Grundurteil vom Landgericht Aachen - 12 O 140/09
Tenor
Der Klageantrag ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung erfolgt im Schlussurteil.
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T a t b e s t a n d
2Die Beklagte plante Baumaßnahmen am Parkhaus Zitadelle in K und schrieb im Mai 2008 hierfür Arbeiten aus. Der Umfang der Unterlagen, der von einem Angebot verlangt wurde, war in Ziffer 3.2 der Bewerbungsbedingungen festgelegt, die folgenden Wortlaut aufwies:
3„Für das Angebot sind die vom Auftraggeber übersandten Vordrucke zu verwenden; das Angebot ist an der dafür vorgesehenen Stelle zu unterschreiben. Die Verwendung selbstgefertigter Vervielfältigungen, Abschriften und Kurzfassungen ist -ausgenommen beim Leistungsverzeichnis- unzulässig.
4Anstelle des vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnisses können selbst gefertigte Abschriften oder Kurzfassungen verwendet werden, wenn der Bieter das vom Auftraggeber verfasste Leistungsverzeichnis als allein verbindlich anerkennt. Eine selbstgefertigte Abschrift oder Kurzfassung ist zugelassen. Das vom Auftraggeber verfasste Leistungsverzeichnis ist allein verbindlich.
5Kurzfassungen müssen die Ordnungszahlen (Positionen) des vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnisses vollzählig, in der gleichen Reihenfolge und mit den gleichen Nummern enthalten; sie müssen für jede Teilleistung nacheinander die Ordnungszahlen, die Menge, die Einheit, den Einheitspreis und den Gesamtbetrag, darüber hinaus den jeweiligen Kurztext sowie die im Leistungsverzeichnis entsprechenden Zwischensummen der Leistungsabschnitte, die Angebotssumme und alle vom Auftraggeber geforderten Textergänzungen enthalten. Angebote, die diesen Bedingungen nicht entsprechen, können ausgeschlossen werden.
6Die Kurzfassung ist zusammen mit dem vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnis Bestandteil des Angebots.
7Der Bieter ist verpflichtet, auf Anforderung des Auftraggebers vor Auftragserteilung ein vollständig ausgefülltes Leistungsverzeichnis nachzureichen.
8Der Klägerin wurde zur Erstellung eines Angebots ein Kurztextleistungsverzeichnis und ein Langtextleistungsverzeichnis jeweils in Papierform und in elektronischer Form übersandt. Das Langtextleistungsverzeichnis enthielt für manche Positionen Eintragungsfelder für Angaben zu dem verwendeten Material, dem Hersteller sowie dem Lieferwerk. Das Kurztextleistungsverzeichnis enthielt solche Eintragungsfelder nicht. Die Klägerin gab am 29.05.2008 ein Angebot ab. Dieses enthielt ein Anschreiben mit Nebenangeboten, das unterschriebene Angebotsschreiben sowie ein von der Klägerin selbst gefertigtes Kurztext-Leistungsverzeichnis auf der Grundlage des von der Beklagten übersandten Kurztextleistungsverzeichnisses. Die in der Langtextversion des Leistungsverzeichnisses verlangten Textergänzungen zu Material, Hersteller und Lieferwerk waren im Angebot der Klägerin nicht enthalten. Der Angebotsbetrag der Klägerin belief sich auf ca. 880.000 €. Hiermit war die Klägerin die preisgünstigste Bieterin. Am 25.06.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass man ihr Angebot wegen Unvollständigkeit ausschließen werde. Dies wurde damit begründet, dass die zusätzlichen Angaben zu Material, Hersteller und Lieferwerk fehlten.
9Die Klägerin ist der Ansicht, sie hätte mit ihrem Angebot nicht ausgeschlossen werden dürfen. Sie behauptet, die Beklagte habe eine Unklarheit dadurch verursacht, dass sie selbst ein Kurztextleistungsverzeichnis ausgehändigt habe. Zudem sei Ziff. 3.2 Abs. 5 der Bewerbungsbedingungen unklar. Eine etwaige Unklarheit der Bewerbungsbedingungen dürfe nach Ansicht der Klägerin nicht zu ihren Lasten gehen. Sie habe einen Anspruch aus c.i.c. auf das Erfüllungsinteresse, welches in Höhe der Klageforderung bestehe. Nach dem Wortlaut von Ziffer 3.2 seien ihre Angaben vollständig.
