Urteil vom Landgericht Aachen - 11 O 72/00
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.500 € nebst 4 % Zinsen seit dem 20.1.2000 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den dem Kläger in Zukunft als Folge des Behandlungsfehlers des Beklagten vom 21.3.1997 entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche des Klägers nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 43 % und der Beklagte zu 57 %.
Das Urteil ist für beide Parteien vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
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Tatbestand
2Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten Ansprüche aus einer ärztlichen Behandlung geltend.
3Der Kläger hatte abstehende Ohren. Zur Korrektur dieser Fehlstellung der Ohrmuscheln wurde er in der Praxis des Beklagten am 21.3.1997 ambulant operiert. Der Kläger war damals zehn Jahre alt. Ob es bei dieser Ohrenanlegeplastik zu Behandlungsfehlern gekommen ist, insbesondere ob der Beklagte zu ausgedehnt Haut hinter den Ohrmuscheln entfernt hat, und welche Folgen sich daraus ergeben haben, ist zwischen den Parteien umstritten. Im Herbst 1998 zeigten sich an den Stellen, an denen die Fäden entfernt worden waren, beidseitig perlschnurförmig angeordnete Keloide (= Wulstnarben). Die Narbenkeloide wurden in der Plastischen Chirurgie im Krankenhaus Eschweiler unter stationärer Behandlung vom 15. – 19.6.1999 entfernt.
4Der Kläger forderte den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 19.1.2000 erfolglos auf, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 DM zu zahlen und eine Haftung für Folgeschäden anzuerkennen.
5Der Kläger behauptet, der Beklagte habe die Schnitte beidseits zu weit lateral im Bereich der Umschlagsfalte gesetzt. Das stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Dadurch sei beim Kläger eine extrem unschöne, schüsselförmige Ohrenform entstanden, unter der er gelitten habe. Außerdem sei bei der Operation zu viel Knorpel weggenommen worden, so daß Knorpelnarben entstanden seien. Der Beklagte habe ferner nicht resorbierbare subkutanversenkte Nähte im hinteren Knorpelanteil eingebracht. Durch die falsche Schnittführung, die übermäßige Knorpelexzision und die Verwendung von nicht resorbierbaren Fäden sei es bei ihm zu der Keloidbildung gekommen. Bereits unmittelbar nach der Operation und andauernd für zwei Jahre habe er an Nervosität und Juckreiz im Bereich der Schnittstellen gelitten. Er habe sich in der Schule nicht mehr konzentrieren können und sei wegen der Keloide und auch wegen der schüsselförmigen Ohrenform gehänselt worden. Dies sei der Grund für einen – unstreitig erfolgten – Wechsel vom Gymnasium über die Realschule auf die Hauptschule gewesen. Die Operation im Krankenhaus Eschweiler sei nur erfolgt, um die Folgen der Behandlungsfehler des Beklagten – neben den Keloiden auch die schüsselförmige Ohrenform - zu beheben. Das dabei erzielte Ergebnis sei nicht so gut gewesen, wie dies bei einer sofort ordnungsgemäß durchgeführten Operation der Fall gewesen wäre. Durch die falsche Schnittführung des Beklagten hätten zu wenig Hautreserven für die Narbenkorrektur und Neuformung des Ohres zur Verfügung gestanden. Daher habe die Ohrmuschel straff am Haaransatz angenäht werden müssen. Die Ohrmuschel sei daher jetzt unbeweglich und steif und liege eng an. Durch die enge Anlegung der Ohren werde der Kläger niemals eine Brille tragen können.
6Der Kläger beantragt,
71.
8den Beklagten zu verurteilen, an ihn zu Händen seiner Eltern wegen des ärztlichen Behandlungsfehlers vom 21.3.1997 ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20.1.2000 zu zahlen sowie
92.
10festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den dem Kläger in Zukunft als Folge des Behandlungsfehlers des Beklagten vom 21.3.1997 entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Der Beklagte behauptet, er habe keine Behandlungsfehler begangen. Die Ausbildung der Keloide sei schicksalhaft. Es gäbe kein sicheres Mittel, Keloide zu vermeiden. Für die Keloidentstehung sei allein die familiäre Veranlagung entscheidend.
14Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
15Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 15.5.2000 (Bl. 62 ff d.A.) und gemäß Beweisbeschluss vom 29.8.2001 (Bl. 218 f d.A.) mit Ergänzungsbeweisbeschluss vom 4.3.2002 (Bl. 235) durch Einholung eines Hals-Nasen-Ohren-fachärztlichen Gutachtens und eines nervenärztlichen Gutachtens nebst eines kinder- und jugendpsychiatrischen Zusatzgutachtens sowie durch Anhörung der Sachverständigen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen ----------- vom 15.3.2001 (Bl. 122 ff d.A.) und das Gutachten des Sachverständigen -------------- vom 28.2.2003 (Bl. 276 ff) sowie die Protokolle zur mündlichen Verhandlung vom 25.7.2001 (Bl. 196 ff) und vom 28.5.2003 (Bl. 437 ff) verwiesen.
16Entscheidungsgründe
17Die Klage ist nur teilweise begründet.
18Dem Kläger steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch und der Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nach §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, pVV des Behandlungsvertrages und § 256 Abs. 1 ZPO zu.
19Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte in der Operation am 21.3.1997 einen Behandlungsfehler begangen hat. Die Kammer stützt sich insoweit auf die nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Feststellungen des Sachverständigen ----------------. Danach hat der Beklagte die Exzision bei der Ohrenanlegeplastik zu weit lateral (= seitlich) angesetzt und im mittleren Teil zu weit ausgedehnt, so dass er letztlich zu viel Haut hinter den Ohren entfernt hat. Hingegen kann heute nicht mehr differenziert werden, ob und wieviel Knorpel in der streitgegenständlichen Operation in Abgrenzung zur Korrekturoperation entfernt wurde.
20Einen groben Behandlungsfehler verneint der Sachverständige, aus medizinischer Sicht. Auch die Kammer kann in rechtlicher Hinsicht nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich hier um einen Fehler handelt, wie er schlechterdings nicht unterlaufen darf.
21Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass als Folge dieser ausgedehnten Hautexzision beidseits eine schüsselförmige Ohrform entstanden ist, die auch als "Telefonohr" bezeichnet wird. Das Ergebnis der Operation war somit kosmetisch unbefriedigend. Soweit der Kläger behauptet, Folge der ausgedehnten Hautexzision sei auch die Keloidbildung mit dem damit verbundenen Juckreiz gewesen, wird dies durch den Sachverständigen nicht bestätigt. Die Kammer macht sich auch insoweit die gut begründeten Feststellungen des Sachverständigen zu eigen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Keloidbildung primär von der Disposition des Patienten abhängt. Dass sich beim Kläger Keloide ausgebildet haben zeigt, dass er eine Disposition zur Bildung von Keloiden hat. Ob eine derartige Disposition besteht, erfährt ein behandelnder Arzt nur durch Erfahrungen bei früheren Operationen. Beim Kläger hatten sich zuvor keine Keloide gezeigt. Insofern gab es – gemessen am ärztlichen Standard - keinen Grund für den Beklagten, besondere Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von Keloiden zu treffen. Wenn es nach der Operation also zur Ausbildung von Keloiden gekommen ist, bewertet die Kammer dies – sachverständig beraten – als schicksalhaft.
22Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die durch die ausgedehnte Hautexzision erhöhte Spannung auf die Narbenränder das Risiko einer Keloidbildung erhöht. Denn der Sachverständige hat nachvollziebar erläutert, dass die Keloidbildung auch bei behandlungsfehlerfreier Operation mit hoher Wahrscheinlichkeit entstanden wäre. Dies hat insbesondere die Korrekturoperation gezeigt. Obgleich nämlich bei dieser Operation die Neigung zur Keloidbildung des Klägers bekannt war und alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, ist es erneut, wenn auch in geringerem Umfang, zur Bildung von Narbenkeloiden gekommen. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe nicht resorbierbare subkutanversenkte Nähte verwendet. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob dies zutreffend ist. Jedenfalls hat der Sachverständige die Verwendung von nicht resorbierbaren Nähten nur als einen weiteren möglichen Faktor für die Ausbildung von Keloiden benannt. Auch insofern führt der Sachverständige aus, dass die Keloidbildung unabhängig von diesem behaupteten Behandlungsfehler auch bei einer behandlungsfehlerfreien Operation mit hoher Wahrscheinlichkeit entstanden wäre. Damit steht fest, dass der Beklagte für die Folge der ausgedehnten Hautexzision und des dadurch entstandenen Telefonohrs einzustehen hat, nicht jedoch für die Folge der Keloidbildung.
23Die Beweisaufnahme hat weiter ergeben, dass die Korrekturoperation im Juni 1999 bedingt war durch die zu ausgedehnte Hautexzision und das Telefonohr. Ziel dieser Korrekturoperation war zumindest auch die Herstellung eines kosmetisch befriedigenden Ergebnisses mit Blick auf die schüsselförmige Stellung der Ohren. Ferner entspricht auch das in dieser Korrekturoperation entstandene kosmetische Ergebnis, bedingt durch die vorausgegangene ausgedehnte Hautexzision des Beklagten, nach den Feststellungen des Sachverständigen, die sich die Kammer zu eigen macht, nicht dem anzustrebenden Zustand nach einer Ohrenanlegeplastik. Durch die ausgedehnte Hautexzision des Beklagten haben für die Neuformung der Ohren wenig Hautreserven zur Verfügung gestanden. Daher mußten die Ohrmuscheln straff am Haaransatz angenäht werden. Die Ohrmuscheln sind daher heute unbeweglich und steif und liegen eng an.
24Hingegen hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass sein Leistungsabfall in der Schule und der damit verbundene Wechsel vom Gymnasium über die Realschule zur Hauptschule auf die ausgedehnte Hautexzision und die Telefonohren zurückzuführen ist. Die Kammer macht sich insoweit die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ----------------, die auf einer umfangreichen Exploration beruhen, zu eigen. Zwar diagnostiziert der Sachverständige eine auf die Ohrenoperation vom 21.3.1997 zurückzuführende Anpassungsstörung des Klägers mit leichtgradiger depressiver Symptomatik in Verbindung mit einem Schamgefühl. Diese Anpassungsstörung beruht auf der langandauernden Belastungssituation durch die Ohrenoperation, die für den Kläger mit umfangreichen Nachbehandlungen und mit der Korrekturoperation verbunden war. Der Sachverständige ------------ hat plausibel erklärt, dass diese Anpassungsstörung einen Faktor für den Leistungsabfall des Klägers in der Schule gebildet hat. Er führt dies auf die durch die Hänseleien bedingte Störung der Integration des Klägers in den Klassenverband zurück und auf die Beeinträchtigung seiner positiven Einstellung zum Lernen.
25Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass diese Belastungssituation dem Beklagten nur insofern zugerechnet werden kann, als sie auf dem Telefonohr beruht. Eine Zurechnung der Belastungssituation, soweit sie auf der Keloidbildung beruht, scheidet aus. Es ist zu berücksichtigen, dass das Telefonohr gegenüber der Keloidbildung das optische Erscheinungsbild des Klägers weniger beeinträchtigte. Dementsprechend beziehen sich auch die vom Kläger selbst anläßlich der Exploration durch den Sachverständigen wiedergegebenen Hänseleien überwiegend auf die Keloidbildung. Auch der Juckreiz und die damit verbundenen Konzentrationsstörungen sind vom Sachverständigen --------------- eindeutig der Keloidbildung zugeordnet worden. Wenn es also in Folge der Ohrenoperation zu einem Leistungsabfall des Klägers bedingt durch Störung seiner Integration in den Klassenverband und Behinderung des positiven Verhältnisses zum Lernen gekommen ist, kann dies nur zu einem geringen Anteil dem Beklagten zugerechnet werden.
