Urteil vom Landgericht Aachen - 4 O 728/85
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.468,08 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21.12.1984 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen; die Kosten der Streithilfe fallen der Streitgehilfin der Beklagten selbst zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.300,00 DM und die Streitgehilfin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 400,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet
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T a t b e s t a n d
2Am 4.10.1984 gegen 20.00 Uhr wurde der Personenkraftwagen des Klägers, der vor dem Hause in Aachen unter einer Straßenlaterne abgestellt war, dadurch beschädigt, dass der Lampenaufsatz vom Mast der Laterne herunterfiel und auf die Motorhaube des Fahrzeuges des Klägers fiel. Der dem Kläger entstandene Sachschaden beläuft sich auf insgesamt 1.468,08 DM.
3Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 1.468,08 DM nebst Zinsen. Er macht geltend: Der gesamte Lampenaufsatz sei heruntergekommen; er habe keine Beschädigungen aufgewiesen. Die Lampen auf der betreffenden Straße seien etwa ein bis zwei Wochen vor dem Vorfall gewartet worden; es müsse daher angenommen werden, dass der Lampenaufsatz nicht durch die vorgesehenen Schrauben befestigt worden sei. Die Beklagte treffe eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
4Der Kläger beantragt,
5- wie erkannt -.
6Die Beklagte und ihre Streitgehilfin beantragen,
7- die Klage abzuweisen -.
8Die Beklagte und die Streitgehilfin machen geltend: Am 4.10.1984 hätten ein oder mehrere bisher unbekannte Täter mutwillig die Straßenlaterne beschädigt. Eine Straßenleuchte des hier vorliegenden Types bestehe aus Teller, Kegelglas und Deckel; in einem Spritzgussrahmen befinde sich neben Vorschaltgerät, Fassung unter anderem auch das Leuchtmittel. Wenn der Mast durch gleichmäßiges, rhythmisches Anstoßen in Schwingungen versetzt werde – wie häufig bei Jugendlichen beobachtet – breche der Spritzgussrahmen der in 4,5 Meter Höhe angebrachten Leuchte durch die Massenträgheit der im Rahmen befindlichen Geräte. Durch das Stromkabel und die Acrylglasabdeckung werde die Leuchte jedoch noch oft tagelang gehalten, bis sie beim
9nächsten Anstoß oder durch Windeinwirkung herunterfalle. Ohne Fremdverschulden sei ein solcher Schaden nicht möglich. Zwar könne eine Beschädigung der vorliegenden Art auch durch das Anstoßen des Mastes durch ein Fahrzeug erfolgen. Da der in Frage stehende Lichtmast jedoch keinerlei äußere Beschädigungen aufgewiesen habe, sei nur der Schluss auf eine mutwillige Beschädigung möglich. Die Lampe sei im Übrigen vor dem Vorfall zuletzt am 24. und 25.9.1984 von Bediensteten der Streitgehilfin gewartet worden. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und mangelhafte Wartung der Lampe könne ihr nicht vorgeworfen werden. Eine weitergehende Kontrolle sei bei 20.000 Straßenlaternen im Stadtgebiet nicht durchführbar.
10Die Streitgehilfin der Beklagten trägt ergänzend vor: Der Kläger selbst habe bei der Schadensanzeige sowohl gegenüber der Streitgehilfin wie auch gegenüber der Polizei angegeben, dass die Beleuchtungsanlage durch Unbekannte mutwillig beschädigt worden sei. Bei der Überprüfung am 24. und 25.9.1984 sei bei der in Rede stehenden Leuchte kein Schaden festgestellt worden. Ohne Fremdverschulden – etwa durch Jugendliche – sei der vorliegende Schaden nicht möglich; ein derartiger Lampenaufsatz könne nur dadurch herunterfallen, dass in rechtswidriger Weise von dritter Seite eingegriffen werde. Vorliegend sei der Spritzgussrahmen geplatzt; dies könne nur durch Gewalteinwirkung erfolgt sein. Es sei unmöglich und könne daher auch nicht verlangt werden, täglich 16.000 Straßenlaternen zu kontrollieren. Die Leuchte ruhe im Übrigen schon aufgrund ihres Eigengewichtes auf dem Mast, da der Mast in einem etwa 10 Zentimeter hohen Stutzen ende. Um Herunterzufallen, müsste der Fuß der Leuchte den 10 Zentimeter hohen Stutzen überwinden; letzteres verhindere auch, dass in die Lampe führende Kabel.
11Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
12Das Gericht hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.11.1986 und das Schreiben des Technischen Überwachungs-Verein Rheinland e.V. vom 15.9.1987 – bei Gericht eingegangen am 24.2.1988 – verwiesen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Die Klage ist begründet.
15Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 836 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Ersatz des – der Höhe nach unstreitigen – Schadens von 1.468,08 DM zu, der ihm dadurch entstanden ist, dass am 4.10.1984 der Lampenaufsatz einer vor dem Hause L-straße ## in Aachen befindlichen Straßenlaterne auf die Wagenhaube seines unter der Laterne abgestellten Personenkraftwagens herunterfiel und diesen beschädigte.