10Die Klägerin beantragt,
11die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, an die Klägerin 47.926,13 € nebst Jahreszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.09.2008 zzgl. außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.379,80 € zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe wegen der Unvollständigkeit ihres Angebotes zwingend ausgeschlossen werden müssen. Aus Ziffer 3.2 der Bewerbungsbedingungen sei ersichtlich, dass die zusätzlichen Bieterangaben zu Material, Fabrikat und Hersteller in jedem Fall gefordert gewesen seien.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2009 Bezug genommen.
16Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen Vitten und Sistemich. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13.10.2009 (Bl. 131 d.A.) verwiesen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 282 BGB.
19Ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist zustande gekommen sein. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass eine öffentliche Ausschreibung ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis im Sinne des § 311 Abs. 2 Nr. 1 begründet (Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 311, Rn. 37 m.w.N.).
20Die Beklagte hat nach Auffassung der Kammer ihre Pflichten aus diesem Schuldverhältnis verletzt. Dies ist dann der Fall, wenn der Auftraggeber bei einer Ausschreibung nach der VOB/A gegen deren Vorschriften verstößt oder wenn er einen Bieter rechtswidrig vom Wettbewerb ausschließt (Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 311, Rn. 37 m.w.N.).
21Die Beklagte hat die Klägerin rechtswidrig vom Wettbewerb ausgeschlossen. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Klägerin mit ihrem Angebot auszuschließen. Nach Ziff. 3.2 Abs. 2 der Bewerbungsbedingungen war es zulässig, anstelle des vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnisses selbstgefertigte Abschriften oder Kurzfassungen zu verwenden. Nach Abs. 3 mussten dabei die im vom Auftraggeber übersandten Leistungsverzeichnis geforderten Textergänzungen enthalten sein. Hier hat die Beklagte selbst zwei verschiedene Leistungsverzeichnisse übersandt. Die von der Beklagten selbst verwendete Kurzversion enthielt keine Anforderungen im Hinblick auf Textergänzungen. Die Bewerbungsbedingungen enthalten in Ziff. 3.2 keine Unterscheidung zwischen der Langfassung und der Kurzfassung des von der Beklagten verwendeten Leistungsverzeichnisses. Die Regelung verwendet den Begriff des Leistungsverzeichnisses allgemein. Zwar wird auch der Begriff der Kurzfassung verwendet, jedoch im Zusammenhang mit Kurzfassungen, die vom Bieter selbst gefertigt werden. Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass sie die von der Beklagten übersandte Kurzfassung verwenden durfte, ohne Textergänzungen vorzunehmen. Die Bedingungen verlangen nicht ausdrücklich, dass die Textergänzungen des Langverzeichnisses auch dann vorgenommen werden müssen, wenn der Bieter nicht eine Kurzfassung selbst fertigt, sondern die von der Beklagten selbst gelieferte Kurzfassung zur Grundlage seines Angebots macht. Zwar kann Ziff. 3.2 der Bewerbungsbedingungen auch so ausgelegt werden, dass die Textergänzungen uneingeschränkt immer vorgenommen werden müssen, eindeutig ist dies jedoch nicht. Würde man die Ansicht der Beklagten zugrunde legen, dann hätte sie den Bietern mit dem Kurztextleistungsverzeichnis eigenhändig ein Leistungsverzeichnis vorgelegt, das sie selbst von vornherein nicht als vollständig zu akzeptieren gedachte. Die hieraus zumindest bestehende Unklarheit geht zulasten der Beklagten. Denn unklare Bewerbungsbedingungen gehen zu Lasten des Auftraggebers (OLG Köln, Urteil vom 16.12.1999 -7 U 27/99-, juris, Rn. 52 ff). Diesen trifft dann die Pflicht, sich über den Inhalt des Angebots zu unterrichten (OLG Köln, aaO).