26Hinzu kommt, dass dem Kläger der Nachweis nicht gelungen ist, dass er ohne den Behandlungsfehler des Beklagten und die dadurch bedingte Anpassungsstörung den Leistungsanforderungen auf dem Gymnasium gewachsen gewesen wäre, dass also der Behandlungsfehler eine condicio sine qua non für den Leistungsabfall war. Insofern hat der Sachverständige, an dessen ausführlich begründeten Feststellungen die Kammer keine Zweifel hat, vielmehr ausgeführt, dass eine Wahrscheinlichkeit dahingehend besteht, dass es auch ohne die Anpassungsstörung aufgrund der Ohrenoperation bei dem Kläger zu schulischen Problemen auf dem Gymnasium gekommen wäre. Hierfür sprechen zwei Gesichtspunkte. Zum einen hat der Sachverständige anhand einer testpsychologischen Untersuchung des Klägers das Leistungsprofil des Klägers als durchschnittlich bewertet mit Blick auf seine Intelligenz und seine Konzentrationsleistung. Dieses Leistungsprofil läßt es erwarten, dass die Wahrscheinlichkeit eines schulischen Mißerfolges mit der Komplexität der schulischen Anforderungen deutlich steigt. Dem entspricht auch die nur unter Einschränkungen ausgesprochene Empfehlung der Grundschule für das Gymnasium. Der Sachverständige führt aus, dass man auf der Basis dieses Leistungsprofils heute eine Empfehlung für das Gymnasium nicht aussprechen würde. Zum anderen spricht auch die zeitliche Komponente dafür, dass der Leistungsabfall unabhängig von der Anpassungsstörung eingetreten ist. Wie sich aus den Zeugnissen des Klägers ergibt, ist es zu einem Einbruch der schulischen Leistungen zu einem Zeitpunkt gekommen, nachdem die Korrekturoperation bereits durchgeführt war.
27In Anbetracht der vorstehend erörterten, durch den Behandlungsfehler bedingten Folgen der Operation hält die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 € für angemessen und gerechtfertigt. Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger unter dem kosmetisch unbefriedigenden Ergebnis der Operation vom 21.3.1997 – dem Telefonohr - gelitten hat und gehänselt wurde. Maßgeblich für die Bemessung des Schmerzensgeldes war auch das Erfordernis der Korrekturoperation in stationärer Behandlung und das heute bestehende und auf die ausgedehnte Hautexzision zurückgehende enge Anliegen der Ohren. Keine Berücksichtigung konnte im Rahmen der Schmerzensgeldzumessung die Keloidbildung finden, da diese nach den sachverständigen Feststellungen als schicksalhaft zu bewerten ist und eine Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers des Beklagten insoweit nicht nachgewiesen ist. Außer Betracht bleiben mußte auch der schulische Leistungsabfall des Klägers. Denn auch hier ist der Nachweis nicht erbracht worden, dass dieser auf den Behandlungsfehler des Beklagten zurückgeht.
28Der Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden des Klägers besteht, da der Kläger plausibel dargelegt hat, dass er möglicherweise einmal durch das enge Anliegen des Ohres Schwierigkeiten haben wird, eine Brille oder ein Hörgerät zu tragen.
29Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO und § 709 S. 1, 2 ZPO.
30Streitwert: Antrag zu 1): 30.000 DM = 15.338,76 €
31Antrag zu 2): 5.000 DM = 2.556,46 €
32Insgesamt: 35.000 DM = 17.895,22 €
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Referenzen
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