16Nach der genannten Vorschrift ist der Besitzer eines Grundstückes zum Schadensersatz verpflichtet, wenn unter anderem durch die Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen mit einem Grundstück verbundenen Werkes eine Sache beschädigt wird, sofern die Ablösung die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Bei einer Straßenlaterne handelt es sich um ein derartiges mit einem Grundstück verbundenes Werk. Mit einem Grundstück verbundene Werke sind die auf dem oder im Erdboden errichteten baulichen oder technischen Gegenstände, Einrichtungen und Anlagen (vgl. Mertens, in Münch.Kommentar, BGB, 2. Aufl., § 836 Rdnr. 6; auch schon RGZ 76, 260, 261). Da eine Straßenlaterne durch das Einlassen des Mastes mit dem Grund und Boden fest verbunden ist, zählt sie zu den Werken im Sinne des § 836 BGB (vgl. LG Kiel VersR 1978,1076 für einen Lichtmast; RG JW 1913, 868 für einen Signalmast). Die Beklagte ist als Besitzerin des Grundstückes, auf dem die Straßenlaterne errichtet worden ist, für den eingetretenen Schaden verantwortlich; dies gilt unabhängig davon, ob die Streitgehilfin der Beklagten – die Stadtwerke AG – aufgrund des mit der Beklagten abgeschlossenen Betriebsführungsvertrages die Wartung und Überwachung der Straßenlampen übernommen hatte und deshalb auf der Grundlage des § 838 BGB (auch) zur Haftung herangezogen werden könnte.
17Die Ablösung des Lampenaufsatzes ist entweder auf fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung der Straßenlaterne zurückzuführen. Zwar trifft den Geschädigten, auch wenn die Haftung nach § 836 BGB auf vermutetem Verschulden des Grundstücksbesitzers beruht, grundsätzlich die Beweislast dafür, dass die Ablösung von Teilen des Werkes durch fehlerhafte Errichtung oder mangelhafte Unterhaltung verursacht worden ist. Vorliegend streitet jedoch schon der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Lampenaufsatz nicht ordnungsgemäß befestigt war. Nach den Gesamtumständen, insbesondere der Aussage der Zeugin B , die den
18geschilderten Geschehensablauf bestätigt hat, und der Lebenserfahrung kann hieran kein vernünftiger Zweifel bestehen.
19Die Zeugin B hat glaubhaft bekundet, dass der gesamte Lampenaufsatz, der aus Teller, Kegelglas und Deckel besteht, heruntergekommen ist. Nach ihrer weiteren Schilderung ist sie unmittelbar nach dem Knall an das Fenster ihrer Wohnung getreten und hat keine dritte Personen gesehen, die sich an der Laterne zu schaffen gemacht haben könnten; obwohl die Laterne ausgefallen war, hat sie die Straße von ihrem Fenster aus wegen der anderen Straßenlaternen und einer vor ihrem Haus angebrachten Außenlampe gut überblicken können. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Vorbringen der Beklagten, ein oder mehrere unbekannte Täter hätten die Laterne mutwillig beschädigt, sich nicht auf entsprechende Beobachtungen des Klägers oder der Zeugin B stützen kann. Der Zeuge L , dem der Kläger den Schaden am nächsten Tag gemeldet hat, hat vielmehr eingeräumt, dass der Kläger sich ihm gegenüber nicht dahingehend geäußert habe, er habe irgendwelche Leute weglaufen gesehen; bei der von ihm notierten Darstellung des Klägers, dass Unbekannte die Laterne beschädigt hätten, habe es sich gewissermaßen um eine Vermutung des Klägers gehandelt. Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Beklagten, dass der Schaden allein durch fremde Gewalteinwirkung herbeigeführt worden sei und darinseine Ursache habe, dass der Mast durch (gleichmäßiges, rhythmisches Anstoßen in Schwingungen versetzt worden – wie häufig bei Jugendlichen beobachtet – und hierdurch der Spritzgussrahmen des Lampenaufsatzes gebrochen sei, ein bloßer Verdacht und reine Spekulation, ohne dass hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Es obläge der Beklagten, einen etwaigen abweichenden Geschehensablauf, der den Schaden herbeigeführt haben könnte, nicht nur zu behaupten, sondern auch zu beweisen. Das ist nicht geschehen. Soweit die Beklagte auf die mögliche Beeinträchtigung der Befestigung des Lampenaufsatzes durch jugendlichen Vandalismus verwiesen hat, fehlt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an jedwedem konkreten Anhaltspunkt. Ebenso ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme, die aufgrund des Anscheinsbeweises zu vermutende Schadensverursachung nicht widerlegt. Der Zeuge M , der als Elektromonteur bei der Streitgehilfin der Beklagten beschäftigt ist, hat sich dahin geäußert, dass man „nur vermuten“ könne, wie es genau dazu gekommen ist, dass der Lampenaufsatz heruntergefallen sei. Auch die Bekundungen des Zeugen S erschöpfen sich in Vermutungen, wobei er der Möglichkeit, dass durch rhythmisches Schütteln der Lampenaufsatz herunterfällt, noch weitere hinzugefügt hat, nämlich, dass dies durch einen „herunterfallenden Ast passiert“, der etwa bei Sturm an die Laterne gerät, oder