22Die Beklagte war auch berechtigt, die fehlenden Informationen bei der Klägerin nachzufragen. Es fehlt ein zwingender Grund für den Ausschluss des Angebots, wenn der Auftraggeber über eine Frage, zu der eine Bietererklärung fehlt, nach § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A mit dem betreffenden Bieter verhandeln darf (Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB/A, § 24, Rn. 4). Über das jeweilige Material, Hersteller und Lieferwerk durfte die Beklagte an die Klägerin gem § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A Nachfragen richten. Bei einer solchen Nachfrage handelt es sich lediglich um die Klärung eines bereits feststehenden Angebots (OLG Koblenz, Urteil vom 12.02.1998 -5 U 408/97-, juris, Rn. 10; Kratzenberg, in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl., § 24 VOB/A, Rn. 10).
23Die Beklagte war auch verpflichtet, bei der Klägerin nachzufragen, da sie die Unklarheit in den Bewerbungsbedingungen selbst verursacht hat (vgl. OLG Köln, aaO; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.05.2009 -11 Verg 2/09-, juris, Rn. 39). Denn die Unklarheit über die Pflicht, Textergänzungen vorzunehmen, hat sie durch Aushändigung zweier unterschiedlicher Leistungsverzeichnisse selbst herbeigeführt. Die Beklagte hat des Weiteren durch die Regelung in Ziff. 3.2 Abs. 5 der Bewerbungsbedingungen die Unklarheit weiter verschärft. Nach dieser Regelung ist der Bieter verpflichtet, auf Anforderung des Auftraggebers, ein vollständig ausgefülltes Leistungsverzeichnis nachzureichen. Diese Regelung ist missverständlich. Nach Ansicht der Beklagten dient diese Regelung nur dazu, sicherzustellen, dass ein Bieter nach der Urschrift kalkuliert hat. Für einen Bieter ist dieser Zweck jedoch keineswegs eindeutig. Vielmehr wird aufgrund des Wortlauts der Eindruck erweckt, es könnten noch Informationen nachgereicht werden. Die Prüfung der Kalkulation anhand der Urschrift ist im Übrigen auch mit dem Kurztextleistungsverzeichnis möglich. Denn in diesem waren sämtliche Positionen des Langtextleistungsverzeichnisses ebenfalls ausgewiesen.
24Das Urteil des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt, Urteil vom 26.05.2009 -11 Verg 2/09-, juris) spricht nicht gegen eine Nachfrage durch die Beklagte, da in dem dort entschiedenen Fall der Bieter geforderte Angaben über Typ und Hersteller nicht gänzlich ausgelassen, sondern selbst irreführende Angaben in seinem Angebot gemacht hatte. Auch das Urteil des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006 -VII Verg 3/06-, juris) spricht nicht gegen die Zulässigkeit und Pflicht zu einer Nachfrage. In dem dort entschiedenen Fall hatte der Auftraggeber für ein Produkt einen Leithersteller vorgesehen, aber Produkte von anderen Herstellern nicht ausgeschlossen. Für den Fall der Verwendung eines anderen Produkts war jedoch ausdrücklich gefordert, dass der Angebotsabgabe eine Erklärung des Herstellers über die Gleichwertigkeit beizufügen war (OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006 -VII Verg 3/06-, juris, Rn. 53). In dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall waren die Anforderungen an das Angebot eindeutig und klar gewesen. Der Auftraggeber hatte keine Unklarheit verursacht, die ihn zu einer Nachfrage verpflichtet hätte.
25Die Pflichtverletzung ist auch schuldhaft erfolgt. Die Unklarheit in den Bewerbungsbedingungen hat die Beklagte verursacht. Umstände für eine Exkulpation hat sie nicht substantiiert vorgetragen.
26Da zur Schadenshöhe eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich gewesen wäre, hielt das Gericht im Einvernehmen mit den Parteien eine Entscheidung durch Grundurteil für angemessen. Erstinstanzlich ist der Rechtsstreit nach Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung fortzusetzen.
27N H L
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