Beschluss vom Landgericht Aachen - 3 T 400/09
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
1
Gründe
2I.
3Für den nach fachärztlicher Diagnose unter einer chronischen rezidivierenden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis wurde durch Beschluss des Amtsgerichts F vom 18.02.1997 (Bl. 70) eine gesetzliche Betreuung eingerichtet und der Beteiligte zu 2 zum berufsmäßigen Betreuer bestellt. Die bestehende Betreuung wurde anschließend mehrfach verlängert, u.a. durch Beschluss des Amtsgerichts vom 04.07.2006 (Bl. 261). Der Aufgabenkreis des Betreuers bestand zum damaligen Zeitpunkt in Gesundheitsfürsorge sowie Vertretung bei Behörden und Ämtern. Nachdem der Beteiligte zu 2 unter Bezugnahme auf ein ärztliches Attest des Dr. xxxxx vom 15.10.2007 (Bl. 283) die geschlossene Unterbringung des Betroffenen und zugleich die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Bereich Aufenthaltsbestimmung beantragt hatte, wurde die Betreuung durch Beschluss des Amtsgerichts B vom 16.10.2007 (Bl. 284), an das das Verfahren nach Umzug des Betroffenen inzwischen abgegeben worden war, antragsgemäß um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung erweitert. Im Zuge der erneuten Überprüfung der Betreuung reichte der Beteiligte zu 2 ein Attest des den Betroffenen ambulant behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychiatrie xxxxx vom 23.05.2008 (Bl. 330) zur Akte, in dem - ohne weitere Spezifizierung - empfohlen wurde, dass die Betreuung "im bisherigen Umfang unverändert aufrechterhalten bleiben" sollte. Ferner empfahl der damalige Verfahrenspfleger Rechtsanwalt xxxxx in seiner Stellungnahme vom 01.07.2008 (Bl. 338) - gleichfalls ohne weitere Differenzierung betreffend die Aufgabenkreise - die Verlängerung Betreuung "zu den bisherigen Konditionen". Zum daraufhin anberaumten Anhörungstermin am 12.09.2008 erschien der Betroffene nicht. Mit dem damaligen Verfahrenspfleger und dem Betreuer wurde besprochen, dass die bestehende Betreuung unverändert verlängert werden sollte (Vermerk vom 12.09.2008, Bl. 342). Gleichwohl führte der Beschluss des Amtsgerichts B vom 12.09.2008 (Bl. 343), mit dem die Fortdauer der Betreuung mit Überprüfungsfrist bis zum 11.09.2013 angeordnet wurde, als Aufgabenkreise lediglich Gesundheitsfürsorge sowie Vertretung bei Behörden und Ämtern (nicht aber die Aufenthaltsbestimmung). In seinem Jahresbericht vom 10.10.2008 (Bl. 345) teilte der Beteiligte zu 2 u.a. mit, dass der Betroffene sich im vergangenen Jahr dreimal zur stationären Behandlung im Klinikum xxxxx befunden habe. Mit Schreiben vom 27.05.2009 (Bl. 348) beantragte der Betreuer unter Bezugnahme auf ein ärztliches Attest vom gleichen Tag (Bl. 349) die geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB, nachdem der Betroffene bislang nach den Vorschriften des PsychKG NRW untergebracht war, keine Fremdgefährdungsaspekte mehr bestanden, der Betroffene sich jedoch nicht zu einer freiwilligen (indizierten) Weiterbehandlung bereit erklärt hatte. Durch Schreiben vom 08.06.2009 (Bl. 351) nahm der Betreuer seinen Unterbringungsantrag zurück, nachdem der Betreute inzwischen auf eine offene Station verlegt worden war. Mit Schreiben vom 27.08.2009 (Bl. 352) beantragte der Beteiligte zu 2 erneut die geschlossene Unterbringung des - durch Beschluss vom 21.08.2009 (AG B 69 XIV 2042.L, Bl. 353) nach den Bestimmungen des PsychKG NRW untergebrachten - Betroffenen nach Betreuungsrecht sowie die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Bereich Aufenthaltsbestimmung. Daraufhin hat das Amtsgericht ohne weitere Anhörung des Betroffenen die Betreuung durch Beschluss vom 10.09.2009 (Bl. 354) antragsgemäß um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung erweitert. Nachdem der Betreute inzwischen wieder aus dem Klinikum entlassen worden war, legte er unter dem 29.09.2009 zu Protokoll der Geschäftsstelle Beschwerde ein mit der Begründung, er sehe für die Aufgabenkreiserweiterung keine Gründe (Vermerk Bl. 357). Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 01.10.2009 (Bl. 358) unter Verweis auf die Verfahrenshistorie nicht abgeholfen und die Akte der Kammer zur weiteren Entscheidung vorgelegt.
4Die von der Kammer zur Verfahrenspflegerin bestellte Beteiligte zu 3 hat mit Schreiben vom 26.11.2009 (Bl. 368) zum Verfahren Stellung genommen. Der Berichterstatter der Kammer hat am 07.12.2009 einen Anhörungstermin durchgeführt, an dem die Beteiligten zu 1 bis 3 teilgenommen haben. Dabei überreichte der Betreuer ein ärztliches Attest zur Erforderlichkeit der Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Attest vom 30.11.2009 (Bl. 379) sowie das Sitzungsprotokoll (Bl. 377) verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
5II.
