein Ausweichen nach links nicht verhindern können. Der Schaden am Fahrzeug des Klägers ist rechts hinter dem vorderen rechten Kotflügel eingetreten. Dies legt die Annahme nahe, dass die Widerbeklagte zu 2) sich bereits in unmittelbarer Höhe des Fahrzeuges des Beklagten zu 1) befand, als dieser die Parklücke verließ, und also auch für einen nüchternen Fahrer kaum genügend Zeit bestand, um nach links auszuweichen.
13Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 515 Absatz 3 ZPO.
14Streitwert für das Berufungsverfahren: bis zum 10. Juli 1985:
155.464,87 DM,
16seit dem 10. Juli 1985:
172.156,10 DM
18Dr. T N T1
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