20dass der Spritzgussrahmen schon Tage zuvor geplatzt sei und der nur noch in einem Nut festgehaltene Aufsatz sodann schon durch einen leichten Windstoß herunter geweht werden konnte. All dies sind rein theoretische Möglichkeiten, für welche die erforderlichen konkreten Anhaltspunkte fehlen. Zur weiteren Aufklärung der Behauptung der Beklagten und ihrer Streitgehilfin, das Herunterfallen des Aufsatzes der Laterne könne nur auf die Gewalteinwirkung durch dritte Personen zurückzuführen sein, die damit ersichtlich den Gegenbeweis führen wollen, wäre die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich geworden. Die dabei entstehenden Gutachterkosten – ausweislich des Schreibens des Technischen Überwachungsvereins Rheinland vom 15.9.1987 belaufen sich die Untersuchungskosten auf etwa 3.000,00 bis 4.000,00 DM - stehen aber erkennbar außerhalb eines vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnisses mit einem damit verbundenen Erfolg der Beklagten (§ 287 Abs. 2 ZPO). Maßgebend ist in diesem Zusammenhang auch, dass aus der Beklagten zuzurechnenden Gründen der heruntergefallene Lampenaufsatz, den der Zeuge M zunächst geborgen hat, nicht mehr vorhanden ist; nach den Ausführungen des Technischen Überwachungsvereins in dem genannten Schreiben können wegen Fehlens des Schadensstückes Untersuchungen nur an gleichartigen Straßenleuchten durchgeführt werden, die unter Umständen nicht mit Sicherheit zu einem eindeutigen Ergebnis führen.
21Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie gemäß § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Der der Beklagten obliegende Entlastungsbeweis hat sich auf die Anwendung aller Sorgfalt zu erstrecken; an die Beachtung dieser Sorgfaltspflicht und an die Substantiierungs- und Beweispflicht sind hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BGH LM Nr, 12a zu § 836 BGB; BGH VersR 1976, 66, 67). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Beklagte den Entlastungsbeweis nicht zu führen vermocht. Die von der Beklagten durchgeführten Kontrollen beschränken sich auf eine rein optische Kontrolle der Beleuchtungseinrichtung in der Weise, dass regelmäßig überprüft wird, ob die Beleuchtung „ noch brennt“ und alle Lampen in Betrieb sind; eine gezielte Kontrolle auch der technischen Ausstattung und des Zustandes des Mastes sowie des Lampenaufsatzes findet nicht statt. Dies haben die Zeugen S und L eingeräumt; demgemäß hat sich auch die vor dem Vorfall zuletzt am 24. und 25.9.1984 durchgeführte Kontrolle auf eine optische Kontrolle beschränkt. Notwendig ist jedoch – wie im Rahmen von Verkehrssicherungspflichten allgemein – eine fortlaufende Kontrolle und Überprüfung des Mastes und der Aufhängung des Lampenaufsatzes, damit auch insoweit Mängel in der Befestigung so
22rechtzeitig festgestellt und beseitigt werden können, dass eine Gefährdung der Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Allerdings dürfen an die Kontrolle keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Das Maß der zu übenden Sorgfalt wird hierbei durch das finanzielle und organisatorische Machbare in gewissem Umfang begrenzt. Zuzugeben ist in diesem Zusammenhang, dass es sicherlich unmöglich und – wie die Streitgehilfin der Beklagten geltend macht – aus Rechtsgründen auch nicht gefordert werden kann, die etwa 20.000 Straßenlampen, die sich in dem Stadtgebiet der Beklagten befinden, täglich zu kontrollieren. Im Rahmen der von ihr ohnehin durchzuführenden optischen Brennkontrolle ist der Beklagten indes zuzumuten, hierbei in regelmäßigen Überwachungsintervallen auch die Sicherheit und Standfestigkeit des Mastes sowie die Befestigung des Lampenaufsatzes zu überprüfen, ohne dass dies die Änderung ihres gesamten Organisationsplanes bedeutet. Wenn ein kürzerer Kontrollabstand sich nicht mit dem Organisationsplan der Beklagten vereinbaren lässt, hätte von vornherein eine stabilere Befestigung des Lampenaufsatzes gewählt werden müssen, die längere Überwachungsintervalle erlaubt. Einer Entscheidung über die Länge der Kontrollabstände im Einzelnen bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Keineswegs jedenfalls durfte die Beklagte - etwa aus Kostengründen - auf die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen überhaupt verzichten.
23Das Versäumnis der Beklagten ist auch ursächlich für die mangelnde Befestigung des Lampenaufsatzes gewesen. Die Beklagte hat weder behauptet noch gar bewiesen, dass der Schaden auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entstanden wäre.
24Der Zinsanspruch ist gemäß den §§ 284, 286, 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.
25Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
26Streitwert: 1.468,08 DM
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