6Da das erstinstanzliche Verfahren betreffend die Erweiterung der Betreuung beim Amtsgericht vor dem 01.09.2009 und damit vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) eingeleitet wurde, sind gem. Art. 111 Abs. 1 und 2 FGG-Reformgesetz auch für das Beschwerdeverfahren die vor Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes geltenden Vorschriften weiter anzuwenden.
7Die Beschwerde gegen die Erweiterung der Betreuung ist gemäß §§ 19, 20, 69i Abs. 1 S. 1 FGG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
8Es kann dahinstehen, ob das das Amtsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung mit Recht die bestehende Betreuung um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung erweitert hat, obwohl zuvor hierzu offensichtlich keine Anhörung des Betroffenen stattgefunden hatte, sich der Akte auch kein entsprechendes Attest entnehmen lässt und der Aufgabenkreis nicht nur unwesentlich erweitert wurde (vgl. hierzu § 69i Abs. 1 FGG). Jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung sind die Voraussetzungen für eine Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung nach §§ 1908d Abs. 3, 1896 BGB nicht gegeben.
9Zwar liegt mit dem Attest des Stationsarztes xxxxx vom 30.11.2009 (Bl. 379) inzwischen ein ärztliches Zeugnis vor, das sich für die Erweiterung der Betreuung im beschlossenen Umfang ausspricht. Indes ist im vorliegenden Fall die Vorlage eines Attestes nicht ausreichend, da es sich bei der beschlossenen Aufgabenkreiserweiterung nicht nur um eine vorläufige Maßnahme im Wege der einstweiligen Anordnung nach Maßgabe von § 69f FGG handelt, für die ein ärztliches Zeugnis ausgereicht hätte (§ 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG), und auch die Voraussetzungen, unter denen auf die Vorlage eines Gutachtens verzichtet werden kann (§ 68b Abs. 1 S. 2, 3 FGG), nicht vorliegen. Denn § 69i Abs. 1 FGG i.V.m. § 1908d Abs. 3 BGB verlangt im Falle der (dauerhaften) Erweiterung der Betreuung um den Bereich der Aufenthaltsbestimmung die Vorlage eines Gutachtens.
10Die Kammer hielt es aufgrund des Ergebnisses des Anhörungstermins durch den Berichterstatter der Kammer am 07.12.2009 auch nicht geboten, selbst von Amts wegen (§ 12 FGG) das erforderliche Gutachten zur Erweiterung des Aufgabenkreises einzuholen. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten zu 2 und 3 sowie des Berichterstatters der Kammer hat sich der bei der Anhörung vollständig orientierte Betroffene klar und deutlich gegen die Aufgabenkreiserweiterung ausgesprochen und hierzu auf Vorhalt auch eine differenzierte Meinung vertreten. Insbesondere der Betreuer hat angegeben, dass in den vergangenen Jahren eine Unterbringung nach den Bestimmungen des PsychKG NRW eigentlich immer ausreichend gewesen wäre, da der Betroffene - mit Ausnahme der geschlossenen Unterbringung im Mai 2009 - stets noch weiter freiwillig zur ärztlich empfohlenen Behandlung im Klinikum verblieben wäre, auch nachdem keine akute Eigen- und oder Fremdgefährdung im Sinne von § 11 PsychKG mehr bestanden hätte. Bezeichnend ist insoweit auch die Aussage des - der Kammer als sehr erfahren und kompetent bekannten - Betreuers bei der Anhörung, wenn er könnte, würde er den Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises nunmehr zurücknehmen. Es bestehen somit trotz des ärztlichen Attestes vom 30.11.2009 zumindest nachhaltige Zweifel, ob die angefochtene Aufgabenkreiserweiterung erforderlich war im Sinne von §§ 1908d Abs. 3, 1896 Abs. 2 S. 1 BGB. Zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen sah sich die Kammer, wie bereits ausgeführt, nicht veranlasst.
11Klarstellend weist die Kammer den Betroffenen indes darauf hin, dass er nunmehr unter Beweis stellen muss, dass sich in Zukunft keine Unterbringungsnotwendigkeit mehr ergibt, die den Betreuer veranlassen könnte, erneut einen Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises der Aufenthaltsbestimmung bzw. des Rechts zur geschlossenen Unterbringung zu stellen.
12Die Entscheidung ergeht gem. § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei.
13Rechtsmittelbelehrung
14Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde zulässig. Sie kann wahlweise bei dem Amtsgericht B, bei dem Landgericht B oder bei dem Oberlandesgericht L eingelegt werden. Ein Betroffener kann, wenn er untergebracht ist, Rechtsmittel auch bei dem Amtsgericht einlegen, in dessen Bezirk er untergebracht ist.
15Die Einlegung erfolgt durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder durch Erklärung zu Protokoll des Rechtspflegers der Geschäftsstelle des jeweiligen Gerichts. Erfolgt die Einlegung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, so muss diese von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Z Vorsitzender Richter am Landgericht | N Richter am Landgericht | C Richter am Landgericht |
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Referenzen
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